Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 21.01.2003, Az.: L 9 U 385/00

Anspruch auf eine Verletztenrente nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung; Umgang mit im Verwaltungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten bei der Beweiswürdigung ; Einstufung einer Verletzung nach dem von Erdmann entwickelten Schema

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
21.01.2003
Aktenzeichen
L 9 U 385/00
Entscheidungsform
Endurteil
Referenz
WKRS 2003, 21113
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0121.L9U385.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
Sozialgericht Stade - AZ: S 7 U 182/99

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die im Verwaltungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten sind bei der Beweiswürdigung mit zu berücksichtigen. Sie werden nicht dadurch, dass sie von einer Pozesspartei eingeholt wurden, zu beweisuntauglichen Parteigutachten. Solche Gutachten können vielmehr im Wege des Urkundsbeweises verwertet werden und sogar alleinige Grundlage der gerichtlichen Entscheidung sein.

  2. 2.

    Die Einstufung einer Verletzung als Beschleunigungsverletzung nach der Stufe I des von Erdmann erstellten Schemas beinhaltet gerade, dass die Verletzung als eher leicht und bald abklingend einzustufen ist.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um Unfallfolgen sowie um den Anspruch der Berufungsklägerin auf eine Verletztenrente nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung.

2

Die 1952 geborene Berufungsklägerin, die selbstständige Masseurin ist, erlitt in Ausübung einer Nebenbeschäftigung als Taxifahrerin am 24. Februar 1998 einen Verkehrsunfall. Hierbei prallte sie frontal mit einem entgegenkommenden Fahrzeug zusammen.

3

In der Folge wurde sie bis zum 9. März 1998 im Kreiskrankenhaus D. stationär behandelt. Im Durchgangsarztbericht des Chirurgen E. vom 24. Februar 1998 heißt es, bei einer umfangreichen Röntgenuntersuchung der Berufungsklägerin sei kein Anhalt für knöcherne Traumafolgen in der Halswirbelsäule und im rechten Knie gefunden worden. In einem beigefügten Ergänzungsbericht hinsichtlich der Knieverletzungen wird von einem Zustand nach Arthroskopie an dem geschädigten Knie in den achtziger Jahren berichtet. In einem weiteren Zwischenbericht des Kreiskrankenhauses D. heißt es, die Berufungsklägerin sei am 12. März 1998 erneut stationär aufgenommen worden, da es wieder zu Kniegelenksbeschwerden rechts gekommen sei. In einem weiteren Zwischenbericht teilt das Kreiskrankenhaus D. unter dem 24. März 1998 mit, bei einer dia-gnostischen Arthroskopie am 12. März 1998 sei eine Knorpelglättung vorgenommen worden. Histologisch habe sich eine degenerative Knorpelschädigung ergeben. Die behandelnden Ärzte sahen keinen Unfallzusammenhang. Unter dem 2. Juni 1998 berichtete der Neurologe Dr. F., die Berufungsklägerin sei ihm zuvor nicht bekannt gewesen. Sie sei erstmals im April 1998 in seiner Praxis gewesen. Jetzt lägen Spätfolgen einer HWS-Distorsion vor. Weiter äußerte Dr. F. einen Verdacht auf eine funktionelle Überlagerung. Sodann wurde ein Bericht des Dr. G. vom 29. Juli 1998 zum Verwaltungsvorgang gereicht. An diesen hatte sich die Berufungsklägerin wegen andauernder Kniebeschwerden gewandt. Nach erneuter Arthroskopie berichtete Dr. G., es liege kein Unfallzusammenhang vor. Die Beschwerden der Berufungsklägerin seien auf eine Arthrose zurückzuführen. Die Berufungsbeklagte veranlasste Zusammenhangsbegutachtungen durch den Neurologen Dr. H. (vom 21. August 1998), den Unfallchirurgen Dr. I. (vom 2. September 1998 nebst ergänzender Stellungnahme vom 4. Januar 1999) und die Radiologin Dr. J. (vom 22. September 1998). Sodann lehnte die Berufungsbeklagte unter Bezugnahme auf die erstatteten Gutachten mit Bescheid vom 11. Februar 1999 die Anerkennung bleibender Unfallfolgen ab.

4

Auf den Widerspruch der Berufungsklägerin veranlasste die Berufungsbeklagte eine ergänzende Stellungnahme von Dr. H. (vom 2. Juli 1999) und wies sodann mit Widerspruchsbescheid vom 21. September 1999 den Widerspruch zurück.

5

Die mit Schriftsatz vom 22. Oktober 1999 erhobene Klage ist mit Gerichtsbescheid des Sozialgerichts (SG) Stade vom 14. August 2000 zurückgewiesen worden. Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, durch die vorliegenden Gutachten sei erwiesen, dass die nunmehr bei der Berufungsklägerin noch vorliegenden Gesundheitsschäden nicht auf das Unfallereignis zurückzuführen seien.

6

Gegen den dem Prozessbevollmächtigten der Berufungsklägerin am 18. August 2000 zugestellten Gerichtsbescheid ist am 15. September 2000 Berufung eingelegt worden.

7

Die Berufungsklägerin ist der Auffassung, sowohl ihre Beschwerden seitens der Halswirbelsäule als auch das nunmehr noch vorliegende Streckdefizit im rechten Knie seien auf das Unfallereignis zurückzuführen. Daher habe sie Anspruch auf Zuerkennung einer Verletztenrente.

8

Die Berufungsklägerin beantragt,

  1. 1.

    den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 14. August 2000 sowie den Bescheid der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen vom 11. Februar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. September 1999 aufzuheben,

  2. 2.

    die Berufungsbeklagte zu verurteilen, ein Streckdefizit im rechten Knie sowie anhaltende Halswirbelsäulenbeschwerden als Unfallfolgen anzuerkennen,

  3. 3.

    die Berufungsbeklagte zu verurteilen, der Berufungsklägerin eine Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zuzuerkennen.

9

Die Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

10

Zur Begründung bezieht sie sich auf ihre angefochtenen Bescheide und den erstinstanzlichen Gerichtsbescheid.

11

Zur weiteren Ergänzung des Sachverhaltes hat die Berufungsklägerin ein Gutachten des Orthopäden Priv.-Doz. Dr. K. für das Landgericht Stade vom 22. Juni 2000 vorgelegt. Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Berufungsbeklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

13

Das SG hat zutreffend erkannt, dass keine weiteren Unfallfolgen festzustellen sind und die Berufungsklägerin keinen Anspruch auf Zuerkennung einer Verletztenrente nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung hat. Es ist hierbei von den richtigen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen ausgegangen und hat mit nachvollziehbaren Erwägungen und zutreffend seine Entscheidung begründet. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Entscheidungsgründe des Gerichtsbescheides vom 14. August 2000 Bezug genommen, § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

14

Im Berufungsverfahren sind wesentliche neue Gesichtspunkte nicht zu Tage getreten.

15

Die Berufungsklägerin kann sich insbesondere nicht auf das von ihr vorgelegte Gutachten des Priv.-Doz. Dr. K. vom 22. Juni 2000 beziehen. Dieses Gutachten hat nämlich im Wesentlichen nicht den Inhalt, den die Berufungsklägerin ihm beimisst.

16

Generell ist insoweit zunächst darauf hinzuweisen, dass die im Verwaltungsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten bei der Beweiswürdigung mit zu berücksichtigen sind. Sie werden nicht dadurch, dass sie vom Berufungsbeklagten eingeholt wurden, zu beweisuntauglichen Parteigutachten (vgl BSG SozR § 118 SGG Nr. 3; Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, § 118 Rdnr 12b). Solche Gutachten können vielmehr im Wege des Urkundsbeweises verwertet werden und nach der Rechtsprechung des BSG, der der erkennende Senat in ständiger Spruchpraxis folgt, sogar alleinige Grundlage der gerichtlichen Entscheidung sein (BSG SozR § 128 SGG Nr. 66; BSG Urteil vom 8. Dezember 1988 - 2/9 b RU 66/87 -). Daher geht der Hinweis des Prozessbevollmächtigten der Berufungsklägerin fehl, dem Gutachten von Priv.-Doz. Dr. K. komme schon deswegen höhere Glaubwürdigkeit zu, weil dieser nicht für die Berufungsbeklagte begutachtet habe.

17

Zudem hat Priv.-Doz. Dr. K. gerade nicht - wie der Prozessbevollmächtigte der Berufungsklägerin vorträgt - festgestellt, dass die vorgenommene Teilentfernung des Meniscus unfallbedingt war. Die teilweise Meniscusentfernung ist von Herrn Dr. G. im August 1998 durchgeführt worden. Insoweit hält auch Priv.-Doz. Dr. K. auf S. 13 seines Gutachtens ausdrücklich fest, dass dies als unfallunabhängig anzusehen ist. Priv.-Doz. Dr. K. hat - in Übereinstimmung mit den zuvor gehörten und den behandelnden Medizinern - im Lauf des Gutachtens auch mehrfach darauf hingewiesen, dass ein Vorschaden am Knie der Berufungsklägerin vorgelegen habe. Damit ist gleichzeitig festgestellt, dass die Kniebeschwerden zu diesem Zeitpunkt nicht mehr unfallbedingt waren.

18

Zudem hat Priv.-Doz. Dr. K. auch nicht - wie der Prozessbevollmächtigte der Berufungsklägerin vorträgt - festgestellt, dass Bandscheibenvorfälle in der Halswirbelsäule der Berufungsklägerin auf das angeschuldigte Unfallereignis zurückzuführen seien. Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass Priv.-Doz. Dr. K. bei der Berufungsklägerin keine Bandscheibenvorfälle an der Halswirbelsäule diagnostiziert hat (vgl. die Befundung der Röntgenaufnahmen auf S. 9 des Gutachtens). Zudem hat der Sachverständige die insoweit erlittene Verletzung als Beschleunigungsverletzung nach der Stufe I des von Erdmann erstellten Schemas eingestuft. Dies beinhaltet aber gerade, dass die Verletzung als eher leicht und bald abklingend einzustufen ist (vgl. Schönberger / Mehrtens / Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Aufl., 1998. S. 517,519 f.). Hieraus kann also gerade nicht geschlossen werden, dass der Sachverständige die nunmehr noch vorliegenden Beschwerden als unfallbedingt einstufen wollte, zumal er ausdrücklich auf die zeitliche Limitierung hingewiesen hat.

19

Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von §§ 183, 193 SGG.

20

Anlass für die Zulassung der Revision besteht nicht, § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG.