Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 29.01.2003, Az.: L 11 KA 38/99
Begriff der vertragsärztlichen Selbstverwaltung; Zuordnung von Leistungsbereichen (Budgets); Abrechnung von osteodensitometrische Untersuchungen außerhalb des Praxisbudgets
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 29.01.2003
- Aktenzeichen
- L 11 KA 38/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 24815
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0129.L11KA38.99.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Bremen - 20.10.1999 - AZ: S 24 KA 4/99
Rechtsgrundlagen
- § 87 Abs. 2 S. 1 SGB V
- § 87 Abs. 2a SGB V
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 20. Oktober 1999 wird zurückgewiesen. Der Kläger hat der Beklagten die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, ob der Kläger osteodensitometrische Untersuchungen außerhalb des Praxisbudgets abrechnen kann.
Der Kläger ist als Arzt für Orthopädie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Mit Honorarbescheid vom 24. Februar 1998 setzte die Beklagte das vertragsärztliche Honorar des Klägers für das Quartal III/97 fest. Hierbei legte sie die Regelungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) in der seit dem 1. Juli 1997 geltenden Fassung zu Grunde. Dem Honorarbescheid ist zu entnehmen, dass der Kläger außer über das Praxisbudget auch über die qualifikationsgebundenen Zusatzbudgets Physikalische Therapie und Teilradiologie verfügte. Osteodensitometrische Leistungen (Nr. 5300 EBM) und Schmerzbehandlungen (Nrn. 415-450 EBM) vergütete die Beklagte allein im Rahmen des Praxisbudgets.
Hiergegen legte der Kläger am 6. März 1998 Widerspruch ein.
Mit einem weiteren Bescheid vom 27. April 1998 setzte die Beklagte das Honorar des Klägers für das Quartal IV/97 fest. Dabei verfuhr sie in derselben Weise wie im Vorquartal.
Hiergegen legte der Kläger am 11. Mai 1998 ebenfalls Widerspruch ein. Zur Begründung seiner Rechtsbehelfe führte er hinsichtlich der jetzt allein noch streitigen Vergütung der von ihm erbrachten Osteodensitometrien aus, ins Praxisbudget sollten nur solche Leistungen einfließen, die von der überwiegenden Zahl der Orthopäden erbracht würden. Dies treffe für Osteodensitometrien nicht zu, denn diese würden in Bremerhaven nur von zwei Orthopäden erbracht. Die mit der Aufnahme ins Praxisbudget verbundene Nichtanerkennung der Knochendichtemessung und der Osteoporose als Krankheit könne er nicht nachvollziehen. Ferner müsse berücksichtigt werden, dass diese Untersuchungsmethode Investitionskosten fast in Höhe einer Röntgenanlage voraussetze. Hinzu kämen die Wartungskosten, die Software-Pflege und die Qualitätskontrollen im Rahmen des Strahlenschutzes. Hierdurch entstünden besondere Kosten, die bei anderen Praxen, welche keine Knochendichtemessungen durchführten, nicht anfielen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 1998 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. In den Allgemeinen Bestimmungen des EBM seien im Abschnitt A I. Teil B Ziff. 5. und Ziff. 5.1 diejenigen Leistungen aufgeführt, die von der Anrechnung auf das Praxisbudget ausgenommen seien ("rote Leistungen") bzw. deren Vergütung nicht von der Budgetierung betroffen seien ("Vorab-Vergütung"). Die Nr. 5300 EBM gehöre hierzu nicht.
Mit seiner am 11. Januar 1999 erhobenen Klage hat der Kläger hinsichtlich der Vergütung von Osteodensitometrien geltend gemacht, eine EBM-Leistung dürfe nur dann ins Globalbudget übernommen werden, wenn sie von der Mehrzahl der Ärzte einer Fachgruppe erbracht würden. In Bremerhaven erbringe nur noch eine weitere orthopädische Praxis die fragliche Leistung. Im Bereich der Beklagten insgesamt rechneten 8 von 52 Ärzten der Fachgruppe Knochendichtemessungen ab. Mit der Budgetierung entfalle die Möglichkeit einer angemessenen Honorierung der Leistung. Es sei zu beachten, dass sein Gerät Anschaffungskosten von 125.000,00 DM verursacht habe und laufend teuer unterhalten und gewartet werden müsse. Inzwischen gelte es als Kunstfehler, für die Behandlung der Osteoporose die Knochendichtemessung zu unterlassen. Durch die Berücksichtigung der Osteodensitometrien allein im Praxisbudget habe er in den Quartalen III und IV/97 Leistungseinbußen in Höhe von 9.829 und 12.346, mithin insgesamt also von 22.175 Punkten erlitten.
Die Beklagte hat demgegenüber die angefochtenen Bescheide verteidigt.
Mit Urteil vom 20. Oktober 1999 hat das Sozialgericht (SG) Bremen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, in dem zum 1. Juli 1997 in Kraft getretenen neuen EBM seien diejenigen Leistungsziffern im Einzelnen aufgeführt, die von der Anrechnung auf Praxisbudgets ausgenommen seien. Hierzu zähle u.a. die Nr. 5300 EBM nicht. Demgemäß könne diese Leistungsziffer nur innerhalb dieses Budgets abgerechnet werden. Im Übrigen sei es den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nur ausnahmsweise und in engen Grenzen gestattet, in das Bewertungsgefüge der vertragsärztlichen Gebührenordnung einzugreifen. Es könne nicht deren Aufgabe sein, mit punktuellen Entscheidungen zu einzelnen Gebührenpositionen das einmal erstellte Tarifgefüge abzuändern und dessen Funktionsfähigkeit insgesamt in Frage zu stellen. Etwas anderes gelte allein dann, wenn sich zweifelsfrei feststellen ließe, dass der Bewertungsausschuss seinen Regelungsspielraum überschritten oder seine Bewertungskompetenz missbräuchlich ausgeübt habe. Eine derartige Überschreitung der Grenzen des normativen Ermessens sei nicht erkennbar und auch klägerseitig nicht vorgetragen worden. Die beim Kläger eingetretenen Honorarrückgänge rechtfertigten keinen Anspruch auf eine ihm persönlich zustehende höhere Vergütung. Zwar könne aus dem objektiv rechtlichen Gebot der angemessenen Vergütung ausnahmsweise bei Hinzutreten besonderer Umstände ein Anspruch auf ein höheres Honorar entstehen. Dies gelte jedoch nur dann, wenn durch eine zu niedrige Vergütung ärztlicher Leistungen das kassenärztliche Versorgungssystem als Ganzes und als deren Folge auch die berufliche Existenz der am Versorgungssystem teilnehmenden ärztlichen Leistungserbringer gefährdet wäre. Dies sei jedoch weder er-sichtlich noch vom Kläger vorgetragen worden.
Gegen das ihm am 19. November 1999 zugestellte Urteil hat der Kläger am Montag, dem 20. Dezember 1999, Berufung eingelegt, mit der er hinsichtlich der Nr. 5300 EBM sein bisheriges Begehren weiterverfolgt.
Der Kläger beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 20. Oktober 1999 sowie die Honorarabrechnungsbescheide der Beklagten für die Quartale III/97 und IV/97 vom 24. Februar 1998 und 27. April 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Dezember 1998 zu ändern,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, ihm die in den Quartalen III/97 und IV/97 zur Abrechnung gebrach- ten Leistungen der Nr. 5300 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes außerhalb des Praxisbudgets abzurechnen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Dem Senat haben außer der Prozessakte die den Kläger betreffenden Verwaltungsunterlagen der Beklagten vorgelegen. Beide Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird hierauf ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Senat hat in der Besetzung mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus dem Kreis der Ärzte und Psychotherapeuten entschieden, denn die streitige Honorarverteilung betrifft allein die vertragsärztliche Selbstverwaltung und damit eine Angelegenheit der Vertragsärzte, Vertragszahnärzte und Psychotherapeuten (vgl. § 12 Abs. 3 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die gemäß §§ 143 f. SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Das Rechtsmittel ist indes nicht begründet. Die Beklagte und das SG haben hinsichtlich der im Berufungsverfahren allein noch streitigen Vergütung für die in den Quartalen III und IV/97 durchgeführten Osteodensitometrien (Nr. 5300 EBM) zutreffend entschieden, dass diese nur innerhalb des Praxisbudgets abgerechnet werden können.
Auf Grund der Beschlüsse des Bewertungsausschusses vom 19. November 1996 und 11. März 1997 sehen die Allgemeinen Bestimmungen A I. Teil B des EBM für die Zeit ab 1. Juli 1997 die Einführung von Praxis- und Zusatzbudgets vor (vgl. die Bekanntmachungen im Deutschen Ärzteblatt 1997, S. A-864 ff.). Grundlage hierfür ist § 87 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 2a Satz 1, 2 und 8 des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V). Danach unterliegen die im EBM enthaltenen ärztlichen Leistungen nach Maßgabe näherer Bestimmungen je Arztpraxis und Abrechnungsquartal u.a. für die Gruppe der Ärzte für Orthopädie, der der Kläger angehört, einer fallzahlabhängigen Budgetierung (vgl. Allgemeine Bestimmungen A I. Teil B Nr. 1 i.V.m. Nr. 1.5 EBM). Im Einzelnen sind die Regelungen des EBM 1997 in der Weise ausgestaltet, dass für die betroffenen Arztgruppen drei verschiedene Leistungsbereiche vorgesehen sind. Es handelt sich dabei um das Praxisbudget ("grüner Bereich"), bestimmte arztgruppen-spezifische Zusatzbudgets ("gelber Bereich") sowie einen auch zukünftig unbudgetiert bleibenden weiteren Leistungsbereich ("roter Bereich").
Die Regelungen des EBMüber die Praxisbudgets ab dem Quartal III/97 stehen mit höherrangigem Recht in Einklang. Der Senat sieht insoweit von eigenen Ausführungen ab und verweist stattdessen auf die Rechtsprechung des BSG (vgl. hierzu im Einzelnen BSG SozR 3-2500 § 87 Nr. 23; S. 120 ff.).
Die sich aus dem geänderten EBM ergebenden Vorgaben hat die Beklagte in ihrem ab 1. Juli 1997 geltenden Honorarverteilungsmaßstab (HVM) entsprechend umgesetzt und hinsichtlich der im vorliegenden Fall streitigen Nr. 5300 EBM bei den Honorarabrechnungen des Klägers in den Quartalen III und IV/97 zutreffend berücksichtigt. Eine Vergütung der hier fraglichen Knochendichtemessungen kam danach nur im Rahmen des Praxisbudgets in Betracht. Eine Berücksichtigung als unbudgetierte Leistung konnte dagegen nicht erfolgen. Die nicht einem der verschiedenen Budgets unterfallenden Kapitel, Abschnitte, Unterabschnitte bzw. Gebührenordnungspositionen des EBM sind in den Allgemeinen Bestimmungen A I. Teil B Nr. 5 EBM im Einzelnen aufgeführt. Die dem Abschnitt Q 1. zugehörige Nr. 5300 ist hierin nicht erwähnt. Sie unterfällt aber auch nicht dem Kläger zusätzlich zuerkannten qualifikationsgebundenen Zusatzbudget Teilradiologie (vgl. hierzu die Übersicht in den Allgemeinen Bestimmungen A I. Teil B Nr. 4.1 EBM). Damit verblieb allein die Honorierung im Rahmen des Praxisbudgets.
Rechtliche Bedenken gegen die somit allein im Rahmen der budgetierten Leistungsvergütung mögliche Berücksichtigung der Nr. 5300 EBM bestehen nicht. Wie bereits das SG zutreffend ausgeführt hat, ist es den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit grundsätzlich versagt, in das vom Bewertungsausschuss erarbeitete System autonomer Leistungsbewertung einzugreifen. Der im Ausschuss herbeizuführende Ausgleich zwischen den Interessen der Ärzte und der Krankenkassen erfordert die Berücksichtigung zahlreicher, nicht nur betriebswirtschaftlicher Gesichtspunkte. Es kann deshalb nicht Aufgabe der Gerichte sein, mit punktuellen Entscheidungen zu einzelnen Gebührenpositionen in ein umfassendes, als ausgewogen zu unterstellendes Tarifgefüge einzugreifen und dadurch dessen Funktionsfähigkeit in Frage zu stellen. Etwas anderes kann nur in den seltenen Ausnahmefällen gelten, in denen sich zweifelsfrei feststellen lässt, dass der Bewertungsausschuss seinen Regelungsspielraum überschritten oder seine Bewertungskompetenz missbräuchlich ausgeübt hat (vgl. hierzu BSG SozR 3-5533 Nr. 763 BMÄ, S. 3/4). Das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls ist hier nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht vorgetragen worden.
Schließlich verstößt die Vergütung der Nr. 5300 EBM innerhalb des Praxisbudgets nicht gegen das aus § 72 Abs. 2 SGB V folgende objektiv rechtliche Gebot der Angemessenheit der Vergütung. Nachdem der Kläger hierzu im Berufungsverfahren keine weiter gehenden Ausführungen gemacht hat, verweist der Senat insoweit auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils (§ 153 Abs. 2 SGG).
Nach alledem kann die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Es hat kein Anlass bestanden, die Revision zuzulassen.