Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 03.06.2010, Az.: 4 Sa 239/09 B

Nichtige Anpassung der Betriebsrente bei Beschränkung der Anpassungsverpflichtung auf einen bestimmten Prozentsatz

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
03.06.2010
Aktenzeichen
4 Sa 239/09 B
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 21883
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2010:0603.4SA239.09B.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BAG - 18.09.2012 - AZ: 3 AZR 415/10

Amtlicher Leitsatz

Eine Beschränkung der Anpassungsverpflichtung des Arbeitgebers auf einen bestimmten Prozentsatz stellt für die betroffenen Ruhegeldempfänger eine ungünstige Abweichung von § 16 Abs. 1 BetrAVG dar, die nach § 17 Abs. 3 S. 3 BetrAVG i. V. m. § 134 BGB nichtig ist.

In dem Rechtsstreit

Klägerin und Berufungsklägerin,

gegen

Beklagte und Berufungsbeklagte,

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juni 2010 durch

die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Krönig,

den ehrenamtlichen Richter Herrn Zinkler,

den ehrenamtlichen Richter Herrn Weidenthal

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 8. Oktober 2008 - 8 Ca 33/08 B - teilweise abgeändert:

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Versorgungsbezüge der Klägerin auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 Buchst. e Ziff. 5 der Richtlinien des Angestelltenversorgungsfonds Niedersachsen (AVN) vom 1. Oktober 1999 anzupassen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die am 00.00.1943 geborene Klägerin trat auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages mit Wirkung vom 1. Juli 1967 als Sekretärin in die Dienste der Beklagten, einer Körperschaftöffentlichen Rechts. Das Arbeitsverhältnis bestimmte sich zunächst nach dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) und den diesen ergänzenden oder ändernden Tarifverträgen. In § 3 des Arbeitsvertrages vereinbarten die Parteien, dass die Altersversorgung nach den Richtlinien des Angestellten-Versorgungsfonds Niedersachsen (AVN) gewährt wird.

2

Am 13./20. April 1983 schloss die Beklagte einen Manteltarifvertrag (Tarifvertrag A) mit der DAG. Grundlage des Arbeitsverhältnisses der Parteien war zuletzt der Arbeitsvertrag vom 30. Juni 1983. In § 2 dieses Vertrages heißt es, dass eine zusätzliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung nach den Richtlinien des Angestellten-Versorgungsfonds Niedersachsen gewährt wird. In § 3 haben die Parteien vereinbart, dass sich das Arbeitsverhältnis nach dem früheren mit der KVN geschlossenen Arbeitsvertrag vom 9. Juni 1978 regelt, soweit ein Tarifvertrag mit der DAG nicht mehr bestehen sollte.

3

Die Beklagte erteilte ihren Arbeitnehmern bis 1978 Versorgungszusagen nach Maßgabe der AVN-Richtlinien.

4

Die Klägerin bezieht seit dem 1. Oktober 1999 eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Zum selben Zeitpunkt traten neue Richtlinien für die Verwaltung des Angestellten-Versorgungsfonds Niedersachsen (AVN) in Kraft, die eine Begrenzung der Nettogesamtversorgung auf 100 % sowie Übergangsbestimmungen für Versorgungsberechtigte enthalten, für die der Versorgungsfall zwischen dem 1. Oktober 1999 und dem 30. September 2002 eintritt. In den Richtlinien heißt es auszugsweise:

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§ 7 Alters- und Hinterbliebenenversorgung

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(1) a) Alters- und Hinterbliebenenversorgung wird nur Belegschaftsmitgliedern gewährt, die seit mindestens 10 Jahren zu denärztlichen Körperschaften Niedersachsens in einem unmittelbaren und ununterbrochenen Arbeitsverhältnis standen (Wartezeit) und nach Erreichen der Altersgrenze aus den Diensten der ärztlichen Körperschaften ausgeschieden sind oder vor Erreichen der Altersgrenze in den Diensten der ärztlichen Körperschaften berufs- oder erwerbsunfähig geworden sind;

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§ 8 Berechnungsgrundlagen

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Altersversorgung

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(1) a) Die Altersversorgung berechnet sich aus den altersversorgungsfähigen Dienstbezügen. Diese sind das jeweilige Grundgehalt (Jahresgehalt) der zuletzt bezogenen Vergütungsgruppe unter Berücksichtigung der tariflichen Änderungen zuzüglich Ortszuschlag sowie die ausdrücklich für ruhegehaltsfähig erklärten Zulagen.

10

(2) Die Altersversorgung wird berechnet nach Ablauf der Wartezeit und bis zur Vollendung einer versorgungsfähigen Dienstzeit von 10 Jahren mit 35 v. H. der altersversorgungsfähigen Dienstbezüge. Die Versorgungsbezüge erhöhen sich nach einer Dienstzeit von 10 Jahren mit jedem weiteren vollen Dienstjahr um 2 v. H. bis höchstens 75 v. H.

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§ 9 Die tatsächlichen Leistungen

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(1) Zur endgültigen Berechnung der Leistungen aus dem AVN werden die nach den vorstehenden Grundsätzen berechneten Altersversorgungs-, Witwen-/Witwer- und Sterbegelder gekürzt um die ungeminderten Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung, um die Ruhegelder, Witwengelder, Witwergelder, Waisengelder, Kindergelder, Kinderzulagen sowie um sonstige laufende Versorgungsbezüge.

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(e) Begrenzung der Nettogesamtversorgung

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Die Gesamtversorgungsbezüge dürfen als Nettogesamtversorgung 100 % des jeweiligen Nettovergleichseinkommens (Gesamtversorgungsobergrenze) nicht übersteigen.

15

1. Gesamtversorgungsbezüge

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Gesamtversorgungsbezüge sind alle monatlichen Versicherungs- und Versorgungsbezüge im Sinne des § 9 (1), auch die Versorgungsbezüge aus einem früheren Beschäftigungsverhältnis, aus einem berufsständischen Versorgungswerk, aus einer befreienden Lebensversicherung sowie aus dem AVN.

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2. Nettogesamtversorgung

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Nettogesamtversorgung sind die Gesamtversorgungsbezüge gekürzt um Steuern - einschließlich Steuern auf den Ertragsanteil, Solidaritätszuschlag, jedoch ohne Kirchensteuer (ohne Berücksichtigung der antragspflichtigen Freibeträge) - sowie um Beiträge zur Pflege- und Krankenversicherung.

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3. Bruttovergleichseinkommen

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Als Bruttovergleichseinkommen gilt 1/12 des der Berechnung der Altersversorgung des AVN (§ 8 I Abs. 1) zugrundeliegenden Jahresgehaltes (Altersversorgungsfähige Dienstbezüge)

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4. Nettovergleichseinkommen

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Das Nettovergleichseinkommen ist dadurch zu errechnen, dass von dem Bruttovergleichseinkommen

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a) bei einem am Tag des Eintrittes des Versorgungsfalles im Sinne dieser Richtlinien nicht dauernd getrennt lebenden verheirateten Belegschaftsmitgliedes sowie bei einem Belegschaftsmitglied, das an diesem Tag Anspruch auf Kindergeld oder eine entsprechende Leistung für mindestens ein Kind hat, der Betrag, der an diesem Tag als Lohnsteuer nach Steuerklasse III/0 zu zahlen wäre,

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b) bei allen übrigen Belegschaftsmitgliedern der Betrag, der am Tag des Eintrittes des Versorgungsfalles als Lohnsteuer nach Steuerklasse I/0 zu zahlen wäre,

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sowie

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c) die Beträge, die als Arbeitnehmeranteile an den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung, zur sozialen Pflegeversicherung, zur gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch nach Maßgabe der am Tag des Eintrittes des Versorgungsfalles geltenden Beitragssätze und Beitragsbemessungsgrenzen zu zahlen wären,

27

abgezogen werden.

28

5. Überprüfung der Nettogesamtversorgung

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Eine Überprüfung und ggf. Korrektur der Höhe der Nettogesamtversorgung und des Nettovergleichseinkommens findet jeweils mit Wirkung von dem Zeitpunkt an statt,

30

a) zu dem bei der KVN allgemeine Änderungen der Gehälter eintreten

31

b) zu dem Rentenanpassungen erfolgen

32

c) zu dem weitere Versicherungs- und Versorgungsleistungen im Sinne des § 9 (1) anzurechnen sind

33

d) zu dem Änderungen des Kinderanteiles im Ortszuschlag eintreten.

34

Das Bruttovergleichseinkommen nach Nr. 3 ist bei Überprüfung diesen allgemeinen Änderungen entsprechend anzupassen.

35

Die Anpassung der Versorgungsbezüge der Klägerin richtete sich bis 2006 nach § 9 Abs. 1 Buchst. e Ziff. 5 der AVN-Richtlinien mit dem Stand vom 1. Oktober 1999 (Überprüfung der Netto-Gesamtversorgung).

36

Am 16. November 2006 schloss die Beklagte eine Dienstvereinbarung mit dem Gesamtpersonalrat. In Art. 2 dieser Dienstvereinbarung vereinbarten die Betriebspartner Richtlinienergänzungen zur AVN-Leistungsanpassung. Am 14. Dezember 2006 schloss die Beklagte mit der Gewerkschaft Ver.di einen Tarifvertrag. In § 2 des Tarifvertrages heißt es, dass unter Berücksichtigung des § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG i. V. m. § 30 c BetrAVG die Anpassung der laufenden AVN - Leistungen auf 1 % jährlich festgelegt wird. Am 1. Januar 2007 traten die neuen Richtlinien für die Verwaltung des Angestellten-Versorgungsfonds Niedersachsen in Kraft. Diese haben, soweit für das vorliegende Verfahren von Interesse, folgenden Wortlaut:

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§ 9 Die tatsächlichen Leistungen

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(4) Die Zahlung der Altersversorgungsbezüge beginnt mit Ablauf der Zeit, für die Dienstbezüge von den ärztlichen Körperschaften gezahlt wurden, und endet mit Ablauf des Sterbemonats.

39

Die Regelungen des § 8 und § 9 (1) bis (3) werden nur einmalig zum Rentenbeginn angewendet. Danach werden die laufenden Zahlungen aus dem AVN jährlich um 1 % angepasst.

40

§ 12 Schluss- und Übergangsbestimmungen

41

(1) Für AVN - Berechtigte, die am 30. Juni 2007 AVN - Leistungen bezogen haben und diese über den 1. Juli 2007 hinaus weiterhin beziehen, findet der § 9 (4) Satz 1 bis 3 in der ab 1. Juli 2007 geltenden Fassung Anwendung; § 9 (4) Satz 2 wird einmalig zum Zeitpunkt 1. Juli 2007 angewandt und berechnet.

42

Mit Schreiben vom 7. Mai 2007 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihr Vorstand auf der Grundlage einer Vereinbarung mit dem Gesamtpersonalrat die Richtlinien des Angestellten-Versorgungsfonds Niedersachsen für aktive Mitarbeiter und Rentner angepasst habe. Neben der Einarbeitung von gesetzlichen Neuerungen stehe bei der Richtlinienänderung die Gestaltung einer langfristig sicheren sowie kalkulierbaren Finanzierung der Betriebsrenten im Vordergrund. Die Neuregelung beschrieb die Beklagte dabei wie folgt:

43

Ihre Betriebsrente wird nunmehr jährlich am 1. Juli um den festen Wert von 1 % erhöht. Die bisherige Regelung, wonach die Tarifabschlüsse für aktive Mitarbeiter der KVN in prozentualen Erhöhungen, Nullrunden oder Einmalzahlungen auf die Betriebsrentenübertragen wurden, findet keine Anwendung mehr. Weiterhin entfällt die bisherige Verfahrensweise, dass Erhöhungen von angerechneten Renten zu einem verminderten AVN-Leistungsbezug führen. Aufgrund der neuen Regelung brauchen Sie ab dem 1. Juli 2007 auch keinen Nachweis über Änderungen beim Bezug gesetzlicher Renten mehr zu erbringen.

44

Mit Schreiben vom 9. Juli 2007 erwiderte die Klägerin, dass Sie mit der Änderung nicht einverstanden sei. Dessen ungeachtet führte die Beklagte mit Wirkung ab dem 1. Juli 2007 die Neuregelung ein.

45

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr Altersversorgung gemäß ihrem Arbeitsvertrag vom 25. April 1967 in Verbindung mit der damals gültigen Richtlinie AVN zu gewähren.

46

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, § 3 ihres Arbeitsvertrages vom 25. April 1967 stelle eine einzelvertragliche Zusage ohne jeden Vorbehalt und ohne jede Einschränkung dar. Ihr Versorgungsanspruch richte sich grundsätzlich nach der Fassung der Richtlinien des AVN, die zum Zeitpunkt der arbeitsvertraglichen Zusage Geltung gehabt habe. Eingegriffen werden könne nur einvernehmlich oder durch Änderungskündigung. Eine einen Eingriff rechtfertigende Jeweiligkeitsklausel müsse ausdrücklich oder konkludent so vereinbart sein, dass der Arbeitnehmer erkennen könne, was unter Umständen auf ihn zukomme.

47

Die von der Beklagten gewählten Anpassungsregelungen mit der jährlich 1%-igen Erhöhung, die in § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG als eine Möglichkeit erwähnt sei, die Überprüfungspflicht des Arbeitgebers zur Anpassung der betrieblichen Altersversorgung entfallen zu lassen, gelte gemäß § 30 c Abs. 1 BetrAVG nicht für diejenigen Versorgungsempfänger, denen eine Versorgungszusage bis zum 31. Dezember 1998 erteilt worden sei. Die Unbilligkeit der von der Beklagten gewählten Anpassungsbestimmung folge in materieller Hinsicht schon unmittelbar aus dem Gesetz.

48

Die Frage der Rechtmäßigkeit einer Anpassung habe nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) zu erfolgen. Nach der Rechtsprechung könne der Arbeitgeber eine Anpassung der Versorgungsregelung verlangen, wenn eine Äquivalenz-störung vorliege, von der dann auszugehen sei, wenn die bei Schaffung des Versorgungswerks zugrunde gelegte Belastung wegen Änderungen im Sozialversicherungsrecht zum Anpassungsstichtag um mehr als 50 % überschritten werde.

49

Die Klägerin hat beantragt,

50

1. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin einen Betrag in Höhe von 72,03 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. September 2007 sowie monatlich für den Zeitraum vom 31. Januar bis 30. Juni 2008 einen Betrag in Höhe von 55,79 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2008 zu zahlen,

51

2. festzustellen, dass die Beklagte auch über den 1. Juli 2007 hinaus verpflichtet ist, der Klägerin Altersversorgung aufgrund§ 3 des Individualvertrages der Klägerin vom 25. April 1967 i. V. m. der damals gültigen Richtlinie AVN zu gewähren.

52

Die Beklagte hat beantragt,

53

die Klage abzuweisen.

54

Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts der verwendete arbeitsvertragliche Verweis auf ein externes Regelwerk immer als Verweis auf die jeweilige Fassung dieses Regelwerks zu verstehen sei. Die Wirkung der Jeweiligkeitsklausel erfasse den Vertragspartner nach dieser Rechtsprechung auch noch im Ruhestand.

55

Die ab Juli 2007 gültige 1 %-Anpassungsklausel verstoße nicht gegen § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG i. V. m. § 30 c Abs. 1 BetrAVG. Diese Vorschrift sei tarifdispositiv. Abweichende tarifvertragliche Gestaltungen seien zulässig und erfassten auch die nicht tarifgebundenenen Versorgungsberechtigten (§ 17 Abs. 3 BetrAVG).

56

Die 1 %-Anpassungsklausel verstoße nicht gegen den Grundsatz der Billigkeit. Dies ergebe sich schon daraus, dass die 1 %-Anpassungsklausel durch einen Tarifvertrag eingeführt worden sei. Tarifverträge unterlägen keiner gerichtlichen Billigkeitskontrolle. Vielmehr gelte für sie die Vermutung der Richtigkeit und Billigkeit. ImÜbrigen habe sie - die Beklagte - mit der Anpassungsklausel nur eine Entwicklung nachvollzogen, die für alle sonstigen Arbeitnehmer und Rentner des öffentlichen Dienstes schon am 1. März 2002 in Kraft getreten sei. Die für den gesamten öffentlichen Dienst wirksam per Tarifvertrag eingeführte und für billigenswert gehaltene Umstellung des alten Mehrstufen-Anpassungssystems auf die einfache 1 %-ige Anpassungsklausel könne da nicht unbillig sein. Sie verspreche sich von der neuen Anspassungsklausel auch eine beträchtliche Entlastung des Verwaltungsapparates, den sie für ihr betriebliches Versorgungswerk und vor allem für die regelmäßigen Rentenanpassungen vorhalten müsse.

57

Von der neuen 1 %-Anpassungsklausel verspreche sie sich auf längere Sicht eine gewisse Entlastung bei ihren Versorgungslasten. Das Versorgungssystem der AVN-Richtlinien habe in den vergangen Jahren und Jahrzehnten zu einem völlig unerwarteten Lastenanstieg geführt, der mehr als 50 % ausgemacht habe. Daher müsse bereits von einer Störung der Geschäftsgrundlage für die ursprünglichen AVN-Richtlinien gesprochen werden. Die Klägerin habe bei Beginn ihrer Rente im Oktober 1999 eine Gesamtversorgung, bestehend aus der gesetzlichen Rente und aus der AVN-Rente bezogen, die höher als ihre letzten Nettoarbeitsbezüge gewesen seien. Dies habe eine absolute Überversorgung dargestellt und sei bereits eine Störung in der Geschäftsgrundlage.

58

Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 8. Oktober 2008 abgewiesen. Gegen das ihr am 23. Januar 2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20. Februar 2009 Berufung eingelegt und sie am 23. März 2009 begründet.

59

Die Klägerin macht geltend, das Arbeitsgericht habe den Charakter der arbeitsvertraglichen Bindung der Beklagten durch die Versorgungszusage im Arbeitsvertrag verkannt. Nach den anerkannten Auslegungsregeln sei die Abweichung vom Wortlaut eines Individualarbeitsvertrages nur dann statthaft, wenn es demübereinstimmenden Willen beider Vertragspartner entspreche bzw. bei Vertragsschluss entsprochen habe oder im Wege einer gesetzes- oder verfassungskonformen Auslegung erforderlich sei. Beides sei hier nicht der Fall. Im Übrigen seien weder der Gesamtpersonalrat noch die Gewerkschaft befugt gewesen, in die Rechte der Betriebsrentner einzugreifen. Die Beklagte sei auch nicht nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage berechtigt gewesen, die nachteiligen Änderungen für die Betriebsrentner einzuführen.

60

Die Klägerin beantragt,

61

das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 8. Oktober 2008 - 8 Ca 33/08 B - abzuändern und

62

1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Altersversorgung auf der Grundlage des § 3 des Arbeitsvertrages der Klägerin vom 25. April 1967 i. V. m. der damals gültigen Richtlinie AVN zu gewähren,

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2. hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Versorgungsbezüge auf der Grundlage des § 9 Ziffer 5 der Richtlinie vom 1. Oktober 1999 anzupassen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

66

Die Beklagte meint, die durch die Jeweiligkeitsklausel aus dem Arbeitsvertrag der Klägerin wirksam gewordene Änderung der Anpassungsregeln (Einführung der 1 %-Grenze) halte einer Billigkeitskontrolle stand. Die Umstellung der alten Anpassungsregeln auf eine Anpassungsgarantie von jährlich 1 % sei höchstrichterlich schon mehrfach als billigenswert eingestuft worden. Sie habe ein legitimes Interesse an einem Gleichlauf ihrer betrieblichen Versorgungsregeln mit den Versorgungsregeln des allgemeinen öffentlichen Dienstes. Die neue 1 %-Anpassungsgarantie entspreche der schon seit 2001 geltenden Anpassungsgarantie des allgemeinen öffentlichen Dienstes. Sie habe auch ein legitimes Interesse daran, die Verwaltung ihres Rentnerbestandes zu vereinfachen. Verglichen mit den Verhältnissen bei Beginn des Arbeitsverhältnisses sei sie mit einem zwischenzeitlich äußerst starken Anstieg der Lebenserwartung ihrer Rentner und damit auch mit einem starken Anstieg der Rentenbezugsdauer ihrer Betriebsrenten konfrontiert worden. Sie habe es ihren Mitarbeitern erspart, wegen dieser Veränderungen die beiden bekannten Rentenkürzungen für die Arbeitnehmer desöffentlichen Dienstes mitmachen zu müssen. Von diesen Kürzungen sei insbesondere die Mitte der 80er Jahre eingeführte Begrenzung der versprochenen Gesamtversorgung auf ca. 91 % der letzten Nettobezüge zu erwähnen; auch sie sei der Klägerin erspart geblieben.

67

Bei einer Gesamtbetrachtung sei die kollektivvertragliche 1 %-Garantie für die Klägerin günstiger als die von ihrer wirtschaftlichen Lage abhängige Anpassungsregel aus § 16 Abs. 1 BetrAVG. Schon wegen dieser Günstigkeit sei die 1 %-Anpassungsgarantie für die Klägerin wirksam vereinbart worden.

68

Die Klägerin habe sich individualvertraglich dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes und damit auch dem Tarifvertrag desöffentlichen Dienstes zur betrieblichen Altersversorgung unterworfen. Die Tarifverträge des öffentlichen Dienstes sähen schon seit 2002 die mit jährlich 1 % garantierte Anpassung der Betriebsrenten desöffentlichen Dienstes vor. Auf diese Tarifverträge desöffentlichen Dienstes sei mit einem Haus-Tarifvertrag von Mai 1983 auch für ihr Unternehmen Bezug genommen worden.

69

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

70

I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

71

II. Die zulässige Berufung ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zulässig und begründet, im Übrigen ist sie unbegründet.

72

1. Die Klägerin begehrt nach dem Wortlaut ihres Hauptantrages die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr Altersversorgung auf der Grundlage des § 3 des Arbeitsvertrages vom 25. April 1967 in Verbindung mit den damals gültigen Richtlinien des Angestellten-Versorgungsfonds (AVN) zu gewähren.

73

Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die im Arbeitsvertrag vom 25. April 1967 verwendete Klausel eine Jeweiligkeitsklausel darstellt. In den Arbeitsverträgen der Parteien vom 25. April 1967, 15. August 1974, 9. Juni 1978 und 30. Juni 1983 sind die Richtlinien des Angestellten-Versorgungsfonds Niedersachsen als Vertragsbestandteilübernommen worden. Das Fehlen einer ausdrücklichen Jeweiligkeitsklausel ist unschädlich. Wenn die Arbeitsvertragsparteien außerhalb des Arbeitsvertrages liegende Versorgungsvorschriften in Bezug nehmen, handelt es sich in der Regel nicht um eine statische, sondern um eine rechtlich nicht zu beanstandende dynamische Verweisung (BAG 22. Februar 2000 - 3 AZR 108/99 - AP BetrAVG § 1 Beamtenversorgung Nr. 14; 27. Juni 2006 - 3 AZR 255/05 - AP § 1 BetrAVG Ablösung Nr. 49). Eine derartige Verweisung stellt die einheitliche Behandlung aller Versorgungsberechtigten sicher. Die einer Mehrzahl von Arbeitnehmern zugesagte betriebliche Altersversorgung wird im Regelfall im Rahmen eines Systems erbracht, das nicht erstarren soll. Die Zusage einer von späteren Änderungen abgekoppelten Versorgung ist die Ausnahme. Eine statische Verweisung muss deshalb deutlich zum Ausdruck gebracht werden (BAG 16. August 1988 - 3 AZR 61/87 - AP § 1 BetrAVG Beamtenversorgung Nr. 8).

74

Nach § 3 des Anstellungsvertrages vom 25. April 1967 richtet sich die der Klägerin zugesagte Altersversorgung "nach den Richtlinien des AVN." Von einer Festschreibung auf eine bestimmte Fassung ist nicht die Rede. Daraus lässt sich entnehmen, dass auch spätere Änderungen der Richtlinien zu berücksichtigen sind.

75

2. Der Hilfsantrag der Klägerin ist zulässig und begründet.

76

a. § 533 ZPO steht der Ergänzung des Antrages um den Hilfsantrag nicht entgegen. Diese Vorschrift legt besondere Zulassungsvoraussetzungen für Klageänderungen in der Berufungsinstanz fest, die vorliegend gegeben sind.

77

b. Mit ihrem Hilfsantrag begehrt die Klägerin die Feststellung der Weitergeltung der Richtlinien für den Angestellten-Versorgungsfonds Niedersachsen (AVN) vom 1. Oktober 1999 und verlangt, dass ihre Ruhegeldansprüche auch nach dem 30. Juni 2007 entsprechend § 9 Abs. 1 Buchst. e Nr. 5 dieser Ruhegeldordnung berechnet werden. Der Antrag ist bestimmt genug (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Die Klägerin hat auch ein Interesse an der Feststellung des Inhaltes ihres Versorgungsverhältnisses zur Beklagten (§ 256 Abs. 1 1. Alt. ZPO). Der Feststellungsantrag ist geeignet, die zwischen den Parteien bestehenden Streitpunkte in prozesswirtschaftlicher Art zu klären, so dass sich die Klägerin nicht auf den Vorrang der Leistungsklage verweisen lassen muss (BAG 24. Januar 2006 - 3 AZR 583/04 - AP BGB § 313 Nr. 1).

78

b. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Überprüfung und Korrektur der Höhe ihrer Nettogesamtversorgung und des Nettovergleichseinkommens nach § 9 Abs. 1 Buchst. e Nr. 5 der Richtlinien vom 1. Oktober 1999 zu. Die Änderung der Anpassungsregelung durch § 9 Abs. 4 Satz 1, 2 der Richtlinien in der Fassung vom 1. Januar 2007 ist unwirksam.

79

aa. Die Änderung ist nicht schon deshalb wirksam, weil die vertragliche Versorgungszusage in der gebotenen Auslegung auf die jeweils geltenden Richtlinien des Angestellten-Versicherungsfonds verweist. Die Jeweiligkeitsklausel führt nicht dazu, dass die Klägerin keinen Vertrauensschutz genießt und jede Änderung der Richtlinien hinnehmen muss. Die arbeitsvertragliche Verweisung auf die jeweils geltenden Versorgungsrichtlinien verhindert zwar eine Festschreibung der bei Arbeitsvertragsschluss geltenden Regelungen und ermöglicht spätereÄnderungen. Das heißt aber nicht, dass die Versorgungsordnung beliebig umgestaltet werden kann. Die Änderungen der Versorgungsordnung unterliegen einer gerichtlichen Kontrolle. Sie müssen billigem Ermessen im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB entsprechen (BAG 2. Februar 1988 - 3 AZR 115/86 - AP § 2 BetrAVG Nr. 25; 26. August 1997 - 3 AZR 213/96 - AP BetrAVG § 1 Besitzstand Nr. 14). Die Bestandsschutzinteressen der Arbeitnehmer sind angemessen zu berücksichtigen und gegen die Änderungsgründe der Arbeitgeberin abzuwägen. Die Arbeitnehmer dürfen darauf vertrauen, dass die Beklagte bei Eingriffen in schutzwürdige Rechtspositionen der Versorgungsberechtigten den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachtet. Damit bedarf auch dieÄnderung von Anpassungsregelungen für laufende Versorgungsleistungen tragfähiger Gründe. Wie gewichtig die Gründe sein müssen, lässt sich jedoch nicht schematisch beantworten, sondern hängt von den Nachteilen ab, die den Versorgungsberechtigten durch die konkrete Änderung entstehen.

80

Nach diesem Maßstab ist der vorliegende Eingriff unverhältnismäßig. Zusagen, die Betriebsrenten im Rahmen einer Gesamtversorgung an die Entwicklung der Einkünfte aktiver Arbeitnehmer anbinden, sind ganz erheblichen Unsicherheiten ausgesetzt. Zur Zeit der Schaffung des Versorgungswerks ist nicht nur die allgemeine Vergütungsentwicklung ungewiss. Gesamtversorgungssysteme hängen notwendigerweise von der Entwicklung der Sozialgesetzgebung ab, so dass auch die Höhe der anrechenbaren Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung Schwankungen und sozialpolitischen Unwägbarkeiten unterliegt (BAG 9. Juli 1985 - 3 AZR 546/82 - AP BetrAVG § 1 Ablösung Nr. 6). Dabei können sich die Berechnungsfaktoren der Betriebsrente sowohl zu Gunsten als auch zu Lasten des Arbeitgebers bzw. Rentners verändern.

81

Die Beklagte hält die Ersetzung der alten AVN-Dynamisierungsregeln durch die neue tarifvertragliche 1 % - Anpassungsklausel für billig, weil sogar schon von einer Störung der Geschäftsgrundlage gesprochen werden müsse. Im Ansatzpunkt zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass sie als Körperschaft desöffentlichen Rechts das haushalts-rechtliche Gebot des sparsamen und wirtschaftlichen Handelns zu beachten hat. Anders als einem privaten Arbeitgeber ist es öffentlich-rechtlichen Arbeitgebern einschließlich der öffentlich-rechtlichen Körperschaften nicht gestattet, die Betriebsrentner deutlich besser zu stellen als die aktiven Arbeitnehmer. Die öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber dürfen eineübermäßige Altersversorgung auf das im öffentlichen Dienstübliche Niveau zurückführen (vgl. BAG 3. September 1991 - 3 AZR 369/90 - AP § 1 BetrAVGÜberversorgung Nr. 3). Entgegen der Ansicht der Klägerin kommt es auch nicht darauf an, ob eine derartigeÜberversorgung im öffentlichen Dienst geplant oder ungeplant ist. Eine Überversorgung in diesem Sinne liegt vor, wenn die Versorgungsberechtigten mehr erhalten als eine volle Sicherung ihres bisherigen Lebensstandards, die das Ausscheiden aus dem Erwerbsleben berücksichtigt. Vollversorgung in diesem Sinne ist nicht 100 % des Nettoeinkommens, das der Betriebsrentner als Aktiver erzielen würde; vielmehr ist zu berücksichtigen, dass die Betriebsrentner nicht mehr die mit der Erzielung des Arbeitseinkommens typischerweise verbundenen Aufwendungen aktiver Arbeitnehmer haben. (BAG 12. März 1996 - 3 AZR 963/94 - AP § 3 Ruhegeld Hamburg Nr. 1; 20. August 2002 - 3 AZR 14/01 - AP BetrAVG § 1Überversorgung Nr. 9). Die bisherige Regelung in § 9 Abs. 1 Buchst. e Nr. 5 der Richtlinien vom 1. Oktober 1999 führte zu einerüberproportionalen Beteiligung der Betriebsrentner am Unternehmenserfolg nach ihrem Ausscheiden aus dem Betrieb. Die Tarifgehälter stiegen stärker als die gesetzlichen Renten. Außerdem verfügten die Rentner wegen ihrer günstigeren abgabenrechtlichen Situation auch nochüber einen höheren Nettoanteil an den Lohnerhöhungen als die aktiven Arbeitnehmer. Damit führte die Anpassungsregel verstärkt zu einer Überversorgung und im Verhältnis zwischen den aktiven Arbeitnehmern und den Betriebsrentnern der Beklagten zu einer tendenziell unausgewogenen Ordnung. Zuzugeben ist der Beklagten ferner, dass mit der neuen Anpassungsregel der wenig sinnvolle Verwaltungs- und Abwicklungsaufwand verringert wurde, der mit § 9 Abs. 1 Buchst. e Ziff. 5 AVN (1999) verbunden war.

82

Die Beklagte übersieht indes mit ihrem Vorbringen, dass durch das Anpassungsrecht in die geltende Vereinbarung nicht stärker eingegriffen werden darf, als es durch die Anpassung an die Grundlagen der ursprünglichen Vereinbarung geboten ist. Die Anpassung hat sich deshalb an den Bestimmungen der Versorgungsordnung zu orientieren, in die eingegriffen wird. Das Anpassungsrecht des Arbeitgebers dient nicht dazu, die Versorgungsordnung umzustrukturieren. Vorliegend hat die Beklagte durch die Dienstvereinbarung vom 16. November 2006 in Verbindung mit dem Tarifvertrag S vom 14. Dezember 2006 zwei Eingriffe vorgenommen. Sie hat nicht nur eine neue Anpassungsregel für die laufenden Betriebsrenten eingeführt, die eine jährliche Anpassung der laufenden Zahlungen aus dem AVN am 1. Juli um 1 % vorsieht. Sie hat darüber hinaus die Anpassung der laufenden Zahlungen von der Höhe der Sozialversicherungsrente abgekoppelt. Die Verschlechterungen, gegen die sich die Klägerin wehrt, sind keineswegs Vorkehrungen, die sich gegen Überversorgungen richten. Zu einem solchen Zweck wären sie weder erforderlich noch ohne weiteres geeignet.

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Hätte die Beklagte nur Überversorgungen vermeiden wollen, hätte sie die Gesamtversorgungsobergrenze absenken müssen. Im Grunde lassen sich sogar Überversorgungen innerhalb eines Gesamtversorgungssystems, das die Grundversorgung in die Berechnungsformel einbezieht, leichter vermeiden als in einem abgekoppelten System, in dem die Grundversorgung nur einmalig zum Rentenbeginn ermittelt wird. Die von der Beklagten eingeführte Regelung in § 9 (4) der Richtlinien in der Fassung vom 1. Januar 2007, die vom Prinzip der Gesamtversorgung abrückt,überschreitet die Grenzen der Billigkeit, weil die steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Berechnungsfaktoren nicht mehr systemgerecht fortgeschrieben werden.

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bb. Ein erweitertes Anpassungsrecht steht der Beklagten auch nicht kollektivrechtlich zu, weil sie sich auf die Dienstvereinbarung mit dem Gesamtpersonalrat vom 16. November 2005 und den Tarifvertrag S vom 14. Dezember 2006 stützt. Die Abkopplung der laufenden Anpassung der Betriebsrenten von der Sozialversicherungsrente ist unbillig; die Einführung der 1 %-Anpassungsregel verstößt gegen § 17 Abs. 3 BetrAVG.

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(1) Die Frage, ob sich die Regelungskompetenz der Betriebsparteien auch auf die Betriebsrentner erstreckt, ist im Personalvertretungsrecht und im Betriebsverfassungsrecht gleich zu beantworten. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (seit 16. März 1956 - GS 1/55 - AP § 57 BetrVG Nr. 1) können die Betriebspartner nicht in die Rechte der Mitarbeiter eingreifen, die bereits aus dem Betrieb ausgeschieden sind. Ob an dieser Rechtsprechung festzuhalten ist oder die im Schrifttum zunehmend vertretene Gegenansicht den Vorzug verdient, kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Im vorliegenden Rechtsstreit kommt es auch nicht auf den Inhalt und auf die Reichweite der in den Arbeitsverträgen enthaltenen Jeweiligkeitsklauseln an. Nach der Rechtsprechung des 3. Senats des Bundesarbeitsgerichts gilt allerdings eine Jeweiligkeitsklausel auch über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus. Der Grund liegt darin, dass der Arbeitgeber Ruhestandsleistungen nach einheitlichen Regeln erbringen will. Er will durch die Bezugnahme auf die jeweils geltenden kollektivrechtlichen Regelungen verhindern, dass die Rentner nach jeweils bei Eintritt in den Ruhestand unterschiedlichen kollektivrechtlichen Regelungen unterschiedlich behandelt werden (BAG 23.09.1997 - 3 AZR 529/96 - AP § 1 BetrAVG Ablösung Nr. 23). Selbst wenn die in der nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geschlossenen Dienstvereinbarung enthaltenen Änderungen der Versorgungsordnung durch einzelvertragliche dynamische Verweisung übernommen worden sind, müssen sowohl die übernommenen Regelungen als auch derenÜbernahme einer Rechtskontrolle standhalten. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt. Denn auch eine Betriebsvereinbarung hat die - letztlich aus§ 75 BetrVG folgenden - Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit einzuhalten. Dabei ist nicht auf das vom Bundesarbeitsgericht entwickelte dreistufige Prüfungsschema hinsichtlich des Eingriffs in Versorgungsanwartschaften abzustellen, da dieses die laufenden Betriebsrenten nicht betrifft (BAG 16. Juli 1996 - 3 AZR 398/95 - AP § 1 BetrAVG Ablösung Nr. 21). Vielmehr ist direkt auf die genannten Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zurückzugreifen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass ausgeschiedene Arbeitnehmer bereits ihre voll-ständige Arbeitsleistung erbracht haben. Als rechtfertigende Zielsetzung kommt grundsätzlich ein Abbau der Überversorgung in Betracht. Letztlich geht es darum, dass die Grundlagen der alten Versorgungsordnung - bei auf Grund der kollektiven Wirkung der Versorgungsordnung pauschalierter Betrachtung - entfallen sein müssen, um den Eingriff durch die verschlechternde Betriebsvereinbarung zu rechtfertigen. In einem derartigen Fall ist ein Abbau durch Betriebsvereinbarung aber nur unter den Voraussetzungen und in den Grenzen möglich, wie er auch individualrechtlich nach den Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB), auf die sich die Beklagte hier aber nach dem Ausgeführten nicht stützen kann, möglich wäre. Ein weitergehender Eingriff der Betriebsparteien aus diesem Anlass wäre unverhältnismäßig, weil nicht mehr von der Zielsetzung gedeckt.

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Die Beschränkung der Anpassungsverpflichtung des Arbeitgebers auf jährlich 1 % stellt sich für die betroffenen Ruhegeldempfänger zudem als eine ungünstige Abweichung von § 16 Abs. 1 BetrAVG dar, die nach § 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG i. V. m. § 134 BGB nichtig ist. Die Beklagte kann sich zur Rechtfertigung der in § 9 Abs. 1 Buchst. e Nr. 9 getroffenen Regelung nicht auf § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG stützen. Diese durch das Rentenreformgesetz 1999 vom 16. Dezember 1997 (BGBl. I S. 2998) neu in das BetrAVG aufgenommene Bestimmung ist zum 1. Januar 1999 in Kraft getreten. Ausweislich der Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 13/8011) bezweckte der Gesetzgeber, mit der Schaffung der optionalen Mindestanpassungsverpflichtung die Erhaltung und Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung zu gewährleisten und zu verbessern. Um dem Arbeitgeber Planungs- und Rechtssicherheit zu gewähren, sollte eine genau kalkulierbare Anpassungsverpflichtung ermöglicht werden. Nach § 30 c BetrAVG gilt § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG nur für laufende Leistungen, die auf Zusagen beruhen, die nach dem 31. Dezember 1998 erteilt wurden. Der Arbeitgeber kann für Altzusagen die 1 % Verpflichtung mit Zustimmung des Personalrats nicht mit der Wirkung eingehen, dass die Anpassungsprüfungspflicht des § 16 Abs. 1 BetrAVG entfällt. DieÜbergangsvorschrift des § 30 c Abs. 1 BetrAVG verhindert eine Anwendung des § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG auf alle Versorgungszusagen, die vor dem 1. Januar 1999 erteilt wurden (LAG Hamm 02.09.2008 - 4 Sa 438/08 - NZA-RR 2009, 215). Dies entspricht - soweit ersichtlich - der einhelligen Auffassung in der juristischen Literatur (Höfer, § 16 BetrAVG Rn. 5439; Blomeyer/Rolfs/Otto, § 16 Rn. 298 ff.; ErfK-Steinmeyer, 9. Aufl. 2009, § 30 c BetrAVG Rn. 1).

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cc. Aus dem Tarifvertrag S lässt sich keine für die Beklagte günstigere Rechtsfolge herleiten. Die Tarifvertragsparteien waren zum Abschluss der streitbefangenen Regelung nicht legitimiert. § 17 Abs. 3 Satz 1 BetrAVG erklärt eine Reihe von Gesetzesbestimmungen für tarifdispositiv und gestattet damit Abweichungen auch zu Ungunsten der betroffenen Arbeitnehmer. Andere Bestimmungen des Gesetzes sind zum Schutz der Grundanliegen des Gesetzgebers auch tariflich unabdingbar. Die Tarifdispositivität des Gesetz besteht nach dem eindeutigen Wortlaut des§ 17 Abs. 3 Satz 1 BetrAVG für die Übergangsvorschriften der§§ 27 und 28. Hingegen sind die Übergangsvorschriften der§§ 26, 29, 30 sowie 30 a bis 31 der Tarifmacht entzogen. Der Wortlaut entspricht dem Willen des Gesetzgebers, eine Befreiung der Anpassungsprüfungspflicht durch eine vertragliche Anpassungsverpflichtung aus fiskalischen Gründen auf Neuzusagen ab 1. Januar 1999 zu beschränken. Hinzu kam die Rücksicht auf das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot, weil die Versorgungsberechtigen bisher auf die Fortgeltung des § 16 in vollem Umfang vertrauen konnten.

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III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92, 97 ZPO.

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Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG

Krönig
Zinkler
Weidenthal