Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 16.01.2003, Az.: L 6 U 28/01

Zum Begriff der Berufskrankheit; Aufnahme von chemischen Stoffen in die Anlage zur BKV; Vorliegen einer "Gruppenspezifischen Risikoerhöhung"; Durch chronische Lösungsmittelexposition hervorgerufene Erkrankungen; Merkmal der "konkreten Kausalität"

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
16.01.2003
Aktenzeichen
L 6 U 28/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 21316
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0116.L6U28.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Lüneburg - 18.10.2000 - AZ: S 2 U 62/97

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Eine durch Lösungsmittel verursachte membranöse Glomerulonephritis (Nierenerkrankung) ist wie eine Berufskrankheit (BK) zu entschädigen.

  2. 2.

    Das Untätigbleiben der Verordnungsgeberin steht einer Ablehnung, eine Erkrankung in die Anl. zur BKV aufzunehmen, nicht gleich. Somit ist die Anwendung des § 551 Abs. 2 RVO nicht "gesperrt" .

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 18. Oktober 2000 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob eine membranöse Glomerulonephritis, an der der Ehemann der Klägerin (Versicherter) im Juni 1987 erkrankte, von der Beklagten wie eine Berufskrankheit (BK) zu entschädigen ist. Nachdem nach Aufgabe der beruflichen Tätigkeit (Januar 1989) die Nierenfunktion sich zunächst stabilisiert hatte, nahm die Niereninsuffizienz seit Juli 1992 (Krankenbericht vom 17. Dezember 1992) bis zu seinem - (mittelbar) durch die Nierenerkrankung verursachten - plötzlichen Tod am 20. August 1993 wieder zu (s. zum Verlauf der Nierenerkrankung im Einzelnen die nephrologischen Gutachten des Prof. Dr. C. vom 4. Mai 2000, S. 5 und des Prof. Dr. D. vom 10. Februar 1992, S. 5 ff.).

2

Der 1937 geborene Versicherte war nach der Ausbildung zum Maler in den Jahren 1952 bis 1955 zunächst in diesem Beruf tätig. Anschließend verrichtete er bis 1958 Spritzlackierarbeiten in einer Autowerkstatt. Von 1959 bis 1980 arbeitete er als Fußbodenverleger. Danach war er bis zum Eintritt von Erwerbsunfähigkeit im Februar 1989 als Spritzlackierer in einer Tischlerei tätig (s. im Einzelnen die Angaben im Fragebogen vom 1. Mai 1989 und die Beurteilung des Dipl.-Ing. E. vom 13. November 1990). Im März 1989 unterrichtete der Versicherte die Beklagte von seiner Krankheit, die er auf seine 30-jährige berufliche Tätigkeit zurückführte. Er sei in "hohem Maße mit Lösungsmitteln und Farben in Berührung gekommen". Der Internist Dr. F. sah in der Ärztlichen Anzeige über eine BK vom 5. Juli 1989 die Tätigkeit als Fußbodenverleger und Spritzlackierer als ursächlich für die Erkrankung an. Die Beklagte zog medizinische Unterlagen bei und ermittelte die berufliche Exposition des Klägers gegenüber Lösungsmitteln (s. im Einzelnen die Stellungnahmen der Technischen Aufsichtsbeamten G. vom 8. Januar 1990 und des Dipl.-Ing. E. vom 13. November 1990 sowie 27. Oktober 1994), die der Gewerbeärztliche Dienst im Niedersächsischen Landesamt für Emissionsschutz als "zeitweilig hoch" beurteilte (Stellungnahme des Dr. H. vom 15. Juni 1990). Die Beigeladene teilte der Beklagten mit, dass beim Bodenbelagkleben die Grenzwerte auch von Testbenzin als Lösungsmittelgemisch regelmäßig überschritten worden seien (Schreiben vom 14. Juni 1995, Stellungnahme des Technischen Aufsichtsbeamten I. vom 27. April 1995). Darüber hinaus verwendete der Versicherte zeitweise bleihaltige Rostschutzfarben (Stellungnahme des Technischen Aufsichtsbeamten J. vom 15. März 1994). Für eine kurze Zeit war er auch Halogenkohlenwasserstoffen ausgesetzt (Schreiben des Unfallverhütungsdienstes der Berufsgenossenschaft - BG - der Feinmechanik und Elektrotechnik vom 8. September 1994). Schließlich ist davon auszugehen, dass in den Jahren 1950 bis 1970 in Kontaktklebern Benzol enthalten war (Vermerk des Dipl.-Ing. K. vom 21. Februar 1994). Dr. H. wies die Beklagte darauf hin, dass in der Arbeitsmedizin die berufliche Verursachung einer Glomerulonephritis durch langjährige und erhebliche Lösungsmittelexposition diskutiert werde. Bei fehlender außerberuflicher Ursache hielt er den Verdacht des Vorliegens einer BK für begründet und empfahl eine nephrologische Begutachtung, die im Zentrum Innere Medizin und Dermatologie - Abteilung Nephrologie - der Medizinischen Hochschule L. erfolgte.

3

Prof. Dr. D. führte im nephrologischen Gutachten vom 10. Februar 1992 aus, dass bei dem Versicherten ein Hinweis auf eine bekannte Ursache der membranösen Glomerulonephritis nicht vorliege. Seit 1972 werde in der Literatur ein Zusammenhang zwischen chronischer Exposition gegenüber Lösungsmitteln und glomerulärer Nierenerkrankungen diskutiert. Die "überwiegende Mehrzahl der beschriebenen Studien" deute auf chronische Lösungsmittelexposition als einen "möglichen kausal-pathogenetischen Faktor" hin. Auf Grund der "langzeitigen Exposition" ging der Gutachter auch bei dem Versicherten "von einem solchen möglichen bzw. wahrscheinlichen Zusammenhang" aus. Dafür spreche auch der seit Beendigung der beruflichen Tätigkeit beobachtete Stillstand der Nierenfunktionsverschlechterung auch ohne spezifische Therapie. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) des Versicherten schätzte Prof. Dr. D. auf 50 vom Hundert. Nach Vorlage des Gutachtens empfahl Dr. H. die Anerkennung dieses "Einzelfalls" als BK: Es liege eine außerordentlich lange Exposition gegenüber Lösungsmitteln und ein Krankheitsverlauf vor, der den beruflichen Zusammenhang stütze. Eine außerberufliche Ursache für die Entstehung des Krankheitsbildes finde sich nicht. Nach heutigem Erkenntnisstand bestünden deutliche Hinweise, die im Einzelfall den Zusammenhang zwischen einer Exposition gegenüber Lösungsmitteln und dem Entstehen einer membranösen Glomerulonephritis hinreichend wahrscheinlich machten. Da die Wertungen des Prof. Dr. D. und des Dr. H. die Beklagte nicht zu überzeugen vermochten (vgl. ihr Schreiben an Prof. Dr. M. vom 2. Oktober 1992), beauftragte sie anschließend Prof. Dr. Dr. N ...

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Prof. Dr. Dr. N. führte im Gutachten vom 24. Mai 1993 aus, dass in der Toxikologie eine membranöse Glomerulonephritis als seltene Nebenwirkung von Medikamenten bekannt sei. Ihr Entstehen werde dann auf einer immunologischen Grundlage diskutiert. Es handele sich um ein seltenes Ereignis, das bei entsprechend disponierten Personen als stoffbezogen zu betrachten sei. Die Seltenheit einer solchen Reaktion der Basalmembran des Glomerulos der Niere gegenüber Fremdstoffen bedinge, dass eine epidemiologisch und klinisch eindeutige Aussage schwierig zu erhalten sei. Prof. Dr. D. habe eingehend dargestellt, dass sich seit ungefähr 1972 die Anzeichen für einen Zusammenhang zwischen chronischer Lösungsmittelexposition und dem Auftreten glomerulärer Nierenerkrankungen verdichteten. Von besonderer Bedeutung sei eine Übersichtsarbeit von NELSON (1990). Danach sei ein erhöhtes Risiko einer Glomerulonephritis bei starker Lösungsmittelexposition statistisch gesichert. Für eine hinreichende Wahrscheinlichkeit im Einzelfall des Versicherten sprächen die erhebliche Exposition und der Erkrankungsverlauf. Insgesamt schloss sich der Gutachter der Wertung des Prof. Dr. D. und des Dr. H. an: Die Voraussetzungen zur Entschädigung wie eine BK seien gegeben.

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Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 21. Dezember 1993 Entschädigungsleistungen ab: Zwar führe Prof. Dr. Dr. N. in seinem Gutachten aus, dass die Erkrankung des Versicherten medizinisch ursächlich auf die beruflichen Einwirkungen zurückzuführen sei. Es fehle jedoch an den rechtlichen Voraussetzungen zur Anerkennung als BK, da das Krankheitsbild nicht in der Berufskrankheitenverordnung (BKV) genannt werde. Auch könne die Erkrankung nicht wie eine BK entschädigt werden, da seit der letzten Überarbeitung (am 22. Dezember 1992 mit Wirkung vom 1. Januar 1993) keine neuen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse über einen Zusammenhang zwischen einer membranösen Glomerulonephritis und Einwirkungen gegenüber Lacken und Lösungsmitteln nachgewiesen seien (vgl. auch den Bearbeitungsvermerk vom 18. Juni 1993, in dem neue gesicherte medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse nicht angenommen werden, weil die von Prof. Dr. Dr. N. hervorgehobene Studie von NELSON -1990 - vor der Überarbeitung der BKV zum 1. Januar 1993 liege). Der Bescheid wurde bestandskräftig. Dennoch setzte die Beklagte das Feststellungsverfahren fort (vgl. die Mitteilung an den Landesgewerbearzt vom 25. Februar 1994) und ermittelte weiter zu der beruflichen Belastung des Versicherten. Anschließend holte sie das arbeitsmedizinische Gutachten des Prof. Dr. med. Dipl.-Chem. M. vom 20. März 1996 ein.

6

Der Gutachter gelangte zu dem Ergebnis, dass die vorliegenden wissenschaftlichen Studien noch keine abschließende Beurteilung über einen Zusammenhang zwischen einer chronischen Nierenerkrankung und einer beruflichen Lösungsmittelexposition zuließen. Im Gegensatz zu der Auffassung des Prof. Dr. Dr. N. könne nicht von einer gesicherten arbeitsmedizinischen Erkenntnis gesprochen werden. Die von diesem Gutachter hervorgehobene Publikation von NELSON (1990) sei unvollständig; ihr komme nicht die von diesem Gutachter angenommene Bedeutung zu. Die Wertung des Prof. Dr. Dr. N., auf Grund der statistischen Assoziation sei eine kausale Verknüpfung erwiesen, sei nicht zu bestätigen. Eine "Meta-Analyse" von BLUME (1992) habe lediglich ein relatives Risiko von 1,5 mit einem Konfidenzintervall von 0,98 bis 2,24 erbracht. Unter epidemiologischen Gesichtspunkten handele es sich bei relativen Risiken zwischen 1 und 2 um einen Bereich, bei dem ein "Minimalrisiko" zwar nicht auszuschließen sei, jedoch auch ein zufälliges Ergebnis vorliegen könne. Eine weitere wichtige Einschränkung stelle die (noch) nicht abschließend geklärte Pathophysiologie des Krankheitsgeschehens dar. Die Tatsache, dass trotz weiter Verbreitung organischer Lösungsmittel die schwere Nierenerkrankung des Versicherten vergleichsweise selten auftrete, weise auf eine individuelle Disposition und auf immunologische Mechanismen hin. Gesicherte arbeitsmedizinische Erkenntnisse über die generelle Eignung organischer Lösungsmittel zur Verursachung einer Glomerulonephritis seien insgesamt nicht vorhanden. Bei synoptischer Würdigung von Arbeitsanamnese und Krankheitsbild sei auch ein Zusammenhang der membranösen Glomerulonephritis des Versicherten und der beruflichen Exposition gegenüber Lösungsmitteln zwar möglich, aber nicht wahrscheinlich. Deshalb vermochte Prof. Dr. M. nicht zu empfehlen, die Erkrankung wie eine BK zu entschädigen. Daraufhin lehnte die Beklagte die Rücknahme des ablehnenden Bescheides vom 21. Dezember 1993 ab (Bescheid vom 16. September 1996) und wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 20. März 1997).

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Dagegen richtet sich die am 18. April 1997 vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg erhobene Klage. Das SG hat die Bau-BG Hannover zu dem Verfahren beigeladen (Beschluss vom 4. September 1997) und die Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMA) vom 15. März 1999 eingeholt. Die Beklagte hat das in einem Rechtsstreit vor dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen erstattete arbeitsmedizinische Gutachten des Dr. med. Dipl.-Chem. O. vom 16. Juli 1997 und die ergänzende gutachterliche Stellungnahme des Prof. Dr. Dr. N. an das LSG vom 23. März 1998 in das Verfahren eingeführt. Des Weiteren hat sie die ergänzende Stellungnahme dieses Gutachters zu der Erkrankung des Versicherten vom 21. Juli 1999 vorgelegt. Schließlich ist auf Antrag der Klägerin Prof. Dr. C. gutachtlich gehört worden.

8

Der Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass der genaue Pathomechanismus, der zu einer membranösen Glomerulonephritis führe, nicht bekannt sei. Es werde von einer Autoimmungenese ausgegangen. Unter einer Erkrankung, die bekanntermaßen zu einer membranösen Glomerulonephritis führen könne, habe der Versicherte nicht gelitten. Durch neuere Studien habe sich der bereits seit 1975 bestehende Verdacht einer Induzierung Glomerulonephritiden durch langjährige hochdosierte Lösungsmittelexposition verdichtet. Ein grundsätzliches Problem liege jedoch darin, dass die Erkrankung der membranösen Glomerulonephritis selten sei. In einer von HUBER (2000) publizierten Fall-Kontrollstudie habe sich ein signifikant häufigerer Kontakt mit Lösungsmitteln gefunden. Bei einer über 30-jährigen Exposition sei ein relatives Risiko von 10 berechnet worden. Zudem habe sich eine Korrelation zwischen relativem Risiko zur Lösungsmittelexpositionsdauer und -dosis ergeben. Ein Zusammenhang der Erkrankung des Versicherten mit der Exposition gegenüber Lösungsmitteln sei deshalb wahrscheinlich.

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Das SG ist im Urteil vom 18. Oktober 2000 den Ausführungen des Dr. H., des Prof. Dr. D., des Prof. Dr. Dr. N. sowie des Sachverständigen Prof. Dr. C. gefolgt und hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) zu gewähren: Ausweislich des von diesen Ärzten referierten medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstandes sei das Risiko, nach einer langzeitigen und intensiven Lösungsmittelexposition an einer membranösen Glomerulonephritis zu erkranken, erhöht. Aus den Studien von Stengel (1996) und HUBER (2000) gehe um ein um den Faktor 3,5 bis 10 erhöhtes Risiko hervor, auf Grund einer Lösungsmittelexposition an einer membranösen Glomerulonephritis zu erkranken. Diese medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse seien auch gefestigt, zumal im vorliegenden Rechtsstreit die weit überwiegende Anzahl der Gutachter einen Zusammenhang bejaht habe. Schließlich seien diese Erkenntnisse auch neu. Denn die Verordnungsgeberin habe sich nach Auskunft des BMA mit der hier zu beurteilenden Frage bislang überhaupt nicht beschäftigt.

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Gegen das ihr am 2. Januar 2001 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit der am 22. Januar 2001 eingelegten Berufung. Sie hält an ihrer Auffassung fest, dass die Voraussetzungen zur Entschädigung der Erkrankung des Versicherten wie eine BK nicht gegeben seien: Die Anlage (Anl.) zur BKV erfasse eine Exposition gegenüber Lösungsmitteln und Nierenerkrankungen. Die Berücksichtigung einer neurotoxischen Wirkung von Lösungsmitteln in der BK Nr. 1317 lasse den Schluss zu, dass darüber hinaus ein Zusammenhang mit Erkrankungen der Niere nicht gesichert seien. Jedenfalls sei der von den Ärzten referierte medizinisch-wissenschaftliche Kenntnisstand nicht neu. Aus der Auskunft des BMA vom 15. März 1999, nach der sich der Ärztliche Sachverständigenbeirat - Sektion "Berufskrankheiten" - (Beirat) bislang nicht mit diesen Erkenntnissen befasst habe, könne nicht geschlossen werden, dass ihm der Erkenntnisstand entgangen sei. Jedenfalls seien die Erkenntnisse nicht gefestigt. Im Übrigen habe die Exposition des Versicherten gegenüber Lösungsmitteln ausweislich der von ihr vorgelegten Berechnung des Dr. P. vom 2. Oktober 2002 deutlich unter den Werten gelegen, die nach den von den Ärzten referierten Studien mit einer deutlichen Erhöhung des statistischen Risikos für Erkrankungen der Niere verbunden gewesen seien.

11

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Lüneburg vom 18. Oktober 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen,

hilfsweise, Prof. Dr. Dr. N. um Stellungnahme zu der Frage zu bitten, ob er nach den von ihr vorgelegten Berechnungen an seiner Einschätzung festhält, dass für den Versicherten sehr hohe Expositionen festzustellen sind.

12

Die Klägerin beantragt,

die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Lüneburg vom 18. Oktober 2000 zurückzuweisen.

13

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

14

Die Beigeladene hat sich dem Antrag der Beklagten, das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen, angeschlossen.

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Der Senat hat Literatur über berufliche Nierenerkrankungen beigezogen. Ihm haben neben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die statthafte Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Denn die - hinsichtlich des Feststellungsantrags gemäß § 55 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) - zulässige Klage ist begründet. Das SG hat die Beklagte zu Recht verurteilt, die membranöse Glomerulonephritis, an der der Versicherte erkrankte und verstarb, wie eine BK zu entschädigen (§ 551 Abs. 2 der auf den vorliegenden Sachverhalt noch anzuwendenden - vgl. Art. 36 Unfallversicherungs-Eingliederungsordnungsgesetz, § 212 Sozialgesetzbuch VII - Reichsversicherungsordnung - RVO).

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Der Versicherte litt an einer membranösen Unterform der Glomerulonephritiden, einer Gruppe von Erkrankungen der Glomeruli in den Nieren, die auf immunologischer Grundlage diskutiert wird. Erforderlich ist eine bestimmte genetische Disposition. Trotz der Verbreitung von Lösungsmitteln kommt dieses Krankheitsbild deshalb nur selten vor (nephrologisches Gutachten des Prof. Dr. C., S. 11; Gutachten des Prof. Dr. Dr. N. vom 24. Mai 1993, S. 6 f.; vgl. auch Held/Hassforth, Nierenerkrankungen und Berufskrankheit in: Tagungsbericht der Arbeitsmedizinischen Herbsttagung 1995 in Lübeck, hrsgg. vom Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte, S. 275). Des Weiteren ist nach Überzeugung des erkennenden Senats im Vollbeweis nachgewiesen, dass der Versicherte beruflich jahrzehntelang in erheblichem und damit in einem potenziell gesundheitsgefährdenden Umfang Lösungsmitteln ausgesetzt war. Diese Wertung stützt der erkennende Senat insbesondere auf die Stellungnahmen des Dr. H., der als Landesgewerbearzt in der Beurteilung einer beruflichen Schadstoffbelastung besonders erfahren ist und die auf Grund der Feststellungen der technischen Aufsichtsbeamten im Verwaltungsverfahren erfolgt sind. Daran ändert die im Berufungsverfahren vorgelegte Berechnung des TAD der Beklagten nichts. Denn sie erfasst lediglich die Beschäftigungsverhältnisse ab dem Jahr 1980 und berücksichtigt deshalb insbesondere nicht die jahrzehntelange Tätigkeit des Versicherten als Fußbodenverleger, die mit einer erheblichen, die Grenzwerte regelmäßig überschreitenden Exposition gegenüber Lösungsmitteln verbunden war (gewerbeärztliche Stellungnahme des Dr. H. vom 10. Juni 1992, S. 2; Stellungnahme des TAD der Beigeladenen vom 27. April 1995; arbeitsmedizinisches Gutachten des Prof. Dr. M. vom 20. März 1996, S. 8). Schon deshalb ist der in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat gestellte Hilfsantrag der Beklagten nicht rechtserheblich, und es war ihm nicht nachzugehen. Im Übrigen bestanden nach der Berechnung des TAD vom 2. Oktober 2002 auch in den Beschäftigungsverhältnissen ab dem Jahr 1980 Grenzwertüberschreitungen, die jedoch "nur geringfügig" gewesen sein sollen (S. 2 des Schriftsatzes der Beklagten vom 11. Oktober 2002). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Berechnung des TAD vom 2. Oktober 2002 die genaue berufliche Belastung des Versicherten durch Lösungsmittel auch in den 80er-Jahren nicht abzubilden vermag und zeitnahe Ermittlungen an den früheren Arbeitsplätzen des Versicherten durch die Beklagte unterblieben, weil sie seit Beginn des Verfahrens durch den Antrag des Versicherten auf Feststellung einer BK (März 1989) bis zu der Berechnung des TAD im Oktober 2002 von einer hohen Exposition des Versicherten gegenüber Lösungsmitteln ausging. Deshalb befände sich die Klägerin - wenn es allein auf die der Berechnung vom 2. Oktober 2002 zu Grunde liegenden Arbeitsbedingungen seit 1980 ankäme - in Beweisschwierigkeiten, die es erlauben, schon auf Grund des Ergebnisses der Ermittlungen der technischen Aufsichtsbeamten im Verwaltungsverfahren und der Bewertung der Arbeitsbedingungen des Versicherten durch die - in der Beurteilung beruflicher Schadstoffbelastung über eine ausgewiesene Kompetenz verfügenden - im Verwaltungsverfahren beauftragten Ärzte und Wissenschaftler eine hohe und damit potenziell gesundheitsgefährdende Exposition gegenüber Lösungsmitteln als im Vollbeweis nachgewiesen anzusehen (vgl. BSG SozR 3-1500 § 128 Nr. 11).

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Die Erkrankung des Versicherten erfüllt vor dem Hintergrund der erheblichen beruflichen Exposition gegenüber Lösungsmitteln die Entschädigungsvoraussetzungen des § 551 RVO.

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Die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen UV setzt nach § 547 RVO einen Arbeitsunfall voraus. Als Arbeitsunfall gilt auch eine BK (§ 551 Abs. 1 Satz 1 RVO). BKen sind die Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung bezeichnet und die ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet (§ 551 Abs. 1 Satz 2 RVO). Die Bundesregierung hat die BKen in der Anl. zur BKV bezeichnet. Die Erkrankung des Versicherten kann ihr jedoch nicht zugeordnet werden und die chemischen Substanzen, mit denen der Versicherte beruflich in Berührung kam, sind nur zu einem Teil in der Anl. zur BKV enthalten. - Eine Exposition gegenüber Halogenkohlenwasserstoffen, die die Nierenfunktion beeinträchtigen können (vgl. das zu der BK Nr. 1302 vom BMA herausgegebene Merkblatt für die ärztliche Untersuchung, BABl 6/1985, 55), bestand nur wenige Monate im Jahr 1963 (vgl. das Schreiben des Unfallverhütungsdienstes der BG der Feinmechanik und Elektrotechnik vom 8. September 1994). Geprägt war die berufliche Belastung des Versicherten durch aliphatische Kohlenwasserstoffe und Verbindungen, die nicht von der BK Nr. 1302 erfasst werden (Gutachten des Prof. Dr. Dr. N. vom 24. Mai 1993, S. 6). - Zwar ist eine Exposition gegenüber organischen Lösungsmitteln oder deren Gemischen Grundlage der BK Nr. 1317. Eine Entschädigung ist jedoch auf durch diese Stoffe verursachte Encephalopathien und Polyneuropathien beschränkt. Somit kommt als Anspruchsgrundlage allein § 551 Abs. 2 RVO in Betracht.

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Entgegen der Auffassung der Beklagten ist aus der Aufnahme der - organische Lösungsmittel und deren Gemische betreffenden - BK Nr. 1317 in die Anl. zur BKV nicht zu schließen, dass die Verordnungsgeberin (Bundesregierung) die Voraussetzungen für die Entschädigung der Erkrankung, an der der Versicherte litt, als nicht erfüllt angesehen hat mit der Folge, dass eine Entschädigung durch BGen und Gerichte nicht möglich wäre (BSGE 49, 148, 150: Erfordernis einer "erkennbaren Prüfung" durch die Verordnungsgeberin). Dieses trifft zwar für andere neurologische Erkrankungen wie z.B. für die Multiple Sklerose zu (Begründung des Entwurfs der BKV vom 29. August 1997, BR-Drs. 642/97, B zu der Anlage, S. 17). Mit der Frage der Verursachung einer Glomerulonephritis durch Lösungsmittel, insbesondere durch aliphatische Kohlenwasserstoffe, hat sich die Verordnungsgeberin ausweislich der vom SG eingeholten Auskunft des BMA vom 15. März 1999 aber nicht befasst. Das Untätigbleiben der Verordnungsgeberin steht jedoch einer Ablehnung, die Erkrankung in die Anl. zur BKV aufzunehmen, nicht gleich (BSG, Urteil vom 21. Januar 1997 - 2 RU 7/96 - S. 6). Somit ist die Anwendung des § 551 Abs. 2 RVO nicht "gesperrt".

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Nach dieser Norm soll eine Erkrankung vom Träger der gesetzlichen UV wie eine BK entschädigt werden, wenn die Gesundheitsstörung nach den "Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft" durch besondere Einwirkungen verursacht worden ist, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit "in erheblich höherem Grade" als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Ob eine Krankheit in einer bestimmten Personengruppe im Rahmen der versicherten Tätigkeit häufiger auftritt als in der übrigen Bevölkerung, erfordert grundsätzlich den Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen und eine langfristige zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder, um mit Sicherheit daraus schließen zu können, dass die Ursache für die Krankheit in einem schädigenden Arbeitsleben liegt (BSGE 59, 295, 298). Somit ist die statistische Evidenz das erstrangige Anzeichen für die erhöhte generelle Eintrittswahrscheinlichkeit einer Krankheit (vgl. Woitowitz, ZBl Arbeitsmed 2001, 262, 266 re.Sp.; Mehrtens/Perlebach, BKV, Kommentar, E § 9 SGB VII Anm. 31.3; s. auch Lauterbach-Koch, UV-SGB VII § 9 Rn. 268). Die Voraussetzung einer erheblich höheren Gefährdung bestimmter Personengruppen bezieht sich auf das allgemeine Auftreten der Krankheit; sie setzt nicht den Nachweis der Kausalität in den Einzelfällen voraus, die die Überhäufigkeit begründen (BSGE 84, 30, 38). Deshalb muss - entgegen der von dem technischen Aufsichtsbeamten Dr. Q. in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat vorgetragenen Auffassung der Beklagten - die nierentoxisch genaue Wirkungsweise einzelner Bestandteile von Lösungsmittelgemischen nicht sicher feststehen. Eine erhebliche "gruppenspezifische Risikoerhöhung" ist belegt, wenn im Vergleich zur übrigen Bevölkerung das Erkrankungsrisiko in einer gefährdeten Berufsgruppe mehr als verdoppelt ist, d.h. wenn in der exponierten Personengruppe eine Erkrankung mehr als doppelt so häufig auftritt. Dieser Beurteilungsmaßstab zur Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "in erheblich höherem Grade" ist fundiert und überzeugend von der arbeitsmedizinischen Wissenschaft begründet worden (LSG Niedersachsen Breith 1998, 894, 898 und Breith 1999, 300, 306 jeweils m.w.N.; andererseits BSGE 84, 30, 37 f. = SGb 1999, 576 mit krit. Anm. von Ricke: Verdoppelung nach Sinn und Zweck der Regelung nicht erforderlich, signifikante Risikoerhöhung ausreichend). Er entspricht dem Beweismaßstab der gesetzlichen UV für die Kausalität (vgl. auch Mehrtens/Perlebach, a.a.O., Anm. 16). Prof. Dr. M. hat in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam gemacht, dass es sich bei relativen Risiken unter dem Faktor 2 um einen Bereich handelt, "bei dem ein 'Minimalrisiko‘ zwar nicht auszuschließen ist, jedoch auch ein zufälliges Ergebnis vorliegen kann" (S. 12 des arbeitsmedizinischen Gutachtens vom 20. März 1996; s. auch Triebig/Blume, Arbeitsmed.Sozialmed.Präventivmed. 1992, 190, 197 und Triebig, MedSach 2001, 99, 101 sowie Woitowitz, a.a.O., 267 re.Sp.: Verdoppelungsrisiko als "Grenzkriterium").

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Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens sind die Anforderungen des § 551 Abs. 2 RVO zur Entschädigung einer Krankheit wie eine BK erfüllt. Insbesondere ist ein mehr als verdoppeltes Erkrankungsrisiko nachgewiesen. Zwar kann wegen der Seltenheit der Erkrankung des Versicherten das Risiko, bei einer erheblichen Exposition gegenüber Lösungsmitteln an einer membranösen Glumerolunephritis zu erkranken, statistisch nicht gesichert werden. Ein mehr als verdoppeltes Erkrankungsrisiko ist statistisch jedoch auf Grund von Studien, die über die Gruppe von Erkrankungen der Glomeruli der Nieren (Glumerulonephritiden) insgesamt, ohne genaue Unterscheidung nach dem Krankheitsbild des Versicherten, vorliegen, belegt. Im Übrigen kann auf Grund der "Erkenntnisgrenzen der Epidemiologie" (Lauterbach-Koch, a.a.O., Rn. 266 ff.) in einem solchen Ausnahmefall zur Feststellung der "generellen Geeignetheit" der Einwirkung spezieller Noxen auch auf andere Erkenntnisse, z.B. aus Einzelfallstudien, zurückgegriffen werden (BSGE 79, 250, 251 f. m.w.N.; LSG Niedersachsen, Urteil vom 17. September 1998 - L 6 U 222/98 = BB 1998, 2530 mit zust. Anm. von Corvin; näher dazu auch Woitowitz, a.a.O., 266 f. und Mehrtens/Perlebach, a.a.O., Anm. 31.3, 33.1 S. 80c). Die gruppenspezifische Risikoerhöhung muss sich in jedem Fall aus "Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft" ergeben. Mit wissenschaftlichen Methoden und Überlegungen muss zu begründen sein, dass bestimmte Einwirkungen die "generelle Eignung" besitzen, eine bestimmte Krankheit zu verursachen. Solche Erkenntnisse liegen in der Regel erst dann vor, wenn die Mehrheit der medizinischen Sachverständigen, die auf den jeweils in Betracht kommenden Gebieten über besondere Erfahrungen und Kenntnisse verfügen, zu derselben wissenschaftlich fundierten Meinung gelangt ist. Es muss sich um gesicherte Erkenntnisse handeln; nicht erforderlich ist, dass diese Erkenntnisse die einhellige Meinung aller Mediziner sind. Andererseits genügen vereinzelte Meinungen einiger Sachverständiger grundsätzlich nicht (BSG, Urteil vom 4. Juni 2002 - B 2 U 20/01 R - S. 11 f. m.w.N.).

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Der erkennende Senat stützt seine Wertung auf die Empfehlung des auf dem Gebiet der chemisch-toxischen BKen über fundierte Kenntnisse verfügenden Landesgewerbearztes Dr. H. sowie auf die Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. C. und des im Verwaltungsverfahren beauftragten Prof. Dr. D., die als Chefärzte der Abteilung Nephrologie des Zentrums Innere Medizin und Dermatologie der Medizinischen Hochschule L. mit der Erkrankung des Versicherten besonders vertraut sind, und auf die Beurteilung des Prof. Dr. Dr. N., der auf dem Gebiet der toxisch verursachten Nierenerkrankungen über besondere Erfahrungen verfügt (arbeitsmedizinisches Gutachten des Dr. O., S. 39). Die Darlegungen dieser Ärzte überzeugen auch vor dem Hintergrund der beigezogenen Literatur.

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Nach der von allen Ärzten referierten Entwicklung hat sich der medizinisch-wissenschaftliche Kenntnisstand über die Verursachung von Glomerulonephritiden durch Lösungsmittel seit den 70er-Jahren verdichtet. - Prof. Dr. D. hat im nephrologischen Gutachten vom 10. Februar 1992 im Einzelnen den Kenntnisgewinn seit einer Untersuchung von BEIRNE/BRENNAN (1972) dargestellt und auf die Zusammenfassung durch NELSON (1990) hingewiesen. - Daran hat Prof. Dr. Dr. N. im Gutachten vom 24. Mai 1993 angeknüpft und im Einzelnen dargelegt, dass diese Übersichtsarbeit für die Beurteilung der Erkrankung des Versicherten deshalb von besonderer Bedeutung ist, weil sie Einzelberichte über Zusammenhänge membranöser Glomerulonephritiden mit Lösungsmitteln darstellt. Die Einzelfallmitteilungen konzentrieren sich auf Fälle mit langjähriger Exposition gegenüber höherer Konzentration gemischter organischer Lösungsmittel, von der der Senat, wie dargelegt, auch im vorliegenden Fall ausgeht. Von besonderer Bedeutung ist auch die Aussage der Autoren dieser Studie, dass "chronische Glomerulonephritiden als lösungsmittelbedingte Krankheiten einzustufen sind" (nephrologisches Gutachten des Prof. Dr. C., S. 12). - Der Sachverständige Prof. Dr. C. hat insbesondere auf die von HUBER (2000) durchgeführte Fall-Kontroll-Studie hingewiesen, die ein signifikant erhöhtes Risiko für die Erkrankung an Glomerulonephritis bei chronischem Kontakt mit Lösungsmitteln belegt. Dabei korreliert das relative Risiko zu Dauer und Dosis der Lösungsmittelexposition. Bei einer über 30-jährigen Exposition, wie sie bei dem Versicherten vorlag, wird ein relatives Risiko deutlich über den Faktor 2 auf 10 berechnet (S. 19 f. des nephrologischen Gutachtens vom 4. Mai 2000). Auch die Fall-Kontroll-Studie von Stengel (1996) beschreibt ein relatives Risiko einer eingeschränkten Nierenfunktion bei chronischer Lösungsmittelexposition in Abhängigkeit von der Expositionsdauer deutlich über dem Faktor 2 (3,5 bis 7,7 - S. 11 des nephrologischen Gutachtens vom 4. Mai 2000; vgl. auch das arbeitsmedizinische Gutachten des Dr. O., S. 34). Nephropathien als Folgen einer Lösungsmittelexposition sind auch von MUTTI (1996) beobachtet worden (ebd.). - Insgesamt überzeugt den Senat die Schlussfolgerung, dass eine sehr hohe berufliche Lösungsmittelexposition über eine lange Zeit zu einem erheblich höheren Risiko führt, an einer membranösen Glomerulonephritis zu erkranken. Davon geht mittlerweile wohl auch die Beklagte aus (S. 2 oben des Schriftsatzes vom 11. Oktober 2002). Allerdings trifft - wie oben bereits ausgeführt - ihr neuer Vortrag nicht zu, die berufliche Belastung des Versicherten sei nicht sehr hoch ("nur geringfügige Überschreitungen der Grenzwerte") und damit innerhalb eines Bereiches gewesen, dessen Bedeutung für die Entstehung von Glomerulonephritiden gering ist (S. 3 der ergänzenden gutachtlichen Stellungnahme des Prof. Dr. Dr. N. an das LSG Nordrhein-Westfalen vom 23. März 1998; vgl. auch die - von dem Institut des Prof. Dr. M. mit erstellte - Heidelberger Malerstudie der Arbeitsgemeinschaft der Bau-BGen, Arbeitsmed.Sozialmed.Umweltmed. Sonderheft 23, 1997, 7.4.4).

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Zudem kann - jedenfalls stützend - das Wissen über den Pathomechanismus herangezogen werden, auch wenn er in den Einzelheiten nicht bekannt ist. Denn die auf der Grundlage einer Autoimmungenese diskutierten Mechanismen sind in sich plausibel (nephrologisches Gutachten des Prof. Dr. C., S. 13 f.; vgl. auch Blume, Diss. Heidelberg 1992, S. 19 f., 67), und am "besten belegt" ist die Pathogenese einer Immunkomplex-Nephritis bei der membranösen Glomerulonephritis (Held/Hassforth, a.a.O., S. 277), an der der Versicherte litt und verstarb.

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Weitere Erkenntnisse sind nicht zu erwarten. Denn neben der Seltenheit der Erkrankung des Versicherten, die epidemiologischen Untersuchungen nur schwer zugänglich ist, besteht mit der Verwendung lösungsmittelärmerer Arbeitsstoffe in der Arbeitswelt (arbeitsmedizinisches Gutachten des Dr. O., S. 29) keine erhöhte Gefährdung mehr.

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Unter Berücksichtigung des dargestellten medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstandes sind die grundsätzlichen Anforderungen des § 551 Abs. 2 RVO erfüllt. Diesem Ergebnis stehen die Wertungen des Prof. Dr. M. im arbeitsmedizinischen Gutachten vom 20. März 1996 und des Dr. O. im arbeitsmedizinischen Gutachten vom 16. Juli 1997 schon deshalb nicht entgegen, weil sie die von dem Sachverständigen Prof. Dr. C. dargestellte weitere Entwicklung des medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstandes nicht vorwegnehmen konnten. Dieses gilt auch für das - von Prof. Dr. M. in das Verfahren eingeführte und die Entschädigungsvoraussetzungen des § 551 Abs. 2 RVO verneinende - Urteil des LSG Bayern vom 14. Februar 1989 (L 3 U 125/87 - s. aber auch die Entscheidung des SG Hamburg zur Anerkennung und Entschädigung eines "Goodpasturesyndroms" eines Chemiefacharbeiters wie eine BK vom 3. März 1988 - 26 U 27/86). - Im Übrigen ist Prof. Dr. R. Einwand im arbeitsmedizinischen Gutachten vom 20. März 1996 gegen die Hervorhebung der Arbeit von NELSON (1990) für die Beurteilung der beruflichen Verursachung einer membranösen Glomerulonephritis durch Prof. Dr. Dr. N. - sie erfasse vorhandene Studien nicht vollständig - zu allgemein, um ihn im Einzelnen nachvollziehen zu können, und überzeugt deshalb nicht. Im Kern hat Prof. Dr. M. an die - von ihm betreute - Diss. Blumes (Heidelberg 1992) angeknüpft, dessen wesentliche Ergebnisse er gemeinsam mit BLUME in Arbeitsmed.Sozialmed.Präventivmed. 1992, 190 veröffentlicht hat. Indessen kann Blumes Ergebnis für die Entscheidung des erkennenden Senats stützend herangezogen werden. Denn BLUME (a.a.O., S. 68 f.) errechnete aus vier Studien mit den geringsten methodischen Schwächen ein statistisch signifikantes Risiko, das nach seiner - von Prof. Dr. M. nicht mitgeteilten und auch in der gemeinsamen Veröffentlichung nicht erwähnten - Einschätzung "auf ein zweifach erhöhtes Risiko einer Glomerulonephritis nach Lösungsmittelexposition hindeuten könnte", und empfahl weitere Untersuchungen sowie die "Anwendung von § 551 Abs. 2 im Einzelfall". Danach erstellte Studien sind - wie ausgeführt - von dem Sachverständigen Prof. Dr. C. im Einzelnen ausgewertet worden. - Schließlich hat auch Dr. O. (a.a.O., S. 34) im Einzelnen herausgearbeitet, dass deutliche Hinweise für eine Glomerulonephritis durch chronische Lösungsmittelexposition vorliegen. Eine berufliche Verursachung in dem vor dem LSG Nordrhein-Westfalen anhängigen Rechtsstreit hielt er wegen des akuten progressiven Verlaufs der Erkrankung (rapid progressive Glomerulonephritis) für nicht wahrscheinlich (a.a.O., S. 39). Hervorgehoben hat Dr. O., dass demgegenüber "am konsistentesten" die Hinweise für die Entstehung einer - wie bei dem Versicherten - chronisch verlaufenden Glomerulonephritis sind (a.a.O., S. 34).

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Auch der Vortrag der Beklagten in der Berufungsschrift vom 7. März 2001 (III. "Ursachenzusammenhang im konkreten Fall" - S. 3 f.) und durch den Technischen Aufsichtsbeamten Dr. Q. in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat überzeugt nicht, die von dem Landesgewerbearzt, den Gutachtern und dem Sachverständigen als einschlägig beschriebenen und ausgewerteten Studien seien nicht aussagekräftig. Denn alle untersuchten Personengruppen seien Lösungsmittelgemischen ausgesetzt gewesen, die - anders als im Fall des Versicherten - immer auch Halogenkohlenwasserstoffe enthielten, die - wie oben ausgeführt - bekanntermaßen nierenschädigend sein können. Damit soll die Behauptung aufgestellt werden, dass demgegenüber keine epidemiologischen Kenntnisse über eine nierentoxische Wirkung der Lösungsmittelgemische, insbesondere über aliphatische Kohlenwasserstoffe vorhanden sind, gegenüber denen der Versicherte exponiert war. Dass die - über ausgewiesene Kompetenz verfügenden - Ärzte die Ergebnisse epidemiologischer Studien nicht richtig interpretiert oder gar nicht einschlägige Studien herangezogen haben, ist von der Beklagten aber nicht substantiiert dargelegt worden und auch nicht erkennbar. Vielmehr sind Landesgewerbearzt, Gutachter und Sachverständiger bei ihrer Bewertung von der Fragestellung ausgegangen, ob der Versicherte vor dem Hintergrund einer fehlenden Exposition gegenüber Halogenkohlenwasserstoffen, insbesondere durch "aliphatische Kohlenwasserstoffe und anderen aliphatische Verbindungen" (Gutachten des Prof. Dr. Dr. N. vom 24. Mai 1993, S. 6) einem erhöhten Erkrankungsrisiko ausgesetzt war (ausführlich Prof. Dr. M., S. 6 ff. des arbeitsmedizinischen Gutachtens vom 20. März 1996).

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Unter Berücksichtigung des dargestellten medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstandes und der hohen Exposition gegenüber Lösungsmitteln haben Dr. H., Prof. Dr. D., Prof. Dr. Dr. N. und Prof. Dr. C. auch überzeugend begründet, dass die Erkrankung des Versicherten mit der im Recht der gesetzlichen UV erforderlichen Wahrscheinlichkeit durch die Exposition gegenüber Lösungsmitteln verursacht worden ist ("konkrete Kausalität"). Der Erkrankungsverlauf stützt eine wahrscheinlich wesentlich berufliche Verursachung (gewerbeärztliche Stellungnahme des Dr. H. vom 10. Juni 1992, S. 2; Gutachten des Prof. Dr. Dr. N. vom 24. Mai 1993, S. 9) und eine außerberufliche Ursache für die Entstehung des Krankheitsbildes vermochten die Chefärzte der Abteilung Nephrologie des Zentrums Innere Medizin und Dermatologie der Medizinischen Hochschule L. sowie Prof. Dr. Dr. N. nicht zu finden.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.