Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.05.2010, Az.: 17 Sa 1250/09 E

Eingruppierung eines Facharztes für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Kardiologie und Weiterbildung in Spezieller Internistischer Intensivmedizin

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
19.05.2010
Aktenzeichen
17 Sa 1250/09 E
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 28862
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2010:0519.17SA1250.09E.0A

Redaktioneller Leitsatz

Wurde dem Arzt vor Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA bereits die medizinische Verantwortung für einen selbständigen Teil- oder Funktionsbereich der Klinik in einer dem Arbeitgeber zurechenbaren Weise übertragen, bedarf es keiner erneuten ausdrücklichen Übertragung durch den Arbeitgeber oder eine mit Personalbefugnissen ausgestattete Stelle.

In dem Rechtsstreit

Kläger und Berufungskläger,

gegen

Beklagte und Berufungsbeklagte,

hat die 17. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 19. Mai 2010 durch

die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Knauß,

den ehrenamtlichen Richter Herrn Schaper,

den ehrenamtlichen Richter Herrn Weets

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 07.07.2009 abgeändert.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 01.08.2006 bis zum 31.12.2008 Entgelt nach der Entgeltgruppe III der TV-Ärzte/VKA zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die tarifgerechte Eingruppierung des Klägers nach dem TV-Ärzte/VKA.

2

Der Kläger. Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Kardiologie und Weiterbildung in Spezieller Internistischer Intensivmedizin, ist bei der Beklagten aufgrund des Arbeitsvertrages vom 03.03.2000, wegen dessen genauen Wortlauts auf die Anlage K 1 zur Klageschrift verwiesen wird, als Oberarzt im A.-Krankenhaus tätig. Das A.-Krankenhaus wurde 2004 in eine gemeinnützige GmbH ausgegründet. Der Kläger wird seither über einen Gestellungsvertrag in der gGmbH weiterbeschäftigt und überwiegend auf der Internistischen Intensivstation (ISIV) der Medizinischen Klinik I eingesetzt. Mindestens seit Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA gehört der Kläger dem tarifschließenden Marburger Bund und die Beklagte dem KAV an.

3

Der Kläger war auf Betreiben des Leiters der medizinischen Klinik I des A.-Krankenhauses, Prof. Dr. H., eingestellt worden, der mit dem Kläger auch über seinen beabsichtigten Einsatz sprach. Vor Abschluss des Arbeitsvertrages fand (wohl im Rahmen einer Sondersitzung des Krankenhausdirektoriums vom 09.02.2000) ein Vorstellungsgespräch statt, an dem u. a. der Klinikleiter, Herr Prof. B., und der leitende Arzt Prof. Dr. T., Leiter der operativen Intensivmedizin, teilnahmen. In diesem Gespräch ging es um die Einstellung des Klägers, seine persönliche Vorstellung und um technische Details, wie das Datum des Arbeitsbeginns, des Umzugs etc.. Über die Frage des zukünftigen Einsatzes des Klägers, seinen Verantwortungsbereich etc. wurde nicht gesprochen Nachdem ihm der Arbeitsvertrag zugeschickt worden war, bat der Kläger den Klinikleiter Prof. B. telefonisch darum, dass das Verhandlungsergebnis, das er mit Prof. Dr. H. erzielt hatte, in den Arbeitsvertrag aufgenommen werde. Daraufhin erhielt der Kläger das Schreiben vom 08.03.2000 (Anlage K 2 zur Klageschrift Bl. 11 d. A.), in dem es wörtlich heißt:

4

"Gemäß Beschluss der Krankenhausdirektion werden Sie ab 01.04.2000 widerruflich als Oberarzt der Medizinischen Klinik I und als Abwesenheitsvertreter von Herrn Privatdozent Dr. H. eingesetzt.

5

Diese Einweisung entbindet Sie nicht von der Verpflichtung, im Rahmen der Patientenversorgung auch im Stationsdienst und auf Anordnung auch im ärztlichen Bereitschaftsdienst tätig zu sein."

6

Da sich der Kläger an dem Wort "widerruflich" im Schreiben vom 08.03.2000 stieß, kam es am 09.03.2000 zu einem weiteren Schreiben (Anlage K 3 zur Klageschrift Bl. 12 d. A.) in dem es - soweit hier von Interesse - auszugsweise heißt:

7

"Der Leitende Arzt der Medizinischen Klinik I des A.-Krankenhauses ist arbeitsvertraglich berechtigt, bei Personalangelegenheiten, insbesondere des ärztlichen Dienstes, mitzuwirken.

8

Ihre Einweisung als Oberarzt wie auch als Abwesenheitsvertreter des Leitenden Arztes dieser Klinik erfolgt widerruflich unter der Maßgabe, dass eine Ausübung des Widerrufs durch den Dienstherrn nur mittels schriftlicher Beantragung des Leitenden Arztes in Frage kommen kann ...".

9

In der medizinischen Klinik I sind insgesamt 22 Ärzte, davon 10 Fachärzte für Innere Medizin, beschäftigt. Die Internistische Intensivstation der Medizinischen Klinik I (ISIV) ist ein räumlich abgeschlossener Bereich, der über 10 Betten, eine Zentralüberwachung, ein kleines Labor, Nebenräume und einen Schockraum verfügt. Diesem Bereich sind 23 Planstellen für Pflegepersonal und eine Stationssekretärin, außerdem neben dem Kläger ein Stationsarzt und jeweils drei weitere Ärzte zugeordnet, die nach dem Dienstplan rotierend aus dem Assistentenpool der Medizinischen Klinik I eingesetzt werden. Die auf der ISIV eingesetzten Assistenzärzte, Ärzte in der Weiterbildung und Fachärzte besprechen mit dem Kläger Problemfälle, der Kläger kann deren Anordnungen ändern und die Letztentscheidung liegt beim Kläger. Seit Beginn seiner Tätigkeit war der ISIV dauerhaft ein Facharzt zugeordnet. Vom 01.04.2000 bis 31.03.2005 war dies der Facharzt für Innere Medizin und Anästhesie, Herr Dr. E.. Dieser wurde im Laufe seiner Tätigkeit zum Oberarzt ernannt; an seiner Stellung auf der ISIV änderte sich dadurch nichts. Vom 01.04.2005 bis 31.03.2008 war der ISIV der Facharzt für Innere Medizin mit dem Teilgebiet Kardiologie, Herr Dr. I., zugeordnet. Anschließend die sich in der fortgeschrittenen Facharztweiterbildung befindliche Frau Dr. S., seit Anfang Mai 2010 der Facharzt Dr. Ba.. Mit Schreiben vom 08.06.2009 (Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 24.01.2009 (Bl. 113 d. A.) bestätigte Herr Prof. Dr. med. H. dem Kläger, dass er ihm seit Eintritt in seine Klinik die oberärztliche Leitung und die medizinische Verantwortung für die internistische Intensivstation übertragen habe, was insbesondere auch eine Weisungsbefugnis bezüglich medizinischer Entscheidungen gegenüber anderen Ärzten der von ihm geleiteten Klinik beinhalte.

10

Der Kläger machte mit Schreiben vom 11.04.2007 (Anlage zur Klageschrift Bl. 16 d. A.) rückwirkend seit dem 01.08.2006 die Zahlung der Differenz zwischen dem ihm tatsächlich gezahlten Bruttogrundgehalt und dem Bruttogrundgehalt nach Entgeltgruppe III Stufe 2 des TV-Ärzte/VKA einschließlich zusätzlich vergüteter Dienste (Rufbereitschaft) geltend. Seit dem 01.01.2009 erhält er eine Zulage zum Entgelt der Entgeltgruppe II in Höhe der Differenz der Entgeltgruppe II zur Entgeltgruppe IV. In die Entgeltgruppe III des TV-Ärzte/VKA ist bei der Beklagten keiner der Oberärzte eingruppiert.

11

Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 07.07.2009 Bezug genommen.

12

Mit diesem Urteil hat das Arbeitsgericht die Klage auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 01.08.2006 Entgelt nach der Entgeltgruppe III des TV-Ärzte/VKA zu zahlen, abgewiesen, den Kläger in die Kosten des Rechtsstreits verurteilt und den Streitwert auf 14.400,-- € festgesetzt. Wegen der Gründe, die das Arbeitsgericht zu seiner Entscheidung haben gelangen lassen, wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

13

Gegen das ihm am 26.08.2009 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 23.09.2009 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, die er mit weiterem Schriftsatz vom 24.11.2009 begründet hat, nachdem die Berufungsbegründungsfrist auf den fristgemäßen Antrag des Klägers bis zum 26.11.2009 verlängert worden war. Die Kammer nimmt auf den Inhalt des Berufungsbegründungsschriftsatzes vom 24.11.2009 sowie auf die weiteren Schriftsätze des Klägers vom 01.03.2010 und 11.03.2010 Bezug.

14

Der Kläger behauptet, gegenüber den auf der ISIV tätigen Ärzten sei er weisungsbefugt. Die medizinische Verantwortung für die ISIV sei ihm von dem Chefarzt Prof. H. zu Beginn seiner Tätigkeit ausdrücklich übertragen worden. Dieser habe ihn aus der Zusammenarbeit in einer anderen Klinik gekannt und gefragt, ob er als leitender Oberarzt für den Teilbereich der ISIV und sein Vertreter im A.-Krankenhaus arbeiten wolle. Prof. Dr. H. obliege nach seinem Arbeitsvertrag die Organisation der Medizinischen Klinik I und die Delegation von Verantwortung an die Ärzte und Oberärzte. Darüber hinaus sei dem Kläger aufgrund des Schreibens vom 09.03.2000, das die "Einweisung als Oberarzt" beinhalte, auch von der Klinikleitung ausdrücklich die medizinische Verantwortung für die Internistische Intensivmedizin übertragen worden.

15

Der Kläger beantragt nunmehr,

16

dass Urteil des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 07.07.2009 abzuändern und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 01.08.2006 bis zum 31.12.2008 Entgelt nach der Entgeltgruppe III des TV-Ärzte/VKA zu zahlen.

17

Die Beklagte beantragt,

18

die Berufung zurückzuweisen.

19

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderungsschrift vom 13.01.2010 sowie ihres weiteren Schriftsatzes vom 19.03.2010. Die Kammer nimmt auf den Inhalt dieser Schriftsätze Bezug.

20

Die Beklagte bestreitet, dass dem Kläger die medizinische Verantwortung für selbständige Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik bzw. Abteilung vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden sei. Diese liege ausschließlich bei dessen Leiter, Herr Prof. Dr. H.. Welche Absprachen zwischen Herrn Prof. H. und dem Kläger getroffen wurden, sei der Beklagten nicht bekannt. Die dem Kläger übertragenen Tätigkeiten stellten Tätigkeiten dar, die von einem erfahrenen und versierten Facharzt wahrzunehmen seien. Hierunter fielen sowohl die Patientenbetreuung als auch die Anleitung der weiteren Ärzte. Der Leitende Arzt, Prof. Dr. H. sei zur Übertragung der medizinischen Verantwortung auf nachgeordnete Mitarbeiter durch den Arbeitgeber bzw. die Krankenhausleitung nicht ermächtigt worden. Der Kläger sei nur ständiger Abwesenheitsvertreter des Leitenden Arztes. Eine Weisungsbefugnis gegenüber ärztlichen und nichtärztlichen Kollegen und Mitarbeitern bei Anwesenheit des Leitenden Arztes bestehe nicht. Aus dem Schreiben des geschäftsführenden Krankenhausdirektors, Prof. B., vom 09.03.2000 ergebe sich auch eindeutig, dass Herr Prof. H. nur berechtigt sei, in Personalangelegenheiten mitzuwirken. Das heiße im Umkehrschluss, dass er nicht berechtigt sei, personelle Entscheidungen zu treffen. Diese seien ausschließlich dem Arbeitgeber vorbehalten. Schließlich sei die Internistische Intensivstation innerhalb der Medizinischen Klinik I kein selbständiger Teil- oder Funktionsbereich i. S. d. TV-Ärzte/VKA. Auch habe der Kläger keine medizinische Verantwortung für den gesamten Bereich, weil er nicht liquidationsberechtigt für die Privatpatienten im stationären Bereich sei.

Entscheidungsgründe

21

I. Die Berufung ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, mithin insgesamt zulässig (§§ 64, 66 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO).

22

II. Die Berufung des Klägers ist auch begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Vergütung nach der Entgeltgruppe III des § 16 des Tarifvertrages TV-Ärzte/VKA. Das Urteil des Arbeitsgerichts vom 07.07.2009 war daher abzuändern und festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 01.08.2006 bis zum 31.12.2008 Entgelt nach der Entgeltgruppe III des TV-Ärzte/VKA zu zahlen.

23

1. Die Klage ist als Eingruppierungsfeststellungsklage gem. § 256 ZPO zulässig. Es handelt sich um eine im öffentlichen Dienst allgemein übliche Eingruppierungsfeststellungsklage, deren Zulässigkeit - auch soweit der Kläger sie in der Berufungsinstanz beschränkt hat - im öffentlichen Dienst allgemein anerkannt ist.

24

2. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der TV-Ärzte/VKA kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit zu den tarifschließenden Verbänden Anwendung.

25

3. Der Kläger hat die Eingruppierung innerhalb der sechsmonatigen Ausschlussfrist des § 37 TV-Ärzte/VKA geltend gemacht. Der TV-Ärzte/VKA vom 23.02.2007 ist rückwirkend zum 01.08.2006 in Kraft getreten. Das Geltendmachungsschreiben des Klägers vom 11.04.2007 wahrt mithin die tarifliche Ausschlussfrist.

26

4. Der Kläger erfüllt auch die Voraussetzungen für die Eingruppierung in die Entgeltgruppe III des § 16 TV-Ärzte/VKA.

27

4.1 Nach §§ 15,16 TV-Ärzte/VKA hängt der Rechtsstreit davon ab, dass der Kläger mit mindestens der Hälfte seiner Arbeitszeit Arbeitsvorgänge zu bearbeiten hat, die den tariflichen Anforderungen der begehrten Entgeltgruppe III entsprechen. § 16 des TV-Ärzte/VKA hat folgenden Wortlaut:

28

"Ärztinnen und Ärzte sind wie folgt eingruppiert:

29

a) Entgeltgruppe I:

30

Ärztin/Arzt mit entsprechender Tätigkeit.

31

b) Entgeltgruppe II.

32

Fachärztin/Facharzt mit entsprechender Tätigkeit

33

Protokollerklärung zu Buchst. b:

34

Fachärztin/Facharzt ist diejenige Ärztin/derjenige Arzt, die/der aufgrund Abgeschlossener Facharztweiterbildung in ihrem/seinem Fachgebiet tätig ist.

35

c) Entgeltgruppe III:

36

Oberärztin/Oberarzt

37

Protokollerklärung zu Buchst. c:

38

Oberärztin/Oberarzt ist diejenige Ärztin/derjenige Arzt, der/dem die Medizinische Verantwortung für selbständige Teil- oder Funktions-Bereiche der Klinik bzw. Abteilung vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden ist.

39

d) Entgeltgruppe IV:

40

Leitende Oberärztin/Leitender Oberarzt die diejenige Ärztin/derjenige Arzt, der/dem die ständige Vertretung der leitenden Ärztin/des Leitenden Arztes (Chefärztin/Chefarzt) vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden ist.

41

Protokollerklärung zu Buchst. d:

42

Leitende Oberärztin/Leitender Oberarzt ist nur diejenige Ärztin/derjenige Arzt, die/der die leitende Ärztin/den leitenden Arzt in der Gesamtheit ihrer/seiner Dienstaufgaben vertritt. Das Tätigkeitsmerkmal kann daher innerhalb einer Klinik in der Regel nur von einer Ärztin/einem Arzt erfüllt werden.

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4.2 Die vom Kläger auszuübende Tätigkeit ist nicht nur vorübergehend, sondern ständig auszuüben. Die Ausübung der Tätigkeit eines Oberarztes als medizinisch Verantwortlicher für den Teilbereich ISIV umfasst auch unstreitig mindestens 50 Prozent der vom Kläger auszuübenden Tätigkeit. Im Rahmen der gebotenen Plausibilitätskontrolle ist davon auszugehen, dass die Tätigkeiten eines Oberarztes mit medizinischer Verantwortung für einen Teil- oder Funktionsbereich einen Arbeitsvorgang i. S. d. §15 TV-Ärzte/VKA bilden. Dabei wird der Begriff des Arbeitsvorgangs zugrunde gelegt, wie er von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelt worden ist, als auch eine unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten und bei Berücksichtigung einer sinnvollen, vernünftigen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbaren und rechtlich selbständig zu bewertenden Arbeitseinheit, der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit (BAG vom 25.10.1995 - 4 AZR 479/94 - AP Nr. 207 zu §§ 22, 23 BAT 1975).

44

4.3 Bei der internistischen Intensivstation der Medizinischen Klinik I des A.-Krankenhauses handelt es sich um einen selbständigen Teil- oder Funktionsbereich der Klinik.

45

Der Begriff des Funktionsbereichs ist nicht neu. Er fand sich bereits im Rahmen des BAT (vgl. Vergütungsgruppe Ib/Ia Fallgruppe 4 BAT). Gemäß der Protokollnotiz Nr. 5 zu Teil I der Anl. 1 a zum BAT (VKA: Protokollerklärung Nr. 3 gem. Tarifvertrag vom 23.02.1972) handelt es sich dabei um wissenschaftlich anerkannte Spezialgebiete innerhalb eines ärztlichen Fachgebiets (z. B. "Nephrologie" innerhalb des Fachgebiets "Innere Medizin", "Handchirurgie" innerhalb des Fachgebiets "Chirurgie"). Nach den für Tarifverträge geltenden Auslegungsregeln kann davon ausgegangen werden, dass die Tarifparteien den Begriff des Funktionsbereichs auch im TV Ärzte entsprechend verstanden haben. Zu seiner Definition kann daher auf die Begrifflichkeiten des BAT zurückgegriffen werden.

46

Zur Ermittlung des verselbständigten Spezialgebiets kann schließlich auf die Weiterbildungsordnungen der Ärztekammern abgestellt werden. Die Weiterbildungsordnung der Ärztekammer kennt im Fachgebiet Innere Medizin die zusätzliche Weiterbildung in dem Gebiet der Speziellen Internistischen Intensivmedizin. Insoweit spricht viel dafür, dass es sich bei der Internistischen Intensivmedizin um ein wissenschaftlich anerkanntes Spezialgebiet handelt (ablehnend, weil sie entweder dem jeweiligen Fachgebiet zugeordnet werden müsse oder es sich um einen interdisziplinären Dienst handele: Clemens/Scheuring, Kommentar zum TVöD, Teil IIa, TV-Ärzte/VKA § 16 RNr.49). Die Kammer konnte im Streitfall jedoch dahinstehen lassen, ob es sich bei der ISIV um einen selbständigen Funktionsbereich handelt, denn jedenfalls liegt ein selbständiger Teilbereich i. S. d. Tarifvertrages vor. Unter Teilbereich ist eine organisatorisch abgrenzbare Untergliederung zu verstehen, die zur Erfüllung eines medizinischen Zweckes auf Dauer mit Personen und Sachmitteln ausgestattet ist. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall bei der ISIV vor. Es handelt sich um einen abgeschlossenen Bereich der mehrere Räumlichkeiten umfasst, insgesamt 10 Betten vorhält und der intensivmedizinischen Versorgung der Internistischen Klinik I dient. Diesem Bereich sind 23 Planstellen für Pflegepersonal sowie eine Stationssekretärin, außerdem neben dem Kläger ein Stationsarzt dauerhaft zugeordnet, daneben jeweils drei Ärzte, die nach dem Dienstplan rotierend aus dem Assistentenpool der Medizinischen Klinik I gestellt werden.

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4.4 Dem Kläger obliegt auch die medizinische Verantwortung für diesen Teilbereich.

48

Was unter medizinischer Verantwortung im tariflichen Sinne zu verstehen ist, haben die Tarifvertragsparteien nicht ausdrücklich bestimmt. Aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergibt sich jedoch, dass das Tätigkeitsmerkmal nur dann erfüllt werden kann, wenn dem Oberarzt ein Aufsichts- und - teilweise eingeschränktes - Weisungsrecht hinsichtlich des medizinischen Personals zugewiesen worden ist. Dabei genügt es nicht, dass in dem Teilbereich Ärzte der Entgeltgruppe I (Assistenzärzte und Ärzte in der Weiterbildung) tätig sind. Vielmehr muss dem Oberarzt mindestens ein Facharzt der Entgeltgruppe II unterstellt sein. Ferner ist in der Regel erforderlich, dass die Verantwortung für den Bereich ungeteilt bei ihm liegt (so BAG vom 09.12.2009 - 4 AZR 841/08 - nv).

49

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Die Verantwortung für die ISIV lag seit seiner Einstellung ungeteilt bei dem Kläger. Im oblag ein Aufsichts- und - teilweise eingeschränktes - Weisungsrecht auch hinsichtlich des in diesem Bereich tätigen medizinischen Personals. Dies galt insbesondere auch für die der ISIV dauerhaft zugeordneten Fachärzte (vom 01.04.2000 bis 31.03.2005 Dr. E. und vom 01.04.2005 bis 31.03.2008 Dr. I. z. Zt. Dr. Ba.). Der Kläger hat insoweit substantiiert und unter Angabe von Beispielsfällen (Schriftsatz vom 01.03.2010) vorgetragen, dass er nicht nur die Tätigkeit der nachgeordneten Assistenzärzte und Ärzte der Weiterbildung, sondern auch die der Fachärzte überwacht, Anordnungen trifft und ihm bei Problemfällen die Letztentscheidung obliegt. Diesem Vortrag des Klägers ist die Beklagte auch im Rahmen der mündlichen Erörterung im Kammertermin am 19.05.2010 vor dem Landesarbeitsgericht substantiiert (§ 138 Abs. 3 ZPO) nicht entgegengetreten. Soweit sie die Auffassung vertritt, dem Kläger obliege nicht die medizinische Verantwortung und Weisungsbefugnis, weil das Letztentscheidungsrecht bei dem Klinikleiter Prof. H. liege und der Kläger nur dessen Abwesenheitsvertreter sei, kommt es darauf nicht an. Aus der Unterordnung unter den Leitenden Arzt und seinen ständigen Vertreter, der in die Entgeltgruppe IV eingruppiert ist, ergibt sich, dass die von einem Oberarzt wahrzunehmende Verantwortung keine Allein- oder Letztverantwortung sein kann. Auch hier entspricht die tarifliche Regelung der krankenhausinternen Organisations- und Verantwortungsstruktur. Die medizinische Letztverantwortung liegt i. d. R. beim Leitenden Arzt (Chefarzt) und seinem ständigen Vertreter, deren Weisungen der Oberarzt bei seiner Tätigkeit regelmäßig unterliegt (BAG vom 09.12.2009 aaO. m. w. N.).

50

Die Verantwortung für die ISIV besteht seit Beginn seiner Tätigkeit auch ungeteilt. Anhaltspunkte dafür, dass neben dem Kläger für die ISIV ein weiterer Oberarzt verantwortlich war/ist hat die Beklagte nicht vorgetragen. An der Letztverantwortlichkeit des Klägers hat sich nach seinem von der Beklagten nicht bestrittenen Vortrag auch durch die vormalige Ernennung von Dr. E. zum Oberarzt nichts geändert. Unerheblich ist auch, dass der Kläger für Privatpatienten auf der ISIV nicht liquidationsberechtigt ist. Die Liquidationsberechtigung des Chefarztes gegenüber Privatpatienten schließt nicht aus, dass dem Oberarzt die von der Letztverantwortung des Chefarztes zu trennende medizinische Verantwortung auch für die Behandlung und Versorgung der in den Teil - oder Funktionsbereich aufgenommenen Patienten und Patientinnen obliegen kann. Unschädlich ist schließlich, dass in den Jahren 2008 bis 30.04.2010 kein/e Facharzt/ärztin, sondern eine sich in der fortgeschrittenen Facharztweiterbildung befindliche Ärztin als Stationsärztin dem Kläger unterstellt war. Denn zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Facharztes Dr. I. stand dem Kläger bereits die Eingruppierung nach der Entgeltgruppe III des TV-Ärzte/VKA zu. Zur Änderung der Eingruppierung bzw. des Tätigkeitsfeldes hätte es insoweit einer Änderungskündigung bedurft.

51

4.5 Die Eingruppierung des Klägers in die Entgeltgruppe III ab 01.01.2006 scheitert auch nicht daran, dass ihm die medizinische Verantwortung für die ISIV nicht schon vor Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA am 01.08.2006 durch den Arbeitgeber übertragen wurde, sondern durch den nicht mit Personalbefugnissen ausgestatteten Leiter der medizinischen Klinik, Prof. Dr. H..

52

4.5.1 Die Tarifparteien haben das Merkmal der ausdrücklichen Übertragung nicht näher definiert. Nach den üblichen, für Tarifverträge geltenden Auslegungsgrundsätzen ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien mit diesem Merkmal zum Ausdruck bringen wollten, dass nicht die Aufgabenübertragung als solche eine höhere Eingruppierung rechtfertigt, sie vielmehr vom Arbeitgeber aus erfolgen muss, mithin einem Entscheidungsvorbehalt des Krankenhausträgers unterliegt. Eine ausdrückliche Übertragung braucht zwar nicht wortwörtlich zu erfolgen, sie muss jedoch hinreichend und genügend deutlich werden. Ob damit nicht nur eine schleichende Übertragung, sondern bereits eine stillschweigende, konkludente Übertragung ausgeschlossen sein sollte, kann dahin stehen. Tatsächliche Dispositionen eines Leitenden Arztes genügen jedenfalls nicht, d. h. die Übertragung muss vom Arbeitgeber bzw. der mit personalrechtlichen Befugnissen ausgestatteten Stelle ausgehen (so zu dem früher im BAT verwendeten Begriff der ausdrücklichen Anordnung beispielsweise in Vergütungsgruppe I, VKA des Tarifvertrages zur Änderung und Ergänzung der Anlage I a zum BAT (Ärzte, Apotheker, Tierärzte, Zahnärzte) vom 23.02.1972 z.B. BAG vom 14.08.1991 - 4 AZR 25/01 - AP Nr. 159 zu §§ 22, 23 BAT 1975 und vom 25.10.1995 - AZR 479/94 - AP Nr. 207 zu §§ 22, 23 BAT 1995). Der Klinikdirektor Prof. Dr. H. erfüllt diese Voraussetzungen unstreitig nicht.

53

4.5.2 Die Beklagte muss sich jedoch die Übertragung der medizinischen Verantwortung durch den Klinikleiter Prof. Dr. H. zurechnen lassen.

54

a) Für die Zeit vor Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA war die Übertragung medizinischer Verantwortung für die Eingruppierung nicht relevant, eine Übertragung durch den Arbeitgeber daher nicht erforderlich. Die Niederschrifterklärung der Tarifvertragsparteien zu § 6 Abs.2 TV-Ärzte/VKA spricht gleichwohl dafür, dass die Tarifvertragsparteien davon ausgegangen sind, dass auch in der Vergangenheit nicht nur sogenannte Titularoberärzte beschäftigt waren, sondern auch Oberärzte, denen tatsächlich medizinische Verantwortung übertragen war. In der Niederschrifterklärung heißt es wörtlich:

55

"Die Tarifparteien gehen davon aus, dass Ärzte, die am 31.07.2006 die Bezeichnung Oberarzt führen, ohne die Eingruppierungsvoraussetzung zu erfüllen, die Berechtigung zur Führung ihrer bisherigen Bezeichnung nicht verlieren. Eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe III ist hiermit nicht verbunden."

56

Die Bezeichnung eines Arztes als "Oberärztin/Oberarzt" sollte mithin weder dazu führen, dass automatisch eine Eingruppierung in die Entgeltgruppe III vorzunehmen war, noch schließt sie aus, dass auch Oberärzte i. S. d. jetzigen § 16 TV-Ärzte/VKA Entgeltgruppe III vor Inkrafttreten dieses Tarifvertrags beschäftigt waren. Anderenfalls hätte es per 01.08.2006 in keiner Klinik einen Oberarzt im Tarifsinne gegeben. Die Übertragung durch den Arbeitgeber hätte zwangsläufig nur zur Eingruppierung in die Entgeltgruppe III Stufe 1, nicht aber in eine höhere Stufe geführt. Dass die Tarifvertragsparteien das wollten, erschließt sich nicht. Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien die vorhandenen Strukturen und Verantwortungsbereiche in den Kliniken neu ordnen und dem Arbeitgeber die Möglichkeit geben wollten, durch Übertragungen ab dem 01.08.2006 diese Strukturen zu verändern. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien die vorhandenen Strukturen mit der zutreffenden Eingruppierung behandeln wollten. Aus diesem Grund ist für die Übertragung von medizinischer Verantwortung vor dem 01.08.2006 lediglich festzustellen, ob und zu welchem Zeitpunkt medizinische Verantwortung für welchen Teilbereich in einer dem Arbeitgeber zurechenbaren Weise übertragen wurde (ebenso jedenfalls für die Stufenfindung beim TV-Ärzte: LAG Niedersachsen vom 09.03.2009 - 9 Sa 270/08 E - NZA - RR 2009, 436 ff = ZTR 2009, 317 [LAG Niedersachsen 09.03.2009 - 9 Sa 270/08 E] f).

57

b) Dem Kläger oblag die medizinische Verantwortung in der Internistischen Intensivstation seit dem 01.04.2000. Er war und ist gegenüber dem medizinischen Personal der ISIV, darunter mindestens einem Facharzt weisungsbefugt, konnte medizinische Anordnungen ändern und Letztentscheidungen treffen. Diese medizinische Verantwortung ist ihm von dem Klinikleiter Prof. Dr. H. übertragen worden. Hierfür spricht bereits die von diesem ausgestellte Bescheinigung vom 08.06.2009. Darüber hinaus hat der Kläger auch substantiiert vorgetragen, dass ihn Prof. Dr. H. ausdrücklich für die oberärztliche Leitung und medizinische Verantwortung der ISIV angeworben hatte. Soweit die Beklagte sich darauf beruft, ihr sei nicht bekannt, welche Absprachen zwischen Prof. Dr. H. und Kläger getroffen worden seien, ist ihr Bestreiten mit Nichtwissen insoweit unzulässig, denn sie konnte sich bei Prof. Dr. H. nach dem Inhalt der Absprachen erkundigen. Darüber hinaus hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht vom 19.05.2010 eingeräumt, dass Prof. Dr. H. nach seinem Chefarztvertrag zwar keine personalrechtlichen Befugnisse hat, ihm aber ausdrücklich die Organisation seines Arbeitsbereichs in der Medizinischen Klinik I zur alleinigen Verantwortung übertragen ist und er diese auch delegieren kann. Soweit die Beklagte daher die Übertragung medizinischer Verantwortung durch Prof. Dr. H. und die Weisungsbefugnis des Klägers gegenüber dem nachgeordneten medizinischen Personal bestreitet, geht dieses Bestreiten erkennbar nicht dahin, dass es die von Prof. Dr. H. bestätigte Kompetenzzuweisung tatsächlich nicht gegeben habe oder dieser sie nicht habe vornehmen können. Hinter dem Bestreiten steht vielmehr die Auffassung, dass der Klinikleiter dem Kläger zwar den Teilbereich der ISIV mit den bescheinigten Kompetenzen zugewiesen haben mag, dass dies aber kein ausdrücklicher Übertragungsakt im Sinne des Tarifvertrages war.

58

Mangels eingruppierungsrechtlicher Folgen hat sich die Beklagte in der Vergangenheit in die Übertragung medizinischer Verantwortung durch den Klinikleiter der Medizinischen Klinik I nicht eingemischt. Dies zeigt sich vorliegend auch darin, dass es in dem Vorstellungsgespräch des Klägers mit der Klinikleitung nicht um Einzelheiten seiner Tätigkeit ging, obwohl solch ein Gespräch - wie dies die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 19.05.2010 eingeräumt hat - nicht bei jeder Facharzteinstellung vorgenommen wurde, mithin die Tatsache, dass ein solches Gespräch überhaupt stattfand, bereits für die Übertragung einer herausgehobenen Position spricht.

59

Da die Beklagte im Streitfall die Organisation der Abteilung und Aufgabenübertragung der Organisationshoheit des Klinikleiters, Prof. Dr. H., überlassen hat, muss sie sich die Übertragung medizinischer Verantwortung zurechnen lassen. Dass sie hiervon keine Kenntnis hatte, behauptet die Beklagte selbst nicht. Vielmehr hat der geschäftsführende Krankenhausdirektor dem Kläger, der die mit Prof. Dr. H. getroffenen Absprachen in dem übersandten Arbeitsvertrag nicht wiederfand, auf dessen Rüge mit Schreiben vom 08.03.00 und 09.03.00 ausdrücklich die Einweisung als Oberarzt der Medizinischen Klinik I bestätigt. Dies spricht gegen eine reine Titularverleihung.

60

III. Die Kammer hat der Beklagten die Kosten des gesamten Rechtsstreits nach §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO auferlegt. Dabei hat die Kammer übersehen, dass wegen der Beschränkung des Antrags eine Kostenquotelung gem. § 92 ZPO (80% Beklagte, 20% Kläger) angezeigt gewesen wäre.

61

Die Revision war nach § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen.

Knauß
Schaper
Weets