Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 16.01.2003, Az.: L 6 U 294/02
Anerkennung von Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) als Berufskrankheit (BK); Anscheinsbeweis der beruflichen Verursachung einer Krankheit
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 16.01.2003
- Aktenzeichen
- L 6 U 294/02
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 19974
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0116.L6U294.02.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Aurich - 11.04.2002 - AZ: S 3 U 86/00
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Aurich vom 11. April 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Anerkennung von Gesundheitsstörungen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) als Berufskrankheit (BK) Nr. 2108 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) und Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Der 1947 geborene Kläger war von 1961 bis 1999 als Kfz-Mechaniker beschäftigt. 1983 traten Beschwerden an der LWS auf. Seit 1988 war er wiederholt wegen Rückenbeschwerden arbeitsunfähig erkrankt. Am 3. März 1999 wurde kernspintomographisch ein Bandscheibenvorfall L4/5 festgestellt, seit dem 3. Juni 1999 war der Kläger arbeitsunfähig, seit dem 1. März 2000 erhält er Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Am 29. Juni 1999 erstattete die AOK C. eine BK-Anzeige. Die Beklagte holte die Stellungnahme des TAD vom 11. Oktober 1999 mit ergänzender Stellungnahme vom 26. Januar 2000 ein; nach der Beurteilung von Dr. D. und Dipl.-Ing. E. lag auf Grund der geringen Häufigkeit des Hebens und Tragens schwerer Lasten eine bk-relevante Exposition nicht vor. Außerdem holte die Beklagte den Bericht des den Kläger behandelnden Arztes Dr. F. vom 8. Dezember 1999 ein sowie die Aufstellung der AOK C. über Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers. Mit Bescheid vom 4. Mai 2000 lehnte die Beklagte einen Entschädigungsanspruch mit der Begründung ab, die arbeitstechnischen Voraussetzungen für eine BK Nr. 2108 seien nicht erfüllt (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 2000).
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Aurich hat das SG das Gutachten von Dr. G. vom 4. Februar 2002 eingeholt. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, das ein Zusammenhang zwischen der Gesundheitsschädigung im Bereich der LWS und der beruflichen Tätigkeit als Kfz-Mechaniker nicht wahrscheinlich sei, weil eine der Altersnorm im Wesentlichen vorauseilende Schädigung der Bandscheibenräume an der LWS mit belastungs-adaptiven Reaktionen an den Grund- und Deckplatten i.S. einer sog. Linksverschiebung nicht nachweisbar sei. Das SG hat sich der Bewertung des Sachverständigen angeschlossen und die Klage mit Gerichtsbescheid vom 11. April 2002 abgewiesen.
Gegen diesen am 13. Mai 2002 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 11. Juni 2002 Berufung eingelegt und zur Begründung auf die jahrelange schwere Hebetätigkeit hingewiesen.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
- 1.
den Gerichtsbescheid des SG Aurich vom 11. April 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2000 aufzuheben,
- 2.
festzustellen, dass seine LWS-Beschwerden Folgen einer BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV sind,
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, ihm Entschädigungsleistungen, insbesondere eine Verletztenrente in Höhe von mindestens 20 v.H. der Vollrente zu zahlen.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Aurich vom 11. April 2002 zurückzuweisen.
Die Beklagte hält den Gerichtsbescheid des SG und ihre Bescheide für zutreffend.
Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte Bezug genommen. Der Entscheidungsfindung haben die Verwaltungsakten der Beklagten zu Grunde gelegen.
Entscheidungsgründe
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig, sie ist jedoch unbegründet. Denn das SG und die Beklagte haben zu Recht einen Anspruch des Klägers auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung verneint. Auch der Senat vermag nicht festzustellen, dass beim Kläger eine BK Nr. 2108 der Anlage zur BKV vorliegt.
Der Senat musste nicht aufklären, ob die berufliche Tätigkeit des Klägers als Kfz-Mechaniker im Zeitraum von 1961 bis 1999 geeignet war, bandscheibenbedingte LWS-Schäden zu verursachen. Allerdings bestehen daran angesichts der vom TAD der Beklagten ermittelten Belastungen durch Heben und Tragen schwerer Lasten erhebliche Zweifel. Selbst wenn jedoch das Vorliegen der sog. arbeits-technischen Voraussetzungen angenommen wird, kann eine BK Nr. 2108 nicht anerkannt werden, weil aus medizinischer Sicht hinreichende Gründe gegen eine berufliche (Mit)Verursachung einer bandscheibenbedingten Erkrankung vorliegen, sodass ein ursächlicher Zusammenhang der Gesundheitsstörungen im Bereich der LWS mit der Berufstätigkeit des Klägers nicht wahrscheinlich ist. Beim Kläger bestand zwar nach den Feststellungen von Dr. G. zum Zeitpunkt der Aufgabe der belastenden Tätigkeit im Jahre 1999 eine ...bandscheibenbedingte Erkrankung" i.S.d. BK 2108 der Anlage zur BKV. Nach Auswertung der medizinischen Unterlagen lässt sich aber nicht wahrscheinlich machen, dass die Erkrankung des Klägers durch seine berufliche Tätigkeit wesentlich (mit)verursacht worden ist.
Allein das Vorliegen einer Krankheit der BK-Liste sowie einer beruflichen Exposition, die geeignet ist, diese Krankheit zu verursachen, begründen keinen Anscheinsbeweis und damit auch nicht die Wahrscheinlichkeit der beruflichen Verursachung, denn es gibt keinen gesicherten Erfahrungssatz, dass bei Vorliegen der sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen die bandscheibenbedingte Erkrankung beruflich verursacht ist (BSG, Urteil vom 18. November 1997 - 2 RU 48/96 - , SGb 1999, 39). Der Grund dafür liegt darin, dass bandscheibenbedingte Erkrankungen auf einem Bündel von Ursachen (...multifaktorielles Geschehen") beruhen. Aus der Vielfalt der Verursachungsmöglichkeiten folgt, dass sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen bandscheibenbedingter Erkrankung und beruflicher Belastung nur anhand zusätzlicher Merkmale begründen lässt.
Es handelt sich dabei - darauf hat Dr. G. hingewiesen - um dem Lebensalter vorauseilende Osteochondrosen (sklerotische Verdichtungen an den Deck- und Grundplatten der Wirbelkörper und im Bereich der Zwischenwirbelräume) bevorzugt an der unteren LWS und Spondylosen (knöcherne Ausziehungen an den Deck- und Tragplatten) insbesondere an den oberen LWS-Segmenten.
Nach Auswertung der vorliegenden medizinischen Unterlagen lässt sich ein solches - durch überdurchschnittliche berufliche Belastungen entstandenes - charakteristisches Verteilungsmuster nicht erkennen. Auf den von Dr. G. ausgewerteten Röntgen-Bildern und den kernspintomographischen Aufnahmen der LWS zeigen sich lediglich einige Veränderungen im Segment L2/3 (geringgradige Sklerosierungsverdichtungen der Wirbelkörper mit begleitender initialer ventraler Spondylophytenbildung) und ein Bandscheibenvorfall im Segment L4/5 ohne begleitende reaktive Veränderungen an den Grund- und Deckplatten bzw. Zwischenwirbelräumen. Dr. G. hat zudem darauf hingewiesen, dass im Segment L2/3 eine auf belastungsadaptive Veränderungen beruhende Spondylosis deformans ausgeschlossen werden könne.
Da sich eine BK nicht feststellen lässt, hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Entschädigungsleistungen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.