Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 16.01.2003, Az.: L 6 U 470/02

Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung an Rechtsnachfolger; Vorliegen eines entschädigungspflichtigen Arbeitsunfalls; Ursächlicher Zusammenhang zwischen Unfall und versicherter Tätigkeit; Abgrenzung der eigenwirtschaftlichen und beruflichen Tätigkeit; Verfolgung persönlicher Interessen; Verbindung einer Eigentümerstellung mit beruflicher Tätigkeit; Einnahme von Mahlzeiten als private eigenwirtschaftliche Handlung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
16.01.2003
Aktenzeichen
L 6 U 470/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 21069
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0116.L6U470.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Osnabrück - 27.04.2001 - AZ: S 8 U 27/98

Redaktioneller Leitsatz

Voraussetzung eines entschädigungspflichtigen Arbeitsunfalls ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit. Dieser ursächliche Zusammenhang ist zu verneinen, wenn der Gesundheitsschaden durch eigenwirtschaftliche Handlungen der Verletzten hervorgerufen wurde.
Diese liegen dann vor, wenn auf den Entschluss und das Verhalten der Verletzten nicht die Absicht, die berufliche Tätigkeit zu fördern, sondern ein besonderer Zweck, nämlich die Verfolgung persönlicher Interessen, maßgeblich eingewirkt hat.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichtes Osnabrück vom 27. April 2001 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

2

Der Kläger ist der Rechtsnachfolger seiner 1951 geborenen und am 19. November 2001 verstorbenen Ehefrau C., der Versicherten (Vers.). Die Vers. war als Rechtsanwältin selbstständig tätig und bei der Beklagten freiwillig versichert. Ihre Kanzlei betrieb sie im Gebäude D. in Osnabrück. Zum Unfallzeitpunkt am 23. Mai 1997 ließ die Vers. im Außenbereich des Gebäudes Erd- und Gartenarbeiten durchführen. Bei der Zubereitung eines Frühstückes in den Räumen des Gebäudes D. geriet die Vers. mit dem Zeigefinger der rechten Hand in die Brotmaschine und schnitt sich die Fingerkuppe ab. Gemäß dem Bericht des Marienhospitals Osnabrück über die ambulante Erstbehandlung vom 23. Mai 1997 des Dr. med. D. E. erlitt die Vers. eine Kuppendefektwunde rechts 2. Finger.

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Mit Schreiben vom 10. Juni 1997 meldete die Vers. den Unfall bei der Beklagten als Arbeitsunfall an und beantragte Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Mit Bescheid vom 19. September 1997 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, es sei kein anspruchsbegründender Versicherungsfall eingetreten. Das Frühstück sei für die Handwerker bestimmt gewesen, die den Garten zum Wohnhaus der Vers., um das sich das Gebäude D. handele, pflegten. Die Beklagte wies darauf hin, dass die unfallbringende Tätigkeit deshalb dem privaten Bereich zuzuordnen sei. Da die Tätigkeit nicht im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehe, unterfalle sie als eigen-verantwortliche Verrichtung nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.

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Den Widerspruch, mit dem die Vers. geltend machte, bei dem Anwesen handele es sich ausschließlich um ihre Betriebsstätte und nicht um ihre Privatwohnung, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 1997 zurück.

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Hiergegen hat die Vers. am 19. Januar 1998 Klage erhoben und ausgeführt, sie habe für die im Außenbereich des Grundstückes tätigen Handwerker, für ihre Büroangestellten und für sich selbst ein Frühstück zubereiten wollen. Es handele sich um einen Arbeitsunfall, da sie zur Erhaltung der Leistungskraft der Handwerker und ihrer Büroangestellten gehandelt habe. Sie betreibe in dem Gebäude D. im Erdgeschoss ihre Kanzlei, der 1. und 2. Stock seien an Herrn F. (der jetzige Rechtsnachfolger der Vers.) vermietet, der hier seit 1994 die G. betreibe. Das Sozialgericht (SG) Osnabrück hat mit Urteil vom 27. April 2001 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, für die Annahme eines Arbeitsunfalls sei das Bestehen eines ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit erforderlich. Die unfallbringende Tätigkeit müsse dem Unternehmen dienlich sein. Dieser innere Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit sei abzulehnen, da das Zubereiten des Frühstücks durch die Vers. für die im Außenbereich des Gebäudes D. tätigen Arbeiter nicht in einem rechtlichen wesentlichen Zusammenhang mit ihrem Kanzleibetrieb stehe.

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Gegen das ihr am 09. Mai 2001 zugestellte Urteil wandte sich die Vers. mit der am Montag, den 11. Juni 2001, eingelegten Berufung. Sie trug vor, dass im Falle einer Beauftragung von Handwerkerfirmen mit Tätigkeiten auf dem Grundstück, das in vollem Umfange im Betriebsvermögen der Kanzlei stehe, die Bewirtung der Handwerker im Rahmen der üblichen Gepflogenheiten im engen rechtlichen Zusammenhang mit dem Betrieb einer Kanzlei stehe. Nachdem die Vers. am 19. November 2001 verstorben ist, nahm der Kläger mit Schriftsatz vom 4. November 2002 den Rechtsstreit auf.

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Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

  1. 1.

    das Urteil des SG Osnabrück vom 27. April 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 19. September 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 1997 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Entschädigung aus Anlass des Unfallereignisses vom 23. Mai 1997 der Versicherten C. zu zahlen.

8

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Osnabrück vom 27. April 2001 zurückzuweisen.

9

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten und die Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die statthafte Berufung ist zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Dem Kläger als Rechtsnachfolger steht ein Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf Grund des Unfallereignisses vom 23. Mai 1997 seiner verstorbenen Ehefrau C. nicht zu.

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Zu Recht hat das SG einen entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall der Vers. verneint. Nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII liegt ein Arbeitsunfall dann vor, wenn eine Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit) einen Unfall erleidet. Voraussetzung dafür ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der versicherten Tätigkeit. Dieser ursächliche Zusammenhang ist zu verneinen, wenn der Gesundheitsschaden durch eigenwirtschaftliche (private) Handlungen der Verletzten hervorgerufen wurde. Es besteht dann kein Unfallversicherungsschutz, weil die Handlungstendenz der Versicherten auf die Verfolgung eigennütziger Ziele gerichtet ist, die mit den betrieblichen Interessen nicht identisch sind. In Abgrenzung zu einer dem Unfallversicherungsschutz unterliegenden beruflichen Tätigkeit liegt eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit dann vor, wenn auf den Entschluss und das Verhalten der Verletzten nicht die Absicht, die berufliche Tätigkeit (das Unternehmen) zu fördern, sondern ein besonderer Zweck, nämlich die Verfolgung persönlicher Interessen, derart eingewirkt hat, dass die Beziehung der Tätigkeit zu dem den Versicherungsschutz begründenden Unternehmen bei der Bewertung der Unfallursachen als unerheblich ausgeschieden werden muss (Lauterbach, Unfallversicherung, 4. Aufl, Band 1: Bearbeiter Schwerdtfeger, § 8, Rdnr. 214).

13

So aber ist die Situation im vorliegenden Fall zu beurteilen.

14

Wenn die Vers. ausschließlich für die im Außenbereich des Gebäudes H. tätigen Handwerker das Frühstück zubereitet haben sollte, so steht diese Verrichtung in keinem rechtlichen Zusammenhang zu ihrer versicherten Tätigkeit als Rechtsanwältin. Vielmehr stehen die von den Handwerkern vorzunehmenden Außenarbeiten im unmittelbaren rechtlichen Zusammenhang mit der Stellung der Vers. als Eigentümerin des Grundstückes einschließlich des Gebäudes. Als Grundstückseigentümerin aber ist die Vers. nicht bei der Beklagten versichert gewesen. Entgegen der Auffassung der Vers. ist diese Eigentümerstellung nicht mit ihrer beruflichen Tätigkeit als Rechtsanwältin verbunden. Hierbei handelt es sich um zwei verschiedene Funktionen. Ein Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin wäre allenfalls dann zu erwägen, wenn die Handwerker Arbeiten in den Kanzleiräumen, d.h. in den Bereichen, die ausschließlich für das Gewerbe, für das sich die Vers. bei der Beklagten auch versichert hat, verrichtet hätten. In diesem Fall wäre das Zubereiten des Frühstückes - auch wenn es für ihre Büroangestellten mit erfolgte - lediglich als eine Gefälligkeitshandlung der Vers. zu werten. Es wäre eine freundliche Geste ohne wesentlichen rechtlichen Bezug zu ihrer Tätigkeit als Rechtsanwältin.

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Wenn die Vers. dagegen das Frühstück nur für sich selbst zubereitet haben sollte, so stellt dies eine private eigenwirtschaftliche Handlung der Vers. dar und unterfällt damit nicht dem Versicherungsschutz. Unabhängig von der versicherten Tätigkeit ist Essen und Trinken für jedermann zur Lebenserhaltung erforderlich und daher privater Natur (vgl. zusammenfassend: BSG vom 07. August 1991 - 8 R Kn U 1/90). Unerheblich ist, dass sich die Vers. bei der Zubereitung des Frühstückes und nicht bei der Nahrungsaufnahme selbst verletzte. Denn Nebenverrichtungen, die mit der Nahrungsaufnahme zusammenhängen, wie Zubereitungen u.Ä., sind dann versichert, wenn die Nahrungsaufnahme selbst versichert ist (Lauterbach, a.a.O., § 8, Rdnr. 230).

16

An der Beurteilung ändert sich auch nichts, wenn zu Gunsten der Vers. angenommen wird, dass es sich bei dem Gebäude I. 15 ausschließlich um ihre Betriebsstätte und zum Zeitpunkt des Ereignisses noch nicht um ihren Wohnort gehandelt haben sollte. Denn die Einnahme von Mahlzeiten stellt auch dann eine private eigenwirtschaftliche Handlung des Verletzten dar, wenn sie auf der Betriebsstätte zur Betriebszeit ausgeführt wird (vgl. zusammenfassend: BSG vom 7. August 1991 - 8 R Kn U 1/90).

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Es sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, das eigenwirtschaftliche Moment, das mit der Nahrungsaufnahme verbunden ist, bei der Beurteilung des versicherungsrechtlichen Zusammenhangs in den Hintergrund treten zu lassen. Ein besonderes betriebliches Interesse, welches die Nahrungsaufnahme in der Kanzlei der Klägerin geboten erscheinen lässt, ist nicht erkennbar. So ist Versicherungsschutz - wie das SG zu Recht ausgeführt hat - ausnahmsweise anzunehmen, wenn die versicherte Tätigkeit ein besonderes Hunger- oder Durstgefühl verursacht hat, welches ohne die betriebliche Tätigkeit gar nicht oder erst später aufgetreten wäre, wenn also die Nahrungsaufnahme unmittelbar wesentlich der Wiedererlangung oder Erhaltung der Arbeitsfähigkeit dient (BSG SozR Nr. 40 zu § 542 RVO a.F.; SozR 2200 § 548 Nr. 20).

18

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

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Es liegt kein Grund vor, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).