Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 30.01.2003, Az.: L 8 AL 536/01
Anspruch auf Arbeitslosengeld nach Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit; Bedeutung eines Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld nach § 142 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) für das Stammrecht und die Rahmenfrist; Rückgriffsmöglichkeit auf einen noch nicht erschöpften Arbeitslosengeldanspruch; Vierjahreszeitraum in § 147 Abs. 2 SGB III als Ausschlussfrist; Voraussetzungen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs; Grenzen der Korrektur des Fehlverhaltens eines Leistungsträgers
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 30.01.2003
- Aktenzeichen
- L 8 AL 536/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 33845
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0130.L8AL536.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 19.10.2001 - AZ: S 9 AL 785/99
Rechtsgrundlagen
- Art. 3 Abs. 1 GG
- § 117 Abs. 1 Nr. 3 SGB III
- § 142 SGB III
- § 147 Abs. 2 SGB III
- § 105a Abs. 1 S. 1 AFG
- § 125 Abs. 2 AFG
- § 242 BGB
Fundstelle
- info also 2003, 249-254 (Volltext mit amtl. LS)
In dem Rechtsstreit
...
hat der 8. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen
ohne mündliche Verhandlung
am 30. Januar 2003 in Celle
durch
den Richter Scheider - Vorsitzender -,
den Richter Wimmer,
den Richter Valgolio sowie
die ehrenamtlichen Richter C. und D.
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 19. Oktober 2001 sowie der Bescheid der Beklagten vom 7. Juli 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 1999 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab dem 14. Juni 1999 Arbeitslosengeld zu bewilligen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld (Alg) nach Ausübung einer selbständigen Tätigkeit nicht mehr geltend gemacht werden kann.
Der im August 1946 geborene Kläger war seit dem 1. Januar 1990 bei der Firma F. beitragspflichtig beschäftigt. Das Beschäftigungsverhältnis endete aufgrund fristloser Kündigung des Arbeitgebers zum 31. Oktober 1994. Das folgende Kündigungsschutzverfahren endete durch gerichtlichen Vergleich vor dem Arbeitsgericht G. (ArbG) vom 26. Januar 1998, der auszugsweise folgenden Wortlaut hat:
1.
Die Parteien sind sich darüber einig, dass ihr Arbeitsverhältnis aufgrund fristgerechter betriebsbedingter Kündigung vom 26. Oktober 1994 zum 30. Juni 1995 geendet hat.2.
Die Beklagte verpflichtet sich, für den Zeitraum 1. November 1994 bis 30. Juni 1995 die vertragsgemäße Vergütung in Höhe von 7.850,00 DM brutto abzüglich der übergeleiteten Ansprüche auf Arbeitslosengeld für denselben Zeitraum an den Kläger zu zahlen, spätestens am 31. März 1998. Ein 13. Gehalt wird nicht gezahlt."
Eine Zahlung durch die Firma F. erfolgte nicht. Am 3. April 1998 wurde ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der Firma F. mangels Masse abgelehnt. Auf seinen am 29. April 1998 gestellten Antrag erhielt der Kläger für die Zeit vom 1. April bis 30. Juni 1995 Konkursausfallgeld (Kaug) nach einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von 7.850,00 DM in Höhe von insgesamt 13.976,82 DM.
Bereits am 28. Oktober 1994 hatte sich der Kläger mit Wirkung zum 1. November 1994 arbeitslos gemeldet. Aufgrund bestehender Arbeitsunfähigkeit erhielt er vom 1. November 1994 bis 26. Februar 1995 Krankengeld. Am 27. Februar 1995 meldete sich der Kläger erneut bei der Beklagten und beantragte Alg. Dieses wurde ihm mit Bescheid vom 14. März 1995 vorläufig für die Dauer von 429 Tagen nach einem der Beitragsbemessungsgrenze entsprechenden Bemessungsentgelt von 1.820,00 DM bewilligt.
Gegenüber der Firma F. machte die Beklagte einen Anspruchsübergang nach § 117 Abs. 4 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) wegen des für die Zeit vom 27. Februar bis 30. Juni 1995 gezahlten Alg geltend. Eine Erstattung erfolgte nicht. Wegen des Konkurses der Firma wurde die Forderung am 27. Mai 1998 niedergeschlagen (Bl 129 VA).
Am 1. September 1995 nahm der Kläger eine selbständige Tätigkeit als Buchhändler auf und meldete sich aus dem Leistungsbezug ab. Am 23. Juni 1998 sprach er persönlich bei der Beklagten vor und fragte nach der endgültigen Festsetzung der Alg-Bewilligung. Gemäß eines Beratungsvermerks (Bl 119 VA) sollte dem Kläger noch ein "abschließender rechtsbehelfsfähiger Änderungsbescheid" wegen der Anspruchsdauer (die wegen einer möglichen Sperrzeit um 1/4 gekürzt worden war) erteilt werden; dies geschah jedoch nicht, obwohl tatsächlich von der Beklagten der Eintritt einer Sperrzeit nicht festgestellt wurde.
In der Folgezeit blieben diverse Anfragen des Arbeitsamtes G. an das Arbeitsamt H. im Zusammenhang mit der Kaug-Bewilligung unbeantwortet (Bl 120-128 VA). Auf Bl 125 der Verwaltungsakten befindet unter einem Ausdruck aus den Bewerberdaten des Klägers vom 26. Oktober 1998 folgender Vermerk:
"Besteht der am 27.2.95 entstandene Anspruch noch (wie lange besteht der Anspruch) LE ist vom 01.09.95 - lfd. selbständig, wird Selbständigkeit vermutlich zum 01.01.99 aufgeben. Bitte schriftl. benachrichtigen."
Auch hierauf erfolgte keine Reaktion. Nach Angaben des Klägers sprach dieser im Januar 1999 erneut persönlich beim Arbeitsamt vor. Ein Sachbearbeiter habe den von ihm vorgelegten arbeitsgerichtlichen Vergleich angesehen und ihm mitgeteilt, dass er sich aufgrund des bis zum 30. Juni 1995 verlängerten Arbeitsverhältnisses ohne Verlust des Alg-Anspruchs bis Ende Juni 1999 arbeitslos melden könne.
Am 14. Juni 1999 meldete sich der Kläger daraufhin unter Beifügung einer Gewerbeabmeldung zum 19. Juni 1999 arbeitslos und beantragte die Weiterzahlung von Alg. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 6. Juli 1999 mit der Begründung abgelehnt, dass der Kläger seit seinem Antrag vom 27. Februar 1995 keinen erneuten Anspruch auf Alg erworben habe und auch kein Restanspruch aus einer früheren Anwartschaft bestehe. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 11. August 1999, übersandt an den Kläger am 31. August 1999).
Hiergegen hat der Kläger am 27. September 1999 Klage erhoben. Seines Erachtens sei der alte Anspruch nicht gemäß § 147 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) erloschen, da bei seiner erneuten Alg-Meldung seit dem durch arbeitsgerichtlichen Vergleich erstrittenen Ende seines Arbeitsverhältnisses am 30. Juni 1995 keine 4 Jahre vergangen gewesen seien. Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die Klage mit Urteil vom 19. Oktober 2001 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen auf die Verwaltungsentscheidung verwiesen.
Gegen das am 7. November 2001 zugestellte Urteil wendet sich der Kläger mit der am 6. Dezember 2001 eingelegten Berufung. Er macht ergänzend zu seinem bisherigen Vortrag geltend, dass er im Falle einer richtigen Beratung durch die Beklagte seine Buchhandlung bereits vor dem 27. Februar 1999 geschlossen hätte, zumal er aus gesundheitlichen Gründen ohnehin kürzer treten sollte. Er sei diabeteskrank und habe auf ärztlichen Rat bereits seit Ende 1998 versucht, einen Nachfolger für seine Buchhandlung zu finden. Er habe auf die Auskunft eines Mitarbeiters der Beklagten Anfang Februar 1999 vertraut, der ihm in Kenntnis des gesamten Vorganges mitgeteilt habe, dass er seinen Alg-Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis mit der Firma F. noch erhalten könne, wenn er sich bis 30. Juni 1999 erneut arbeitslos melde.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 19. Oktober 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 7. Juli 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. August 1999 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, ihm Arbeitslosengeld ab dem 14. Juni 1999 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Anspruch des Klägers auf Alg sei bereits am 27. Februar 1995 entstanden. Die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses (nicht des Beschäftigungsverhältnisses) bis zum 30. Juni 1995 ändere daran nichts. Die Alg-Gewährung bleibe rechtmäßig, wenn der Arbeitgeber im Falle einer - hier vorliegenden - "Gleichwohlgewährung" im Sinne von § 117 Abs. 4 AFG den auf die Beklagte übergegangenen Anspruch erstattet. Ein Herstellungsanspruch könne erfolgreich nicht geltend gemacht werden. Eine Falschauskunft ergebe sich aus den Akten nicht. Unabhängig davon könnten tatsächliche Gegebenheiten, wie die Beendigung einer selbständigen Tätigkeit nicht mit Hilfe eines Herstellungsanspruchs herbeigeführt werden.
Außer den Gerichtsakten lag ein Band Leistungsakten sowie ein Heft Kaug-Akten der Beklagten, jeweils den Kläger betreffend, vor. Sie waren Gegenstand des Verfahrens. Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der Beiakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat entscheidet mit Zustimmung der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Der erforderliche Wert des Beschwerdegegenstandes ist bei dem hier streitigen Leistungsanspruch von über einem Jahr erreicht (§§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG in der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden, hier weiterhin anzuwendenden Fassung). Die Berufung ist auch begründet. Der Anspruch des Klägers auf Alg ist nicht erloschen und kann von diesem weiter geltend gemacht werden. Da der Kläger auch die übrigen Voraussetzungen für den Bezug von Alg erfüllt, ist die Beklagte zur Weiterbewilligung ab dem 14. Juni 1999 zu verurteilen.
Der Kläger, der sich am 14. Juni 1999 bei der Beklagten arbeitslos gemeldet und Alg beantragt hat, war beschäftigungslos und suchte eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung. Die Voraussetzungen des § 117 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB III für einen Anspruch auf Alg sind damit gegeben. Streitig ist allein, ob der Kläger am 14. Juni 1999 eine neue Anwartschaftszeit im Sinne von § 117 Abs. 1 Nr. 3 SGB III erfüllt hatte oder Ansprüche aus der früheren Alg-Bewilligung herleiten konnte.
I.
Eine neue Anwartschaftszeit hat der Kläger nicht erfüllt. Voraussetzung hierfür wäre gemäß § 123 Satz 1 SGB III, dass er in der Rahmenfrist des § 124 SGB III mindestens zwölf Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis gestanden hat, wobei die Rahmenfrist nicht in eine vorangegangene Rahmenfrist hereinreichen darf, in der er eine Anwartschaftszeit erfüllt hatte. Der damals 48 Jahre alte Kläger hatte am 27. Februar 1995 die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von 572 Arbeitstagen Alg erfüllt, weil er in der insoweit maßgebenden bis zum 26. Februar 1995 laufenden Rahmenfrist mehr als 1320 Kalendertage in einer die Beitragspflicht begründenden Beschäftigung gestanden hatte (§§ 104, 106 des damals noch anzuwendenden AFG). Eine neue Rahmenfrist konnte damit erst am 27. Februar 1995 beginnen. In der Folgezeit hat der Kläger lediglich das durch den arbeitsgerichtlichen Vergleich bis zum 30. Juni 1995 verlängerte Arbeitsverhältnis mit der Firma I. aufzuweisen, also nicht die erforderlichen zwölf Monate Beitrags- bzw. Versicherungszeiten (vgl § 425 SGB III).
Eine Vorverlegung des Beginns der neuen Rahmenfrist ist nicht möglich. Zwar hatte sich der Kläger bereits am 28. Oktober 1994 mit Wirkung zum 1. November 1994 arbeitslos gemeldet, an diesem Tage lagen jedoch nicht alle für das Entstehen eines Alg-Anspruchs erforderlichen Voraussetzungen des § 100 AFG vor. Unbeachtlich ist, dass ein Alg-Anspruch des Klägers vom 1. November 1994 bis zum 26. Februar 1995 wegen des Bezuges von Krankengeld geruht hätte. Das Ruhen gemäß § 142 SGB III führt zu einer Zahlungssperre, berührt aber nicht das Stammrecht oder die Rahmenfrist (Hünecke in Gagel, SGB III § 142 RdNr. 16; BSG - Bundessozialgericht -, Urteil vom 9. August 1990 - 11 RAr 141/88 - SozR 3-4100 § 105a Nr. 2). Der Kläger stand jedoch während seiner Arbeitsunfähigkeit der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung (§ 103 Abs. 1 Satz 1 AFG), er konnte und wollte in dieser Zeit aus Krankheitsgründen nicht vermittelt werden. Seine Vermittlungsfähigkeit ist nicht gemäß § 105a Abs. 1 Satz 1 AFG zu fingieren, weil es sich bei der Arbeitsunfähigkeit des Klägers nur um eine vorübergehende Minderung seiner Leistungsfähigkeit handelte (vgl auch hierzu BSG vom 9. August 1990, a.a.O.). Im Übrigen lägen bis zum 30. Juni 1995 ohnehin nur acht Monate und damit nicht die erforderlichen zwölf Monate Beitrags- bzw. Versicherungszeiten vor.
II.
In Ansehung des § 147 Abs. 2 SGB III kann der Kläger nicht auf seinen noch nicht erschöpften Alg-Anspruch zurückgreifen (s. hierzu aber unten V.). Nach § 147 Abs. 2 SGB III kann ein Anspruch auf Alg nicht mehr geltend gemacht werden, wenn nach seiner Entstehung vier Jahre verstrichen sind. Auch hier setzt das Entstehen des Anspruchs voraus, dass alle Voraussetzungen erfüllt waren. Der Alg-Restanspruch des Klägers von 396 Arbeitstagen entsprechend 462 Kalendertagen (§ 427 Abs. 4 SGB III) war am 27. Februar 1995 entstanden (s.o.), die vier Jahre mit Ablauf des 27. Februar 1999 verstrichen. Tatsächlich hat sich der Kläger erst am 14. Juni 1999 und damit nach Ablauf der vier Jahre bei der Beklagten gemeldet und die Zahlung von Alg beantragt.
II.1.
An der Entstehung des alten Alg-Anspruchs am 27. Februar 1995 hat sich durch den arbeitsgerichtlichen Vergleich und die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses bis zum 30. Juni 1995 nichts geändert. Die Arbeitslosigkeit des Klägers ist dessen ungeachtet mit dem Ende seines (leistungsrechtlichen) Beschäftigungsverhältnisses eingetreten (vgl BSG, Urteil vom 29. September 1987 - 7 RAr 59/86 -, SozR 4100 § 117 Nr. 20). Der Senat lässt offen, ob dies auch für die Fälle gilt, in denen der Bundesanstalt für Arbeit das gleichwohl gewährte Alg vom Arbeitgeber gemäß § 115 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) erstattet wurde (vgl hierzu Valgolio in Hauck/Noftz, SGB III, § 124 RdNr. 8 sowie § 147 RdNr. 23). Ist nämlich mit "Anspruch" in § 147 Abs. 2 SGB III nicht die Entstehung des Stammrechts auf Alg, sondern nur dessen Zahlungsanspruch gemeint (vgl zum Teil-Alg: BSG SozR 3-4300 § 150 Nr. 1), könnten eine erfolgte Gutschrift und eine damit einhergehende Verschiebung des dann maßgeblichen Zahlungszeitraumes den Beginn der Geltendmachungsfrist am Tag nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses bewirken. Eine vollständige Rückabwicklung des Leistungsfalles ist im vorliegenden Fall jedoch nicht feststellbar. Die Beklagte hat keinen Ersatz für das gleichwohl gewährte Alg erhalten und schließlich die Forderungen gegen den früheren Arbeitgeber des Klägers niedergeschlagen (Bl 129 VA). Selbst die Berücksichtigung der Kaug-Zahlung für drei Monate könnte nur zu einer Verschiebung auf den 27. Mai 1995 führen, von dem aus gerechnet am Tage der erneuten Meldung des Klägers am 14. Juni 1999 immer noch mehr als vier Jahre vergangen waren.
II.2.
Eine Verlängerung des Vierjahreszeitraumes ist nicht möglich.
Zu dem mit § 147 Abs. 2 SGB III wortgleichen § 125 Abs. 2 AFG hat das BSG ausgeführt, dass die Bestimmung eine Ausschlussfrist zum Inhalt hat, die ohne Hemmungs- und Unterbrechungsmöglichkeiten kalendermäßig abläuft (BSG, Urteil vom 29. April 1998 - B 7 AL 30/97 R -, SozR 3-4100 § 107 Nr. 10 m.w.N. zur Rechtsprechung des BSG). Die Vorschrift behandelt demnach jedes tatsächliche und rechtliche Hindernis, den Anspruch auf Alg rechtzeitig geltend zu machen, als gleichwertig. Auch Härten im Einzelfall sind nach der Rechtsprechung des BSG nicht über eine Fristverlängerung ausgleichbar (BSG a.a.O.). In dieser Entscheidung hat das BSG es abgelehnt, den Zeitraum eines Erziehungsgeldbezugs fristverlängernd im Rahmen des § 125 Abs. 2 AFG zu berücksichtigen. Dies würde dem Wesen der Frist des § 125 Abs. 2 AFG als materielle Ausschlussfrist zuwiderlaufen, zu einer nicht unerheblichen Rechtsunsicherheit beitragen und wäre schließlich mit Wortlaut und Regelungszweck des § 125 Abs. 2 AFG nicht zu vereinbaren.
Der Senat hält diese Ausführungen für überzeugend und auch auf § 147 Abs. 2 SGB IIIübertragbar. Dabei wird nicht verkannt, dass die mit Einführung des SGB III geänderten Vorschriften über die Rahmenfrist Auswirkungen auf die durch § 147 Abs. 2 SGB III erfassten Sachverhalte haben und deshalb eine Anpassung naheliegend gewesen wäre. Nach dem bis zum 31. Dezember 1997 geltenden Recht betrug die Rahmenfrist gemäß § 104 Abs. 3 AFG drei Jahre und konnte nicht verlängert werden. Bei einer selbständigen Tätigkeit von mehr als zwei Jahren direkt im Anschluss an eine beitragspflichtige Beschäftigung bestand kein Anspruch auf Alg, weil die erforderliche Anwartschaftszeit nicht mehr in der Rahmenfrist erfüllt war. Bezog der Betreffende jedoch nur für einen Tag vor Beginn der selbständigen Tätigkeit Alg, so konnte er diese Tätigkeit bis zu vier Jahren (abzüglich der Tage des Alg-Bezuges) ausüben, ohne seinen Restanspruch auf Alg zu verlieren. Während für die letztere Fallkonstellation nach Einführung des SGB III durch die wortgleiche Übernahme des § 125 Abs. 2 AFG in § 147 Abs. 2 SGB III keine Änderung eingetreten ist, besteht nunmehr auch bei einer bis zu vierjährigen selbständigen Tätigkeit direkt im Anschluss an eine beitragspflichtige Beschäftigung ein Alg-Anspruch, weil Zeiten einer mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden selbständigen Tätigkeit bis zu einer Dauer von zwei Jahren nicht in die Rahmenfrist eingerechnet werden (§ 124 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 SGB III). Daraus folgt, dass sich anders als nach altem Recht bei ansonsten identischem Sachverhalt ein kurzer Alg-Bezug nachteilig auswirken kann, wenn, wie im Falle des Klägers, mit Alg-Bezug und anschließender Selbständigkeit der Zeitraum von vier Jahren überschritten wird.
Der Senat sieht keine Möglichkeit, § 147 Abs. 2 SGB III gesetzeserweiternd unter Einbeziehung der Streckungstatbestände des § 124 SGB III auszulegen (so auch Henke/Bauer, Handbuch Arbeitsförderung, 1998, S 44 zu Buchst d). Insbesondere im vorliegenden Fall einer selbständigen Tätigkeit besteht hierfür keine Veranlassung, weil der Gesetzgeber durch § 124 Abs. 3 Nr. 3 SGB IIIüberhaupt erst die Möglichkeit geschaffen hat, eine vor einer mehr als zwei Jahre dauernden selbständigen Tätigkeit liegende abhängige Beschäftigung anspruchsbegründend zu nutzen. Es sind auch keine Anhaltspunkte vorhanden, dass der Gesetzgeber bei der Formulierung der §§ 124, 147 SGB III versehentlich keine Verlängerung der Erlöschenszeiträume vorgesehen hat. Es liegt keine planwidrige unbeabsichtigte Gesetzeslücke vor, die durch richterliche Rechtsfortbildung geschlossen werden könnte. Zwar ist zur Begründung des im Gesetzgebungsverfahren unverändert gebliebenen § 147 Abs. 2 SGB III nur ein Hinweis auf den wortgleichen § 125 Abs. 2 AFG zu finden, jedoch keine Auseinandersetzung mit den Folgen der Einführung der Streckungstatbestände in § 124 SGB III. Bereits durch das Gesetz zur Reform des Rechts der Arbeitslosenhilfe (AlhiRG) vom 24. Juni 1996 (BGBl. I S 878) waren die Alhi-Regelungen im AFG (§§ 134 Abs. 1 Satz 3, 135 Abs. 1 Nr. 2) dahingehend geändert worden, dass die Vorfrist für einen Alhi-Bezug und der Erlöschenszeitraum für einen Alhi-Anspruch um bis zu zwei Jahre bei der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit verlängert wurden. Vergleichbare Regelungen sind mit den §§ 192 Satz 2 Nr. 2, 196 Satz 2 Nr. 2 in das SGB III übernommen worden. Wenn der Gesetzgeber Änderungen im Bereich des Alhi-Rechts sowohl bei der Vorfrist als auch beim Erlöschenszeitraum vornimmt, im Bereich des Alg-Rechts jedoch nur bei der Rahmenfrist, kann daraus nicht geschlossen werden, dass er die Konsequenzen beim Erlöschen des Alg-Anspruchs übersehen hat. Es war nicht abwegig, im Bereich des Alhi-Rechts die ursprüngliche Frist von einem Jahr sowohl bei der Vorfrist als auch beim Erlöschenstatbestand zu verlängern, andererseits bei den Alg-Vorschriften den erheblich längeren Zeitraum von vier Jahren bei einer Verlängerung der Rahmenfrist von bisher drei Jahren unangetastet zu lassen.
Auch unter Berücksichtigung von § 127 Abs. 4 SGB III (vorher § 106 Abs. 3 Satz 2 AFG) ist eine Verlängerung des Vierjahreszeitraumes in § 147 Abs. 2 SGB III durch richterliche Rechtsfortbildung nicht möglich. Nach der erstgenannten Vorschrift verlängert sich die Dauer eines Alg-Anspruchs um die Restdauer des wegen Entstehung eines neuen Anspruchs erloschenen Anspruchs, wenn nach der Entstehung des erloschenen Anspruchs noch nicht sieben Jahre verstrichen sind. Während bis zum Inkrafttreten des 7. AFG-Änderungsgesetzes vom 20. Dezember 1985 (BGBl. I S 2484) der Zeitraum sowohl in § 106 Abs. 3 Satz 2 als auch in § 125 Abs. 2 AFG einheitlich drei Jahre betrug, bestehen seit dem 1. Januar 1986 bis heute zeitlich unterschiedliche Regelungen. Diese können seither zu überraschenden Ergebnissen führen, wie der folgende Fall zeigt:
Der Rest eines am 1. Januar 1999 entstandenen Anspruchs kann nach kurzem Bezug von Alg gemäß § 147 Abs. 2 SGB III ab dem 2. Januar 2003 nicht mehr geltend gemacht werden. Nimmt der potentielle Leistungsempfänger danach eine mindestens einjährige beitragspflichtige Beschäftigung auf oder steht in einem Versicherungspflichtverhältnis i.S. von § 24 SGB III und erwirbt damit einen neuen Alg-Anspruch, verlängert sich dessen Dauer gemäß § 127 Abs. 4 SGB III um den Restanspruch, den er eigentlich nicht mehr geltend machen könnte. Trotz dieser Ungereimtheiten kann aber auch hier nicht (mehr) von einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers ausgegangen werden, weil dieser über mehr als 15 Jahre und eine Unzahl von Gesetzesänderungen Gelegenheit gehabt hätte, ein solches Versehen zu korrigieren.
II.3.
Diskutiert wird auch, ob ein Verstoß gegen Art 3 Satz 1 Grundgesetz (GG) vorliegt, weil ein Streckungstatbestand im Sinne von § 124 Abs. 3 SGB III, soweit dieser vor Entstehen eines Alg-Anspruchs liegt, die Anwartschaft für bis zu zwei Jahre (bei einer selbständigen Tätigkeit) oder sogar auf unbegrenzte Dauer (bei Pflege eines Angehörigen) nicht beeinträchtigt, derselbe Tatbestand jedoch nach Eintritt der Arbeitslosigkeit dazu führen kann, dass der Alg-Anspruch nicht mehr geltend gemacht werden kann (vgl Gagel, SGB III, § 147 RdNr. 3). Der Senat teilt zwar das "Unbehagen" von Gagel (a.a.O.), hält jedoch die Vorschrift nicht für verfassungswidrig.
Das BSG hat mit Urteil vom 29. April 1998 (a.a.O.) mit Hinweis auf Entscheidungen des BVerfG (BVerfGE 87, 1, 36 f = SozR 3-5761 Allg. Nr. 1 m.w.N.; BVerfGE 94, 241, 260 = SozR 3-2200 § 1255a Nr. 5) Folgendes ausgeführt:
"Art 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Der Gleichheitssatz will vielmehr ausschließen, dass eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Die rechtliche Unterscheidung muss also in sachlichen Unterschieden eine ausreichende Stütze finden. Die Anwendung dieses Grundsatzes verlangt den Vergleich von Lebenssachverhalten, die einander nie in allen, sondern stets nur in einzelnen Merkmalen gleichen. Unter diesen Umständen ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche von diesen Merkmalen er als maßgebend für eine Gleich- oder Ungleichbehandlung ansieht. Art 3 Abs. 1 GG verbietet es ihm nur, dabei Art und Gewicht der tatsächlichen Unterschiede sachwidrig außer acht zu lassen. Innerhalb dieser Grenzen ist er in seiner Entscheidung frei."
Die unterschiedliche rechtliche Bewertung von Mutterschafts- und Erziehungszeiten finde, so das BSG weiter, ihre sachliche Rechtfertigung in dem Umstand, dass die dortige Klägerin durch ihre Entscheidung für den mit einem Referendariat verbundenen Status einer Beamtin auf Widerruf sich aus der Solidargemeinschaft der Beitragszahler gelöst habe. Gleiches gelte für die Aufnahme einer selbständigen Beschäftigung. Die Gleichstellung von Mutterschafts- und Erziehungszeiten in § 107 Satz 1 Nr. 5b und c AFG bezwecke es gerade, für grundsätzlich beitragspflichtige Personen, die innerhalb des Systems der gesetzlichen Sozialversicherung verbleiben, die Nachteile einer Kindererziehung auszugleichen, indem diese Zeiten Beitragszeiten gleichgestellt werden. Demgegenüber hätten sich Selbständige oder Beamte im Grundsatz für ein anderes soziales Sicherungssystem entschieden. Diese Unterschiede rechtfertigten es nach Überzeugung des BSG, für die zuletzt Genannten aus verfassungsrechtlichen Gründen keine weiteren Sicherungsmechanismen im System der gesetzlichen Sozialversicherung zu fordern. Ebenso habe es der 11. Senat des BSG mit überzeugenden Gründen abgelehnt (SozR 3-4100 § 104 Nr. 3), den Gesetzgeber von Verfassungs wegen dazu anzuhalten, den während einer Referendarzeit als Folge der Rahmenfrist eintretenden Verlust einer zuvor erlangten Anwartschaft auf Alg auszuschließen.
Diese Ausführungen sind überzeugend. Der Gesetzgeber ist nicht gehalten, einen erworbenen Anspruch auf Alg unabhängig davon gleich zu behandeln, ob Leistungen vor oder nach einem Streckungstatbestand (hier: die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit) in Anspruch genommen werden sollen. Es ist ihm nicht verwehrt, die Voraussetzungen für den Erwerb eines Anspruchs und die Auswirkungen bestimmter Tatbestände auf einen bereits entstanden Anspruch unterschiedlich zu regeln, auch wenn dies nur ältere Arbeitnehmer mit verlängerter Anspruchsdauer (§ 127 Abs. 2 SGB III) betrifft (vgl hierzu Valgolio, a.a.O., § 147 RdNr. 27). Im vorliegenden Fall ist zudem zu berücksichtigen, dass die Einbeziehung einer selbständigen Tätigkeit in die Rahmenfrist diesem Personenkreis überhaupt erst ermöglicht hat, Leistungen in Anspruch zu nehmen, die ihnen davor verwehrt waren. Eine darüber hinausgehende weitere Besserstellung ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geboten.
III.
Der Senat hat auch erwogen, ob dem Kläger im Hinblick auf die erst am 14. Juni 1999 und damit im Sinne von § 147 Abs. 2 SGB III verspätete Meldung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 SGB X gewährt werden kann. Grundsätzlich ist nach nunmehr wohl herrschender Auffassung auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei materiellen Ausschlussfristen möglich. Sie ist jedoch gemäß § 27 Abs. 5 SGB X unzulässig, wenn sich aus einer Rechtsvorschrift ergibt, dass sie ausgeschlossen ist. Der Senat kann im vorliegenden Fall offen lassen, ob es sich bei § 147 Abs. 2 SGB III um eine solche Rechtsvorschrift handelt (vgl zum Meinungsstand allgemein: von Wulffen, SGB X, 4. Auflage, § 27 Rdnr 4). Eine Wiedereinsetzung würde dem Kläger nicht zu seinem Ziel verhelfen, die begehrte Leistung zu erhalten. Selbst wenn er wegen des verspäteten Geltendmachens Wiedereinsetzung in einen früheren Stand (beispielsweise dem Tag seiner Anfrage vom 26. Oktober 1998) erhalten könnte, würden weitere Anspruchsvoraussetzungen für eine Alg-Bewilligung ab diesem Zeitpunkt fehlen: so stand der Kläger den Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamtes tatsächlich nicht zur Verfügung, er war wegen seiner weiterhin ausgeübten selbständigen Tätigkeit auch nicht beschäftigungslos. Erst am 14. Juni 1999 erfüllte der Kläger diese Voraussetzungen, an diesem Tag war die Frist des § 147 Abs. 2 SGB III abgelaufen.
IV.
Der Kläger kann den geltend gemachten Anspruch auch nicht unter Berücksichtigung des Rechtsinstituts des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erlangen. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG kann die Verletzung von Nebenpflichten, die dem Versicherungsträger gegenüber den Versicherten aus dem Sozialrechtsverhältnis obliegen, für die Versicherten einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch begründen. Zu diesen Nebenpflichten gehören vor allem die Pflichten zu speziellen Dienstleistungen des Versicherungsträgers wie Auskunft, Belehrung und "verständnisvolle Förderung" der Versicherten (BSG, Urteil vom 26. Oktober 1994 - 11 RAr 5/94 -, SozR 3-1200 § 14 Nr. 16; Urteil vom 25. April 1978 - 5 RJ 18/77 -, BSGE 46, 124, 126 = SozR 2200 § 1290 Nr. 11 m.w.N.).
Die Beklagte hat hier eine Nebenpflicht dadurch verletzt, dass sie dem Kläger eine falsche Auskunft über den Zeitpunkt erteilt hat, bis zu dem er seinen Restanspruch auf Alg geltend machen konnte. Der Senat ist nach den gesamten Umständen des Falles davon überzeugt, dass der vom Kläger geschilderte Sachverhalt über die Beratung Anfang des Jahres 1999 zutrifft. Nach seinem Vorbringen im Berufungsverfahren hat sich der Kläger im Januar (bzw Anfang Februar, so seine Erklärung anlässlich des Erörterungstermins) im Arbeitsamt H. erkundigt, ob und wie lange er noch Anspruch auf Alg habe. Dort wurde ihm die objektiv falsche Auskunft erteilt, dass er seinen Anspruch noch bis zum 30. Juni 1999 geltend machen könne. Bei dem Gespräch lagen der Beklagten sämtliche relevanten Unterlagen, insbesondere der arbeitsgerichtliche Vergleich vom 26. Januar 1998 vor. Außer der Tatsache, dass sich in den Akten der Beklagten über dieses Gespräch kein Vermerk findet, spricht nichts gegen die Version des Klägers. Die Beklagte weist lediglich auf einen fehlenden Aktenvermerk hin, ohne ausdrücklich den Vorgang zu bestreiten. Für die Version des Klägers sprechen folgende (aktenkundige) Umstände: Der Kläger hatte sich bereits am 26. Oktober 1998 über seinen Alg-Anspruch informieren wollen. Die erbetene schriftliche Benachrichtigung erfolgte trotz eines Hinweises auf Bl 125 ("sofort") nicht. Ende 1998 / Anfang 1999 wurden darüber hinaus weitere Vorgänge im Zusammenhang mit dem Kaug-Antrag des Klägers nicht bearbeitet. Schließlich hat der Kläger, der sich nachweislich um Auskünfte der Beklagten bemüht hatte, rechtzeitig vor dem ihm genannten Termin 30. Juni 1999 sein Gewerbe abgemeldet und Alg beantragt.
Die Falschberatung war ursächlich für die Tatsache, dass der Kläger nicht bereits bis zum 27. Februar 1999 die Voraussetzungen für einen Alg-Anspruch erfüllt hat. Er hätte, wie er überzeugend dargelegt hat, bei einer zutreffenden Information über seinen Restanspruch auf Alg seine Buchhandlung vorher geschlossen und sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestellt.
Dessen ungeachtet kann der Kläger nicht so gestellt werden, als hätte er spätestens am 27. Februar 1999 sämtliche Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Alg erfüllt. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, der sich der Senat anschließt, lässt sich ein Fehlverhalten des Leistungsträgers nur insoweit berichtigen, als die Korrektur bzw. die Ersetzung einer fehlenden Anspruchsvoraussetzung mit dem jeweiligen Gesetzeszweck in Einklang steht (BSG, Urteil vom 5. April 2000 - B 5 RJ 50/98 R -, SozR 3-1200 § 14 Nr. 29; Urteil vom 17. Juli 1997 - 7 RAr 106/96 -, NZA-RR 1998, 229, jeweils mit weiteren Nachweisen). Damit könnte die Entgegennahme eines Alg-Antrags fingiert werden, nicht jedoch die Beschäftigungslosigkeit und Verfügbarkeit des Klägers (BSG vom 17. Juli 1997, a.a.O.; Urteil vom 15. Mai 1985 - 7 RAr 103/83 - SozR 4100 § 103 Nr. 36). Zwar hat der 11. Senat des BSG in zwei Entscheidungen vom 9. August 1990 (11 RAr 141/88, SozR 3-4100 § 105a Nr. 2) und vom 29. Juli 1992 (11 RAr 15/92, nicht veröffentlicht) ausdrücklich offen gelassen, ob ein Herstellungsanspruch in Frage kommt, soweit es um die objektive Verfügbarkeit eines Arbeitslosen geht, und in der erstgenannten Entscheidung ausgeführt, dieses sollte, da weiterhin von grundsätzlicher Bedeutung, in entsprechenden Fällen neu überdacht werden. Diesen Überlegungen ist der 11. Senat des BSG jedoch, soweit hier bekannt, nicht weiter gefolgt.
Ohne eine (fingierte) Verfügbarkeit des Klägers erfüllte dieser, wie bereits ausgeführt, vor dem 14. Juni 1999 nicht alle Voraussetzungen für den Bezug von Alg.
V.
Der Beklagten ist es jedoch verwehrt, sich darauf zu berufen, dass der Kläger am 14. Juni 1999 seinen Restanspruch auf Alg nicht mehr geltend machen kann.
Anders als in den in § 147 Abs. 1 SGB III normierten Tatbeständen erlischt der Anspruch auf Alg nicht, wenn nach seiner Entstehung vier Jahre verstrichen sind. Mit der Formulierung "kann nicht mehr geltend gemacht werden" hat der Gesetzgeber vielmehr eine Formulierung gebraucht, die sich so im SGB oder weiteren Sozialversicherungsgesetzen nicht findet. Lediglich § 300 Abs. 2 SGB - gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) und entsprechend § 94 Abs. 2 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) enthält etwas Vergleichbares: nach diesen (Übergangs-) Normen sind aufgehobene Vorschriften dann weiter anzuwenden, wenn "der Anspruch bis zum Ablauf von drei Kalendermonaten nach der Aufhebung geltend gemacht wird". Schließlich findet sich in § 81 Abs. 2 Nr. 4 SGB - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) im Zusammenhang mit Entschädigungsregelungen wegen Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot eine Bestimmung, wonach der Entschädigungsanspruch "innerhalb von zwei Monaten nach Zugang der Ablehnung der Bewerbung schriftlich geltend gemacht werden" muss.
Das BSG hat mit Urteil vom 21. März 1990 (- 7 RAr 36/88 -, SozR 3-4100 § 125 Nr. 1 = BSGE 66, 258 [BSG 21.03.1990 - 7 RAr 36/88]) ohne nähere Begründung unterstellt, dass nach Ablauf der Verfallsfrist in der Vorläufervorschrift des § 125 Abs. 2 AFG der Anspruch verfallen bzw. erloschen ist und damit letztlich eine inhaltliche Gleichstellung der unterschiedlichen Formulierungen in den Absätzen 1 und 2 der Vorschrift unterstellt. Eine solche Interpretation wird dem ausdrücklichen Wortlaut in § 125 Abs. 1, 2 AFG bzw. nunmehr § 147 Abs. 1, 2 SGB III nicht gerecht. Der Gesetzgeber hätte die in den jeweiligen Absätzen geregelten Sachverhalte als Erlöschenstatbestände normieren können, wie dies in ähnlicher Form bei der Alhi (§§ 135 AFG, 196 SGB III) erfolgt ist. Die abweichende Formulierung soll deutlich machen, dass nicht wie bei den Erlöschenstatbeständen allein durch Eintritt einer auflösenden Bedingung oder durch Zeitablauf ein Anspruch kraft Gesetzes vernichtet ist, sondern es einer Entscheidung darüber bedarf, ob sich ein weiterhin dem Grunde nach existierender Grundanspruch zu einem Zahlungsanspruch manifestiert. Es obliegt damit der Beklagten, darüber zu befinden, ob sie ein außerhalb der Frist des § 147 Abs. 2 SGB III erfolgtes "Geltendmachen" akzeptiert oder nicht. Die Entscheidung ist von den Gerichten in vollem Umfang auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen.
Im Regelfall dürfte für die Beklagte bei einer Versäumung der Ausschlussfrist keine Veranlassung bestehen, sich nicht hierauf zu berufen. Frühere Entscheidungen des BSG, nach denen bestimmte Fristen nach ihrer rechtspolitischen und sozialen Funktion dem Schutz der Verwaltung vor schwer nachprüfbaren Ansprüchen diene und die daher keine Anwendung finden könnten, wenn die Anspruchsvoraussetzungen zweifelsfrei gegeben seien (Gr. Senat des BSG, Beschluss vom 9. Juni 1961 - GS 2/60 - BSGE 14, 246), sind überholt und jedenfalls auf materiell-rechtliche Ausschlussfristen nicht übertragbar (vgl. bereits BSG, Urteil vom 17. Februar 1965 - 7 RAr 21/64 -, BSGE 22, 257 [BSG 17.02.1965 - 7 RAr 21/64]). Der Beklagten kann es jedoch verwehrt sein, sich auf den Ablauf des Vier-Jahres-Zeitraumes zu berufen. Ebenso wie bei der Verjährung (BSG SozR 3-1200 § 45 Nr. 6 m.w.N.), der Antragsfrist beim Schlechtwettergeld (BSG, Urteil vom 17. Februar 1965, a.a.O.) oder der Frist zur Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs nach § 111 SGB X (BSG, Urteil vom 28. März 2000 - B 8 Kn 3/98 UR -, SozR 3-1300 § 111 Nr. 8 = BSGE 86, 78) stellt dies eine rechtsmissbräuchliche und unzulässige Ausnutzung einer Rechtsposition dar, wenn die Berufung hierauf unter Verstoß gegen den auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben erfolgt. Ein solcher Verstoß ist vor allem dann gegeben, wenn die Behörde die Versäumung der Frist bzw. hier das nicht rechtzeitige Geltendmachen eines Anspruchs verursacht hat und damit für den Eintritt eines rechtshindernden oder vernichtenden Ereignisses verantwortlich ist.
Soweit ersichtlich, ist vom BSG kein Fall entschieden worden, in dem die Beklagte ursächlich zu einem verspäteten Geltendmachen eines Restanspruchs auf Alg beigetragen hat. Ähnlich gelagerte Fälle sind ggf. mit Hilfe des Rechtsinstituts des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs gelöst worden. Auch in den aktuellen Kommentierungen zu § 147 SGB III finden sich hierzu keine einschlägigen Ausführungen. Marschner (in GK-SGB III, Loseblattkommentar, § 147 Rdnr 19) und Valgolio (a.a.O., § 147 Rdnr 26) thematisieren zwar den Fall, dass aufgrund eines Beratungsverschuldens der Arbeitslose seinen Restanspruch nicht rechtzeitig geltend gemacht hat und deshalb im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt werden müsse, als habe er rechtzeitig gehandelt. Übersehen wird dabei, dass im Regelfall, wie hier, die übrigen Voraussetzungen für den Alg-Bezug an diesem Tag nicht vorgelegen haben dürften (siehe oben IV). Lediglich in der alten Kommentierung von Schönefelder/Kranz/Wanka (AFG Loseblattkommentar, Stand August 1972, § 125 RdNr. 4) wurde der Frage nachgegangen, unter welchen Umständen sich die Berufung einer Behörde auf eine Ausschlussfrist als ein Verstoß gegen Treu und Glauben darstellt, als Ergebnis jedoch nur eine Amtshaftungsklage in Erwägung gezogen. Dieser Verweis auf die Amtshaftungsklage (§ 839 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -, Art 34 GG) überzeugt nicht, soweit Ansprüche aus einem Sozialrechtsverhältnis - wie dem vorliegenden - mit den Mitteln des Sozialrechts zur Geltung gebracht werden können.
Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist jedenfalls dann bei der Beurteilung von Verwaltungshandeln heranzuziehen, wenn sich die Behörde durch ihr Handeln in Widerspruch zu früheren Erklärungen setzt (Verbot des venire contra factum proprium). Auch der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch hat eine seiner dogmatischen Wurzeln in diesem Verbot. Wie der vorliegende Fall zeigt, können allein durch den Herstellungsanspruch nicht alle Folgen fehlerhaften Verwaltungshandelns korrigiert werden. Zwar ist § 242 BGB als privatrechtliche Vorschrift hier nicht direkt anwendbar, der das Rechtssystem insgesamt durchziehende Grundsatz von Treu und Glauben gilt jedoch auch im öffentlichen Recht (Heinrichs in Palandt, BGB, 62. Auflage § 242 Rdnr 17).
Im vorliegenden Fall ist für den Senat nicht zweifelhaft, dass die Beklagte durch eine fehlerhafte Auskunft eines Mitarbeiters (s.o.) dazu beigetragen hat, dass bei der erneuten Meldung des Klägers dessen Restanspruch auf Alg gemäß § 147 Abs. 2 SGB III eigentlich nicht mehr geltend gemacht werden konnte. Durch ihre auf diese Vorschrift gestützte Entscheidung hat sie sich in Widerspruch zu dem ihr zuzurechnenden früheren Verhalten (ihrer falschen Auskunft) gesetzt. Das ist ihr vor dem Hintergrund der oben ausgeführten rechtlichen Überlegungen verwehrt. Anders als beim sozialrechtlichen Herstellungsanspruch, der eine frühere Geltendmachung fingieren würde (vgl oben), folgt aus diesem Verbot, dass der Kläger seinen dem Grunde nach auch nach Ablauf der vier Jahre weiter bestehenden Restanspruch noch am 14. Juni 1999 geltend machen konnte. Da die übrigen Anspruchsvoraussetzungen bezogen auf diesen Tag, wie bereits ausgeführt, vorlagen, hat er damit dem Grunde nach ab dem 14. Juni 1999 einen Anspruch auf Alg für 462 Kalendertage, über den die Beklagte einen entsprechenden Bewilligungsbescheid zu erteilen hat.
VI.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Der Senat hat die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, weil er sowohl der Auslegung des § 147 Abs. 2 SGB III bei zwischenzeitlicher Selbständigkeit als auch der Frage grundsätzliche Bedeutung beimisst, ob es der Beklagten unter bestimmten Voraussetzungen verwehrt ist, sich auf diese Norm zu berufen.