Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 02.01.2003, Az.: L 12 RI 14/00

Zwangsweise Bergbau-Tätigkeit während des polnischen Wehrdienstes als wertgeminsderte Beitragszeit; Unterschiedliche Wertigkeit des gesetzlichen Grundwehrdienstes im Recht der Herkunftsländer

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
02.01.2003
Aktenzeichen
L 12 RI 14/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 13999
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0102.L12RI14.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Bremen - 22.11.1999 - S 11 RI 182/98

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 22. November 1999 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob eine in den Jahren 1955 und 1956 gelegene Zeit der zwangsweisen Bergbau-Tätigkeit während des polnischen Wehrdienstes als knappschaftliche Beitragszeit der Berechnung zugrunde zu legen ist.

2

Die Zeit des Wehrdienstes ist durch eine Militärbescheinigung für Wehrpflichtige aus dem Jahre 1956 wie folgt bescheinigt: 2. März 1955 eingezogen in die Militäreinheit 2576-Schützenkompanie, 3. April 1955 vereidigt, 6. April 1955 versetzt in die Militäreinheit 2654, 19. Januar 1956 versetzt in eine andere Einheit, 8. Mai 1956 Unfall unter Tage, 28. Juni 1956 als Rentner entlassen, 25. Juli 1956 in die Reserve versetzt entsprechend dem Beschluss der ärztlichen Kommission des Militärkrankenhauses.

3

Der am 21. Juli 1932 geborene Kläger bezieht nach dem Bescheid der Beklagten vom 26. Mai 1997 ab 1. August 1997 eine Regelaltersrente, nachdem er zuvor langjährig eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bezogen hatte. In dem Altersrenten-Bescheid sind u.a. die Zeiten vom 1. Januar bis 1. März 1955 als drei Monate Pflichtbeiträge mit Sachbezug, vom 1. April bis 1. Mai 1955 als ein Monat beitragsfreier Zeit wegen Festgehalten-Sein im Ausland, vom 2. Mai 1955 bis 30. Juni 1956 als vierzehn Monate Pflichtbeiträge bei Wehrdienst und ab 29. Juli 1956 als Pflichtbeitragszeit mit Sachbezug berücksichtigt. Die Zeiten der Pflichtbeiträge bei Wehrdienst sind wertmäßig mit 0,75 Entgeltpunkten pro Jahr (entsprechend 75% des Durchschnittseinkommens aller Versicherten) angerechnet worden.

4

Der Kläger legte hiergegen Widerspruch ein und machte geltend, die Zeit vom 2. März 1955 bis 28. Juli 1956 müsse als knappschaftliche Beitragszeit mit einem höheren Beitragswert berücksichtigt werden. Er gab an, seinerzeit neben der polnischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit besessen zu haben. Aus diesem Grunde sei er während seiner Wehrdienstzeit nicht eigentlich militärisch ausgebildet worden, sondern habe im Kohlenbergbau arbeiten müssen. Er habe während der Bergbauzeit tariflichen Lohn und tariflichen Urlaub bekommen. Aufgrund von Unfällen und Erkrankungen sei er von einer militärischen ärztlichen Garnisons-Kommission in Krakau als wehruntauglich entlassen worden.

5

Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 1998 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, bei der Berechnung der Regelaltersrente sei das zum Zeitpunkt des Rentenbeginns geltende Recht zugrunde zu legen. Nach dem Fremdrentengesetz (FRG), welches nach dem deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommen (DPSVA) anzuwenden sei, seien Zeiten des Wehrdienstes nach dem 8. Mai 1945 als Beitragszeiten anzurechnen. Zwar sei der Wehrdienst in Polen in den 50er Jahren häufig in Baubrigaden oder Bergbaubrigaden abgeleistet worden. Dennoch blieben diese Zeiten hinsichtlich ihrer Bewertung Wehrdienstzeiten. Eine Bewertung als knappschaftliche Zeiten könne nur erfolgen, wenn die Aufnahme der knappschaftlichen Beschäftigung bereits vor Einberufung zum Wehrdienst erfolgt oder tatsächlich knappschaftliche Beiträge zum polnischen Versicherungsträger aufgrund der Bergbaubeschäftigung gezahlt worden seien. Eine Rückfrage beim polnischen Versicherungsträger unter Beifügung der seitens des Klägers vorgelegten Unterlagen habe aber ergeben, dass die Zeit als Wehrdienstzeit und nicht als knappschaftliche Beschäftigungszeit anzurechnen sei.

6

Der Kläger hat am 22. Juli 1998 Klage beim Sozialgericht (SG) Bremen erhoben, mit der er seinen Anspruch weiter verfolgt hat.

7

Das SG Bremen hat die Klage mit Urteil vom 22. November 1999 abgewiesen. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, der Arbeitseinsatz im Bergbau sei während der Ableistung des gesetzlichen Wehrdienstes erfolgt. Auch wenn der polnische Versicherungsträger zunächst für die Zeit vom 6. April 1955 bis 19. Januar 1956 irrtümlich eine Wehrersatzzeit angegeben habe, sei durch die Bescheinigung der Landesversicherungsanstalt Berlin vom 12. Februar 1998 und die Militärbescheinigung für Wehrpflichtige klargestellt worden, dass ein regulärer Wehrdienst vorgelegen habe. Nach den gesetzlichen Vorschriften der §§ 15 Abs. 3 Satz 2, 22 Abs. 2 FRG, 256a Abs. 4 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) seien diese Zeiten den Beitragszeiten gleichgestellt und würden nach dem einheitlichen Wert von 0,75 Entgeltpunkten angerechnet. Die Zahlung von Lohn stehe dieser Einschätzung nicht entgegen, unabhängig davon, dass auf der seitens des Klägers vorgelegten Zahlkarte ein Lohnempfang nicht vermerkt sei.

8

Gegen dieses ihm am 9. März 2000 zugestellte Urteil hat der Kläger am 7. April 2000 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Bremen eingelegt. Er hat zwei Bescheinigungen der Wehrersatzkommandantur in Nysa vom 8. und 9. Mai 2000 und die Staatsangehörigkeitsurkunde vom 19. März 1956 eingereicht. Ferner hat er ein Schreiben des polnischen Ministeriums für Arbeit und Sozialpolitik vom 11. Januar 2002 zu den Akten gereicht, wonach nach polnischen Recht auch während des Wehrdienstes verrichtete Tätigkeiten im Bergbau der Rentenversicherungspflicht unterlägen hätten und als Zeit der Bergmannsbeschäftigung gewertet würden. Zur Begründung führt der Kläger aus, er sei zwangsweise zum Arbeitseinsatz in den Kohlebergwerken verpflichtet worden. Mit der Ausnahme, dass er keine Kündigungsmöglichkeiten gehabt habe, habe es sich um einen normalen Arbeitsvertrag mit Tariflohn und bezahlten tariflichen Urlaub gehandelt. Auch Rentenversicherungsbeiträge seien durch den Arbeitgeber abgeführt worden. Wehrsold habe er nur während der ersten vier Wochen erhalten, in denen er auf die bergmännische Tätigkeit vorbereitet worden sei. Hätte er eine solche Arbeit in der Bundesrepublik ausgeführt, hätte der Arbeitgeber knappschaftliche Rentenversicherungsbeiträge abgeführt.

9

Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 22. November 1999 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 26. Mai 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juni 1998 zu verurteilen, die Zeit vom 2. März 1955 bis 28. Juli 1956 als Beitragzeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung zu berücksichtigen.

10

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,

die Berufung zurückzuweisen.

11

Sie verweist zur Erwiderung auf ihr bisheriges Vorbringen und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils. Weiter führt sie aus, die nachgereichten Bescheinigungen bestätigten nicht, dass seinerzeit ein Arbeitseinsatz zur Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht ohne Einberufungsbefehl vorgelegen habe. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der deutschen Volkszugehörigkeit des Klägers, da auch diese Personen bei einer Entsendung zum Dienst in Bergbaubetriebe die Rechtsstellung eines Soldaten besessen hätten; nach deutschem Recht komme es nicht darauf an, ob für solche Tätigkeiten ein Entgelt gezahlt und Beiträge abgeführt worden seien.

12

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Gerichts ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

13

Das Gericht hat die Rentenakte der Beklagten - Vers.-Nr. 28 210732 K 009 - beigezogen. Der Inhalt dieser Akte und der Prozessakte des LSG Niedersachsen Bremen/SG Bremen - L 12 RI 14/00 (S 11 RJ 182/98) - ist zum Gegenstand der Beratung gemacht worden.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG Bremen hat die Klage zu Recht abgewiesen, da die Beklagte die betreffende Zeit in der dem Gesetz entsprechenden Weise berücksichtigt hat.

15

In den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils des SG Bremen ist ausführlich dargelegt, aufgrund welcher gesetzlichen Regelungen die fragliche Zeit nicht als echte (knappschaftliche) Beitragszeit, sondern als wertgeminderte Beitragszeit gelten muss. Auf diese Ausführungen kann zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen werden (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Das erkennende Gericht nimmt weiter Bezug auf die Entscheidungsgründe des den Beteiligten zur Kenntnis gebrachten Urteils des LSG Baden-Württemberg vom 31. August 1999 - L 13 RA 2159/98 -. Darin ist u.a. ausgeführt, nach § 15 Abs. 1 Satz 1 FRG stünden zwar Beitragszeiten, die bei einem nichtdeutschen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung zurückgelegt seien, den nach Bundesrecht zurückgelegten Beitragszeiten gleich. Die Regelung des § 15 Abs. 3 Satz 2 FRG stelle sich aber für die Fälle der Ableistung eines gesetzlichen Wehrdienstes als eine die allgemeine Regelung verdrängende Sonderregelung dar. Dies sei seitens des Gesetzgebers damit begründet worden, dass der gesetzliche Grundwehrdienst im Interesse der Gleichbehandlung der nach dem FRG anspruchsberechtigten Personen untereinander als Beitragszeit geregelt werden solle, da dieser im Recht der Herkunftsländer eine unterschiedliche Wertigkeit besitze. Unbeachtlich sei es, dass für die Zeit des Arbeitseinsatzes tatsächlich Beiträge zur polnischen Sozialversicherung abgeführt worden seien.

16

Aus dem oben Gesagten ergibt sich ferner, dass auch die Auskunft des polnischen Ministeriums für Arbeit und Sozialpolitik vom 11. Januar 2002 nicht zu einer abweichenden Auslegung der deutschen Rechtsvorschriften führen kann; die erwähnte Auskunft des Ministeriums bezieht sich ausschließlich auf die polnische Rechtslage, die im Rahmen der deutschen Rentenversicherung nicht maßgeblich ist.

17

Sofern die Beklagte den Monat März 1955 als Beitragszeit und die Zeit vom 1. April bis 1. Mai 1955 als Ersatzzeit der Rentenberechnung zugrunde gelegt hat, steht dies im Einklang mit dem Vorrang dieser Zeiten gegenüber den wertgeminderten Zeiten i.S.d. § 15 Abs. 3 S. 2 FRG (s. §§ 15 Abs. 1 FRG, 55 Abs. 1 und 54 Abs. 4 SGB VI) und ist im Übrigen vom Kläger auch inhaltlich nicht angegriffen worden.

18

Das Gericht konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

19

Die Berufung konnte nach alledem keinen Erfolg haben.

20

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

21

Für die Zulassung der Revision lag kein gesetzlicher Grund im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG vor.