Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 13.06.2003, Az.: L 5 SB 156/00

Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) auf 30 und Wegfall des Merkzeichens "G" (erhebliche Gehbehinderung); Verbesserung im Gesundheitszustand nach Ersetzung der linken Hüfte durch eine Totalprothese; Zulässigkeit der Klageänderung (Klageerweiterung) im Berufungsverfahren; Anwendbarkeit der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP); Höhe des Grads der Behinderung (GdB) für einen einseitigen Hüftgelenksersatz; Bildung eines Gesamt-Grades der Behinderung (GdB) aus den einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen; Voraussetzungen des Merkzeichens "G"

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
13.06.2003
Aktenzeichen
L 5 SB 156/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 21031
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0613.L5SB156.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Braunschweig - AZ: S 8 SB 261/98

Redaktioneller Leitsatz

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, ob die Herabsetzung des GdB und der Wegfall des Merkzeichens "G" rechtmäßig ist, ist die letzte Verwaltungsentscheidung. Bei der reinen Anfechtungsklage kommt es auf die nach dem Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides erhobenen medizinische Befunde nicht mehr an.
Ein den GdB herabsetzender Bescheid wirkt nicht auf Dauer, weil er sich im teilweisen Entzug des vormals festgestellten GdB erschöpft.
Bei den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" AHP handelt es sich um so genannte "antizipierte Sachverständigengutachten", die normähnliche Wirkung haben und die aus Gründen einer gleichmäßigen Rechtsanwendung von der Verwaltung und den Gerichten anzuwenden sind. Es handelt sich hierbei um ein "geschlossenes Beurteilungsgefüge", das dem aktuellen Stand der sozial-medizinischen Wissenschaft entspricht und daher nicht durch Einzelfallgutachten hinsichtlich der generellen Richtigkeit widerlegt werden kann.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen. Die Klage gegen den Bescheid vom 7. Dezember 2000 wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) auf 30 und den Wegfall des Merkzeichens "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) seit Juli 1998. Zugleich begehrt der Kläger ab Juli 2000 die erneute Feststellung des GdB in Höhe von 50 und die Zuerkennung des Merkzeichens "G".

2

Bei dem im Jahre 1948 geborenen Kläger war seit November 1990 der GdB in Höhe von 50 festgestellt und das Merkzeichen "G" zuerkannt. Der GdB setzte sich wie folgt zusammen (Ausführungsbescheid vom 2. Juni 1992 auf Grund des am 18. Mai 1992 vor dem Sozialgericht (SG) Braunschweig zum Az.: S 12a Vs 310/91 abgegebenen Anerkenntnisses):

  • Schwere posttraumatische Arthrose mit fixierter Fehlstellung linke Hüfte, beginnende Arthrose rechte Hüfte (40),
  • ausgeprägte Osteochondrose, Lumbosakralarthrose im präsakralen Bereich (20),
  • Sprunggelenkarthrose beiderseits (10).

3

Diese Feststellung erging auf der Grundlage des fachorthopädischen Gutachtens des Dr. I. vom 17. März 1992, das im Auftrage des SG Braunschweig zum Az.: S 12a Vs 310/91 erstattet worden war. In den folgenden Jahren stellte der Kläger mehrere Neufeststellungsanträge, die erfolglos blieben (Bescheid vom 24. August 1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 1994 und Bescheid vom 17. April 1997). Der Kläger stellte am 14. Oktober 1997 einen weiteren Neufeststellungsantrag. Zuvor war ihm die linke Hüfte durch eine Totalprothese ersetzt worden (Berichte der J. vom 29. April 1997, vom 23. Juli 1997, 16. September 1997 und 22. Oktober 1997). Der Kläger wurde versorgungsärztlich untersucht (Gutachten Dr. K. vom 25. März 1998). Der Kläger wurde zu den Ergebnissen dieser Untersuchung mit Schreiben vom 16. April 1998 angehört. Ihm wurde mitgeteilt, dass die Herabsetzung des GdB beabsichtigt sei mit den daraus entstehenden Rechtsfolgen. Der GdB wurde daraufhin ab 1. Juli 1998 mit 30 festgestellt. Die Funktionsbeeinträchtigungen wurden entsprechend der Bewertung des Dr. K. wie folgt festgelegt (Bescheid vom 9. Juni 1998):

  • Hüfttotalendoprothese im Bereich der linken Hüfte (20),
  • ausgeprägte Osteochondrose, Lumbosakralarthrose im präsakralen Bereich (20),
  • Sprunggelenksarthrose beiderseits (10).

4

Der hiergegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 1998).

5

Der Kläger hat am 26. August 1998 Klage vor dem SG Braunschweig erhoben. Er hat vorgetragen, dass er trotz des Hüftgelenkersatzes an erheblichen Schmerzen und Ausfallerscheinungen leide. Sein Leidenszustand sei nicht zutreffend bewertet worden. Hierfür hat er sich auf die Arztbriefe der L. Universitätsklinik für Orthopädie vom 11. September 1998 und vom 25. August 1998 sowie auf die Berichte der J. von 1997 bis 2000 berufen. Das SG hat die im parallelen Rechtsstreit vor dem SG Braunschweig zum Az.: S 3 RA 52/98 vorliegenden medizinischen Unterlagen, u.a. das Gutachten des Dr. M. vom 20. Januar 1999 und des Dr. N. vom 17. Oktober 1997 beigezogen.

6

Mit Urteil vom 29. Juni 2000 hat das SG Braunschweig die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Beklagte den GdB durch die angefochtenen Bescheide zu Recht herabgesetzt habe. Eine rechtlich wesentliche Änderung sei eingetreten, sodass der Beklagte nach Anhörung den GdB auf 30 habe herabstufen dürfen und infolge dessen das Merkzeichen "G" entfalle. Die Funktionseinschränkungen im Bereich der Hüfte seien entsprechend den Befunden des Dr. K. und des Dr. N. und den Berichten der J. zutreffend mit 20 bewertet worden. Die Funktionseinschränkungen im Bereich der Wirbelsäule seien ebenfalls anhand dieser Gutachten zutreffend mit 20 eingestuft worden. Da in den Sprunggelenken eine normale Beweglichkeit bestehe, sei eine Funktionsbeeinträchtigung hierfür nicht anzusetzen. Ebenso sei die Beweglichkeit der Schultergelenke nicht wesentlich eingeschränkt, sodass auch unter Berücksichtigung der vorgetragenen Schmerzen eine Erhöhung des GdB deshalb nicht in Betracht komme. Im Vergleich zu den im Gutachten des Dr. I. aus dem Jahre 1992 erhobenen Befunden habe sich insgesamt eine deutliche Verbesserung im Gesundheitszustand des Klägers eingestellt. Im Gesamtergebnis werde die durch die Hüftendoprothese links bedingte Funktionsstörung durch die Beschwerden im Lendenwirbelsäulenbereich verstärkt, sodass der Gesamt-GdB auf 30 festzusetzen sei. Da dem Kläger der Schwerbehindertenstatus nicht mehr zustehe, könne er das Merkzeichens "G" nicht mehr beanspruchen.

7

Hiergegen richtet sich die am 4. September 2000 eingelegte Berufung. Zuvor hat der Kläger einen Neufeststellungsantrag gestellt, der bei dem Beklagten am 21. Juli 2000 eingegangen ist und den der Beklagte mit Bescheid vom 7. Dezember 2000 abgelehnt hat. Der Kläger meint weiterhin, dass sein Leidenszustand unzutreffend eingeschätzt worden sei. Auch nach der Hüftoperation habe sich eine Verbesserung des Gesundheitszustandes nicht eingestellt, vielmehr hätten sich die gesundheitlichen Beeinträchtigungen im Bereich der Wirbelsäule und der unteren Extremitäten verschlimmert; die Bewegungsfähigkeit sei zusehends beeinträchtigt und die Schmerzen hätten sich verstärkt. Hierfür beruft er sich auch auf die Befunde der Universitätsklinik O. aus dem Jahre 1998.

8

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des SG Braunschweig vom 29. Juni 2000, den Bescheid vom 9. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 1998 und den Bescheid vom 7. Dezember 2000 aufzuheben,

  2. 2.

    hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, ab Juli 2000 einen GdB in Höhe von 50 festzustellen und das Merkzeichen "G" zuzuerkennen.

9

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und die Klage gegen den Bescheid vom 7. Dezember 2000 abzuweisen.

10

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und bezieht sich im Wesentlichen auf die versorgungsärztlichen Stellungnahmen der Dr. P. vom 12. Juli 2001 und der Dr. Q. vom 14. Dezember 2001 und vom 12. Februar 2003.

11

Der Berichterstatter hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten am 28. Mai 2001 erörtert. Ferner hat der Senat die medizinischen Unterlagen aus dem Rentenbewilligungsverfahren vor der BfA beigezogen, u.a. das Gutachten des Dr. R. vom 31. Januar 2000. Auf Antrag des Klägers hat der Senat das fachorthopädische Gutachten des Dr. I. vom 12. September 2002 eingeholt (§ 109 SGG). Den Ergebnissen dieses Gutachtens widerspricht der Kläger und beruft sich hierfür auf die ärztliche Stellungnahme des Dr. S. vom 30. Januar 2003, auf die Arztbriefe des Dr. T. vom 4. und 18. Dezember 2002 und auf das Gutachten des Dr. R. vom 31. Januar 2000.

12

Neben den Gerichtsakten beider Rechtszüge haben die Prozessakte des SG Braunschweig zum Az.: S 12a Vs 260 (K) /92 und die Schwerbehinderten-Akten des Versorgungsamtes Hannover (Az.: U.), die beigezogenen medizinischen Unterlagen aus dem Rechtsstreit vor dem SG Braunschweig S 3 RA 52/98 sowie die medizinischen Unterlagen aus dem Rentenbewilligungsverfahren vor der BfA (50 250848 J 019) vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe:

13

Die gem. § 143 SGG zulässige Berufung, mit der sich der Kläger gegen die mit Wirkung vom 1. Juli 1998 erfolgte Herabsetzung des GdB wendet, ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen und den nach Anhörung des Klägers ergangenen Bescheid vom 9. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 1998 bestätigt.

14

Insofern handelt es sich um eine reine Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 SGG. Das SG hat zutreffend entschieden, dass die Herabsetzung nach ordnungsgemäßer Anhörung gemäß § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) auf der Grundlage von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X gerechtfertigt war. Nach dieser Vorschrift ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Das SG hat zutreffend festgestellt, dass sich die funktionellen Einschränkungen, die dem Ausführungsbescheid vom 2. Juni 1992 zu Grunde gelegen haben, im Vergleich zu jenen, die für den angefochtenen Bescheid vom 9. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 1998 maßgeblich gewesen sind, wesentlich gebessert haben. Das SG hat die diesen Bescheiden zu Grunde liegenden medizinischen Befunde aus den Gutachten des Dr. I. vom 17. März 1992, des Dr. K. vom 25. März 1998 und des Dr. N. vom 17. Oktober 1997 sehr anschaulich gegenübergestellt. Hierbei hat sich insbesondere auf Grund der im April 1997 erfolgten Hüftoperation eine deutliche Verbesserung im Leidenszustand des Klägers ergeben. Das SG hat die noch verbliebenen Funktionseinschränkungen zutreffend mit einem Gesamt- GdB in Höhe von 30 festgestellt.

15

Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des SG verwiesen (§ 153 Abs. 2 SGG). Das Berufungsverfahren hat darüber hinaus nichts neues erbracht. Soweit sich der Kläger auf die Arztbriefe der Universitätsklinik Bonn vom 25. August und 11. September 1998 beruft, geben auch diese Befunde nichts anderes her, als die erwähnten Gutachter festgestellt haben. Im Übrigen ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, ob die Herabsetzung des GdB und der Wegfall des Merkzeichens "G" rechtmäßig war, die letzte Verwaltungsentscheidung (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O. § 54 RdNr. 32 m.w.N.). Diese ist hier der Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 1998. Denn bei der reinen Anfechtungsklage kommt es auf nach diesem Zeitpunkt erhobene medizinische Befunde nicht mehr an (vg. BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 13 m.w.N.).

16

Der Hilfsantrag, mit dem der Kläger die Feststellung des GdB von 50 und die Zuerkennung des Merkzeichens "G" ab Juli 2000 begehrt, ist ebenfalls nicht begründet. Der während des Berufungsverfahrens ergangene Ablehnungsbescheid vom 7. Dezember 2000 ist gemäß §§ 153 Abs. 1, 96 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, Kommentar, 7. Auflage § 96 RdNr. 7). Die Einbeziehung dieses Streitgegenstandes dient einer prozessökonomischen Klärung des gesamten Rechtsstreites. Es handelt sich damit um eine zulässige Klageänderung, die sachdienlich ist (§ 99 Abs. 1 SGG). Es geht dem Kläger ersichtlich auch um die Frage, ob ihm im heutigen Zeitpunkt der Schwerbehindertenstatus zusteht oder nicht. Diese Frage ist entscheidungsreif; ihre Beantwortung vermeidet einen neuen Prozess.

17

Die während des Berufungsverfahrens einbezogene kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) ist zulässig, ohne dass es der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens bedarf (vgl. BSG a.a.O.). Die Klage ist aber nicht begründet. Der Ablehnungsbescheid vom 7. Dezember 2000 ist im Ergebnis zu Recht ergangen, weil der Kläger ab Juli 2000 nicht die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Feststellung des Schwerbehindertenstatus und die Zuerkennung des Merkzeichens "G" erfüllt.

18

Anders als der Beklagte meint, handelt es sich bei dem angegriffenen Bescheid vom 7. Dezember 2000 nicht um die Ablehnung einer Neufeststellung im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Es liegt vielmehr die Ablehnung im Sinne einer Erstfeststellung vor, weil dem Herabsetzungsbescheid vom 9. Juni 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 1998 eine Dauerwirkung nicht zukommt. Ein den GdB herabsetzender Bescheid wirkt jedenfalls nicht auf Dauer, weil er sich im teilweisen Entzug des vormals festgestellten GdB erschöpft (vgl. BSG a.a.O. m.w.N.).

19

Für die Feststellung des Grades der Behinderung und des Merkzeichens "G" sind §§ 2, 69 des mit Wirkung vom 1. Juli 2001 in Kraft getretenen Sozialgesetzbuchs - Neuntes Buch - (SGB IX) anzuwenden, das das Schwerbehindertengesetz zum selben Zeitpunkt abgelöst hat. Eine im Vergleich zum alten Recht unterschiedliche Feststellungspraxis des GdB ergibt sich dadurch im vorliegenden Fall nicht (vgl. zur Problematik BSG, Urteil vom 7. November 2001 - B 9 SB 1/01 R - VersorgVerw 2002, 26).

20

Die hier getroffene Einschätzung des GdB erfolgte unter Heranziehung der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" (AHP), herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, 1996. Bei den AHP handelt es sich um so genannte "antizipierte Sachverständigengutachten", die normähnliche Wirkung haben und die aus Gründen einer gleichmäßigen Rechtsanwendung von der Verwaltung und den Gerichten anzuwenden sind. Es handelt sich hierbei um ein "geschlossenes Beurteilungsgefüge", das dem aktuellen Stand der sozial-medizinischen Wissenschaft entspricht und daher nicht durch Einzelfallgutachten hinsichtlich der generellen Richtigkeit widerlegt werden kann (vgl. BSGE 72, 285; 75, 176 m.w.N.).

21

Die Auswirkungen der Beeinträchtigungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Die im Rahmen des § 30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) festgelegten Maßstäbe gelten entsprechend (§ 69 Abs. 1 Sätze 3 und 4 SGB IX). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX).

22

Nach Auswertung der medizinischen Befunde, die insbesondere den Gutachten des Dr. M. vom 20. Januar 1999, des Dr. R. vom 31. Januar 2000 und des im Auftrage des Klägers erstellten Gutachten des Dr. I. vom 12. September 2002 zu Grunde liegen, lassen sich Funktionseinschränkungen, die den Schwerbehinderten-Status und die Zuerkennung des Merkzeichens "G" rechtfertigen, zur Überzeugung des Senats nicht feststellen.

23

Das Hüftleiden ist nach wie vor zutreffend mit 20 bewertet (vgl. AHP S. 142). Infolge des im Jahre 1997 durchgeführten Ersatzes des linken Hüftgelenkes hat sich seit Mitte 1998 eine sehr deutliche Verbesserung in den Befunden ergeben. Die seinerzeit hochgradige Bewegungseinschränkung des linken Hüftgelenkes mit deutlicher Muskelverschmälerung im Oberschenkel- und Gesäßmuskelbereich ist seitdem nicht mehr vorhanden. Die Operation der linken Hüfte hat sowohl den Bewegungsumfang als auch den Muskelaufbau verbessert. Dies hat dazu geführt, dass das linke Bein wieder nahezu gleichwertig gegenüber dem rechten Bein eingesetzt werden kann. Die Beweglichkeit des Hüftgelenkes hat deutlich zugenommen. Infolge dessen hat sich die Muskulatur weiter verkräftigt, sodass eine Seitendifferenz im Vergleich zur rechten Seite kaum noch besteht. Funktionseinschränkungen auf Grund eines Hüftgelenkersatzes werden aber maßgeblich anhand der verbliebenen Bewegungseinschränkung und der Belastbarkeit bewertet. Für einen einseitigen Hüftgelenksersatz kann auf Grund der dargelegten Befunde nicht mehr als ein GdB von 20 zu Grunde gelegt werden. Die beginnende Hüftgelenksarthrose rechts verursacht bis zum heutigen Zeitpunkt noch keine eigenen Funktionseinschränkungen. Sie ist deshalb nicht gesondert zu bewerten.

24

Ferner liegt ein degeneratives Leiden im Bereich der Lendenwirbelsäule vor. Die ausgeprägte Osteochondrose und Lumbalsakralarthrose im präsakralen Bereich ist nach den AHP (S. 140) zutreffend mit einem GdB von 20 bewertet. Danach werden mittelgradige funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt - wie hier dem Lendenwirbelsäulenbereich - in dieser Höhe bewertet. Die mit dem Wirbelsäulenleiden verbundenen Schmerzen sind hierin bereits berücksichtigt. Gravierende neurologische Ausfallerscheinungen konnten die Gutachter nicht feststellen. Muskuläre Verspannungen im Halswirbelsäulen- und im Schulterbereich bedingen für sich allein keine gesonderte Bewertung. Das Hüftgelenksleiden wird im Ergebnis verstärkt durch die Funktionsbeeinträchtigungen im Lendenwirbelsäulenbereich. Nach den AHP (S.33) sind beim Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen die einzelnen Werte allerdings nicht zu addieren. Unter Berücksichtigung der wechselseitigen Auswirkungen dieser Leiden ist es gerechtfertigt, den Gesamt-GdB auf 30 festzustellen.

25

Die Funktionsbeeinträchtigungen auf Grund der beiderseitigen Sprunggelenksarthrose und der damit verbundenen geringen Bewegungsdifferenz im linken unteren Sprunggelenk erlauben allenfalls eine Bewertung in Höhe eines GdB von 10. Leichtere Funktionseinschränkungen führen regelmäßig nicht zu einer Erhöhung des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung (vgl. AHP S. 35). Auch die ärztliche Stellungnahme des Dr. S. vom 30. Januar 2003 und die Arztbriefe des Dr. T. vom 4. und 18. Dezember 2002, auf die sich der Kläger beruft, führen zu keiner anderen Einschätzung des GdB. Soweit Dr. S. auf internistischem Gebiet geringe Hinweise auf eine Coronarsklerose attestiert, ist aus diesem Befund noch keine Funktionsbeeinträchtigung abzuleiten. Soweit sich der Kläger auf das Gutachten des Dr. Manger vom 31.Januar 2000 beruft, können die dortigen Einschätzungen nicht übernommen werden, weil es sich um eine sozialmedizinische Begutachtung handelt, die unter anderen als hier relevanten Fragestellungen erfolgte. Besondere Aussagekraft haben hingen die Feststellungen des Dr. Harms, der den Kläger sowohl vor als auch nach der Hüftoperation begutachtet hat. Soweit sich der Kläger für die aktuelle Einschätzung des GdB auf die Arztbriefe der Bonner Universitätsklinik aus dem Jahre 1998 beruft, enthalten diese keine aktuellen Befunde, die Aufschluss über den heutigen Leidenszustand des Kläger geben könnten.

26

Da der Kläger nicht mehr den Schwerbehindertenstatus hat, kommt die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen, zu denen auch das Merkzeichen "G" zählt, nicht in Betracht (§ 69 Abs. 4 SGB IX). Im Übrigen liegen auch die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieses Merkzeichens nicht vor. In seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden (§ 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Auch ungeachtet dessen, dass der Kläger nicht den Schwerbehinderten-Status erfüllt, liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung dieses Merkzeichens nicht vor. Dr. M. und Dr. I. haben in ihren Gutachten maßgebliche Funktionsbeeinträchtigungen an den unteren Gliedmaßen, die sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, nicht feststellen können. Die Gelenke der unteren Extremitäten einschließlich des linken Hüftgelenkes, beider Kniegelenke und auch der Sprunggelenke waren nicht so stark eingeschränkt, dass der Kläger in seinem Gehvermögen erheblich beeinträchtigt wäre. Auch waren nicht etwa motorische Störungen oder sensible Irritationen infolge des Lendenwirbelsäulenleidens festzustellen, die die Muskulatur der unteren Extremitäten beim Gehen maßgeblich beeinträchtigen könnten.

27

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

28

Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, besteht nicht, § 160 Abs. 2 SGG.