Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 20.01.2003, Az.: L 6 U 298/00

Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente; Anerkennung einer Erkrankung als Berufskrankheit; Vorliegen bestimmter beruflicher und medizinischer Voraussetzungen

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
20.01.2003
Aktenzeichen
L 6 U 298/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 20178
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0120.L6U298.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Lüneburg - 14.06.2000 - AZ: S 2 U 14/98

Redaktioneller Leitsatz

Bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS kommen unabhängig von beruflicher Belastung häufig vor. Deshalb müssen bestimmte berufliche und medizinische Voraussetzungen erfüllt sein, um sie als BK feststellen zu können.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 14. Juni 2000 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Zahlung von Verletztenrente. Streitig ist, ob insbesondere ein in den Jahren 1990 und 1991 operierter Bandscheibenvorfall in Höhe L5/S1 wahrscheinlich wesentlich durch die bis 1990 ausgeübte Tätigkeit als Kraftfahrer und Baumaschinist (mit)verursacht ist (s. im Einzelnen die Angaben des Klägers im Schreiben vom 10. Februar 1995 und im Fragebogen vom 20. März 1995). Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 4. März 1997 die Anerkennung der Erkrankung als Berufskrankheit (BK) Nr. 2110 der Anlage (Anl.) zur Berufskrankheitenverordnung (BKV: bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule - LWS - durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen) ab, nachdem Dr. C. auf Grund des Ergebnisses durchgeführter Schwingungsmessungen zu der Wertung gelangt war, dass der erforderliche Grenzwert nicht erreicht worden sei (Stellungnahme vom 10. Dezember 1996). Der Widerspruch wurde nach Einholung der ergänzenden Stellungnahme des Dr. C. vom 23. Juni 1997 zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 11. Dezember 1997).

2

Gegen den am 15. Dezember 1997 abgesandten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 14. Januar 1998 vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg Klage erhoben. Das SG hat die Klage nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid vom 14. Juni 2000 abgewiesen.

3

Dagegen wendet sich der Kläger mit der am 10. Juli 2000 eingelegten Berufung. Er hält an seiner Auffassung fest, dass seine Erkrankung wahrscheinlich wesentlich beruflich (mit)verursacht sei und beantragt,

  1. 1.

    den Gerichtsbescheid des SG Lüneburg vom 14. Juni 2000 und den Bescheid der Beklagten vom 4. März 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 1997 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm Verletztenrente in Höhe von 20 vom Hundert der Vollrente zu zahlen.

4

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Lüneburg vom 14. Juni 2000 zurückzuweisen.

5

Der Senat hat das zu dem Az. L 6 U 196/00 ergangene Urteil vom 21. November 2002 in das Verfahren eingeführt und die Anforderungen zur Feststellung der BK Nr. 2110 in dem zur Erörterung des Sachverhalts mit den Beteiligten bestimmten Termin am 20. Januar 2003 im Einzelnen erörtert. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung allein durch den Berichterstatter einverstanden erklärt.

6

Dem Senat haben neben den Prozessakten die Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

7

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Denn die zulässige Klage ist nicht begründet. Der vom Kläger angefochtene Bescheid ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung von Verletztenrente (§§ 580 f., 551 der auf den vorliegenden Sachverhalt noch anzuwendenden - vgl. Artikel 36 Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz, § 212 Sozialgesetzbuch VII - Reichsversicherungsordnung). Denn die Anforderungen an die Feststellung der BK Nr. 2110 sind nicht erfüllt.

8

Bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS kommen unabhängig von beruflicher Belastung häufig vor. Deshalb müssen bestimmte berufliche und medizinische Voraussetzungen erfüllt sein, um sie als BK feststellen zu können. Voraussetzung der Anwendung der BK Nr. 2110 ist, dass ein Versicherter beruflich langjähriger, vorwiegend vertikaler Einwirkung von Ganzkörperschwingungen im Sitzen in einem Ausmaß ausgesetzt ist, dass sich als potenziell gesundheitsgefährdend darstellt. Erforderlich sind Expositionstage mit Beurteilungsschwingstärken von wenigstens 16,2 nach VDI 2057 (Tagesdosis - s. ausführlich hierzu das - zur Veröffentlichung vorgesehene - Urteil des erkennenden Senats vom 21. November 2002 - L 6 U 196/00 - S. 7 ff.). Ausweislich der Berechnung des Dr. C. (vgl. die Stellungnahmen vom 10. Dezember 1996 und 23. Juni 1997) ist dieser Wert in der beruflichen Tätigkeit des Klägers nicht erreicht worden. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf die zutreffenden Entscheidungsgründe im angefochtenen Gerichtsbescheid (S. 6 bis 7 erster Absatz) Bezug (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Mit dem Einwand des Klägers, die Fahrzeuge, die Grundlage der Berechnung waren, nicht gefahren zu haben, hat sich Dr. C. in der ergänzenden Stellungnahme vom 23. Juni 1997 auseinander gesetzt. Im Übrigen ist nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht vorgetragen worden, wie Schwingungsmessungen an den von ihm gefahrenen Fahrzeugen vorgenommen werden können, da sie - nach dem Vortrag des Klägers vor dem Berichterstatter - vor über 10 Jahren ausgemustert wurden.

9

Doch selbst wenn zu Gunsten des Klägers davon ausgegangen wird, dass er die sog. arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK Nr. 2110 erfüllt, ist kein für ihn günstiges Ergebnis die Folge. Denn das Vorliegen einer von der BK Nr. 2110 erfassten Erkrankung und einer beruflichen potenziell gesundheitsgefährdenden Exposition begründen keinen Anscheinsbeweis und damit noch nicht die Wahrscheinlichkeit der beruflichen Verursachung (s. hierzu ausführlich das Urteil des erkennenden Senats vom 21. November 2002 - L 6 U 196/00 - S. 9 f.). Deshalb müssen zusätzliche Merkmale (Kriterien), die für die eine berufliche (Mit)Verursachung der bandscheibenbedingten Erkrankung sprechen, vorliegen. Bei einer wahrscheinlich wesentlich beruflich (mit)verursachten bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS sind im Röntgenbild spezifische Ausprägungen zu erwarten, die in nicht schwingungsbelasteten Vergleichskollektiven nicht vorhanden sind. Von Bedeutung ist hier, dass eine Schwingungsbelastung auf die gesamte LWS einwirkt und dass deshalb bei einer wahrscheinlich wesentlichen beruflichen (Mit)Verursachung degenerative Veränderungen auch der oberen und mittleren LWS zu erwarten sind (s. hierzu ausführlich das Urteil des erkennenden Senats vom 21. November 2002 - L 6 U 196/00 - S. 11 ff.). Solche Veränderungen werden in den für die Beurteilung maßgebenden zeitnahen ärztlichen Befunden nicht beschrieben. Neben den unabhängig von einer beruflichen Verursachung häufig betroffenen Segmenten L5/S1 und nachrangig L4/5 sind lediglich Veränderungen der unteren Halswirbelsäule (Arztbrief des Dr. D. vom 28. August 1990) und der unteren Brustwirbelsäule (Arztbrief des Dr. E. vom 30. August 1991) festgehalten, die einer beruflichen Belastung nicht ausgesetzt waren und deshalb auch gegen eine wahrscheinlich wesentlich beruflich (mit)bedingte Verursachung insbesondere des Bandscheibenvorfalls L5/S1 sprechen. Eine - bei einer wahrscheinlich beruflichen (Mit)Verursachung zu erwartende - Veränderung der darüber liegenden Abschnitte der LWS ist keiner der umfangreichen medizinischen Unterlagen zu entnehmen. Vielmehr - darauf hat bereits das SG zutreffend hingewiesen - geht aus dem ärztlichen Entlassungsbericht der F., vom 13. November 1990 eine Fehlstatik im Sinne einer ausgeprägten Hyperlordose mit Beckenventralkippung hervor, die die Ärzte zu der Wertung führte, dass der Kläger an "bandscheibenprotrusionsverdächtigen Beschwerden im Bereich der LWS bei ausgeprägter Fehlstatik" leide. Insofern ist - entgegen dem Vortrag des Klägers - ein Anknüpfungsbefund für eine außerberufliche Ursache vorhanden. Im Übrigen müssen die oben genannten Kriterien unabhängig von der Frage konkurrierender anlagebedingter Faktoren vorliegen, da bei ihrem Verzicht im Ergebnis ein - rechtlich nicht zulässiger - Anscheinsbeweis angenommen würde.

10

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

11

Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegt nicht vor.