Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 27.01.2003, Az.: L 8 B 1/03 KG

Höhe des zu bewilligenden Kindergeldes; Feststellung der Verfassungswidrigkeit der §§ 10, 11 Bundeskindergeldgesetz (BKGG a.F.)

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
27.01.2003
Aktenzeichen
L 8 B 1/03 KG
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 13478
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0127.L8B1.03KG.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Osnabrück - 19.11.2002 - AZ: S 1 KG 7/99 WA

Tenor:

Auf die Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Sozialgerichts Osnabrück vom 19. November 2002 geändert.

Die Beklagte hat dem Kläger keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Beschwerde des Klägers wird zurückgewiesen.

Gründe

1

Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Osnabrück vom 19. November 2002 ist begründet. Die Beklagte ist entgegen der Auffassung des SG nicht verpflichtet, dem Kläger auch nur teilweise dessen außergerichtliche Kosten zu erstatten.

2

Gegenstand des Verfahrens war die Höhe des dem Kläger von der Beklagten bewilligten Kindergeldes (KG) in den Jahren 1987, 1988 sowie 1992 bis 1995. Der Kläger (Vater von drei zwischen 1982 und 1984 geborenen Kindern) hatte u.a. geltend gemacht, das Kindergeld dürfe nicht auf den Sockelbetrag gemäß § 10 Abs. 2 des bis zum 31. Dezember 1995 geltenden Bundeskindergeldgesetzes (BKGG aF) gemindert werden; unter Hinweis auf beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängige Verfahren vertrat er die Auffassung, die maßgebenden Vorschriften des BKGG seien verfassungswidrig.

3

Mit Schreiben vom 2. April 2001 erteilte das für den Kläger zuständige Finanzamt E. eine Bescheinigung zur Durchführung von § 21 BKGG in der Fassung von Artikel 2 des Gesetzes zur Familienförderung (BKGG nF), gemäß der eine Steuererstattung gemäß § 53 Einkommensteuergesetz (EStG) für die Jahre 1983 bis 1995 ausgeschlossen war. Für die Jahre 1987 und 1988 hätte sich auch bei nicht formell bestandskräftig gewordener Einkommensteuerfestsetzung kein Erstattungsbetrag nach § 53 EStG ergeben. Der Kläger erklärte daraufhin für die Jahre 1993 bis 1995 sowie nach Vorlage weiterer Berechnungsunterlagen durch das Finanzamt E. auch bezüglich der übrigen Zeiträume den Rechtsstreit für erledigt und beantragte ua, der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Mit dem hier streitigen Beschluss vom 19. November 2002 hat das SG dem Antrag insoweit stattgegeben, dass die Beklagte die Hälfte der außergerichtlichen Kosten zu erstatten hat. Einerseits seien die im vorliegenden Verfahren streitigen Fragen aus dem Kindergeldrecht Gegenstand verfassungsgerichtlicher Überprüfung gewesen, der Kläger habe deshalb wegen § 79 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) Anlass zur Anfechtung der Kindergeldbescheide gehabt. Andererseits sei letztlich ein wirtschaftlich messbarer Klageerfolg nicht erzielt worden.

4

Die zulässige Beschwerde der Beklagten ist begründet und führt zur Änderung des sozialgerichtlichen Beschlusses; Kosten sind demnach nicht zu erstatten.

5

Nach § 193 Abs. 1 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist nach Erledigung eines Verfahrens ohne verfahrensbeendende Entscheidung auf Antrag in Beschlussform zu entscheiden, ob die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Die Entscheidung ergeht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen. Sie hat sich in erster Linie an den Erfolgsaussichten der Klage auszurichten. Zu beachten sind auch die Gründe für die Klageerhebung bzw. ihre Erledigung, ggf. auch der individuelle Verfahrensablauf. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe entspräche es nicht billigem Ermessen, die Beklagte auch nur teilweise mit den außergerichtlichen Kosten des Klägers zu belasten.

6

Die vom Kläger angefochtenen Kindergeldbescheide entsprachen den zu den jeweiligen Zeitpunkten geltenden gesetzlichen Bestimmungen, insbesondere der §§ 10, 11 BKGG aF. Auch im Laufe des Verfahrens hat es keine Veranlassung für die Beklagte gegeben, die Bescheide zu ändern. Auch die vom Kläger angenommene Verfassungswidrigkeit der Vorschriften stellten, jedenfalls soweit dies den konkreten Fall des Klägers betrifft, keinen kostenrechtlich relevanten Anlass für eine Klageerhebung dar. Das BVerfG hat in seinen diversen, den Beteiligten bekannten Entscheidungen zum alten Kindergeldrecht für die hier streitigen Jahre eine Verfassungswidrigkeit der §§ 10, 11 BKGG a.F. nicht festgestellt. Die vom Finanzamt E. ausgestellte Bescheinigung vom 2. April 2001 in Zusammenhang mit den weiteren Berechnungen belegen darüber hinaus, dass auch unter Berücksichtigung des als Folge der verfassungsgerichtlichen Entscheidungen eingeführten § 21 BKGG nF dem Kläger keine höheren Kindergeldleistungen als von der Beklagten bewilligt zugestanden haben.

7

Der Senat verkennt nicht, dass auch einem juristisch vorgebildeten Kindergeldempfänger wie dem Kläger nicht von vornherein klar sein konnte, ob in seinem konkreten Fall die anhängigen Verfassungsbeschwerden und Vorlagebeschlüsse zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der einschlägigen Kindergeldvorschriften führen würden. Verfassungsrechtliche Bedenken allein sind nicht geeignet, die jeweils zuständigen Verwaltungsbehörden mit einem Kostenrisiko zu belasten.

8

Die Beklagte hat auch nicht indirekt dazu beigetragen, dass der Kläger die hier streitigen Verfahren anhängig gemacht hat. Zwar hätte sie bereits auf den jeweiligen Widerspruch das Angebot unterbreiten können, das (Widerspruchs-)Verfahren bis zur Entscheidung des BVerfG ruhen zu lassen. Hierfür hätte frühestens nach Bekannt werden der ersten Entscheidungen des BVerfG vom 12. Juni 1990 Veranlassung bestanden; zu diesem Zeitpunkt waren die ersten beiden Klagen bzgl. der Jahre 1987 und 1988 jedoch bereits beim SG anhängig. Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob eine Beteiligung der Beklagten an den Kosten dann gerechtfertigt wäre, wenn diese einem ausdrücklichen Wunsch auf Nichtbescheidung nicht entsprochen hätte. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.

9

Soweit der Kläger, was sich aus seinen Schriftsätzen nicht eindeutig ergibt, ebenfalls Beschwerde gegen den Kostenbeschluss des SG Osnabrück wegen der nur hälftigen Kostenerstattung erhoben haben sollte, ist dies unzulässig. In seinem Schriftsatz vom 21. November 2002 hat der Kläger ausdrücklich auf die "zutreffenden Entscheidungsgründe des Sozialgerichts" Bezug genommen. Im Übrigen wäre die Beschwerde auch unbegründet, weil, wie ausgeführt, die Beklagte ohnehin keinerlei Kosten zu erstatten hat.

10

Soweit der Kläger (auch dies ist nicht eindeutig zu ermitteln) Beschwerde eingelegt haben sollte mit dem Ziel, die Beiziehung eines Rechtsanwalts in den Vorverfahren für notwendig zu erachten, scheitert dieses Begehren bereits daran, dass die Höhe der Kosten des Vorverfahrens nicht in einer durch den Richter zu erfolgenden Kostengrundentscheidung festzusetzen ist, sondern in einem Kostenfestsetzungsverfahren durch den Kostenbeamten gemäß § 197 SGG.

11

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).