Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 21.01.2003, Az.: L 9 U 425/00
Nachweis eines Unfallereignisses im Sinne des gesetzlichen Unfallversicherungsrechts; Ansprüche aus einem Unfallereignis; Anspruch auf Feststellung von Gesundheitsstörungen und auf Verletztengeld oder Verletztenrente ; Ursächliche Bedeutung einer vorhandenen Krankheitsanlage für den Eintritt eines Schadens
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 21.01.2003
- Aktenzeichen
- L 9 U 425/00
- Entscheidungsform
- Endurteil
- Referenz
- WKRS 2003, 21114
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2003:0121.L9U425.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- Sozialgericht Stade - AZ: S 7 U 46/99
Rechtsgrundlagen
- § 212 SGB VII
- § 547 RVO
- § 580 Abs. 1 RVO
- § 581 RVO
- § 81 SeemannsG
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Neben einer beruflich bedingten Belastung muss als weitere Mitbedingung der Stellenwert einer rechtlich wesentlichen Mitursache für vorliegende Krankheitsanlagen hinzukommen, dass die Krankheitslage so leicht ansprechbar gewesen ist, dass die Auslösung akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerlicher Einwirkungen bedurfte.
- 2.
Die ursächliche Bedeutung für den Eintritt des Schadens hat eine Krankheitsanlage z.B. dann, wenn die akuten Erscheinungen zu der selben Zeit ohne äußere Wirkungen auftreten könnten oder auch jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis die Erscheinungen hätte auslösen können.
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um den Nachweis eines Unfallereignisses im Sinne des gesetzlichen Unfallversicherungsrechts sowie um mögliche Ansprüche des Berufungsklägers aus diesem Unfallereignis.
Der 1943 geborene Berufungskläger ist Kapitän.Nach seinen Angaben in dem Verfahren L 4 KR 147/98, das zur Zeit ruht, hatte er sich bereits im Jahre 1979 anlässlich einer Fahrt mit der MS Odin eine Verletzung des rechten Knies zugezogen.
In den Jahren 1993 und 1994 war der Berufungskläger auf einem ausgeflaggten Schiff beschäftigt gewesen. Am 4. Dezember 1993 hatte er sich anlässlich seiner dortigen Beschäftigung ein Drehtrauma des rechten Knies zugezogen (Durchgangsarztbericht des Chirurgen Dr. C. vom 8. Dezember 1993). Infolgedessen war er vom 19. Januar bis zum 16. Februar 1994 im Stadtkrankenhaus Cuxhaven behandelt worden. Anlässlich dieses stationären Aufenthaltes war bei dem Berufungskläger eine Arthroskopie des rechten Knies durchgeführt worden. Hierbei hatte Dr. C. u.a. diagnostiziert, das vordere Kreuzband habe gefehlt und beide Menisken hätten alte Einrisse aufgewiesen (Bericht vom 16. Februar 1994). In der Folge war der Berufungskläger bei dem Orthopäden Dr. D. wegen einer verbliebenen Knieinstabilität in Behandlung gewesen und deswegen auch vom medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDKN) begutachtet worden (Chirurg und Sozialmediziner Dr. E. unter dem 23. September 1994). Dr. D. hatte zunächst die Vermutung geäußert, der Berufungskläger sei nicht mehr seediensttauglich. Mit Schreiben vom 23. September 1994 an den MDKN hatte er aber berichtet, das Knie habe sich auf Grund der Behandlung wieder stabilisiert, der Berufungskläger werde wieder Seefahrtstauglichkeit erlangen.
Der Berufungskläger war sodann vom 1. Juli 1995 bis zum 30. September 1995 als erster nautischer Offizier auf dem MS "Jan Cux" beschäftigt. Insoweit ist im Nachhinein arbeitsgerichtlich geklärt worden, dass der Berufungskläger während dieser Zeit in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hat.
Mit einem "Unfallbericht" überschriebenen Schreiben vom 28. März 1997, welches am 21. April 1997 bei der Bezirksverwaltung Bremerhaven der Berufungsbeklagten einging, wandte sich der Berufungskläger an die Berufungsbeklagte und wies auf einen Vorfall am 25. September 1995 hin. Dieses Schreiben, welches den Absender des Berufungsklägers trägt, war von dem damaligen Kapitän der "Jan Cux", Herrn F., unterzeichnet worden. In dem "Unfallbericht" heißt es im Wesentlichen, der Berufungskläger habe sich bei einem Überholen des Schiffs das rechte Knie verdreht.
Die Berufungsbeklagte leitete Ermittlungen ein. Zunächst gelang es ihr nicht, die Unterlagen des den Berufungskläger auch insoweit erstbehandelnden Arztes, des Orthopäden Dr. G. beizuziehen, der zwischenzeitlich verstorben war. Die Berufungsbeklagte zog einen Befundbericht des Orthopäden Dr. H. vom 26. August 1997 bei. In Schreiben vom 8. Januar und 14. April 1998 berichtete der technische Aufsichtsbeamte I. von Gesprächen mit Kapitän F ... Dieser habe mitgeteilt, die Umstände des Unfalls könnten von ihm nicht bestätigt werden. Er erinnere sich zwar, dass der Berufungskläger ihm den Unfall berichtet habe. Gesehen aber habe er den Unfall nicht. Er habe aber auch - entgegen den Ausführungen im "Unfallbericht" keine Arbeitspause angeordnet. An den darauf folgenden Tagen habe der Berufungskläger seine Beschäftigung normal verrichtet. Nachdem es der Berufungsbeklagten gelungen war, die Röntgenaufnahmen von Dr. D. von dessen Praxisnachfolgern beizuziehen, veranlasste sie eine Zusammenhangsbegutachtung. Unter dem 25. Juni 1998 nahm die Radiologin Dr. J. hinsichtlich des von ihr durchgeführten Magnet-Resonanz-Tomogramms vom 19. Juni 1998 Stellung. Sodann äußerte sich der Unfallchirurg Dr. K. unter dem 23. Juni 1998. Auf Anregung von Dr. K. führte die Berufungsbeklagte weitere Ermittlungen durch und zog den Operationsbericht des Krankenhauses Cuxhaven vom 20. Januar 1994 betreffend den Berufungskläger ergänzend bei. Hierauf äußerte sich auch Dr. K. unter dem 2. September 1998 ergänzend. Zusammenfassend gelangte er im Wesentlichen zu dem Ergebnis, die Beschwerden des Berufungsklägers seien nicht auf das angeschuldigte Ereignis zurückzuführen. Vielmehr seien sie auf die zahlreichen Vorerkrankungen des Berufungsklägers am rechten Knie, die der Berufungsbeklagten auch durch eine Mitteilung der See-Krankenkasse vom 2. Mai 1997 bekannt geworden waren, zurückzuführen.
Daraufhin lehnte es die Berufungsbeklagte mit Bescheid vom 28. Dezember 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 1999 ab, dem Berufungskläger Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Gesundheitsstörungen im Bereich des rechten Kniegelenkes auf Grund des Vorfalls am 25. September 1995 zu gewähren.
Am 16. März 1999 ist Klage erhoben worden.
Das Sozialgericht (SG) Stade hat das Gutachten des Chirurgen und Orthopäden Dr. L. nach Aktenlage vom 16. Mai 2000 veranlasst. Dr. L. hat mitgeteilt, die Witwe von Dr. D. habe ihm die Originalunterlagen des Berufungsklägers zur Verfügung gestellt. Nach Auswertung aller nun zur Verfügung stehenden medizinischen Unterlagen ist Dr. L. zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beschwerden des Berufungsklägers nicht auf das angeschuldigte Ereignis, sondern vielmehr auf die Vorerkrankungen des Berufungsklägers zurückzuführen seien. Das angeschuldigte Ereignis sei auch nicht im Sinne einer richtunggebenden Verschlimmerung für die Beschwerden des Berufungsklägers ursächlich geworden.
Daraufhin hat das SG die Klage mit Urteil vom 10. Oktober 2000 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf hingewiesen, es sei nicht festgestellt worden, dass es am 25. September 1995 zu einem Unfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung gekommen sei. Zunächst könne kein Zeuge den vom Berufungskläger geschilderten Hergang bezeugen. Gegen ein Unfallereignis spreche auch, dass der Berufungskläger in den nächsten Tagen weiter gearbeitet habe. Zudem hätten alle mit dem Fall beschäftigten Gutachter bestätigt, dass keiner der nunmehr vorliegenden Schäden auf ein derartiges Unfallereignis zurückzuführen seien.
Gegen dieses Urteil hat sich der Berufungskläger zunächst mit einem Berichtigungsantrag gewandt, mit dem er verlangt hat, das SG solle den Tatbestand seines Urteils um die Norm des § 81 Seemannsgesetz ergänzen. Dies hat das SG mit Beschluss vom 2. Januar 2001 unter Hinweis auf §§ 138 bis 140 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abgelehnt.
Spätestens am 8. Dezember 2000 ist gegen das am 9. November 2000 zugestellte Urteil Berufung eingelegt worden, die nicht begründet worden ist. Der Berufungskläger ist nach seinem bisherigen Vortrag im Wesentlichen der Auffassung, aus der Tatsache, dass er seefahrtstauglich gewesen sei, ergebe sich, dass er im Zeitpunkt des streitigen Vorfalls gesund gewesen sei. Daher sei der nun vorliegende Schaden allein auf das angeschuldigte Ereignis zurückzuführen.
Der Berufungskläger beantragt nach seinem erstinstanzlichen Vorbringen,
- 1.
den Bescheid der See-Berufsgenossenschaft vom 28. Dezember 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 1999 aufzuheben,
- 2.
festzustellen, dass es sich bei dem Ereignis vom 25. September 1995 um einen entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall gehandelt hat.
Die Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf ihre angefochtenen Bescheide und das erstinstanzliche Urteil.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Berufungsbeklagten (1 Bd. zum Aktenzeichen 97006267-5) Bezug genommen. Weiter hat der Senat die die Rechtsstreite des Berufungsklägers gegen die See - Krankenkasse betreffenden Gerichtsakten zu den Aktenzeichen L 4 KR 147/98 und L 4 KR 226/00 beigezogen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Berufungskläger keinen Anspruch auf Feststellung hat, dass es am 25. September 1995 bei ihm zu einem entschädigungspflichtigen Arbeitsunfall gekommen ist.
Der angefochtene Bescheid der Berufungsbeklagten vom 28. Dezember 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. März 1999 ist rechtmäßig und verletzt den Berufungskläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat infolge des Unfalls vom 4. Oktober 1987 weder einen Anspruch auf Feststellung von Gesundheitsstörungen noch auf Verletztengeld oder Verletztenrente gegen die Berufungsbeklagte.
Die rechtliche Beurteilung des Entschädigungsanspruches des Berufungsklägers richtet sich noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da der Unfall vor dem In-Kraft-Treten des 7. Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) zum 1. Januar 1997 eingetreten ist (§ 212 SGB VII).
Nach § 547 RVO gewährt der Träger der Unfallversicherung nach Eintritt eines Arbeitsunfalles unter anderem Verletztengeld und Verletztenrente. Gemäß § 580 Abs. 1 RVO erhält der Verletzte eine Rente, wenn die zu entschädigende MdE über die 13. Woche nach dem Arbeitsunfall hinaus andauert. Verletztenrente wird nach § 581 RVO gewährt, solange infolge des Arbeitsunfalles die Erwerbsfähigkeit des Verletzten um wenigstens ein Fünftel (20 v.H.) gemindert ist.
Der Senat unterstellt, dass der Berufungskläger - wie von ihm durchgängig vorgetragen - am 25. September 1995 einen Unfall im Sinne des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung erlitten hat.
Der Senat hat sich indessen nach dem Gesamtergebnis der medizinischen Beweisaufnahme nicht davon überzeugen können, dass die Belastung durch das Ereignis vom 25. September 1995 mit Wahrscheinlichkeit wesentlich zu dem jetzt vorliegenden Schaden am rechten Knie des Berufungsklägers geführt hat. Insoweit hätte es der Feststellung bedurft, dass dieser beruflich bedingten Belastung neben den vorbestehenden Schäden am rechten Knie des Berufungsklägers als weitere Mitbedingung der Stellenwert einer rechtlich wesentlichen Mitursache für die nunmehr vorliegenden Schäden zukommt. Daran fehlt es, wenn die Krankheitslage so leicht ansprechbar gewesen ist, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerlicher Einwirkungen bedurfte (vgl hierzu etwa BSG, Urteil vom 2. Mai 2001 Az: B 2 U 18/00 R m.w.N. aus der Rechtsprechung des BSG). Diese ursächliche Bedeutung für den Eintritt des Schadens hat eine Krankheitsanlage z.B. dann, wenn die akuten Erscheinungen zu der selben Zeit ohne äußere Wirkungen auftreten könnten oder auch jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis die Erscheinungen hätte auslösen können.
Insoweit haben sowohl Dr. L. in seinem Gutachten für das SG vom 16. Mai 2000 als auch der Unfallchirurg Dr. K. in seinem im Verwaltungsverfahren erstatteten Gutachten vom 2. September 1998 darauf hingewiesen, wesentliche Ursache für die im September 1995 aufgetretene Erkrankung des rechten Knies des Berufungsklägers seien die Vorschäden am rechten Knie gewesen. Insoweit weist der Senat erneut auf die im Tatbestand geschilderten Vorschädigungen 1979 und 1993 hin. Dr. L. hat darüber hinaus ausdrücklich ausgeführt, das Ereignis habe auch nicht zu einer richtunggebenden Verschlimmerung geführt.
Dem kann der Berufungskläger zunächst nicht entgegenhalten, er habe anlässlich einer Havarie im Jahre 1994 sein Knie stark belastet und dies habe keine Schäden ausgelöst. Daraus sei zu schließen, dass sein rechtes Knie belastbar gewesen sei und es sich bei dem Ereignis vom September 1995 um eine wesentliche Mitursache der nunmehr vorliegenden Schäden gehandelt habe. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass ein solcher Schluss generell nicht gezogen werden kann. Aus der Tatsache, dass ein nachweisbar vorgeschädigter Körperteil bei Beanspruchung nicht erkrankt ist, kann nämlich nicht geschlossen werden, er sei nicht vorgeschädigt gewesen.
Der Berufungskläger kann dem so gefundenen Ergebnis auch nicht entgegenhalten, er sei seefahrtstauglich im Sinne von § 81 Seemannsgesetz gewesen. Auch hieraus ergebe sich, dass er am rechten Knie nicht mehr erkrankt gewesen sei, mithin keine Krankheitsanlage vorgelegen habe und also das Ereignis am 25. September 1995 für den dann aufgetretenen Schaden verantwortlich gewesen sei. Insoweit ist zunächst konkret darauf hinzuweisen, dass nach wie vor am rechten Knie des Berufungsklägers das vordere Kreuzband nicht vorhanden war. Auch die im Knie befindlichen Menisken waren vorgeschädigt bzw. entfernt. Eine solche Vorschädigung führt nach den Äußerungen aller beteiligter Mediziner zu einer erhöhten Instabilität des Kniegelenks. Diese war bei dem Berufungskläger muskulär zwar offenbar weitgehend ausgeglichen, und allein deswegen ist ihm die Seefahrttauglichkeit bescheinigt worden. Indessen waren durch diese muskuläre Stabilisierung die Vorschäden am Knie nicht beseitigt. Allgemein hat die Bescheinigung der Seefahrtstauglichkeit für die Betrachtung der Kausalität im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung keine tatbestandliche oder indizielle Wirkung.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Anwendung von § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).Die Revision war nicht zuzulassen, § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG.