Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 16.01.2003, Az.: L 6 U 324/02

Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen eines Arbeitsunfalls; Anspruch auf Verletztenrente und Verletztengeld ; Darlegungslast im sozialgerichtlichen Verfahren

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
16.01.2003
Aktenzeichen
L 6 U 324/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 21067
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0116.L6U324.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Stade - 04.06.2002 - AZ: S 11 U 199/00

Redaktioneller Leitsatz

Der Anspruch auf Verletztenrente und Verletztengeld setzt voraus, dass die Arbeitsunfähigkeit bzw. die mindestens 20 v.H. betragende Minderung der Erwerbsfähigkeit des Verletzten in Folge eines Arbeitsunfalls besteht. Im sozialgerichtlichen Verfahren trägt hierfür der Anspruchsteller die Beweislast.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 4. Juni 2002 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung wegen eines Arbeitsunfalls. Der 1965 geborene Kläger war als Selbstständiger bei der Beklagten versichert. Am 15. November 1997 gegen 12.00 Uhr erlitt er auf dem Weg zu einem Kunden einen Unfall, bei dem ein anderer Wagen auf den stehenden Leihwagen (VW-Bus) des Klägers auffuhr. Am Nachmittag des folgenden Tages stellte er sich bei dem Durchgangsarzt Prof. Dr. C. vor. Bei der Untersuchung fand sich ein mäßiger HWS-Hartspann und eine schmerzhaft eingeschränkte HWS-Beweglichkeit. Obere und untere Extremitäten waren frei beweglich, Durchblutung, Sensibilität und Motorik ohne Befund. Bei der röntgenologischen Untersuchung fanden sich keine Zeichen einer Fraktur. Prof. Dr. C. diagnostizierte eine ...HWS-Distorsion". Am 26. Januar 1998 erfolgte im Zentralkrankenhaus D. eine neurologische Untersuchung. Dr. E. fanden keine neurologischen Ausfallerscheinungen. Der Lokalbefund war unauffällig. Nach ihrer Einschätzung ist von einem ...HWS-Schleudertrauma Grad I" auszugehen. Ergänzend teilte der Unfallchirurg F. in seinem Bericht vom 16. Februar 1998 mit, dass eine derartige Zerrungsverletzung der HWS nach drei Monaten ausgeheilt sei. Am 17. Februar 1998 führte Dr. G. eine Computertomographie durch. Nach seiner Beurteilung erbrachten die kranielle Computertomographie und auch die im Knochenfenster angefertigten Schnitte keine pathologischen Befunde. Es fand sich kein Nachweis älterer traumatisch bedingter Hirnveränderungen. Es fanden sich auch keine Kriterien für eine ältere oder frische Fraktur des knöchernen Hirnschädels (Bericht vom 20. Februar 1998).

2

Mit Bescheid vom 26. Februar 1998 bewilligte die Beklagte Verletztengeld bis 22. Februar 1998.

3

Am 7. Mai 1998 stellte sich der Kläger erneut bei Dr. C. vor, der die noch vorhandenen Beschwerden als unfallunabhängig bewertete (Zwischenbericht vom 19. Mai 1998). Am 26. Oktober 1999 wandte sich der Kläger an die Beklagte und gab an, dass die Medikamente, die er nach dem Unfall verordnet bekommen habe, nicht ausgereicht hätten. Deshalb habe ihm seine damalige Freundin, die als Arzthelferin tätig gewesen sei, zusätzliche Medikamente gegeben. Danach hätte sich sein Gesundheitszustand drastisch verschlechtert (Angst, Kopfschmerzen, Magenschmerzen, Herzrasen, Schlaflosigkeit). Er habe kaum noch klar denken können. Erst viel später habe er erkannt, dass er medikamentenabhängig geworden sei. Die Freundin habe ihm zudem zusammen mit ihrem Freund finanziell sehr geschadet.

4

Mit Bescheid vom 23. November 1999 lehnte die Beklagte Leistungen mit der Begründung ab, die Medikamentenabhängigkeit sei nicht unfallbedingte, weil die Verordnung nicht mehr wegen der Unfallfolgen vorgenommen worden sei (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 11. September 2000).

5

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Stade hat der Kläger die Bescheinigung der AOK H. vom 22. Januar 2000 und den Reha-Entlassungsbericht der Fachklinik I. vom 24. März 2002 eingereicht. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 4. Juni 2002 unter Berufung auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid der Beklagten und den PKH-Beschluss des LSG Niedersachsen vom 5. April 2002 (L 9 B 97/02 U) abgewiesen.

6

Gegen diesen am 6. Juni 2002 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 4. Juli 2002 Berufung eingelegt. Er trägt vor, sein derzeitiger Gesundheitszustand habe seine Ursache allein in dem Arbeitsunfall. Er hat die nervenärztliche Stellungnahme von Dr. J. vom 3. September 2002 vorgelegt.

7

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    den Gerichtsbescheid des SG Stade vom 4. Juni 2002 und den Bescheid der Beklagten vom 23. November 1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. September 2000 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, ihm über den 22. Februar 1998 hinaus Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, insbesondere Verletztengeld und/oder Verletztenrente zu zahlen.

8

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des SG Stade vom 4. Juni 2002 zurückzuweisen.

9

Die Beklagte hält den Gerichtsbescheid des SG und ihre Bescheide für zutreffend.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Prozessakte Bezug genommen. Der Entscheidungsfindung haben die Verwaltungsakten der Beklagten zu Grunde gelegen.

Entscheidungsgründe

11

Die statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und damit zulässig. Sie ist jedoch unbegründet, denn die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 15. November 1997 über den 22. Februar 1998 hinaus Verletztenrente und/oder Verletztengeld zu zahlen.

12

Der Anspruch auf Verletztenrente und Verletztengeld setzt gemäß §§ 45, 56 SGB VII voraus, dass die Arbeitsunfähigkeit bzw. die (mindestens 20 v.H. betragende) MdE des Verletzten in Folge eines Arbeitsunfalls besteht. Nach Auswertung der im Verwaltungs- und Klageverfahren beigezogenen ärztlichen Befund- und Behandlungsberichte kann im vorliegenden Fall nicht festgestellt werden, dass diese Voraussetzungen ab dem 22. Februar 1998 vorliegen. Denn spätestens seit diesem Zeitpunkt lassen sich die vom Kläger angegebenen Schmerzen und Unruhezustände nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit auf den Arbeitsunfall vom 15. November 1997 zurückführen.

13

Entscheidend gegen die unfallbedingte Verursachung der Kopf- bzw. Nackenschmerzen spricht, dass nach dem Unfall keine strukturellen Verletzungen im Bereich des Kopfes oder der HWS nachgewiesen, sondern auf Grund der klinischen und apparativen Untersuchungen ausgeschlossen werden konnten.

  • Der erstbehandelnde Durchgangsarzt Prof. Dr. C. hat lediglich einen mäßigen HWS-Hartspann und eine schmerzhafte HWS-Beweglichkeit mitgeteilt.
  • Die durchgeführten bildgebenden Verfahren (Röntgen-Aufnahmen vom 16. November 1997 und CT des Schädels vom 20. Februar 1998) haben keine pathologischen Befunde gesichert.
  • Es liegen auch keine Anhaltspunkte für die Verletzung nervaler Strukturen vor. Denn bei der Untersuchung durch Dr. E. am 26. Januar 1998 war der Lokalbefund unauffällig, es bestanden auch keine neurologischen Ausfallerscheinungen.

14

Es kann offen bleiben, ob die Beschwerden des Klägers auf den von ihm mitgeteilten Medikamentenmissbrauch zurückzuführen sind, denn diese Arzneimittel sind nicht zur Behandlung von Unfallfolgen verordnet worden.

15

Die vom Kläger angegebenen Schmerzen lassen sich auch nicht auf eine durch den Unfall vom 15. November 1997 hervorgerufene psychische Störung (etwa eine Anpassungsstörung oder eine posttraumatische Belastungsstörung) zurückführen. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die ausführliche und schlüssige Begründung des PKH-Beschlusses vom 5. April 2002 (L 9 B 97/02 U).

16

Eine für den Kläger günstigere Beurteilung ergibt sich schließlich auch nicht unter Berücksichtigung der Bescheinigung der AOK H. vom 22. Januar 2002 und des Reha-Entlassungsberichtes der Fachklinik I. vom 24. März 2000. Wie sich aus der Bescheinigung der AOK ergibt, war der Kläger ab 13. September 1999 wegen verschiedener Erkrankungen arbeitsunfähig. Der Bescheinigung lässt sich aber kein Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen der Arbeitsunfähigkeit und dem Unfall vom 15. November 1997 entnehmen. Dasselbe gilt für den Reha-Entlassungsbericht. Dieser gibt unter 8. (Rehabilitationsverlauf und -ergebnis) lediglich Angaben des Klägers über die nach dem Unfall zunehmend aufgetretenen Schmerz-, Angst- und Verzweiflungszustände wieder. Zudem haben die behandelnden Ärzte darauf hingewiesen, dass bei dem Kläger eine Depression bei vorwiegend partnerschaftlicher Konfliktsituation - also unfallunabhängig - festgestellt worden ist.

17

Entgegen der Ansicht des Klägers lässt sich das von Dr. J. diagnostizierte HWS-Syndrom nicht allein deshalb auf den Arbeitsunfall vom 15. November 1997 zurückführen, weil der Kläger nach diesem Unfall keine weiteren Unfälle erlitten habe. Abgesehen davon, dass der Kläger im Schreiben vom 26. Oktober 1999 einen weiteren Unfall vom 20. August 1998 erwähnt hat, lässt sich kein Zusammenhang zwischen den Beschwerden des Klägers und dem Arbeitsunfall wahrscheinlich machen, weil - wie ausgeführt - keine strukturellen Verletzungen nachgewiesen worden sind. Auch Dr. J. konnte einen Zusammenhang mit dem 1997 erlittenen Unfall nicht feststellen.

18

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG; Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), sind nicht gegeben.