Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 29.01.2003, Az.: L 9 U 373/00

Anerkennung von Wirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit; Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente; Aufgabe der Tätigkeit in vollem Umfang infolge der Erkrankung; Arbeitstechnische Voraussetzungen für eine Berufskrankheit

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
29.01.2003
Aktenzeichen
L 9 U 373/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 16542
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0129.L9U373.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hildesheim - AZ: S 11 U 182/99

Redaktioneller Leitsatz

Der Versicherungsfall einer Berufskrankheit ist nur dann eingetreten, wenn alle Tatbestandsmerkmale der betreffenden Nummer der Anlage zur BKVO erfüllt sind, wobei die BK Nr. 2110 der Anlage zur BKVO voraussetzt, dass die dort bezeichnete Wirbelsäulenerkrankung zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Berufungskläger begehrt die Anerkennung seiner Wirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2110 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) und die Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20 v. H. der Vollrente.

2

Der 1947 geborene Berufungskläger war von Januar 1981 bis zum 31. Januar 1999 als Kraftomnibusfahrer im Linienverkehr überwiegend im Stadtgebiet Salzgitter und Umland bei der D. mbH E. - KVG - in Vollzeit und ist seit dem 1. Februar 1999 bei der KVG in Teilzeit mit 80 Stunden monatlich beschäftigt.

3

Am 21. September 1998 begehrte der Berufungskläger bei der Berufungsbeklagten die Anerkennung seiner Wirbelsäulenbeschwerden als BK und wies darauf hin, dass er seit über 25 Jahren Lkw- und Busfahrer sei. Er habe starke Rücken- und Hüftbeschwerden. Seine Arbeitgeberin habe ihn über 3 1/2 Jahre mit einem defekten Sitz fahren lassen.

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Die Berufungsbeklagte holte das Vorerkrankungsverzeichnis der AOK, Salzgitter-Bad vom 24. November 1998 ein. Die Arbeitgeberin des Berufungsklägers, die KVG, zeigte am 14. Dezember 1998 bei der Berufungsbeklagten das Vorliegen einer BK an.

5

In dem Kurzerhebungsbogen zu den Berufskrankheiten Nr. 2108/2109 der BKVO vom 30. November 1998 beschrieb der Berufungskläger seine Tätigkeiten mit "Linienbusfahren 6 Tage die Woche mit wechselnden Fahrzeugen auf schlechten Straßen mit noch schlechteren Sitzen".

6

Die Berufungsbeklagte holte den Befundbericht des Orthopäden F. vom 10. Dezember 1998 ein. Dieser beschrieb den Röntgenbefund der Lendenwirbelsäule (LWS) in zwei Ebenen vom 26. Januar 1995 nebst Beckenübersicht: relativ gerader Wirbelsäulenaufbau, keine wesentliche Höhenminderung der Bandscheibenräume, geringe Osteochondrose und Spondylose. Am 4. Januar 1999 erfolgte die ärztliche Anzeige für eine BK durch den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. G ... Die Berufungsbeklagte holte den Befundbericht des Dr. G. vom 25. Dezember 1998 ein, der u.a. den an ihn gerichteten Arztbrief der Gemeinschaftspraxis für Neurochirurgie Dr. H. vom 18.06.1998 und den Entlassungsbericht der Parkklinik vom 2. Juli 1996 überreichte. Dr. H. führte in seinem Arztbrief u.a. aus, dass bei dem Berufungskläger eine chronische Lumboischialgie bei präsacraler Bandscheiben-Degeneration bestehe und der Berufungskläger für seine Berufstätigkeit als Busfahrer mit gewissen Einschränkungen arbeitsfähig sei. Die spinale Computertomographie und auch die Kernspintomographie zeigten ausweislich dieses Arztbriefes eine Dehydratation der Bandscheibe im Segment L5/S1 bei orthotoper Lage, knöchern regelrechte Weite des Spinalkanals, degenerative Knochenmarksveränderungen Typ II im Segment L5/S1. Aus dem Entlassungsbericht der Parkklinik ergibt sich als Diagnose u.a. ein LWS-Syndrom ohne wesentliche degenerative Veränderungen und ein HWS-Syndrom mit endgradigem Bewegungsschmerz und eine Periarthropathie des rechten Hüftgelenkes mit schonungsbedingter Muskelminderung am rechten Oberschenkel. Im Rahmen des organmedizinischen Aufnahmebefundes wies die Klinik auf eine deutliche Schiefhaltung der Wirbelsäule nach links mit Verschiebung des Kopflotes gegenüber dem Basislot um 4 cm nach links im Stand hin. Von der Parkklinik wurde der Berufungskläger als arbeitsfähig entlassen. Aus orthopädischer Sicht war nach der ärztlichen Einschätzung der Berufungskläger in der Lage, seine bisherige Tätigkeit als Busfahrer weiter auszuüben. Aus dem an Dr. G. gerichteten Arztbrief des Arztes für Orthopädie F. vom 26. Januar 1995 ergeben sich bei relativ geradem Wirbelsäulenaufbau keine wesentliche Höhenminderung der Bandscheibenräume bei geringer Osteochondrose und Spondylose. Die Berufungsbeklagte holte sodann den Krankheitsbericht bei Wirbelsäulenerkrankungen der Ärzte für Neurochirurgie I. vom 18. Dezember 1998 ein. Diese gaben als Röntgenbefund eine Hydratation der Bandscheiben L2/3 und L5/S1 bei orthotoper Lage, degenerative Knochenmarksveränderungen Typ II im Segment L5/S1 ohne intraspinale Raumforderungen an. Die Berufungsbeklagte holte die ärztliche Stellungnahme ihres beratenden Arztes, des Chirurgen Dr. J. vom 2. März 1999 ein. Dieser diagnostizierte eine Wirbelsäulenerkrankung mit Fehlanlage des Wirbelbogens S1, einen hyperlordotischen Knick bei L5/S1 mit mäßiger Höhenminderung des Zwischenwirbelraumes allein in diesem Bereich - die übrigen Zwischenwirbelräume waren von gleicher Höhe -. Unter Auswertung der Befunde ordnete Dr. J. die Wirbelsäulenerkrankung des Berufungsklägers als anlagebedingte Fehlhaltung zu. Eine berufsbedingte Bandscheibenerkrankung sei nicht wahrscheinlich. Die Berufungsbeklagte holte die gewerbeärztliche Stellungnahme des Dr. K., Niedersächsisches Landesamt für Ökologie, vom 26. April 1999 ein. Mit Bescheid vom 9. Juni 1999 lehnte die Berufungsbeklagte die Entschädigungsleistungen mit der Begründung ab, dass eine BK nach Nr. 2110 der Anlage zur BKVO nicht vorliege. Nach der eingeholten Stellungnahme nach Aktenlage des Dr. J. vom 2. März 1999 ergäben sich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines berufsbedingten Bandscheibenschadens. Das hiergegen gerichtete Widerspruchsverfahren war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 22. November 1999).

7

Hiergegen hat der Berufungskläger am 24. Dezember 1999 Klage beim Sozialgericht (SG) Hildesheim erhoben und auf seine eindeutig vorliegende Bandscheibenerkrankung hingewiesen, die ausschließlich auf seine berufliche Tätigkeit als Kraftfahrer zurückzuführen sei.

8

Die Berufungsbeklagte hat in Ergänzung zu den angefochtenen Bescheiden unter Bezugnahme auf die eingereichten Stellungnahmen ihres Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 7. Februar, 11. April und 23. Mai 2000 insbesondere ausgeführt, dass auch die arbeitstechnischen Voraussetzungen für das Vorliegen der genannten BK nicht gegeben seien.

9

Mit Gerichtsbescheid vom 24. Juli 2000 hat das SG die Klage abgewiesen, weil die beim Berufungskläger bestehenden Lendenwirbelsäulenbeschwerden keine BK nach der Nr. 2110 der Anlage 1 zur BKVO darstellen würden und der Berufungskläger deshalb auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente gegen die Berufungsbeklagte habe. Auf die weiteren Entscheidungsgründe des SG wird Bezug genommen.

10

Gegen diesen ihm am 3. August 2000 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Berufungskläger am 4. September 2000, einem Montag, Berufung beim SG Hildesheim eingelegt, mit welcher er sein Begehren weiter verfolgt. Zur Begründung hat er insbesondere ausgeführt: Wenigstens 3 1/2 Jahre habe er mit einem defekten Fahrersitz fahren müssen. Auch habe es sich auf seinen Fahrstrecken um schlechte Straßen mit Unebenheiten und Schlaglöchern gehandelt. Es hätten der Berechnung des TAD sowohl der defekte Sitz und als auch schlechte Fahrbahnen zugrunde gelegt werden müssen. Seine Wirbelsäulenbeschwerden habe er sich durch die jahrelange Tätigkeit als Busfahrer mit defektem Sitz auf schlechten Fahrbahnen zugezogen. Ab Februar 1999 habe er aufgrund seiner Erkrankung Bereitschaftsdienst mit nur kurzfristigen Einsätzen ausgeübt, nachdem er bis einschließlich Dezember 1998 einen Bus mit dem beschriebenen defekten Sitz gefahren habe. Seine reine tägliche Lenkzeit habe nicht nur - wie von der Berufungsbeklagten angenommen - 3 Stunden und 40 Minuten betragen. Vielmehr habe auf seinen Buslinien die durchschnittliche Lenkzeit 6,48 Stunden täglich betragen. Er sei auch dauerhaft mit defekten Sitzen gefahren. Auch in dem Zeitraum von Januar 1982 bis Dezember 1991 seien die Sitze ausgeleiert gewesen und hätten nicht mehr eingestellt werden können.

11

Der Berufungskläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

  1. 1.

    den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Hildesheim vom 24. Juli 2000 und den Bescheid der Beklagten vom 9. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 1999 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, die bei dem Kläger bestehenden Lendenwirbelsäulenbeschwerden als Berufskrankheit nach der Nr. 2110 der Anlage zur BKVO festzustellen,

  3. 3.

    die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger eine Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE - von mindestens 20 v.H. der Vollrente zu gewähren.

12

Die Berufungsbeklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

13

Zur Begründung beruft sich die Berufungsbeklagte auf den Gerichtsbescheid des SG und auf die angefochtenen Bescheide und trägt ergänzend vor: Aufgrund der Ausführungen der L. Braunschweig sei eine weitere Belastungsanalyse erstellt worden. Auch danach sei der Berufungskläger während der angeschuldigten Tätigkeit keiner schädigenden Einwirkung i.S.d. Nr. 2110 der Anlage zur BKVO ausgesetzt gewesen. In den von dem Berufungskläger vorgelegten Fahr- und Dienstplänen ergebe sich bezüglich der von diesem behaupteten reinen Lenkzeiten u.a., dass der Halt pro Haltestelle sowie die Rot- und Ampelphasen nicht berücksichtigt seien. Aus den Unterlagen ergebe sich eine Wartezeit an den Endpunkten bis zu 31 Minuten. Aus den Zeugenaussagen vom 30. März 2001 bestätige sich, dass der Fahrersitz ab 1992 defekt gewesen sein könne, also zu einer Zeit, als die Beurteilungsschwingstärke KR deutlich unter 12,5 gelegen habe. Zur weiteren Begründung hat die Berufungsbeklagte Bezug genommen auf die überreichten Stellungnahmen bzw. Belastungsanalysen ihres TAD vom 7. Februar, 11. April, 23. Mai, 30.10.2000 und vom 18. April 2001.

14

Zur weiteren Ermittlung des Sachverhaltes hat der Senat durch seinen Berichterstatter in der nichtöffentlichen Sitzung vom 30. März 2001 als Zeugen die Busfahrer M. und N. vernommen. Hinsichtlich des Ergebnisses ihrer Aussagen wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift verwiesen. Außerdem hat der Senat die Auskünfte der L. Braunschweig vom 30. Oktober 2000, 18. Oktober 2001 und vom 29. Oktober 2001 eingeholt. Unter dem 30. Oktober 2000 teilte die Fa. KVG ausweislich des überreichten Teilzeit-Arbeitsvertrages vom 1. Februar 1999 mit, dass der Berufungskläger seit dem 1. Februar 1999 in Teilzeitarbeit als Omnibusfahrer dort tätig sei. Außerdem überreichte die KVG den Liniennetzplan Salzgitter, Kopien der Lohnzettel vom 1. Oktober bis zum 21. Oktober 2001, aus denen die tägliche Schichtzeit ersichtlich ist, Kopie des Dienstes 48, den der Berufungskläger vom 15. Oktober bis 18. Oktober 2001 gefahren hatte, und eine Liste der tatsächlich geleisteten monatlichen Arbeitsstunden, Urlaubstage und Krankheitstage des Berufungsklägers seit dem 1. Februar 1999.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Prozessakten des ersten und zweiten Rechtszuges und auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Berufungsbeklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

16

Gem. §§ 155 Abs. 4, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat der Senat durch seinen Berichterstatter als Einzelrichter im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden.

17

Die zulässige, insbesondere rechtzeitig eingelegte Berufung ist nicht begründet. Der Berufungskläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Berufungsbeklagte die bei ihm im Bereich der Lendenwirbelsäule bestehenden Gesundheitsstörungen als Folge einer BK nach Nr. 2110 der Anlage zur BKVO feststellt und ihm eine Verletztenrente gewährt. Das SG hat insoweit zutreffend erkannt, dass der Berufungskläger keinen Anspruch auf Anerkennung einer BK nach der Nr. 2110 der Anlage zur BKVO und auch keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente hat. Der Bescheid der Berufungsbeklagten vom 9. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 1999 ist rechtmäßig und verletzt den Berufungskläger nicht in seinen Rechten.

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Der vom Berufungskläger verfolgte Anspruch richtet sich nach den mit Wirkung vom 1. Januar 1997 in Kraft getretenen Vorschriften des Sozialgesetzbuches (SGB) Siebtes Buch (VII) - Gesetzliche Unfallversicherung - vom 7. August 1996 (Bundesgesetzblatt I, S. 1254), weil die BK erst für einen Zeitpunkt nach dem Inkrafttreten des SGB VII am 1. Januar 1997 geltend gemacht wird (§ 212 SGB VII). Im Falle der BK 2110 tritt der Versicherungsfall ein, wenn alle versicherungs-rechtlichen Voraussetzungen vorliegen. Dies wäre im Falle des Berufungsklägers der Fall gewesen im Zeitpunkt der Aufgabe seiner Berufstätigkeit - nach seinem eigenen Vortrag frühestens also Ende Januar 1999.

19

Nach § 7 Abs. 1 SGB VII sind Versicherungsfälle Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Berufskrankheiten sind gem. § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung wird gem. § 9 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als BK zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind; sie kann dabei bestimmen, dass die Krankheiten dann Berufskrankheiten sind, wenn sie durch Tätigkeiten in bestimmten Gefährdungsbereichen verursacht worden sind oder wenn sie zur Unterlassung aller Tätigkeiten geführt haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

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Eine solche Bezeichnung nimmt die BKVO mit den so genannten Listenkrankheiten vor. Nach Nr. 2110 der Anlage zur BKVO sind als BK bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule nach langjähriger vorwiegend vertikaler Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, geschützt. Für die Anerkennung der Entschädigung einer Erkrankung als BK nach Nr. 2110 der Anlage zur BKVO müssen hiernach zunächst Arbeitsbedingungen bestanden haben, bei denen die Wirbelsäule in einem für die Entstehung einer Wirbelsäulen-Erkrankung ausreichenden Maß vertikalen Ganzkörperschwingungen ausgesetzt gewesen ist (arbeitstechnische Voraussetzung). Darüber hinaus muss nach der BK 2110 der Anlage zur BKVO eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Wirbelsäule gegeben sein. Eine solche liegt nach der Rechtsprechung des Senats dann vor, wenn eine Bandscheibenerweichung (Diskose) vorliegt, die sich anhand einer im Röntgenbefund erkennbaren Höhenminderung eines Bandscheibenraumes objektivieren lässt (Senatsurteile vom 16.01.2001, L 9 U 263/01, vom 21. Februar 2001 - L 9/3 U 43/00 und vom 12. Dezember 2000 - L 9/3 U 83/00). Zusätzlich müssen ein zum Bildbefund klinischer Segmentbefund (provozierbarer Schmerz) und ein vermehrter Muskeltonus (Verspannung) hinzutreten. Subjektiv ist ein Schmerz durch die Bewegung erforderlich, fakultativ eine Entfaltungsstörung der Wirbelsäule und/oder eine Nervenwurzelreizung im betroffenen Segment. Letztlich muss das Tatbestandsmerkmal der Aufgabe aller Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule ursächlich waren oder sein können, erfüllt sein. Dies ist dann erfüllt, wenn alle in Nr. 2110 der Anlage zur BKVO benannten belastenden Tätigkeiten in vollem Umfang aufgegeben sind.

21

Das SG hat in seinem angefochtenen Gerichtsbescheid und die Berufungsbeklagte in den angefochtenen Bescheiden vom 9. Juni 1999 und 22. November 1999 im Einzelnen zutreffend ausgeführt, dass im Falle des Berufungsklägers eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Wirbelsäule i.S.d. BK 2110 der Anlage zur BKVO nicht vorliegt. Der Senat nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen gem. § 153 Abs. 1 und 2 SGG auf die Gründe des angefochtenen Gerichtsbescheides und der angefochtenen Bescheide Bezug.

22

Neue Gesichtspunkte, die zu einer abweichenden Entscheidung zugunsten des Berufungsklägers führen könnten, sind im Berufungsverfahren nicht zutage getreten.

23

Dass im Falle des Berufungsklägers keine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen (Nr. 2110) vorliegt, ergibt sich aus den zahlreichen vorliegenden Befundunterlagen.

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In seiner ärztlichen Anzeige einer BK vom 4. Januar 1999 diagnostizierte Dr. G. einen Bandscheibenvorfall L 4/5 rechts. Ausweislich des an Dr. G. gerichteten Arztbriefes der Parkklinik vom 2. Juli 1996 ergaben sich bei Auswertung der Vorbefunde eine Spondylose und Osteochondrose L5/S1. Insbesondere wird in diesem Arztbericht auf die deutliche Schiefhaltung der Wirbelsäule nach links mit Verschiebung des Kopflotes gegenüber dem Basislot um 4 cm nach links hingewiesen. Auch wird im Rahmen der Diagnosestellung u.a. nicht nur ein LWS-Syndrom ohne wesentliche degenerative Veränderungen, sondern auch ein HWS-Syndrom mit endgradigem Bewegungsschmerz diagnostiziert. Insbesondere ausweislich des Arztbriefes des Arztes für Orthopädie F. vom 26. Januar 1995 ergibt sich, dass keine wesentliche Höhenminderung der Bandscheibenräume bei geringer Osteochondrose und Spondylose vorliegt. Auch diagnostiziert dieser Arzt neben einer Lumboischialgie eine Coxarthrose rechts. Auch der Orthopäde F. hat in seinem Befundbericht vom 10. Dezember 1998 im Rahmen der Röntgenbefundung keine wesentliche Höhenminderung der Bandscheibenräume bei lediglich geringer Osteochondrose und Spondylose festgestellt. Aus dem Arztbrief des Arztes für Neurochirurgie Dr. H. vom 18.06.1998 ergeben sich bei Auswertung der spinalen Computertomographie und der Kernspintomographie zwar eine Degeneration der Bandscheibe im Segment L5/S1 bei orthotoper Lage, eine knöchern regelrechte Weite des Spinalkanals, degenerative Knochenmarksveränderungen Typ II im Segment L5/S1. Zusammenfassend bezog Dr. H. jedoch die radikuläre Beschwerdesymptomatik auf die Alterationen im präsacralen Segment. In Auswertung der dem Chirurgen Dr. J. vorgelegten Röntgenaufnahmen der LWS des Berufungsklägers in zwei Ebenen vom 13. Januar 1999 ergibt sich dementsprechend eine Fehlanlage des Wirbelbogens S 1 und geringfügige bilaterale Kantenveränderungen an den unteren Lendenwirbelsäulen und ein hyperlordotischer Knick bei L5/S1 mit mäßiger Höhenminderung des Zwischenwirbelraumes. Im Übrigen sind jedoch nach Dr. J. nach Auswertung der Röntgenaufnahmen die übrigen Zwischenwirbelräume von gleicher Höhe. Auch nach den Ausführungen dieses medizinischen Sachverständigen sind diese Befunde einer anlagebedingten Fehlhaltung der Wirbelsäule des Berufungsklägers im Segment L5/S1 zuzuordnen, wie auch die von Dr. H. mitgeteilten CT-NRT-Befunde. Nach Auswertung der von der Berufungsbeklagten beigezogenen Befundunterlagen kommt Dr. J. zu dem zutreffenden Ergebnis, dass eine berufsbedingte Bandscheibenerkrankung im Falle des Berufungsklägers nicht wahrscheinlich ist. Die Beschwerden des Berufungsklägers im Bereich seiner Lendenwirbelsäule sind danach auf die bei ihm bestehende anlagebedingte Fehlhaltung der Lendenwirbelsäule zurückzuführen. Ein Bandscheibenschaden des Berufungsklägers ist nach Auswertung der vorliegenden Befundunterlagen nicht zu objektivieren.

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Ob im Falle des Berufungsklägers die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung der BK Nr. 2110 der Anlage zur BKVO vorliegen, kann dahingestellt bleiben. Letztlich ist für die Ablehnung der vom Berufungskläger begehrten Anerkennung der BK streitentscheidend, dass der Berufungskläger nicht - wie es Voraussetzung für die Feststellung dieser BK ist - das Tatbestandsmerkmal der Aufgabe aller Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule ursächlich waren oder sein könnten, erfüllt hat; denn der Berufungskläger hat nicht alle in Nr. 2110 der Anlage zur BKVO benannten belastenden Tätigkeiten in vollem Umfang aufgegeben.

26

Der Versicherungsfall einer BK ist eingetreten, wenn alle Tatbestandsmerkmale der betreffenden Nummer der Anlage zur BKVO erfüllt sind. Die BK Nr. 2110 der Anlage zur BKVO setzt u.a. voraus, dass die dort bezeichnete Wirbelsäulenerkrankung zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen hat, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Dies bedeutet, dass die Tätigkeit, die zu der Erkrankung geführt hat, aus arbeitsmedizinischen Gründen nicht mehr ausgeübt werden soll und der Versicherte die schädigende Tätigkeit und solche Tätigkeiten, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich sein können, tatsächlich objektiv aufgegeben hat (vgl. BSG Urt. v. 22. August 2000, Az.: B 2 U 34/99 R m.w.N.). Eine solche Tätigkeit ist jedoch nicht bereits dann aufgegeben, wenn diejenige Tätigkeit nicht mehr ausgeübt wird, welche die BK herbeigeführt oder verschlimmert hat. Dieses Merkmal erfüllt den Zweck, ein Verbleiben des Versicherten auf dem ihn gefährdenden Arbeitsplatz zu verhindern und dadurch eine Verschlimmerung der Krankheit mit der Folge einer erhöhten Entschädigungsleistung zu verhüten (BSG a.a.O.). Demzufolge ist für die Erfüllung dieses Tatbestandsmerkmales zu fordern, dass die darin genannten belastenden Tätigkeiten, nämlich berufliche Belastungen durch (vorwiegend vertikale) Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen durch seine Tätigkeit als Kraftomnibusfahrer, in vollem Umfang aufgegeben sein müssen (vgl. BSG a.a.O.).

27

Dies ist im vorliegenden Fall indes nicht der Fall. Der Berufungskläger hat zwar seine Tätigkeit als Kraftomnibusfahrer in Vollzeit mit Wirkung vom 31. Januar 1999 aufgegeben. Seit dem 1. Februar 1999 ist der Berufungskläger jedoch noch in Teilzeitarbeit als Omnibusfahrer bei der KVG mbH Braunschweig beschäftigt. Ausweislich des Teilzeit-Arbeitsvertrages vom 1. Februar 1999 ist er nach wie vor als Omnibusfahrer eingestellt und verpflichtet, alle in diesem Rahmen anfallenden Tätigkeiten zu verrichten. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit des Berufungsklägers beträgt ausweislich des Teilzeit-Arbeitsvertrages die Hälfte der in § 5 Abs. 1 des jeweils gültigen Rahmentarifvertrages festgelegten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit. Ausweislich der Lohnzettel für Fahrdienst der KVG vom 1. 10. bis zum 21.10.2001 ergeben sich tägliche Schichtzeiten zwischen 3 Stunden und 6 Stunden und 50 Minuten. Überwiegend hat er in diesem Zeitraum eine tägliche Arbeitszeit von über 4 Stunden absolviert. Die tatsächlich geleisteten monatlichen Arbeitsstunden unter Berücksichtigung von Urlaubs- und Krankheitstagen ergeben jedenfalls monatlich über 80 Arbeitsstunden. Auch hat der Arbeitgeber des Berufungsklägers mit Schreiben vom 29. Oktober 2001 bestätigt, dass der Berufungskläger auf dem gesamten Liniennetzplan Salzgitter als Omnibusfahrer eingesetzt werden kann und dass sich der jeweilige Einsatz nach einem gesonderten Dienstplan regelt. Ausweislich des von seinem Arbeitgeber überreichten Dienstplanes vom 28. Februar 2001 ist der Berufungskläger z.B. an diesem Tag von Salzgitter-Lebenstedt, Kranichdamm nach Salzgitter-AG, Walzwerk 3-Ost und nach einer Leerfahrt die Strecke Salzgitter-Beddingen, Ort, nach Wolfenbüttel-Kornmarkt und zurück nach Salzgitter-Lebenstedt, Albert-Schweitzer-Straße gefahren. Seine Arbeitszeit betrug an diesem Tage von 6.40 Uhr bis 9.35 Uhr bei einer tatsächlichen Lenkzeit von 2 Stunden und 10 Minuten. Danach steht eindeutig fest, dass der Berufungskläger die in der BK Nr. 2110 der Anlage zur BKVO genannten belastenden Tätigkeiten nicht in vollem Umfang aufgegeben hat, so dass bereits aus diesem Grund die Voraussetzungen für die Feststellung der BK Nr. 2110 der Anlage zur BKVO von der Berufungsbeklagten zutreffend abgelehnt worden sind.

28

Demzufolge steht dem Berufungskläger auch kein Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente zu.Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.Gesetzliche Gründe gem. § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG haben nicht vorgelegen.