Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 21.01.2003, Az.: L 9 U 337/00
Funktionsstörungen im Bereich des Kreislaufsystems; Postthrombotisches Syndrom; Anerkennung von Funktionseinschränkungen als Unfallfolge; Minderung der Erwerbsfähigkeit; Vorläufige Verletztenrente
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 21.01.2003
- Aktenzeichen
- L 9 U 337/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 19986
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0121.L9U337.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Oldenburg - 26.06.2000 - AZ: S 72 U 83/99
Rechtsgrundlagen
- § 43 SGB VI a.F.
- § 44 SGB VI a.F.
Redaktioneller Leitsatz
Eine Verletzungsfolge muss beweisbar auf einen Arbeitsunfall zurückgeführt werden können, hierfür muss ein Anhalt Vorliegen der diagnostisch nachweisbar ist.
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der beim Berufungskläger durch einen Arbeitsunfall verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE).
Der im Dezember 1939 geborene Berufungskläger wurde am 7. Juli 1995 bei versicherter Tätigkeit am linken Fuß verletzt, als ihm bei der Montage einer Holztreppe ein Träger auf diesen Fuß fiel. Als unmittelbare Verletzungsfolge zog er sich dabei eine schwere linksseitige Fußquetschung mit Frakturen des ersten bis dritten Mittelfußknochens und ausgedehnten Weichteilschäden auf dem Fußrücken sowie eine Unterschenkelquetschung links zu (Durchgangsarztbericht des Dr. D. vom 7. Juni 1995; Nachschaubericht des Dr. E. vom 1. August 1995).
Der knöcherne Heilungsprozess nach operativer Versorgung der Brüche gestaltete sich komplikationslos (Bericht der Städt. Kliniken Oldenburg, Dr. E. vom 6. September 1995); indessen verblieb eine schmerzhafte, statische Minderbelastbarkeit sowie eine Neigung zu zunächst hochgradigen lymphödematösen Schwellungen (Bericht der Städt. Kliniken Oldenburg vom 7. November 1995). Differenzialdiagnostisch wurde beim Berufungskläger insoweit eine ältere Thrombose festgestellt (Bericht der Städt. Kliniken Oldenburg Dr. F. vom 29. November 1995). Zur Beschwerdelinderung wurden dem Berufungskläger ärztlicherseits Kompressionsstrümpfe und orthopädisches Schuhwerk verordnet. Während der Berufungskläger von dem verordneten Schuhwerk keinen Gebrauch gemacht hat und noch aktuell über eine Belastungsschwäche des linken Fußes klagt, hat die Verordnung von Kompressionsstrümpfen zwischenzeitlich zu einer Reduktion der Schwellneigung des linken Fußes geführt.
Nach ärztlichem Urteil war der Berufungskläger ab 1. April 1996 wieder arbeitsfähig, jedoch scheiterte der Arbeitsversuch beim bisherigen Arbeitgeber. Der daraufhin gestellte Antrag hat zwischenzeitlich zur Gewährung einer Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU) geführt.
Die Beklagte erkannte auf der Grundlage eines von den Städt. Kliniken Oldenburg, Dr. E. unter dem 21. Mai 1996 erstellten Gutachtens mit Bescheid vom 9. Juli 1996 als Unfallfolgen:
Linkes Bein: Köchern verheilte Brüche der 1. bis 3. Mittelfußknochen mit noch liegendem Ostensynthesematerial. Abflachung des Fußlängs- und Fußquergewölbes. Grenzwertige arterielle Durchblutung mit entsprechenden glaubhaften Belastungsschmerzen und Blaufärbung bei Verschluss der Fußrückenarterie. Entzündung am Unterschenkel nach abgelaufener Venenthrombose mit Schwellneigung
an und gewährte dem Berufungskläger eine vorläufige Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH. Hiergegen erhob der Berufungskläger am 26. Juli 1996 Widerspruch, den die Berufungsbeklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7. November 1996 zurückwies.
Am 12. April 1999 ist Klage erhoben worden.Im Verlauf des erstinstanzlichen Klageverfahrens hat die Berufungsbeklagte das zweite Rentengutachten der Städt. Kliniken Oldenburg, Dr. E. vom 10. März 1997 erstatten lassen und dem Berufungskläger mit weiterem Bescheid vom 13. Mai 1997 ab 1. Juni 1997 Verletztenrente nach einer MdE um weiterhin 30 v.H. als Dauerrente gewährt.
Das Sozialgericht (SG) hat diesen Bescheid in das erstinstanzliche Klageverfahren einbezogen, zur weiteren Sachaufklärung das im Verfahren auf Gewährung von Versichertenrente erstattete Gutachten des Prof. Dr. G. vom 7. Oktober 1999 beigezogen, das in einem schwerbehindertenrechtlichen Klageverfahren erstattete mündliche Terminsgutachten des Dr. H. vom 20. November 1998 ausgewertet, den Befundbericht des behandelnden Arztes Dr. I. vom 12. Dezember 1999 eingeholt und sodann die Klage mit Gerichtsbescheid vom 26. Juni 2000 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, nach den insoweit übereinstimmenden Ergebnissen der Begutachtungen durch Dr. E. und Dr. H. sowie Prof. Dr. G. sei davon auszugehen, dass der Folgezustand am linken Fuß des Berufungsklägers mit einer MdE um 30 v.H. richtig bemessen sei. Soweit der Berufungskläger im Verfahrensverlauf verschiedene zusätzliche Funktionseinschränkungen geltend gemacht habe, seien diese nicht mit Wahrscheinlichkeit auf das Unfallereignis zurückzuführen. Die Magenschleimhautentzündung und die vegetative Labilität des Berufungsklägers sei nach einem im Schwerbehindertenverfahren eingeholten Befundbericht des Dr. I. vom 18. November 1996 schon vor dem Unfallereignis vorhanden gewesen. Gleiches gelte für die Nacken-Schulterschmerzen. Insoweit sei im Übrigen auch nicht ersichtlich, auf welche Weise der Unfall auf Grund seiner Lokalisation allein im Bereich des linken Fußes die Entstehung oder Verschlimmerung entsprechender Schmerzbeschwerden verursacht haben könne. Dies gelte auch insofern, als der Berufungskläger im Vorverfahren auf einen Innenknöchelbruch rechts und Durchblutungsstörungen mit Ohrgeräuschen hingewiesen habe.
Mit seiner am 4. August 2000 eingelegten Berufung verfolgt der Berufungskläger sein Begehren weiter. Er macht geltend, dass nach dem Gutachten des Prof. Dr. G. die von diesem festgestellten Blutumlaufstörungen zumindest anteilsmäßig auf den Arbeitsunfall zurückzuführen seien. Entsprechendes gelte für die Wirbelsäulenbeschwerden; denn es liege auf der Hand, dass bei einem schwer geschädigten linken Fuß das gesamte Wirbelsäulengefüge auf Dauer mitbelastet werde. Auch die Magenschleimhautentzündung und die vegetative Labilität habe durch den Unfall eine Verschlimmerung erfahren.
Der Berufungskläger beantragt,
- 1.
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Oldenburg vom 26. Juni 2000 aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom 9. Juli 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 1996 sowie den Bescheid vom 13. Mai 1997 abzuändern
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 13. Mai 1996 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um wenigstens 40 v.H. zu gewähren.
Die Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Wegen weiterer Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Unfallakten der Berufungsbeklagten Bezug genommen, die beigezogen worden sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige, insbesondere rechtzeitig eingelegte Berufung ist nicht begründet. Der Berufungskläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Berufungsbeklagte ihm unter Anerkennung weiterer Unfallfolgen Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mehr als 30 v.H. gewährt.
Das Sozialgericht hat in seinem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 26. Juni 2000 im Einzelnen zutreffend ausgeführt, dass die Schädigung, die der Berufungsbeklagte als Folge des Arbeitsunfalls am 7. Juli 1995 im Bereich des linken Fußes davongetragen hat, nach den Rentengutachten des Dr. E. (Rentengutachten vom 21. Mai 1996 und 10. März 1997) mit einer MdE um 30 v.H. zutreffend bewertet ist. Ebenso zutreffend hat es darauf hingewiesen, dass weitere Funktionseinschränkungen nicht als Unfallfolge anzuerkennen und zu entschädigen sind, weil sich für ihre Verursachung durch den streitbefangenen Unfall kein Anhalt ergibt. Der Senat nimmt daher zur Vermeidung von Wiederholungen gem. § 153 Abs. 2 SGG auf die Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheides Bezug.
Neue Gesichtspunkte, die zu einer abweichenden Entscheidung führen könnten, sind im Berufungsverfahren nicht zu Tage getreten.
Soweit der Berufungskläger weiterhin geltend macht, die bei ihm bestehenden Funktionsstörungen im Bereich des Kreislaufsystems seien jedenfalls teilweise auf den Unfall zurückzuführen und müssten zu einer Erhöhung der Gesamt - MdE führen, vermag der Senat dem im Ergebnis nicht zu Folgen. Auf Grund des im Rentenverfahren erstatteten, ausführlichen Gutachtens des Prof. Dr. G. sowie des im schwerbehindertenrechtlichen Verfahren erstatteten Gutachtens des Dr. H. steht zur Überzeugung des Senats fest, dass bei dem Berufungskläger im Bereich des betroffenen linken Fußes lediglich unkritische, lokal wirksame Durchblutungsstörungen bestehen, die ungeachtet ihrer Herkunft allein schon wegen ihrer nur geringgradigen funktionalen Auswirkungen kaum geeignet wären, zu einer Erhöhung der unfallbedingten Gesamt - MdE beizutragen. Hinzu kommt aber, dass die objektivierbaren Befunde zwischen den beiden unteren Extremitäten weder im Hinblick auf die Folge feststellbarer Hautkälte noch - bei Umfangsdifferenzen von maximal 1 cm - hinsichtlich der Schwere ödematöser Schwellungen bei der Begutachtung durch Prof. Dr. G. wesentliche Seitenunterschiede gezeigt haben, sodass die lokalen Durchblutungsstörungen auch nicht in erheblichem Umfang auf das allein linksseitig abgelaufene Unfallgeschehen zurückgeführt werden können. Schließlich ist ärztlicherseits beim Berufungskläger eine bereits vor dem Unfall abgelaufene, linksseitige Thrombose festgestellt worden (phlebologischer Bericht des Dr. Strendel vom 29. November 1995), die ihrerseits für die spezifischen Durchblutungsstörungen des linken Fußes im Sinne eines postthrombotischen Syndroms mit verantwortlich zu machen ist. Eine mit Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückzuführende schwer wiegende Beeinträchtigung der lokalen Durchblutung, die über die ohnedies bereits festgestellte und in die Bewertung der MdE schon einbezogene Unfallfolge einer "grenzwertigen Durchblutung mit entsprechenden Belastungsbeschwerden" hinausweist und zur Zuerkennung einer höheren Gesamt - MdE als 30 v.H. führen müsste, ist hiernach auch für den Senat nicht feststellbar.
Ebenso wenig vermag sich der Senat dem Vortrag des Berufungsklägers anzuschließen, dass seine Beschwerden im Bereich der Wirbelsäule, namentlich im Bereich der Halswirbelsäule, auf den Unfall zurückzuführen seien. Soweit die Rentengutachten des Städtischen Klinik J., Dr. E., vom 21. Mai 1996 und 10. März 1997 Unfallfolgen hinsichtlich der Wirbelsäule in die Bewertung der unfallbedingten MdE nicht mit einbezogen haben, ist dies für den Senat bereits deshalb überzeugend, weil der Unfall nach den insoweit übereinstimmenden Feststellungen aller Ärzte nicht zu einer funktionalen Beinverkürzung geführt hat, sodass sich auch keine Anhaltspunkte für eine statische Fehlbelastung der Wirbelsäule im Wege eines Beckenschiefstandes ergeben.
Schließlich vermag der Senat auch keine unfallbedingte Verschlimmerung der vom Berufungskläger bereits vor dem Unfall geklagten psychosomatischen Beschwerden festzustellen. Der vom Sozialgericht ausgewertete Befundbericht des Dr. K. vom 18. November 1996 im Verfahren S 1 Vs 10263/96, auf dessen Erstellung sich derselbe Arzt auch noch in seinem Befundbericht vom 2. Dezember 1999 zum vorliegenden Aktenzeichen bezogen hat, erwähnt insoweit ausdrücklich ein gegenüber der Zeit vor dem Unfall unverändertes Beschwerdebild. Abgesehen davon, dass sich mithin schon eine tatsächliche Verschlechterung der Symptomatik in der Zeit nach dem Unfall nicht feststellen lässt, begegnet es danach auch keinen Bedenken, dass Dr. H. in seinem im schwerbehindertenrechtlichen Verfahren erstatteten Gutachten vom 20. November 1998 die psychosomatische Symptomatik insgesamt als unfallunabhängig gewürdigt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Ein Grund, gem. § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, besteht nicht.