Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 07.01.2003, Az.: L 4 KR 109/02

Gewährung von Leistungen zur künstlichen Befruchtung; Differenzierung zwischen Ehepaaren und nichtehelichen Lebensgemeinschaften bei homologer Insemination ; Voraussetzungen für die Verletzung von Art. 3 GG; Familienbegriff in Art. 6 GG

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
07.01.2003
Aktenzeichen
L 4 KR 109/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2003, 21791
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0107.L4KR109.02.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Hannover - 23.04.2002 - AZ: S 44 KR 1796/01

Fundstellen

  • Breith. 2003, 785-787
  • NZS 2004, 101-103 (Volltext mit amtl. LS)
  • SGb 2003, 521 (amtl. Leitsatz)

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Partnerin einer verschiedengeschlechtlichen Lebensgemeinschaft hat keinen Anspruch nach § 27 a Abs. 1 SGB V auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung mit dem Samen ihres Lebenspartners.

  2. 2.

    Die Beschränkung des Leistungsanspruches auf die homologe Insemination zwischen Ehegatten verstößt nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG. Denn nur die Ehe, nicht aber die nichteheliche Lebensgemeinschaft steht unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung (vgl. BVerfG, Urteil vom 17.7.2002 - 1 BvF 1, 2/01 - in BVerfGE 105, 313, 342 ff.)

In dem Rechtsstreit
hat der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen
am 7. Januar 2003 in Celle
gem § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz - SGG -
durch
die Richterin Schimmelpfeng-Schütte - Vorsitzende -,
die Richterin Poppinga und
den Richter Wolff
beschlossen:

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

Der Rechtsstreit betrifft die Gewährung von Leistungen zur künstlichen Befruchtung.

2

Die im November 1968 geborene Klägerin erkundigte sich bereits im April 2001 bei der Beklagten über die Möglichkeiten einer Behandlung mittels intracytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI). Die Behandlung sollte mit dem Samen ihres Lebensgefährten D., der an einer hochgradigen Oligo-Astheno-Teratoospermie (OAT-Syndrom) litt, erfolgen. Die Beklagte teilte seinerzeit mit, dass eine Kostenübernahme nicht erfolgen könne, sagte allerdings eine erneute Überprüfung des Sachverhaltes unter Auswertung der erwarteten höchstrichterlichen Rechtsprechung zu. Im Juni/Juli 2001 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass eine Kostenübernahme für die geplante weitere ICSI-Behandlung schon deshalb nicht in Betracht komme, weil nach den gesetzlichen Bestimmungen eine solche Behandlung zu Lasten der Gesetzlichen Krankenkassen nur bei Ehepaaren vorgesehen sei.

3

Mit Schreiben vom 1. August 2001 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten in Höhe von ca. 7.000,- DM für die im Juli 2001 begonnene ICSI-Behandlung unter Vorlage einer Bescheinigung ihres Gynäkologen Dr. E.. Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 8. August 2001 unter Hinweis auf die gesetzlichen Bestimmungen ab.

4

Mit ihrem am 6. September 2001 erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, dass die gesetzliche Regelung, auf die die Beklagte ihre Entscheidung stütze, verfassungswidrig sei, weil sie die nichteheliche Lebensgemeinschaft gegenüber den ehelichen Lebensgemeinschaften in unzulässiger Weise benachteilige. Gleichzeitig teilte die Klägerin mit, dass die erste ICSI-Behandlung fehlgeschlagen sei. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 25. Oktober 2001 zurück.

5

Gegen diesen ihr am 27. Oktober 2001 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 23. November 2001 Klage erhoben und auf die aus ihrer Sicht gegebene Verfassungswidrigkeit der einschlägigen Bestimmungen hingewiesen. Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die Klage durch Urteil vom 23. April 2002 abgewiesen. Leistungen zur künstlichen Befruchtung könnten nach § 27 a Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - (SGB V) nur bei einer homologen Insemination, das heißt bei Verwendung von Ei und Samenzellen von Ehepaaren, gewährt werden. Diese Vorschrift verstoße nicht gegen Verfassungsrecht, insbesondere sei das aus Artikel (Art.) 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) folgende Gleichbehandlungsgebot nicht verletzt. Für die vom Gesetzgeber vorgenommene Differenzierung zwischen Ehepaaren und nichtehelichen Lebensgemeinschaften gebe es sachliche Gründe. Art. 6 Abs. 1 GG stellten Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Hinzu komme, dass dem Gesetzgeber bei der Gewährung von Vergünstigungen ein weiter Spielraum offen stehe. Die Klägerin habe daher keinen Anspruch auf die von ihr begehrte Kostenerstattung.

6

Die Klägerin hat gegen dieses ihren Bevollmächtigten am 11. Juni 2002 zugestellte Urteil am 5. Juli 2002 Berufung eingelegt. Sie hält die Beschränkung der Gewährung von Leistungen für eine künstliche Befruchtung auf Ehepaare für verfassungswidrig. Ein sachlicher Grund für die Differenzierung zwischen Ehepaaren und nicht verheirateten Lebenspartnern sei nicht gegeben.

7

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 23. April 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. August 2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25. Oktober 2001 zu ändern;

  2. 2.

    die Beklagte dem Grunde nach zu verurteilen, der Klägerin die Kosten für die bereits erfolgte und die zukünftig anfallenden ICSI-Behandlungen zu erstatten.

8

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

9

Sie hält das erstinstanzliche Urteil und die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorganges der Beklagten Bezug genommen.

11

Der Senat konnte über die gemäß § 143 und § 144 Abs. 1 Ziffer 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung nach vorheriger Anhörung der Beteiligten durch Beschluss entscheiden, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 153 Abs. 4 SGG).

12

Das SG und die Beklagte haben zu Recht entschieden, dass die Klägerin die beantragte Erstattung der Kosten für die von ihr durchgeführte ICSI-Behandlung nicht beanspruchen kann. In den Fällen, in denen - wie hier - die Leistung bereits erbracht und von der Klägerin selbst bezahlt wurde, richtet sich der Erstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - (SGB V). Sie lautet:

13

"Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie die Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind nicht gegeben, denn Vorliegend handelte es sich nicht um eine unaufschiebbare Leistung und die Beklagte hat deren Gewährung auch nicht zu Unrecht abgelehnt.

14

Rechtsgrundlage für die Gewährung von Leistungen für eine künstliche Befruchtung ist § 27 a Abs. 1 SGB V. Dieser lautet:

"Die Leistungen der Krankenbehandlung umfassen auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, wenn

1.
diese Maßnahmen nach ärztlicher Feststellung erforderlich sind,

2.
nach ärztlicher Feststellung hinreichende Aussicht besteht, dass durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird; eine hinreichende Aussicht besteht in der Regel nicht mehr, wenn die Maßnahme viermal ohne Erfolg durchgeführt worden ist,

3.
die Personen, die diese Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen, miteinander verheiratet sind,

4.
ausschließlich Ei- und Samenzellen der Ehegatten verwendet werden und

5.
sich die Ehegatten vor Durchführung der Maßnahmen von einem Arzt, der die Behandlung nicht selbst durchführt, über eine solche Behandlung unter Berücksichtigung ihrer medizinischen und psychosozialen Gesichtspunkte haben unterrichten lassen und der Arzt sie an einen der Ärzte oder eine der Einrichtungen überwiesen hat, denen eine Genehmigung nach § 121 a SGB V erteilt worden ist."

15

Zum Zeitpunkt der Durchführung der ersten ICSI-Behandlung im Juli 2001 waren die Klägerin und ihr Lebensgefährte, mit dessen Samen die Behandlung durchgeführt wurde, nicht verheiratet. Die Tatbestandsvoraussetzung des § 27 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V, wonach eine Leistungspflicht der Krankenkassen nur bei der Verwendung von Ei- und Samenzellen von Ehegatten (homologe Insemination) besteht, liegt hier nicht vor. Bereits aus diesem Grunde hat die Beklagte die begehrte Kostenerstattung zu Recht abgelehnt.

16

Die von der Klägerin geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken teilt der erkennende Senat ebenso wie das SG nicht. Der Senat hat bereits entschieden, dass in der Beschränkung des Leistungsanspruchs auf die homologe Insemination zwischen Ehegatten kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Pflicht des Staates zur Förderung von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG zu erblicken ist (vgl. Urteil vom 30. Oktober 2002, Aktenzeichen L 4 KR 61/01, Umdruck Seite 6). Zwar betrifft das Urteil des Senats den Fall einer heterologen Insemination zwischen Ehepartnern, während die Klägerin eine künstliche Befruchtung mit dem Samen ihres Lebensgefährten begehrt. Ihr Anspruch ist also auf eine "homologe" Insemination in einer verschiedengeschlechtlichen Lebensgemeinschaft gerichtet. Die für die Entscheidung des Senats vom 30. Oktober 2002 maßgeblichen Gründe gelten jedoch entsprechend für den vorliegenden Fall.

17

In der Beschränkung des Leistungsanspruches auf die Insemination zwischen Ehegatten liegt kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit der Pflicht des Staates zur Förderung von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG.

18

Art. 3 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art. und solchem Gewicht bestehen, dass sie die unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können (BVerfG vom 6. März 2002 - 2 BvL 17/99 - in NJW 2002, 1103 [BVerfG 06.03.2002 - 2 BvL 17/99]). Bei den Vergleichsgruppen handelt es sich einerseits um Ehegatten, die nach § 27 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V einen Anspruch auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung haben. Die andere Gruppe betrifft die Partner einer verschiedengeschlechtlichen Lebensgemeinschaft, denen kein Anspruch auf Maßnahmen der künstlichen Befruchtung zusteht.

19

Der Senat pflichtet der Klägerin zwar darin bei, dass hierin eine Ungleichbehandlung liegt. Dafür besteht jedoch ein sachlicher Grund.

20

Nach Art. 6 Abs. 1 GG stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Der Staat hat also das Recht und die Pflicht, die Ehe in besonderer Weise zu fördern. Dieser verfassungsrechtliche Auftrag hindert den Gesetzgeber zwar nicht, den nichtehelichen Lebenspartnerschaften Rechte zu gewähren, die denen der Ehe nahekommen. Gleichwohl bleibt die nichteheliche Lebenspartnerschaft gegenüber der Ehe ein aliud, weil sie nicht unter dem besonderen Schutz der Verfassung steht (so: BVerfG, Urteil vom 17. Juli 2002 - 1 BvF 1, 2/01 - in BVerfGE 105, 313, 342 ff.). Demgemäß ist der Gesetzgeber nicht gezwungen, die Partner nichtehelicher Lebensgemeinschaften im Rahmen des § 27 a SGB V den Partnern einer Ehe gleichzustellen.

21

Auch der Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG gebietet keine Gleichstellung nichtehelicher Lebenspartner mit Ehegatten. Richtig ist, dass Art. 6 Abs. 1 GG nicht nur die Familie meint, in der die Eltern eine Ehe miteinander geschlossen haben. Familie im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG ist vielmehr jede von der staatlichen Rechtsordnung anerkannte Gemeinschaft von Eltern und Kindern (vgl. Leibholz/Rinck/Hesselberger, GG, 7. Aufl. Stand Februar 2002, Art. 6 R. 60 mwN). Gleichwohl kann sich die Klägerin nicht auf den verfassungsrechtlichen Schutz der Familie berufen. Denn die Pflicht des Staates zur Förderung der Familie beschränkt sich auf Familien, die bereits bestehen. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 GG verpflichtet den Staat dagegen nicht zur Förderung von Maßnahmen, die es erst ermöglichen, Kinder zu zeugen und Familien zu bilden. Der Staat ist nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 GG nicht verpflichtet, verschiedengeschlechtlichen Lebenspartnern eine künstliche Befruchtung auf Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung zu ermöglichen (Urteil des erkennenden Senats vom 30. Oktober 2002, aaO, Umdruck Seite 8).

22

Da der Klägerin kein Anspruch nach § 27 a SGB V zusteht, kann auch ihr Feststellungsantrag keinen Erfolg haben.

23

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

24

Es hat keine Veranlassung bestanden, die Revision zuzulassen.