Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 28.01.2003, Az.: L 3 B 411/02 P
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 28.01.2003
- Aktenzeichen
- L 3 B 411/02 P
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 39765
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0128.L3B411.02P.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hildesheim - AZ: S 15 P 82/02
In dem Rechtsstreit
Klägerin und Beschwerdeführerin,
gegen
Beklagte und Beschwerdegegnerin,
hat der 3. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen
am 28. Januar 2003 in Celle
durch ...
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hildesheim vom 18. November 2002 wird zurückgewiesen.
GRÜNDE
I.
Die Klägerin wendet sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe.
Die 1941 geborene Klägerin bezog Pflegegeld nach Maßgabe der Pflegestufe II. Mit Antrag vom 16. Februar 2000, bei der Beklagten eingegangen am 10. März 2000, begehrte die Klägerin die Höherstufung in die Pflegestufe MI. Die Klägerin, die 1994 einen Apoplex erlitt, leidet insbesondere an einem demenziellen Syndrom, an einer Gangataxie, an einem Hydrozephalus internus malresorptivus mit Zustand nach Implantation einer ventriculoperitonealen Shuntanlage und einem Zustand nach vorausgegangenem Alkohol- und Nikotinabusus. Die Beklagte holte ein Gutachten der Pflegefachkraft B. vom 23. Oktober 2000 ein, in dem der Hilfebedarf der Klägerin im Bereich der Grundpflege mit 194 Minuten bemessen wurde. Gegen den die Höherstufung ablehnenden Bescheid vom 07. November 2000 legte die Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 27. November 2000 Widerspruch ein. Die Beklagte holte daraufhin ein weiteres Gutachten der Pflegefachkraft O. vom 15. Januar 2001 ein, in dem nunmehr der Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege mit 212 Minuten bemessen wurde. Da die Beklagte selbst jedoch zu der Einschätzung gelangte, dass einige Zeitansätze in diesem Gutachten zu niedrig bemessen worden waren, billigte sie der Klägerin mit Bescheid vom 24. September 2001 Pflegegeld nach Maßgabe der Pflegestufe III mit Wirkung vom 01. Januar 2001 zu. Im Übrigen wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin mit Bescheid vom 21. November 2001 zurück.
Zur Begründung der am 27. Dezember 2001 erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, dass es nicht zu ihren Lasten gehen dürfe, dass die Beklagte erst 7 Monate nach Stellung des Höherstufungsantrages eine Begutachtung veranlasst habe. Darüber hinaus seien die von der Beklagten eingeholten Gutachten des Medizinischen Dienstes unvollständig und tendenziell zugunsten der Beklagten ausgefallen.
Das Sozialgericht (SG) hat Befundberichte des Hausarztes B. vom 23. Februar und 13. April 2002 eingeholt und einen Bericht des Klinikums ... vom 15. August 2000 über eine in der Zeit vom 05. Juli bis 26. Juli 2000 durchgeführte stationäre geriatrische Behandlung der Klägerin und einen Bericht des Nds Landeskrankenhauses Hildesheim vom 08. Dezember 2000 über eine vom 31. Juli bis 26. August und 29. August bis 04. September 2000 vorgenommene neurologische stationäre Behandlung der Klägerin beigezogen. Ergänzend hat es eine weitere Auskunft des Klinikums ... vom 17. April 2002 eingeholt.
Die Beklagte hat eine ergänzende Stellungnahme des Medizinischen Dienstes vom 01. Juli 2002 vorgelegt.
Den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) und auf Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt H. hat das SG Hildesheim mit Beschluss vom 18. November 2002, der Klägerin zugestellt am 26. November 2002, abgelehnt. Zur Begründung hat es dargelegt, dass die Klägerin nicht substantiiert erläutert habe, aus welchen Gründen die Entscheidung der Beklagten als fehlerhaft anzusehen sein sollte. Auch unter Zugrundelegung der Annahmen im Teilabhilfebescheid vom 24. September 2001 habe die Klägerin im Jahre 2001 mit einem Hilfebedarf von 242 Minuten im Bereich der Grundpflege den Grenzwert für die begehrte Höherstufung in die Pflegestufe III nur geringfügig überschritten. Hiervon ausgehend sei nicht ersichtlich, dass im streitigen Zeitraum vom 10. März bis 31. Dezember 2000 der Hilfebedarf der Klägerin im Bereich der Grundpflege bereits den Grenzwert von 240 Minuten im Tagesdurchschnitt erreicht habe.
Mit der am 02. Dezember 2002 eingelegten Beschwerde, der das SG nicht abgeholfen hat, macht die Klägerin weiterhin geltend, dass die Beklagte sie bereits zu einem früheren Zeitpunkt kurz nach Stellung des Höherstufungsantrages hätte begutachten müssen. Auch habe das SG verkannt, dass der Hilfebedarf seitens des Betreuers anders dargestellt werde. Darüber hinaus sei die erhebliche Diskrepanz zwischen dem im "ersten Gutachten" angenommenen Hilfebedarf von 194 Minuten und dem im "zweiten Gutachten" festgestellten Hilfebedarf von 242 Minuten im Bereich der Grundpflege so auffällig, dass aufgrund ihrer das erste Gutachten vom 23. Oktober 2000 kritisch zu prüfen sei, zumal die Frage der Berücksichtigung eines "Zeitkorridors für Nahrungsaufnahme" eine dem Beweis zugängliche Tatsache betreffe. Bereits die Unvollständigkeit von Sachverständigengutachten begründe die für die Bewilligung von PKH maßgeblichen hinreichenden Erfolgsaussichten.
Die Klägerin beantragt,
ihr unter Aufhebung des Beschlusses des Sozialgerichts Hildesheim vom 18. November 2002 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt H. zu bewilligen.
Die Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Gründe
II.
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Senat teilt die Auffassung des SG, dass der begehrten Bewilligung von PKH das Fehlen der nach §§ 73 a Sozialgerichtsgesetz (SGG), 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung entgegen steht.
Hinreichende Erfolgsaussichten sind nur dann anzunehmen, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für Zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist; ein günstiges Beweisergebnis darf nicht unwahrscheinlich sein (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl., § 73a Rn 7). Im vorliegenden Fall ist ein Obsiegen der Klägerin nach der im vorliegenden Verfahren allein möglichen summarischen Einschätzung des Senates als unwahrscheinlich zu werten, da sich die tatbestandlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Begehrens für die Höherstufung in die Pflegestufe III bezogen auf den noch streitigen Zeitraum vom 10. März bis 31. Dezember 2000 voraussichtlich nicht feststellen lassen werden.
Die Klägerin trägt die materielle Beweislast für die tatbestandlichen Voraussetzungen der begehrten Höherstufung in die Pflegestufe III. Auch eine etwaige Unzulänglichkeit der im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten begründet als solche dementsprechend noch keine hinreichenden Erfolgaussichten; diese verlangen vielmehr, dass Beweismittel zugänglich sind, die zumindest die konkrete Möglichkeit eines der Klägerin günstigen Beweisergebnisses eröffnen.
Der konkrete Hilfebedarf der Klägerin im Bereich der Grundpflege im streitigen Zeitraum vom 10. März bis 31. Dezember 2000 hing von ihrem damaligen individuellen durch zahlreiche Faktoren bestimmten Leistungsvermögen ab. Dieses Vermögen ist zum einen im Gutachten vom 23. Oktober 2000 auf der Grundlage des seinerzeit durchgeführten Hausbesuches im Einzelnen dargelegt worden. Unter Zugrundelegung der gutachterlichen Erkenntnisse erscheint die in diesem Gutachten befürwortete Bewertung des Grundpflegehilfebedarfes mit 194 Minuten im Tagesdurchschnitt überzeugend. Mit einem solchen Hilfebedarf erfüllt die Klägerin allerdings nicht die Voraussetzungen für die begehrte Höherstufung in die Pflegestufe III, da diese nach § 15 Abs. 1 Ziffer 3 und Abs. 3 Ziffer 3 Sozialgesetzbuch Buch XI Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) insbesondere einen Grundpflegehilfebedarf von mindestens 240 Minuten im Tagesdurchschnitt zur Voraussetzung gehabt hätte.
Substantiierte Einwände gegen die Richtigkeit der in diesem Gutachten getroffenen Feststellungen zum damaligen Leistungsvermögen und zum Hilfebedarf der Klägerin sind auch von ihrer Seite, d.h. insbesondere von dem ihre Interessen wahrnehmenden Betreuer, nicht dargetan worden. Im Anwaltsschreiben vom 21. Dezember 2000 hat der Betreuer vielmehr lediglich hervorheben lassen, dass die Klägerin "kaum noch" in der Lage sei, selbst eine Verrichtung auszuführen; vom Toilettengang bis zum Zerkleinern der Nahrung würden die pflegerischen Leistungen vollständig durch andere Personen übernommen. Der Aufwand sei derartig beträchtlich, dass der Zeitaufwand die Vorgaben der Pflegerichtlinien für die Pflegestufe III erheblich überschreite. Der Hinweis, dass die Klägerin "vom Toilettengang bis zum Zerkleinern der Nahrung" auf Unterstützung angewiesen sei, vermag das Gutachten vom 23. Oktober 2000 jedoch schon deshalb nicht in Zweifel zu ziehen, weil in diesem ein vollständiger Hilfebedarf der Klägerin bei der sogenannten mundgerechten Zubereitung der Nahrung und auch bei der Darm- und Blasenentleerung (einschließlich der bei den Gängen zur Toilette erforderlichen Begleitung) bejaht worden ist. Ansonsten enthält die - in Kenntnis des Gutachtens vom 23. Oktober 2000 abgegebene - Stellungnahme vom 21. Dezember 2000 keine konkreten Einwände gegen die gutachterlichen Feststellungen. Insbesondere ist nicht in Abrede gestellt worden, dass die Klägerin seinerzeit bei der Nahrungsaufnahme eine Unterstützung ("lediglich") in Form der Anleitung bedurfte. Erst 2 1/2 Monate später in einer weiteren - aufgrund der neuerlichen Begutachtung ergangenen - Stellungnahme vom 09. März 2001 ist von Seiten des Betreuers darauf hingewiesen worden, dass die Klägerin (offenbar: nunmehr) gefüttert werden müsse.
Der im Gerichtsverfahren erfolgte vage Hinweis, dass nach Einschätzung des Betreuers der "Pflegezustand" in den Bereichen Wäsche, Toilettengang und Nahrungsaufnahme sich seit Jahren gleich darstelle, ist unsubstantiiert geblieben und überdies mit den Beobachtungen des Hausarztes B. nicht in Einklang zu bringen. Dieser hat in seinem vom SG eingeholten Befundbericht vom 13. April 2002 im Einzelnen dargelegt, dass die Klägerin das Bild einer progredienten Bewegungsstörung in Kombination mit einer zunehmenden Beeinträchtigung der kognitiven Fähigkeiten aufweise. 1998/1999 habe die Klägerin (fertig zubereitete) Nahrung allein essen können, erst Ende 2001 habe ihr die Nahrung "weitgehend angereicht" werden müssen, da sie begonnen habe, das Essen zu vergessen.
Soweit die Klägerin in der Beschwerdebegründung auf die erhebliche Diskrepanz zwischen dem "ersten Gutachten" und dem "zweiten Gutachten" hinweist, ist zunächst klarzustellen, dass mit dem "zweiten Gutachten" offenbar gerade nicht das weitere Gutachten des Medizinischen Dienstes vom 15. Januar 2001, sondern die davon abweichende - ihrerseits kein Gutachten darstellende - Bewertung des Hilfebedarfes im Teilabhilfebescheid der Beklagten vom 24. September 2001 gemeint ist. Dabei ist eine "Diskrepanz" zwischen den Bewertungen in Form einer allmählichen Zunahme des Hilfebedarfes schon in Anbetracht des vom Hausarzt B. im Einzelnen beschriebenen progredienten Verlaufs des Krankheitsbildes zu erwarten. Darüber hinaus gehende Bewertungsdifferenzen mögen Anlass zu einer kritischen Würdigung geben, im Nachhinein lässt sich voraussichtlich aber nicht mehr verlässlich ermitteln, ob eine eher großzügige oder eine eher restriktive Bewertung des Hilfebedarfes der Klägerin den tatsächlichen Unterstützungsbedarf im streitigen Zeitraum angemessen zum Ausdruck brachte. Diese Ungewissheit geht zu Lasten der die materielle Beweislast tragenden Klägerin.
Soweit von Seiten der Klägerin gerügt wird, dass sie im Verwaltungsverfahren erst mehr als ein halbes Jahr nach Stellung des Höherstufungsantrages begutachtet worden sei, lässt dies die erläuterte materielle Beweislastverteilung unberührt Es ist in keiner Weise ersichtlich, dass eine frühere Begutachtung zu einem für die Klägerin günstigeren Ergebnis geführt hätte; angesichts des progredienten Krankheftsverlaufes wäre eher mit einem für die Klägerin noch weniger günstigen Ergebnis zu rechnen gewesen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 1 77 SGG).