Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 23.06.2003, Az.: L 9 VG 6/98

Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG); Nachweis eines vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriffs; Glaubhaftmachung der wesentlichen Tatumstände; Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für die geltend gemachten Schädigungsfolgen

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
23.06.2003
Aktenzeichen
L 9 VG 6/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 21135
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0623.L9VG6.98.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - AZ: S 18 VG 40/95

Redaktioneller Leitsatz

Grundsätzlich hängt die Anspruchsberechtigung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG insoweit vom vollen Nachweis des Angriffs sowie seiner Vorsätzlichkeit und Rechtswidrigkeit ab. Allerdings werden die materiellen Beweislastanforderungen an das Opfer der Gewalttat zunächst dadurch relativiert, dass auf die Vorsätzlichkeit und Rechtswidrigkeit des Angriffs aus den Tatumständen geschlossen werden kann und dem Gewaltopfer in dieser Hinsicht die Regeln des Anscheinsbeweises zugute kommen. Zudem gilt auch im Anwendungsbereich des OEG die mit § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in Bezug genommene Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG, mit der der Beweisnot des Gewaltopfers bei fehlenden Tatzeugen Rechnung getragen wird. Im Verwaltungsverfahren wie im Prozess ist hiernach von den Angaben des An-spruchstellers über den schädigenden Vorgang auszugehen, wenn und soweit diese nach den Umständen glaubhaft sind.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten im Wesentlichen um die Gewährung von Beschädigten-Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Dem liegt ein Vorfall am 20. April 1991 zu Grunde, über dessen Hergang im Einzelnen divergierende Schilderungen des Berufungsklägers sowie der im zugehörigen Strafverfahren und einem vom Berufungskläger angestrengten zivilrechtlichen Schadensersatzprozess gehörten Zeugen vorliegen.

2

Soweit hiernach feststellbar, hielt sich der Berufungskläger am Tag des Vorfalls gegen 1.50 Uhr im Schlafzimmer der Wohnung der Frau D., einer Bekannten, auf, als deren damaliger Ehemann, E. einen mehrere Kilogramm schweren Pflasterstein durch das Fenster warf und kurze Zeit später selbst durch die entstandene Öffnung in das Schlafzimmer stieg. Dort stieß er Drohungen gegen D. aus, die daraufhin den Raum verließ. Der Berufungskläger hielt E. fest und forderte D. auf, Licht zu machen bzw. die Polizei zu rufen. Daraufhin entwich E. durch das zerstörte Fenster. Der Berufungskläger setzte ihm vergeblich nach. Ausweislich der Eintragung in das Tätigkeitsbuch T F. der örtlichen Polizeistation vom 20. April 1991 befand sich der Berufungskläger bei Eintreffen der Polizei mit stark blutenden Schnittwunden an den Füßen und einer Platzwunde am Kopf in der Wohnung der D ... Die Polizeibeamten brachten ihn in das Krankenhaus G., wo er wegen einer Schädelprellung mit ca. 6 cm langer Kopfplatzwunde rechts parietal, multiplen Schnittwunden am Kopf, rechten Oberarm, beiden Unterarmen und dem rechten Unterschenkel sowie einer Fraktur des Os metatarsale V rechts bis zum 26. April 1991 stationär behandelt und dann beschwerdefrei in die hausärztliche Weiterversorgung entlassen wurde (Arztbericht des Kreiskrankenhauses G., Chefarzt Dr. H. vom 10. Juni 1991, Bl. 131 GA).

3

Am 2. August 1991 stellte der Berufungskläger Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG und machte geltend, wegen der bei dem Vorfall davongetragenen Verletzungen bestehe noch immer ärztlicher Behandlungsbedarf. Das Versorgungsamt (VA) Hannover stellte umfangreiche Ermittlungen zum Tathergang an und lehnte die Gewährung von Beschädigtenversorgung mit Bescheid vom 13. Dezember 1993 unter Hinweis darauf ab, dass im Verlauf des Strafverfahrens gegen E. eine Vorsatztat nicht festgestellt worden sei. Demgegenüber setze die Gewährung von Versorgung nach § 1 Abs. 1 OEG einen vorsätzlichen Angriff voraus. Hiergegen machte der Berufungskläger mit seinem am 22. Dezember 1993 erhobenen Widerspruch geltend, es möge zutreffen, dass der Steinwurf des E., der ihn am Kopf getroffen habe, ohne Verletzungsabsicht in das unbeleuchtete Zimmer hinein erfolgt sei. Dessen ungeachtet sei aber jedenfalls E. anschließend in das Zimmer eingedrungen und habe den Berufungskläger auf das mit Glassplittern übersäte Bett gestoßen, wodurch die erheblichen Schnittverletzungen entstanden seien. Von einem bloß fahrlässigen Verhalten könne insoweit keine Rede sein. Im weiteren Verlauf dieser Auseinandersetzung habe sich der Berufungskläger dann auch den Fuß gebrochen.

4

Nach weiteren Ermittlungen wies das Landesversorgungsamt den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. Mai 1995 zurück. Zur Begründung führte es aus, im Hinblick auf die widersprüchlichen und wechselnden Sachverhaltsangaben aller Beteiligten habe sich nicht klären lassen, ob die erlittenen Verletzungen des Berufungsklägers auf einem vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriff des E. beruhten. Zwar sei der Sachverhalt hinsichtlich des Steinwurfs im Wesentlichen unstreitig; danach sei aber gerade von einem vorsätzlichen Angriff des Herrn E. nicht auszugehen. Hinsichtlich der weiteren Verletzungen stelle sich insbesondere auch nach dem eigenen Vorbringen des Berufungsklägers in dem gegen Herrn E. geführten Zivilrechtsstreit als möglich dar, dass diese erst bei dessen Verfolgung entstanden seien. Jedenfalls unter solchen Umständen sei aber auch insoweit von einem vorsätzlichen Angriff nicht auszugehen.

5

Die hiergegen am 26. Mai 1995 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Hannover nach persönlicher Anhörung des Berufungsklägers im Termin am 10. März 1998 mit Urteil vom gleichen Tage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf hingewiesen, dass insbesondere die Fußverletzung des Berufungsklägers nicht lediglich auf gezieltem Handeln des Schädigers, sondern ebenso gut auf einem Unglücksfall aus Anlass von dessen Verfolgung beruhen könne. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Beschädigtenversorgung seien insoweit nicht feststellbar.

6

Mit seiner am 7. Mai 1998 eingelegten Berufung verfolgt der Berufungskläger sein Begehren weiter. Er ist der Auffassung, dass etwaige Widersprüchlichkeiten in seinem Vorbringen durch das Ergebnis seiner Anhörung vor dem SG ausgeräumt worden seien. Hiernach sei unmissverständlich klargestellt, dass sich der Knochenbruch im Bereich des Fußes auf Grund des tätlichen vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffs durch E. ereignet habe. Die fortbestehenden Folgen des Bruches bedingten im Übrigen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um wenigstens 25 v.H ...

7

Der Berufungskläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichtes Hannover vom 10. März 1998 sowie den Bescheid des Versorgungsamtes Hannover vom 13. Dezember 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landesversorgungsamtes Niedersachsen vom 11. Mai 1995 aufzuheben,

  2. 2.

    2. den Berufungsbeklagten zu verurteilen, dem Berufungskläger aus Anlass des Vorfalles am 20. April 1991 Beschädigtenversorgung, insbesondere Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um wenigstens 25 v.H. zu gewähren.

8

Der Berufungsbeklagte beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

9

Er verteidigt das angefochtene Urteil.

10

Der Senat hat zur weiteren Sachaufklärung das im schwerbehindertenrechtlichen Verfahren durch den Orthopäden Dr. I. erstattete Gutachten vom 5. Juni 1998 ausgewertet, das Urteil des Oberlandesgerichts Celle zum Az. 9 U 181/93 vom 17. November 1994 beigezogen, die Abschrift der Tätigkeitsbucheintragung T F. des Polizeireviers J. vom 7. September 1998 sowie den Arztbericht des Kreiskrankenhauses G. vom 10. Juni 1991 angefordert und auf Antrag des Berufungsklägers gem. § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das fachorthopädische Gutachten des Dr. K. vom 3. März 2003 erstatten lassen.

11

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Beschädigtenakten des Berufungsbeklagten sowie der Strafermittlungsakten der Staatsanwaltschaft J. Bezug genommen, die beigezogen worden sind.

Entscheidungsgründe

12

Mit Einverständnis der Beteiligten hat der Senat gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entschieden.

13

Die zulässige, insbesondere rechtzeitig eingelegte Berufung ist nicht begründet. Der Berufungskläger hat gegen den Berufungsbeklagten keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung, insbesondere Beschädigtenrente nach Maßgabe der §§ 1 Abs. 1 OEG i.V.m. 29 ff Bundesversorgungsgesetz (BVG).

14

Entschädigung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG erhält gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Diese Voraussetzungen sind im Falle des Berufungsklägers nicht feststellbar. Bei ihm liegen keine gesundheitlichen Schädigungen vor, die auf einen vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriff zurückgeführt werden können. Dabei kann dahinstehen, ob der Berufungskläger bei dem streitbefangenen Vorfall am 20. April 1991 Gesundheitsstörungen davongetragen hat, die zu einer nicht nur vorübergehenden MdE um wenigstens 25 v.H. geführt haben (§ 1 Abs. 1 Satz 1 OEG i.V.m. § 30 Abs. 1 und § 31 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 2 BVG i.V.m. § 2 Abs. 5 der Verordnung zur Durchführung des § 31 Abs. 5 des BVG). Darauf, ob bei dem Berufungskläger in diesem Sinne als Folge des schädigenden Ereignisses eine MdE in rentenberechtigendem Ausmaß verblieben ist, kommt es nicht an, weil sich der Senat bereits nicht mit dem erforderlichen Grad an Beweiskraft davon zu überzeugen vermag, dass der Berufungskläger am 20. April 1991 Opfer eines in seinem Hergang hinreichend bestimmten vorsätzlichen, rechtswidrigen, körperlichen Angriffs geworden ist.

15

Grundsätzlich hängt die Anspruchsberechtigung nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG insoweit vom vollen Nachweis des Angriffs sowie seiner Vorsätzlichkeit und Rechtswidrigkeit ab (BSG, Urt. v. 6. September 1989 - Az. 9 RKg 4/88 -, VaKM 11/89; Urt. v. 31.05.1989 - Az. 9 RVg 3/89, Breithaupt 1990, 157 = BSGE 65, 124). Allerdings werden die materiellen Beweislastanforderungen an das Opfer der Gewalttat zunächst dadurch relativiert, dass auf die Vorsätzlichkeit und Rechtswidrigkeit des Angriffs aus den Tatumständen geschlossen werden kann und dem Gewaltopfer in dieser Hinsicht die Regeln des Anscheinsbeweises zu-gute kommen (BSG, Urt. v. 24.04.1991 - Az. 9a/9 RVg 1/89 - Breithaupt 92, 56; Beschluss vom 04.02.1998 - Az. B 9 Vg 5/96 R, Breithaupt 99, 357). Zudem gilt auch im Anwendungsbereich des OEG die mit § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in Bezug genommene Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG, mit der der Beweisnot des Gewaltopfers bei fehlenden Tatzeugen Rechnung getragen wird. Im Verwaltungsverfahren wie im Prozess ist hiernach von den Angaben des An-spruchstellers über den schädigenden Vorgang auszugehen, wenn und soweit diese nach den Umständen glaubhaft sind (vgl. BSG, Urt. v. 31.05.1989 - Az. 9 RVg 3/89 -, Breithaupt 90, 157 = BSGE 65, 124).

16

Den Angaben des Berufungsklägers fehlt es indessen an einer solchen Überzeugungskraft. Zwar ist davon auszugehen, dass die Verletzungen, mit denen sich der Berufungskläger am 20. April 1991 im Kreiskrankenhaus G. vorgestellt hat, irgendwann im Verlauf der Auseinandersetzung des Berufungsklägers mit Herrn E. und dessen anschließender Verfolgung eingetreten sind; die weiter gehende Feststellung, dass zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Verletzungen ein vorsätzlicher, rechtswidriger, tätlicher Angriff auf den Berufungskläger oder auf Frau D. gegenwärtig war, vermag der Senat indessen nicht zu treffen. Dies schließt auch die weiter gehende Annahme aus, dass die im Kreiskrankenhaus G. festgestellten Verletzungen mit Wahrscheinlichkeit Folge eines solchen Angriffs sind.

17

Soweit Herr E. zu Beginn der Geschehnisse zunächst einen mehrere Kilogramm schweren Stein durch das Schlafzimmerfenster der Frau D. geworfen hat und dabei dem Berufungskläger die später festgestellten Platzwunden am Kopf beigebracht haben mag, fehlt es am Nachweis eines den Anforderungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG genügenden Angriffs. In seiner für den Berufungskläger abgegebenen Sachverhaltsschilderung vom 24. April 1991 hat der seinerzeitige Bevollmächtigte des Berufungsklägers ausdrücklich mitgeteilt, dass zum Zeitpunkt des Steinwurfs im Schlafzimmer der D. kein Licht mehr gewesen und das Rollo herunter gelassen gewesen sei, sodass E. an sich nicht mehr habe sehen können, ob und wer sich im Schlafzimmer aufhalte. Zwar hat D. anlässlich ihrer Zeugenvernehmung bei der Polizeistation L. am 21. Juni 1991 hiervon abweichende Angaben gemacht, indem sie angegeben hat, im Schlafzimmer sei es zum Zeitpunkt des Steinwurfs nicht dunkel gewesen. Anlässlich einer weiteren Zeugen-vernehmung hat indessen D. eine auch insoweit erneut abweichende Sachdarstellung gegeben, als sie am 22. April 1991 ausgeführt hat, E. sei mit einem Stein in der Hand durch das Schlafzimmerfenster gesprungen, habe also den Stein überhaupt nicht geworfen. E. selbst, der insoweit mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 22. August 1991 eingeräumt hat, einen Stein in das Schlafzimmerfenster geworfen zu haben, hat angegeben, er sei dadurch aufgestachelt worden, dass er seine Frau mit einem Nachthemd bekleidet aus dem Schlafzimmer in das beleuchtete und für ihn einsehbare Wohnzimmer habe treten sehen. Abgesehen davon, dass E. des Weiteren ausdrücklich bestritten hat, dass er jemanden habe verletzen wollen, ist hiernach bereits nicht erwiesen oder glaubhaft gemacht, dass zum Zeitpunkt des Steinwurfs das Schlafzimmer der D. einsichtig war und sich E. daher auch nur die Gelegenheit bot, mit dem Stein gezielt nach dem Berufungskläger zu werfen. Auch der Berufungskläger hat in diesem Zusammenhang zuletzt selbst angegeben, dass das Schlafzimmer der Frau D. zwar beleuchtet, jedoch wegen des heruntergelassenen Rollos nicht bzw. nur eingeschränkt einsehbar gewesen sei. Zwar reicht für einen Anspruch aus § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG bedingter Vorsatz des Täters hinsichtlich des Verletzungserfolges aus; indessen setzt bereits der Begriff des tätlichen Angriffs eine Einwirkung voraus, die in feindseliger Absicht unmittelbar auf den Körper eines Menschen zielt (Wilke u.a., Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl. 1992, § 1 OEG Rdnr. 6; BSG, Urt. v. 23. Oktober 1985 - Az. 9a RVg 5/84, BSGE 59, 46 [BSG 23.10.1985 - 9a RVg 5/84]). Von einer solchen feindseligen Angriffsrichtung des Steinwurfs kann im Übrigen vorliegend auch deshalb nicht ausgegangen werden, weil E. nach dem insoweit überzeugenden Vortrag des Berufungsklägers nach dem Steinwurf selbst in das Schlafzimmer der D. eingedrungen ist, sodass der vorangegangene Steinwurf ein hinreichendes und plausibles Motiv auch bereits in dem Wunsch des E. gefunden haben kann, sich einen Weg in das Schlafzimmer zu bahnen. Der Rückschluss auf eine die Anforderungen des § 1 OEG erfüllende feindselige innere Haltung des E. kann danach unter Berücksichtigung der äußeren Gesamtumstände des Steinwurfes auch unter Berücksichtigung der Regeln des Anscheinsbeweises nicht geführt werden.

18

Hinsichtlich des weiteren Verlaufs des Vorfalls während der Zeit, in der sich E. in der Wohnung seiner damaligen Ehefrau aufhielt und in der er anschließend die Flucht ergriff, ist der Senat allein auf die Angaben des Berufungsklägers angewiesen. Denn während E., unterstützt durch den Zeugen M., behauptet hat, überhaupt nicht in die Wohnung der D. eingedrungen zu sein, hat diese im Verlauf des gegen ihren früheren Ehemann geführten Ermittlungs- und Strafverfahrens wiederholt angegeben, unmittelbar nach dem Eindringen ihres damaligen Ehemannes aus dem Schlafzimmer gelaufen zu sein und über die Art der Auseinandersetzung zwischen dem Berufungskläger und E. keine näheren Angaben machen zu können (Anwaltsschreiben v. 24. April 1991 an das Polizeirevier L., Zeugenvernehmung auf der Polizeistation L. am 22. April 1991 und diesbezügliche Bestätigung bei der Zeugenvernehmung vor dem Amtsgericht J. am 22. Januar 1992). Auch wenn dem Berufungskläger hiernach die eingangs erwähnte Be-weiserleichterung zugute kommen mag, sieht sich der Senat gleichwohl nicht in der Lage, insoweit hinreichende Tatsachenfeststellungen für die Gewährung von Beschädigtenversorgung zu treffen; denn die eigenen Angaben des Berufungsklägers sind insoweit teilweise unschlüssig und imÜbrigen wegen grundlegender Ungereimtheiten nicht überzeugend.

19

Über die Geschehnisse während der Anwesenheit von Herrn E. im Schlafzimmer der Wohnung seiner damaligen Ehefrau hat der Berufungskläger mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom 24. April 1991 an die Polizei L. lediglich angegeben, er habe E. nach seinem Eindringen festgehalten, um D. zu schützen. Geschlagen habe ihn E. nicht. Zwar hat der Berufungskläger sodann mit weiterem Anwaltsschreiben vom 24. April 1991 an das Polizeirevier L. ergänzend behauptet, E. habe ihn, als er sich ihm in den Weg gestellt habe, mit voller Wucht auf das von Glasscherben übersäte Bett geworfen, wobei er sich die zahlreichen Schnittwunden zugezogen habe. Indessen hat der Berufungskläger diese Angaben später bei seiner Aussage in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht J. am 22. Januar 1992 wieder dahingehend relativiert, dass er gemeinsam mit E. auf das Bett gefallen sei, während er versucht habe, diesen festzuhalten. Hinreichende Anhaltspunkte für einen in feindseliger Absicht auf den Körper des Berufungsklägers gezielten Angriff durch E. enthält diese wechselnde Sachdarstellung ins-gesamt nicht. Soweit der Berufungskläger im vorliegenden Gerichtsverfahren - ohne Schilderung näherer Einzelheiten - immer wieder angegeben hat, es sei zu einem "Angriff" durch E. bzw. zu einem "Gerangel" mit diesem gekommen, und hiermit die Behauptung von E. verübter Tätlichkeiten liegen mag, sind entsprechende Angaben nicht glaubhaft, weil der Berufungskläger solche Tätlichkeiten bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht J. als Nebenkläger ausdrücklich nicht behauptet hat.

20

Ob sich der Berufungskläger schließlich den als wesentliche Schädigungsfolge geltend gemachten Bruch des Os metatarsale V rechts bei dem Versuch zugezogen hat, E. während dessen Anwesenheit im Schlafzimmer der D. festzuhalten oder ob es zu dieser Verletzung erst gekommen ist, als der Berufungskläger anschließend den Fliehenden verfolgt hat, ist vor diesem Hintergrund im Ergebnis ohne Belang. Indessen ist hervorzuheben, dass der Berufungskläger auch insoweit im Verlauf des vorliegenden Verfahrens, des Ermittlungs- und Strafverfahrens sowie des gegen E. geführten zivilrechtlichen Rechtsstreits gänzlich unter-schiedliche Angaben gemacht hat. Während er etwa in dem Anwaltsschreiben vom 24. April 1991 an die Polizei L. sowie bei seiner Vernehmung in der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht J. am 22. Januar 1992 angegeben hat, sich die Verletzung beim Festhalten des E. zugezogen zu haben, hat er im Anwaltsschreiben vom 24. April 1991 an die Polizei J. sowie mit Schriftsatz vom 7. Juli 1992 im Zivilrechtsstreit angegeben, sich die Fußverletzungen bei der Verfolgung des E. durch einen Sprung aus dem Fenster in den Garten zugezogen zu haben. Zur Begründung der vorliegenden Klage hat schließlich der Berufungskläger mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 11. August 1995 angegeben, sich die Verletzung des Mittelfußknochens noch innerhalb des Schlafzimmers beim Sprung auf die Fensterbank zugezogen zu haben und dann wegen der sofortigen Schmerzbeschwerden in das Schlafzimmer zurückgefallen zu sein. Die Anhörung des Berufungsklägers im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem SG am 10. März 1998 hat eine hinreichende Aufklärung insoweit nicht erbracht. Denn soweit der Berufungskläger dort erneut die Sachdarstellung verteidigt hat, er habe sich auch die Fußverletzung im "Gerangel" mit E. zugezogen, ist eine plausible Erklärung für die insgesamt divergierenden Behauptungen nicht zu Tage getreten. Insbesondere können sie nicht damit erklärt werden, dass der Berufungskläger der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig sei. Denn zu unterschiedlichen Sachdarstellungen ist es insoweit auch unter jeweiliger Einschaltung von Dolmetschern gekommen. Der Senat vermag mithin, wie bereits das SG, auch nicht auszuschließen, dass der Berufungskläger sich die Fußverletzung erst bei der Verfolgung des fliehenden E. außerhalb der Wohnung der Ehefrau beim Sprung aus dem Fenster in den Garten zugezogen hat. Als Folge des zu diesem Zeitpunkt jedenfalls beendeten, tätlichen Angriffs des E. könnte sie in diesem Fall allerdings umso weniger verstanden werden.

21

Soweit der Berufungskläger im Übrigen mit seiner Klage im Wesentlichen einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente nach einer MdE um wenigstens 25 v.H. verfolgt, fehlt es hierzu im Übrigen am Beweis hinreichender Schädigungsfolgen. Die Kopfverletzung und die Schnittwunden des Berufungsklägers sind folgenlos ausgeheilt und die verbliebenen Folgen des Fußbruchs können entsprechend dem beigezogenen fachorthopädischen Gutachten des Dr. I. vom 5. Juni 1998, nach dem beim Berufungskläger noch Funktionseinschränkungen des rechten Fußes und der Sprunggelenke nach pseudo-arthrotisch verheilter metatarsale V-Fraktur rechts bestehen, mit einer MdE von allenfalls 20 v.H. bewertet werden. Die im Bereich des Sprunggelenkes vorliegende Bewegungseinschränkung rechtfertigt mit einem gemessenen Bewegungsumfang von (nach der Neutral-0-Methode) von 10/0/40 ° nicht einmal die Bewertung mit einer Teil-MdE um 10 v.H., die nach Nr. 26.18 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz von 1996 (AHP 96) eine Beschränkung der Bewegungsmaße auf 0-0-30 voraussetzt. Die danach allein wesentliche Fehlstellung des Fußes kann nach Nr. 26.18 AHP 96 auch bei stärker behindernden Funktionseinschränkungen lediglich 20 betragen.

22

Auch aus dem auf Antrag des Berufungsklägers gem. § 109 SGG eingeholten fachorthopädischen Gutachten des Dr. K. vom 3. März 2003 ergeben sich insofern keine abweichenden Erkenntnisse. Dieser hat nämlich die nach Ablauf eines halben Jahres vorliegenden Dauerfolgen des Fußbruchs ebenfalls mit einer MdE um zunächst 20 v.H. bewertet und ergänzt, dass diese nach Ablauf weiterer 3 Monate ab Januar 1992 lediglich noch 10 v.H. betrage. Soweit der Berufungskläger dem entgegen getreten ist und geltend gemacht hat, als mittelbare Folge der Fußfehlstellung hätten sich bei ihm Beschwerden im Bereich der rechten Hüfte sowie der Lendenwirbelsäule entwickelt, ist diese Auffassung ohne weiteres zu verwerfen. Dr. K. hat in seinem Gutachten die angegebenen Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule und der Hüftgelenke nur teilweise objektivieren können, diese aber auch insoweit nicht ursächlich auf die Fußverletzung zurück-geführt. Diese Auffassung begegnet keinen Bedenken, zumal Dr. K. ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass die Fußfehlstellung durch Schuhzurichtung bzw. Einlagen gut kompensierbar sei. Es ist nicht ersichtlich, wie es unter diesen Umständen zu einer Fehlbelastung oder Fehlstellung von Hüfte und Lendenwirbelsäule gekommen sein soll.

23

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.

24

Ein Grund, gem. § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG die Revision zuzulassen, besteht nicht.