Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 08.01.2003, Az.: L 6 U 416/01
Anspruch aus gesetzlicher Unfallversicherung; Beruflich verursachte bandscheibenbedingte Erkrankung infolge der Tätigkeit als Gabelstapler
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 08.01.2003
- Aktenzeichen
- L 6 U 416/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 19952
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0108.L6U416.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - 29.10.2001 - AZ: S 11 U 57/01
Rechtsgrundlage
- § 55 Abs. 1 SGG
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hildesheim vom 29. Oktober 2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrt Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV). Streitig ist, ob er an einer wahrscheinlich wesentlich beruflich (mit)verursachten bandscheibenbedingten Erkrankung insbesondere infolge der Tätigkeit als Gabelstapler leidet (Berufskrankheiten - BKen Nrn. 2108 und 2110 der Anlage - Anl. - zur Berufskrankheiten-Verordnung - BKV: bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule - LWS - durch langjähriges Heben und Tragen schwerer Lasten sowie durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung sowie durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen). Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 6. November 2000 Leistungen ab, nachdem der Orthopäde Dr. C. in der beratungsärztlichen Stellungnahme vom 20. Oktober 2000 einen Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit nicht gesehen hatte. Der Widerspruch wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 2. April 2001).
Das Sozialgericht (SG) Hildesheim hat die noch im selben Monat erhobene Klage durch Urteil vom 29. Oktober 2001 abgewiesen.
Dagegen wendet sich der Kläger mit der am 13. November 2001 eingelegten Berufung. Er hält an seiner Auffassung fest, unter wahrscheinlich beruflichen verursachten bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS zu leiden und beantragt sinngemäß,
- 1.
das Urteil des SG Hildesheim vom 29. Oktober 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 6. November 2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 2001 aufzuheben,
- 2.
bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS als BKen Nrn. 2108 und 2110 der Anl. zur BKV festzustellen,
- 3.
die Beklagte zu verurteilen, ihm Entschädigungsleistungen zu erbringen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Hildesheim vom 29. Oktober 2001 zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat die Beteiligten durch Verfügungen des Berichterstatters vom 21. Oktober und 2. Dezember 2002 darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, über die Berufung gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu entscheiden. Ihnen ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.
Dem Senat haben neben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der Beratung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Gründe
II.
Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Senat hält das Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Entscheidung konnte deshalb durch Beschluss ergehen (§ 153 Abs. 4 SGG).
Das SG hat die - hinsichtlich des Feststellungsantrags gemäß § 55 Abs. 1 Ziffer 3 SGG - zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Die vom Kläger begehrte Feststellung kann nicht mit der im Recht der gesetzlichen UV erforderlichen Wahrscheinlichkeit getroffen werden. Deshalb hat die Beklagte auch keine Leistungen zu erbringen.
SG und Beklagte haben zutreffend den entscheidungserheblichen Gesichtspunkt eines fehlenden belastungskonformen "Schadensbildes" hervorgehoben. Dieses muss jedoch vorliegen, um bandscheibenbedingte Erkrankungen mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit als BKen feststellen zu können. Allein das Vorliegen einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS und einer beruflichen Exposition, die geeignet ist, diese Krankheit zu verursachen, begründen keinen Anscheinsbeweis und damit noch nicht die Wahrscheinlichkeit einer beruflichen Verursachung (Bundessozialgericht, Urteil vom 18. November 1997 - 2 RU 48/96 = SGb 1999, 39 mit Anm. von Ricke) und zwar auch dann nicht, wenn eine berufsfremde Ursache nicht wahrscheinlich gemacht werden kann (Urteil des erkennenden Senats vom 20. Juli 2000 - L 6 U 328/99 = Breithaupt 2000, 1031, 1033 f.), wovon die Berufung entgegen den begründeten Ausführungen des Dr. C. ausgeht. Denn es gibt keinen gesicherten Erfahrungssatz, dass bei Vorliegen der sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen die bandscheibenbedingte Erkrankung beruflich verursacht ist (siehe hierzu und zu dem folgenden ausführlich das Urteil des erkennenden Senats vom 6. April 2000 - L 6 U 163/99 ZVW = Breithaupt 2000, 818, 821). Der Grund dafür liegt darin, dass bandscheibenbedingte Erkrankungen auf einem Bündel von Ursachen ("multifaktorielles Geschehen") beruhen. Ganz wesentlich ist der natürliche Alterungs- und Degenerationsprozess, dem die Bandscheiben eines jeden Menschen ab dem 30. Lebensjahr ausgesetzt sind und der nicht zu verhindern ist. Aus epidemiologischen Studien gehen eine Reihe weiterer Ursachenfaktoren hervor. Von Bedeutung ist auch die Genetik. Aus der Vielfalt dieser Verursachungsmöglichkeiten folgt, dass sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen bandscheibenbedingter Erkrankung und beruflicher Belastung nicht im Wege des Anscheinsbeweises begründen lässt. Vielmehr muss eine berufliche Ausprägung, d.h. ein belastungskonformes "Schadensbild" vorliegen, dass von dem in der Allgemeinbevölkerung unabhängig von beruflicher Belastung weit verbreiteten "Schadensbild" abgegrenzt werden kann. Daran fehlt es hier. Denn verändert ist allein der auch in der Allgemeinbevölkerung vorwiegend betroffene untere Abschnitt der LWS. Zutreffend hat Dr. C. hervorgehoben, dass auch der obere und mittlere Abschnitt der LWS, auf die die berufliche Exposition des Klägers eingewirkt hat, altersvorauseilend degenerativ verändert sein müssten, um eine beruflich wesentlich (mit)verursachte bandscheibenbedingte Erkrankung mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen zu können.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.