Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 13.06.2003, Az.: L 5 V 61/00
Beweis einer Gesundheitsstörung durch ein Kriegsereignis; Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz; Medizinische Beweisführung zum Nachweis eines Kriegsschadensereignisses
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 13.06.2003
- Aktenzeichen
- L 5 V 61/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 21036
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0613.L5V61.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - AZ: S 2 V 172/99
Rechtsgrundlagen
- § 124 Abs. 2 SGG
- § 44 SGB X
Redaktioneller Leitsatz
Anspruch auf Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz hat nur, wer durch ein von außen einwirkendes Kriegsereignis verletzt worden ist und dabei eine dauerhafte Gesundheitsstörung davongetragen hat. Dafür ist der volle Beweis erforderlich, ohne dass es eine Art von Beweiserleichterung geben könnte. Ist der Beweis dafür nicht zu erbringen oder ist der Gegenbeweis erbracht, dass nämlich die fragliche Gesundheitsstörung nicht äußerlich bedingt ist, kann Entschädigung nicht beansprucht werden.
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger erhebt im Zugunstenwege Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der 1922 geborene Kläger hatte 1993 Antrag auf Beschädigtenversorgung gestellt. Als Kriegsbeschädigung machte er eine im Mai 1944 erlittene Granatsplitterverwundung am Kopf geltend. Mit Bescheid vom 30. Januar 1995/Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 1995 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Eine Kriegsbeschädigung sei nicht nachgewiesen. Die vom Kläger dagegen erhobene Klage und seine gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts (SG) Stade vom 5. März 1996 eingelegte Berufung blieben erfolglos. Im Urteil vom 26. September 1996 stellte das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen fest, ein Kriegsschadensereignis habe sich nicht erweisen lassen. Auch der Hinweis des Klägers im Antrag von 1993 auf im Krankenhaus H. (I.) lagernde medizinische Befunde sei Gegenstand der Prüfungen der Versorgungsverwaltung gewesen.
Am 21. Oktober 1997 beantragte der Kläger die Überprüfung der Ablehnung von Beschädigtenversorgung gemäß § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB X). Es lägen zwischenzeitlich weitere Erkenntnisse und Unterlagen vor. Der Kläger reichte ein an ihn gerichtetes Schreiben des Landratsamtes J. (Gesundheitsamt) vom 29. November 1996 ein, ein vom Gesundheitsamt ebenfalls unter diesem Datum erstelltes amtsärztliches Zeugnis, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 27. März 1946, eine Bescheinigung des Kreisgesundheitsamtes J. vom 1. April 1947 und seine notariell beurkundete eidesstattliche Versicherung vom 29. Januar 1998. Der Beklagte zog den Bericht der Radiologin Dr. K. über eine computertomografische Untersuchung vom 31. März 1998 bei und ließ Dr. L. von der Neurologischen Klinik des M. dieses auswerten (vgl. Gut-Gutachten vom 15. Juni 1998). Dr. L. hatte den Kläger bereits im vorangegangenen Antragsverfahren für das VA neurologisch begutachtet. Dr. K. gab gegenüber dem Versorgungsamt (VA) die Stellungnahme vom 22. Juli 1998 ab, Medizinaldirektor Dr. N. vom Ärztlichen Dienst des VA diejenige vom 31. Juli 1998. In Auswertung der medizinischen Beweiserhebung kam Dr. N. zu dem Ergebnis, es lägen keine Hinweise für unfallbedingte (posttraumatische) Hirnschäden vor.
Mit Bescheid vom 1. Februar 1999/Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 1999 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung eines Rücknahmebescheides nach § 44 SGB X ab. Es ergäben sich nach dem inzwischen vorliegenden Ergebnis der computertomographischen Untersuchung des Kopfes keine Hinweise auf einen unfallbedingten (posttraumatischen) Hirnschaden, sodass eine Schädigung im Sinne des BVG nicht nachgewiesen werden könne. Eine Unrichtigkeit des Bescheides vom 30. Januar 1995 lasse sich nicht feststellen.
Am 19. August 1999 hat der Kläger bei dem SG Stade Klage erhoben. Die von ihm vorgelegten Dokumente machten es wahrscheinlich, dass seine Hirnverletzung in ursächlichem Zusammenhang mit einer Kriegsbeschädigung stehe. Diesen Beweisgrad hält der Kläger für ausreichend. Dass bis auf zwei Kommandierungskarten und eine Lazarettkarte die bei der Kriegsmarine geführten Personalunterlagen durch die Kriegs- und Nachkriegsereignisse verloren gegangen und auch Aufzeichnungen über seine Verwundung im Mai 1944 nicht vermerkt seien, sei deshalb unschädlich.
Mit Gerichtsbescheid vom 6. November 2000 hat das SG Stade die Klage abgewiesen. Im Wesentlichen hat das SG auf die Begründungen des Bescheides vom Februar 1999 und des Widerspruchsbescheides vom Juli 1999 Bezug genommen und ergänzend auf das Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. O. vom November 1960 hingewiesen, der bereits damals erklärt habe, dass eine genauere diagnostische Klärung, ob es sich bei der von ihm festgestellten organischen Hirnschädigung mit leichten neurologischen und psychischen Ausfallerscheinungen um eine Krankheit oder um Folgen eines Schädeltraumas handele, ohne weitere, vom Kläger aber nicht wahrgenommene diagnostische Untersuchungen nicht möglich sei. Eine sichere Zuordnung der beim Kläger bestehenden Gesundheitsstörungen auf neurologischem und psychiatrischem Fachgebiet zu einer im Mai 1944 in Frankreich erlittenen Kriegsbeschädigung sei - so das SG - auf Grund des Zeitablaufs und der fehlenden genauen Dokumentation von Erstbefunden nicht möglich.
Gegen den ihm am 9. November 2000 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11. Dezember 2000 Berufung eingelegt. Er macht weiterhin "Zustand nach Granatsplitterverletzung des Kopfes mit hirnorganischem Psychosyndrom" als Schädigungsfolge geltend und begehrt Entschädigung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 v.H. ab Juli 1993. Der Kläger hält den erforderlichen Nachweis der erlittenen Kriegsverletzung durch die Bescheinigungen des Gesundheitsamtes des Landratsamtes J. vom November 1996 für erbracht. Die Radiologin Dr. K. habe zudem den Zustand nach Granatsplitterverletzung hinter dem rechten Ohr bestätigt und in ihrem Bericht vom 31. März 1998 festgestellt, dass beim Kläger posttraumatische Parenchymdefekte und Zeichen der subcorticalen arteriosklerotischen Encephalopathie bestünden.
Der Kläger beantragt unter Hinweis darauf, dass Kriegsopfer nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Anspruch auf Beweiserleichterung hätten, nach seinem schriftlichen Vorbringen,
- 1.
den Gerichtsbescheid des SG Stade vom 6. November 2000 und den Bescheid vom 1. Februar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 1999 aufzuheben,
- 2.
den Beklagten unter Rücknahme des Bescheides vom 30. Januar 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juni 1995 zu verpflichten, "Zustand nach Granatsplitterverletzung des Kopfes mit hirnorganischem Psychosyndrom" als Schädigungsfolge im Sinne des § 1 BVG festzustellen,
- 3.
den Beklagten zu verurteilen, Entschädigung nach einer MdE um 60 v.H. ab Juli 1993 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und bleibt bei seiner Auffassung, dass sich eine kriegsbedingte Granatsplitterverletzung durch sämtliche vorliegende medizinische Unterlagen nicht belegen lasse.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten, die sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben, wird auf den Inhalt ihrer vorbereitenden Schriftsätze Bezug genommen.
Außer der Gerichtsakte haben dem Senat die Beschädigtenakte des VA Verden und die Vorprozessakte des SG Stade (S 2 V 203/95; L 8 V 27/96 - Bluhm./. Land Niedersachsen) zur Entscheidung vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Der Senat konnte im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
Das SG hat zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Versorgung nach dem BVG verneint.
Der Bescheid vom Januar 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom Juni 1995 erweist sich auch jetzt im Verfahren nach § 44 SGB X nicht als rechtswidrig. Zutreffend ist damals entschieden worden, dass der Beweis für die Schädigungsbedingtheit der im Kopfbereich bestehenden Gesundheitsstörung des Klägers nicht geführt werden kann und deshalb Anspruch auf Versorgung nicht besteht. Ob ein Kriegsschadensereignis nachzuweisen ist, kann dahingestellt bleiben. Nach der Auswertung der computertomographischen Untersuchung vom März 1998 durch Dr. L. im Gutachten vom 15. Juni 1998 steht m e d i z i n i s c h fest, dass der beim Kläger bestehende Hirnschaden n i c h t unfallbedingt ist, d.h. nicht durch ein von außen kommendes Ereignis verursacht wurde. Nur die Computertomographie konnte Aufschluss darüber geben. Der Kläger hatte sich ihr im März 1998 bei der Radiologin Dr. K. unterzogen, sodass in medizinischer Hinsicht Gewissheit über die Art des Schadens erlangt werden konnte. Die computertomographische Untersuchung ergab sichere posttraumatische Parenchym-defekte nicht. Knöcherne Verletzungen, insbesondere Splitter waren nicht zu erkennen. Dr. L. verneinte deshalb sichere Hinweise für das Vorliegen einer traumatischen Hirnsubstanzschädigung im Sinne einer Contusio cerebri.
Frau Dr. K. ist dieser Einschätzung in ihrem Schreiben an das VA vom 22. Juli 1998 beigetreten und damit von ihrer ursprünglichen Beurteilung abgerückt, das Computertomogramm habe typische posttraumatische Parenchymdefekte gezeigt.
Die sachverständig getroffene Feststellung, dass es an einer traumatischen Hirnschädigung fehlt, schließt den Versorgungsanspruch aus. Denn Anspruch auf die Versorgung hat nur, wer durch ein von außen einwirkendes (Kriegs-)Ereignis verletzt worden ist und dabei eine dauerhafte Gesundheitsstörung davongetragen hat. Dafür ist der volle Beweis erforderlich, ohne dass es eine Art von Beweiserleichterung geben könnte. Ist der Beweis dafür nicht zu erbringen oder ist - wie im Falle des Klägers - der Gegenbeweis erbracht, dass nämlich die fragliche Gesundheitsstörung nicht äußerlich bedingt ist, kann Entschädigung nicht beansprucht werden.
Die hier jetzt möglich gewesene medizinische Beweisführung macht den Nachweis eines Kriegsschadensereignisses entbehrlich. Auf die vom Kläger hierzu vorgelegten weiteren Unterlagen, die ein solches Ereignis belegen sollen, kommt es nicht an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestanden nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).