Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 18.06.2003, Az.: L 4 KR 59/01
Kostenerstattung für eine Akupunkturbehandlung; Anwendbarkeit der Akupunktur im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 18.06.2003
- Aktenzeichen
- L 4 KR 59/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 20176
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0618.L4KR59.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 30.01.2001 - AZ: S 4 KR 297/00
Rechtsgrundlagen
- § 63 SGB V
- § 13 Abs. 3 S. 1 SGB V
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Kostenerstattung für eine Akupunkturbehandlung.
Die im Mai 1926 geborene und nach Klageerhebung verstorbene Versicherte F. litt an einer amyothrophen Lateralsklerose (ALS). Sie stellte bei der Beklagten mit Schreiben vom 6. September 1999 einen Antrag auf Kostenerstattung für eine bereits begonnene Akupunkturbehandlung. Der behandelnde Arzt Dr. G. teilte in seiner Stellungnahme vom 23. September 1999 mit, die Behandlung der Klägerin durch ihn habe bereits am 3. August 1999 begonnen.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 27. Oktober 1999 nach vorheriger Einholung einer Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN) den Antrag mit der Begründung ab, dass die Akupunkturbehandlung eine Behandlungsmethode sei, für die sie die Kosten nicht übernehmen könne. Der Widerspruch der Versicherten blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 2. März 2000).
Gegen diesen am 6. März 2000 an sie abgesandten Bescheid hat die Versicherte am 7. April 2000 rechtzeitig Klage erhoben und geltend gemacht, dass die Beklagte die beantragte Kostenerstattung zu Unrecht abgelehnt habe. Soweit sie sich auf eine Entscheidung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (BA) berufe, wonach die Akupunktur nur in bestimmten Fällen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung anwendungsfähig sei, seien diese Entscheidungen für die Beziehung zwischen Versicherten und Krankenkassen nicht verbindlich, weil es an einer tragfähigen Ermächtigung des BA fehle.
Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die Klage durch Urteil vom 30. Januar 2001 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich der BA in seiner Sitzung im Oktober 2000 mit der Frage der Anwendbarkeit der Akupunktur im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung befasst und sie für die Indikationen chronische Kopfschmerzen, chronische LWS-Schmerzen und chronische osteoarthrische Schmerzen, soweit sie in Modellversuchen nach den §§ 63 ff SGB V erfolgten, anerkannt habe. Die Erkrankung der Klägerin werde hiervon nicht erfasst. Unter diesen Umständen scheide eine Leistungspflicht der Beklagten bereits aus diesem Grunde aus. Vor diesem Hintergrund könne es dahinstehen, dass eine Kostenerstattung schon deshalb nicht in Betracht zu ziehen sei, weil mit der Behandlung bereits begonnen worden sei, als der Kostenerstattungsantrag gestellt worden sei.
Gegen dieses am 13. Februar 2001 an ihre Bevollmächtigten zugestellte Urteil haben die Kläger als Rechtsnachfolger der Versicherten am 12. März 2001 Berufung eingelegt und geltend gemacht, die Entscheidungen des BA seien gegenüber den in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten nicht verbindlich, weil deren Interessen dort nicht vertreten seien. Bei den Akupunkturbehandlungen handele es sich im Übrigen um Einzelsitzungen, sodass in Bezug auf den Kostenerstattungsanspruch jede Sitzung als einzelnes Heilmittel zu betrachten sei.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 30. Januar 2001 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2000 zu ändern;
die Beklagte zu verurteilen, den Klägern die Kosten der Akupunkturbehandlung der Versicherten F. durch Dr. G. in Höhe von mindestens 13.400,00 DM zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung und die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig und verweist zusätzlich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) betreffend die Einhaltung des Beschaffungsweges.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 143 und 114 Abs. 1 Ziffer 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt worden, mithin zulässig. Der Senat konnte über sie mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Berufung ist unbegründet.
Das SG und die Beklagte haben zutreffend entschieden, dass die Kläger von der Beklagten die Erstattung der Behandlungskosten der von August 1999 bis Mai 2000 durchgeführten Akupunkturbehandlung nicht verlangen können.
Rechtsgrundlage für das Begehren der Kläger ist - nachdem die Leistung bereits erbracht und von der Versicherten bezahlt wurde - § 13 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch (SGB V). Diese Vorschrift lautet:
Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen (Voraussetzung 1) oder hat sie die Leistung zu Unrecht abgelehnt (Voraussetzung 2) und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (BSG) muss zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (bei Voraussetzung 1: Unvermögen zur rechtzeitigen Leistungserbringung; bei Voraussetzung 2: rechtswidrige Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Kausalzusammenhang bestehen, ohne den die Bedingung des § 13 Abs. 1 Satz 1 SGB V für eine Ausnahme vom Sachleistungsgrundsatz nicht erfüllt ist. Das bedeutet einmal, dass die Krankenkasse nur für solche Leistungen aufzukommen hat, die sie auch bei rechtzeitiger bzw. ordnungsgemäßer Bereitstellung der geschuldeten Behandlung hätte gewähren müssen. Des Weiteren bedeutet es, dass Kosten für eine selbstbeschaffte Leistung, soweit diese nicht unaufschiebbar war, nur zu ersetzen sind, wenn die Krankenkasse die Leistungsgewährung vorher abgelehnt hatte; ein Kausalzusammenhang und damit eine Kostenerstattung scheiden aus, wenn der Versicherte sich die streitige Behandlung außerhalb des vorgeschriebenen Beschaffungsweges selbst besorgt, ohne sich vorher mit seiner Krankenkasse ins Benehmen zu setzen oder deren Entscheidung abzuwarten (vgl. BSG SozR 3-2500 § 13 SGB V Nr. 15 Seite 74). Dies entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 27. August 2002, Az: L 4 KR 152/00 m.w.N.).
Im vorliegenden Fall fehlt es in Bezug auf die von der Versicherten in Anspruch genommenen Akupunkturbehandlungen an dem notwendigen Kausalzusammenhang zwischen der durch diese verursachten Kostenlast und der Ablehnungsentscheidung der Beklagten, weil die Versicherte die streitige Behandlung zum Zeitpunkt der Ablehnungsentscheidung der Beklagten am 27. Oktober 1999 bereits begonnen hatte. Das ergibt sich aus dem Antragsschreiben der Versicherten und der Stellungnahme des Dr G., wonach mit der Akupunkturbehandlung am 3. August 1999 begonnen wurde. Eine Notfallbehandlung lag nach diesem Bericht nicht vor.
Der Ansicht der Kläger, dass jede einzelne Akupunktursitzung im Hinblick auf die Kostenerstattung gesondert zu prüfen sei, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Nach der Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat in ständiger Rechtsprechung angeschlossen hat (vgl. Senatsurteil vom 30. Oktober 2002, Az: L 4 KR 123/00), ist im Zusammenhang mit der Prüfung der Erstattungsfähigkeit von Behandlungskosten grundsätzlich von dem therapeutischen Gesamtkonzept des behandelnden Arztes und nicht von der einzelnen medizinischen Maßnahme (Injektion, Massage, Medikament usw.) auszugehen. Eine getrennte Be-urteilung der Kostenerstattung hinsichtlich einzelner Behandlungsmaßnahmen ist nicht zulässig (vgl. BSG in SozR 3-2500 § 135 SGB V Nr. 4, Seite 11).
Aus dem ärztlichen Gutachten des Dr G. vom 23. September 1999 geht hervor, dass die Akupunktursitzungen Teile eines Gesamtbehandlungskonzeptes sind und demnach einer einheitlichen Betrachtung zu unterziehen sind, mit der Folge, dass mit der ersten Sitzung bereits die Gesamtbehandlung begonnen wurde.
Die Berufung konnte demnach keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Es hat keine Veranlassung bestanden, die Revision zuzulassen.