Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 27.01.2003, Az.: L 1 RA 235/01

Rentenanspruch wegen verminderter Erwerbsfähigkeit

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
27.01.2003
Aktenzeichen
L 1 RA 235/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 16478
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0127.L1RA235.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
SG Lüneburg - 01.01.1000 - AZ: S 14 RA 194/99

Tenor:

  1. 1.

    Die Berufung wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Streitig ist das Datum des Leistungsfalles, von dem die Erfüllung der (besonderen) versicherungsrechtlichen Voraussetzungen abhängig ist.

2

Die im Jahre 1956 geborene Klägerin hat nach dem Besuch der Realschule und der Hauswirtschaftsschule eine zweijährige Lehre zur Verkäuferin in einem Bekleidungsgeschäft durchlaufen (1973 - 1975) und dann - unterbrochen durch Zeiten der Arbeitslosigkeit und des Sozialhilfebezugs - als Verkäuferin, Hotelgehilfin und Arbeiterin (Keksfabrik; Teefabrik) gearbeitet. Im Jahre 1990 absolvierte sie einen ersten stationären Klinikaufenthalt wegen Angstzuständen und psychosomatischen Beschwerden. Nach der Trennung von ihrem Ehemann (1991) fand sie für die Dauer von insgesamt ca. 1 1/2 Jahren erneut Anstellungen als Verkäuferin in Bekleidungsgeschäften (Sommer 1991 bis Ende 1992), wurde erneut wegen Angstzuständen und psychosomatischen Beschwerden arbeitsunfähig krank und absolvierte einen zweiten (neunwöchigen) stationären Aufenthalt in einer Fachklinik für Psychosomatik und Verhaltensmedizin (Dezember 1992 bis Februar 1993). Nach mehrmonatiger Arbeitsunfähigkeit (bis September 1993) trat sie noch zwei Mal in ein Beschäftigungsverhältnis als Verkäuferin in einem Bekleidungsgeschäft ein, das jeweils nur wenige Monate andauerte (1. Arbeitsverhältnis: Dezember 1993; 2. Arbeitsverhältnis: April bis Juni 1994), und wiederum unterbrochen war durch eine mehrmonatige Zeit der Arbeitsunfähigkeit, und das jeweils wegen Angstzuständen und psychosomatischen Beschwerden der Klägerin arbeitgeberseitig gekündigt wurde. Am 28.Juni 1994 wurde die Klägerin erneut arbeitsunfähig geschrieben, vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) in einem Gutachten vom Juli 1994 für arbeitsunfähig gehalten und am 28. August 1994 aus der Krankenkasse ausgesteuert. Danach bezog sie zunächst Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit (BA) und bezieht seit dem Frühjahr 1995 Hilfe zum Lebensunterhalt (HLU) nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). - Seit 1992 steht sie - mit Unterbrechungen - in fachärztlicher psychiatrischer Behandlung und absolvierte stationäre Klinikaufenthalte wegen psychiatrischer Störungen.

3

Im August 1994 hatte die Klägerin einen ersten Antrag auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU), hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit (BU) gestellt, der von der Beklagten mit der Begründung abgelehnt worden war, dass bei Eintritt eines Leistungsfalles am 28. Juni 1994 (letzte Krankschreibung) die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine EU/BU-Rente nicht erfüllt, da im maßgeblichen Fünf-Jahres-Zeitraum nur 35 statt 36 Monaten mit Pflichtbeiträgen belegt seien (Bescheid vom 13. April 1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Juni 1996). - Die Bescheide wurden bestandskräftig.

4

Im Januar 1999 stellte die Klägerin den zweiten und zu diesem Verfahren führenden Antrag auf Rente wegen EU/BU und begründete ihn mit "seit Jahren" bestehenden Angst-Neurosen, Depressionen sowie mit einer Psychopathie. Die Beklagte zog u.a. die Klinik-Berichte aus 1990 und 1992/93, das MDK-Gutachten vom Juli 1994 sowie das im ersten Rentenverfahren veranlasste Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. D. (vom 22. Februar 1995) bei und ließ die Klägerin untersuchen und begutachten von der Ärztin für Psychiatrie und Neurologie, Psychotherapie Dr. E., die in ihrem Gutachten vom 25. Februar 1999 u.a. ausführte, dass bei der Klägerin eine chronifizierte Angstneurose mit depressiven und hysterischen Anteilen bestehe, wegen der das Leistungsvermögen der Klägerin aufgehoben sei. Der Leistungsfall sei 1993 eingetreten, weil die in 1992 und 1993 durchgeführten Behandlungsmaßnahmen ohne Erfolg geblieben seien. Die Beklagte lehnte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 3. Mai 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. August 1999 mit der Begründung ab, dass die Klägerin zwar seit der Rentenantragstellung im Januar 1999 bzw. seit dem 28. Juni 1994 erwerbsunfähig sei, bezogen auf diese Leistungsfälle jedoch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien.

5

Mit ihrer hiergegen am 6. September 1999 vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg erhobenen Klage hat die Klägerin vorgetragen, dass ihre Erwerbsunfähigkeit weder bereits im Juni 1994 noch erst im Januar 1999, sondern vielmehr im Jahre 1995 ("am Ende des Jahres 1995", Klageschrift vom 3. September 1999; "in den ersten vier Monaten des Jahres 1995", Schriftsatz vom 29. Dezember 2000) eingetreten sei. Bezogen auf 1995 seien aber die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Hierzu sei nach der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des Landessozialgerichts, mit der der Klägerin für das vorliegende Verfahren erster Instanz Prozesskostenhilfe (PKH) bewilligt worden ist, ein medizinisches Fachgutachten einzuholen. Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt (Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. vom 18. September 2000; Fachärztin für Psychiatrie-Psychotherapie G. vom 23. 0ktober 2000; Fach-Arzt für Innere Medizin Dr. H. vom 15. November 2000) und die behandelnde Fachärztin für Psychiatrie-Psychotherapie G. um ergänzende Auskunft zu der Frage gebeten, ob bzw. ab wann genau im Jahre 1995 sie die Klägerin für arbeitsunfähig gehalten habe. Die Ärztin hat erklärt, dass die Klägerin seit dem Beginn ihrer Behandlung im Februar 1995 arbeitsunfähig gewesen sei (Schreiben vom 7. Februar und 15. März 2001). Das SG hat die Klage mit Urteil vom 31. Juli 2001 abgewiesen und zur Begründung im Einzelnen ausgeführt, dass EU bei der Klägerin spätestens am 28. Juni 1994 eingetreten sei. Dem stehe auch die Erklärung der Ärztin G. nicht entgegen, da die Klägerin erst seit Februar 1995 in deren Behandlung gestanden habe und daher der Ärztin eine Erklärung über davor liegende Zeiträume nicht möglich gewesen sei. Mit einem Leistungsfall im Juni 1994 seien aber die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt.

6

Gegen das ihr am 30. August 2001 zugestellte Urteil richtet sich die am 28. September 2001 eingelegte Berufung, mit der die Klägerin geltend macht, dass ihre Erwerbsunfähigkeit Anfang des Jahres 1995 eingetreten sei und bezogen auf diesen Zeitpunkt 37 statt der geforderten 36 Pflichtbeiträge vorlägen. Zur Begründung trägt sie ergänzend vor, dass sie im Frühjahr 1993 mit der Prognose der Besserungsfähigkeit und als arbeitsfähig sowie ohne arbeitsfreie Tage aus dem stationären Aufenthalt entlassen worden sei. Die nachfolgenden ärztlich festgestellten Arbeitsunfähigkeitszeiten in den Jahren 1993 und 1994 seien nur vorübergehender Natur gewesen und die Klägerin habe in beiden Jahren auch noch mehrere Monate als Verkäuferin gearbeitet. Und schließlich habe sie noch bis zum Frühjahr 1995 Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit (BA) erhalten habe, sei also dort für arbeitsfähig gehalten worden. Der Eintritt des Leistungsfalles erst im Frühjahr 1995 sei schließlich durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zu klären, das vom SG nicht veranlasst worden und nunmehr im Berufungsverfahren einzuholen sei.

7

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 31. Juli 2001 und den Bescheid der Beklagten vom 3. Mai 1999 in der Gestalt des Widerspruchs-Bescheides vom 6. August 1999 aufzuheben,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit, zu zahlen.

8

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

9

Sie verteidigt die angefochtenen Bescheide als zutreffend und bezieht sich zur Begründung ergänzend auf das Urteil des SG. Darüber hinaus trägt die Beklagte unter Übersendung eines aktuellen Versicherungsverlaufes der Klägerin vor, dass die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nur dann erfüllt wären, wenn die EU im Zeitraum zwischen Juli 1994 und Mai 1997 eingetreten wäre.

10

Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren zur Frage des Eintritts des Leistungsfalles ein Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. I. vom 15. November 2002 nebst ergänzender Stellungnahme vom 7. Januar 2003 eingeholt. Die Sachverständige hat im Einzelnen ausgeführt, dass bei der Klägerin eine chronifizierte Angstneurose mit phonischen Anteilen, multiplen psychosomatischen Beschwerden und wiederkehrenden depressiven Verstimmungen zu diagnostizieren sei, die eine Aufhebung des Leistungsvermögens bedinge. Dabei sei der Leistungsfall der EU spätestens mit der letzten Krankschreibung am 28. Juni 1994 eingetreten, da nach den vorangegangenen fehlgeschlagenen Therapieversuchen das Leistungsprofil zu dieser Zeit endgültig zum Erlöschen gekommen sei und auch später durch weitere Behandlungen nicht habe wieder hergestellt werden können, wie die notwendig gewordenen weiteren Klinikaufenthalte in den Jahren 2001 und 2002 zeigten.

11

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil des Berichterstatters ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Sie haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

13

Der Senat konnte gem. §§ 155 Abse. 4, 3, 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil des Berichterstatters ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten zuvor hiermit einverstanden erklärt haben.

14

Die gem. §§ 143f. Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung ist unbegründet.

15

Weder das Urteil des SG noch die Bescheide der Beklagten sind zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Leistungsfähigkeit, und zwar weder auf Rente wegen EU/BU nach dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden (§§ 43, 44 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VI - a.F.) noch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nach dem seit dem 1. Januar 2001 geltenden Recht (§§ 43, 240 SGB VI n.F.). Denn bezüglich des bis zum 31. Dezember 2000 geltenden alten Rechts fehlt es am Vorliegen der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen, und das seit dem 1. Januar 2001 geltende neue Recht ist nicht anwendbar, weil der Rentenantrag schon unter dem alten Recht gestellt wurde und ein Leistungsfall mit dem daraus folgenden (unterstellten) Leistungsbeginn auch allein unter der Geltung alten Rechts feststellbar ist.

16

Das SG hat die maßgeblichen Rechtsgrundlagen herangezogen, richtig angewendet, die erhobenen Beweise überzeugend gewürdigt und ist nach alledem zu dem richtigen Ergebnis gekommen, dass der Klägerin eine Rente wegen EU/BU nicht zusteht, weil der Leistungsfall der EU/BU spätestens im Juni 1994 eingetreten ist und zu diesem Zeitpunkt die (besonderen) versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der beantragten Rente nicht erfüllt waren. Der ausführlichen Beweiswürdigung des SG schließt sich der Senat nach eigener Überzeugung an und verweist gem. § 153 Abs. 2 SGG zur Begründung im einzelnen auf die Entscheidungsgründe des Urteils des SG (Seite 5, vierter Absatz, bis Seite 8, zweiter Absatz).

17

Im Berufungsverfahren hat sich nichts Abweichendes ergeben. Vielmehr hat auch die vom Senat beauftragte Sachverständige in ihrem Gutachten nach ambulanter Untersuchung der Klägerin nebst ergänzender Stellungnahme ausdrücklich ausgeführt, dass das Leistungsvermögen der Klägerin spätestens seit der letzten Krankschreibung am 28. Juni 1994 so weit aufgehoben war, dass die Klägerin einer geregelten Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen konnte. Ein früherer Eintritt der Erwerbsfähigkeit erscheint danach zwar möglich, jedoch nicht zweifelsfrei feststellbar. Ein späterer Leistungsfall ist dem hingegen ausgeschlossen, weil sich das psychische Erkrankungsbild von Anfang an nicht hat therapieren lassen, sondern im Gegenteil kontinuierlich verschlechtert hat.

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Die Einschätzung der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie ist für den Senat aus sich selbst heraus schlüssig und überzeugend und wird durch den übrigen, dem Senat vorliegenden Akteninhalt gestützt. So begründet die Sachverständige ihre Einschätzung überzeugend damit, dass es sich bei dem psychischen Erkrankungsbild der Klägerin um einen progredient verlaufenden Prozess handelt, der erstmals 1990 und 1992/93 zu erheblichen Einschränkungen durch die Notwendigkeit längerer stationärer Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken geführt hat. Diese Beurteilung einer Leidensprogredienz steht in Übereinstimmung mit den dem Senat vorliegenden Angaben der Klägerin und medizinischen Unterlagen, wonach die Klägerin nach einer problematischen Jugendzeit (17 Jahre alt, Scheidung der Eltern, Vergewaltigungsversuch durch den Bekannten einer Freundin) einem Medikamentenabusus verfallen war und nach dessen Überwindung bereits Anfang der Siebzigerjahre erstmals die seit dem andauernden Angstzustände erlitten hat. Nach einer weiteren Entwöhnungsbehandlung (wiederum auf Grund eines Medika-mentenabusus) in den Achtzigerjahren ist es dann nach der Zuspitzung des Ehekonflikts mit ihrem alkoholkranken Ehemann (verbale Demütigungen; mehrfaches Schlagen) im Jahre 1990 zu einem längeren stationären Aufenthalt wegen erheblicher Angstzustände und massiver psychosomatischer Beschwerden gekommen. Aus dem nächsten klinischen Aufenthalt in 1992/93, während dem sie ausweislich des Entlassungsberichts vom 23. März 1993 u.a. auf die dort durch die geführten Behandlungsgespräche ausgelösten psychischen Belastungen mit häufigem Erbrechen reagiert hat, wurde sie mit einer "relativ ungünstigen Prognose" entlassen. Schließlich wurden noch weitere Klinikaufenthalte nötig, die jeweils eine deutlich schwer wiegendere Ausprägung der Erkrankung zeigten, bis zuletzt anlässlich einer stationären Behandlung im Jahre 2002 die Diagnose einer paranoid halluzinatorischen Psychose gestellt wurde (Entlassungsbericht vom 15. Januar 2002).

19

Auch ist es für den Senat überzeugend, dass die Sachverständige bei diesem progredienten Verlauf der Erkrankung der Klägerin den Zeitpunkt des Eintritts dauerhafter Erwerbsunfähigkeit spätestens mit der Krankschreibung im Juni 1994 für gegeben hält. Denn dies steht in Übereinstimmung mit den rechtlichen Maßstäben zur Bestimmung des Leistungsfalles der EU/BU und entspricht dem tatsächlichen Verlauf des Geschehnisse im vorliegenden Verfahren. Die Bestimmung des Leistungsfalles der EU/BU erfolgt auf Grund einer rechtlichen Beurteilung, die in sog. retrospektiver Betrachtung, also in rückschauender Sichtweise erfolgt, und insbesondere an den Eintritt der Letzten dauerhaften Arbeitsunfähigkeit anknüpfen kann (stdg. Rspg., vgl. nur: BSG, Urteil vom 02.08.2000, B 4 RA 54/99 R; LSG Niedersachsen, Urteil vom 22.03.2001, L 1 RA 7/01; LSG Niedersachsen, Urteil vom 23.11.2000, L 1 RA 151/00; LSG Niedersachsen, Urteil vom 29.06.2000, L 1 RA 182/99; jeweils m.w.N.). Im Fall der Klägerin erfolgte am 28. Juni 1994 die letzte Krankschreibung, die gleichzeitig zu dauerhafter Arbeitsunfähigkeit führte. Denn seit diesem Zeitpunkt ist die Klägerin nicht mehr ins Erwerbsleben zurückgekehrt.

20

Dem damit im Juni 1994 gegebenen Eintritt des Leistungsfalles steht nicht entgegen, dass die Klägerin wiederholt in Beschäftigungsverhältnissen stand, von der Bundesanstalt für Arbeit als arbeitssuchend behandelt wurde und aus einem Klinikaufenthalt als arbeitsfähig entlassen wurde. Für die wiederholten Beschäftigungsverhältnisse folgt dies bereits aus dem Umstand, dass diese sämtlichst vor dem Eintritt des Leistungsfalles lagen, die Klägerin also nur noch bis zum Juni 1994 erwerbstätig war, nicht aber mehr danach. Hinzu kommt, dass bereits die letzten Beschäftigungsverhältnisse seit dem Jahre 1992 jeweils nur wenige Monate dauerten und arbeitgeberseitig gekündigt wurden wegen zunehmender Angstzustände der Klägerin, was darauf schließen lässt, dass die Klägerin bereits seit dieser Zeit unter Umständen keine dauerhafte Erwerbstätigkeit unter Be-triebsüblichen Bedingungen mehr ausführen konnte. Es erscheint daher insbesondere nachvollziehbar, dass die Sachverständige Frau Dr. I. die Klägerin "spätestens" im Juni 1994 für erwerbsunfähig hielt. Dass die Klägerin bis zum Frühjahr 1995 von der BA als arbeitssuchend geführt wurde und Leistungen bezog, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn das zuständige Arbeitsamt (AA) Uelzen hatte bereits mit Schreiben vom 15. November 1994 mitgeteilt, die Klägerin nicht mehr für mindestens halbschichtig belastungsfähig zu halten und deshalb die Leistungen eingestellt. Hierauf hat das SG in den Entscheidungsgründen seines Urteils zutreffend hingewiesen. Und dass die Klägerin aus dem Klinikaufenthalt 1992/93 als "arbeitsfähig" entlassen wurde, ist bereits deshalb ohne rechtliche Bedeutung, weil es bei der Bestimmung des Leistungsfalles der EU/BU nicht auf eine Prognose, sondern auf eine retrospektive Betrachtung ankommt (siehe oben) und sich zudem die seinerzeitige Prognose der Klinik auch tatsächlich als unzutreffend erwies, weil die Klägerin nach der Entlassung noch ca. 9 Monate arbeitsunfähig blieb und dann nur noch wenige Monate und letztmalig berufstätig sein konnte.

21

Ein späterer Leistungsfall der EU als die letzte Krankschreibung am 28. Juni 1994 lässt sich damit nicht feststellen.

22

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

23

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.

24

Es hat kein gesetzlicher Grund gem. § 160 Abs. 2 SGG vorgelegen, die Revision zuzulassen.