Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.06.2010, Az.: 11 Sa 1658/09

Gleichbehandlungsgrundsatz und Maßregelverbot nach Ausübung eines durch den Insolvenzplan eingeräumten Wahlrechts

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
01.06.2010
Aktenzeichen
11 Sa 1658/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 28863
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2010:0601.11SA1658.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Oldenburg - 01.06.2010 - AZ: 4 Ca 274/09

Fundstelle

  • NZI 2011, 156-157

Redaktioneller Leitsatz

1. a) Ein Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz liegt nur dann vor, wenn Personen, die sich in einer gleichen oder vergleichbaren Situation befinden, ungleich behandelt werden.

b) Räumt ein Insolvenzplan den Arbeitnehmern ein Wahlrecht ein, das sodann ausgeübt wird, ist eine wesentliche Basis für den Gedanken der Gleichbehandlung entfallen.

2. Eine derartige "Ungleichbehandlung" nach Ausübung des Wahlrechts durch den Arbeitnehmer verstößt auch nicht gegen das Maßregelverbot.

In dem Rechtsstreit

Klägerin und Berufungsklägerin,

gegen

Beklagter und Berufungsbeklagter,

hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juni 2010 durch

den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Voigt,

den ehrenamtlichen Richter Herrn Bost,

den ehrenamtlichen Richter Herrn Bull

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 12.11.2009 - 4 Ca 274/09 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im Rahmen eines Insolvenzverfahrens über Vergütungsansprüche aus dem Monat August 2007.

2

Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen.

3

Das Arbeitsgericht Oldenburg hat mit Urteil vom 12.11.2009 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, bei dem vor Insolvenzveröffnung entstandenen Vergütungsanspruch für den Monat August 2007 handele es sich um eine Insolvenzforderung gemäߧ 38 InsO mittels Insolvenzplans könnten die Beteiligten gemäß § 217 ff. InsO eine Insolvenzbewältigung abweichend von den Vorschriften der Insolvenzordnung vereinbaren und realisieren. Das sei hier geschehen. Für die Arbeitnehmer mit Lohnforderungen für August 2007 habe der Beklagte als Insolvenzverwalter die Sonderrechtsgruppen I und II gebildet. Gemäß § 226 Abs. 2 InsO sei eine unterschiedliche Behandlung der Beteiligten in einer Gruppe nur mit Zustimmung aller betroffenen Beteiligten zulässig. Bei dieser Sachlage könne es durchaus zweifelhaft sein, ob die von den Beklagten vorgenommene Differenzierung zwischen denjenigen, die das Angebot "Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit geänderten Arbeitsverträgen" angenommen und solchen, die dieses Angebot abgelehnt haben, wirksam sei. Keineswegs ergäbe sich daraus aber die von der Klägerin gewünschte Rechtsfolge. Die Unzulässigkeit der vorgenommenen Gestaltungsregelung würde nur dazu führen, dass alle betroffenen Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Zahlung des Nominalbetrages, sondern lediglich auf Zahlung der Quote gemäß § 38 InsO hätten. Keinesfalls könne aus der Unwirksamkeit einer Gestaltungsregelung hergeleitet werden, dass die nicht berücksichtigten Arbeitnehmer behandelt würden, wie die zu unrecht Begünstigten. Eine Entscheidung über die Zulässigkeit der vorgenommenen Differenzierung erübrige sich daher.

4

Gegen dieses ihr am 26.11.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 28.12.2009 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Begründungsfrist fristgerecht am 19.02.2010 begründet.

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Zur Begründung führt die Klägerin aus, das Gericht habe übersehen, dass die Regelungen des Insolvenzplans nur zulässig sind, wenn sie innerhalb der nach § 222 InsO gebildete Gruppe die Insolvenzgläubiger gleich behandeln. Dies sei Ausfluss des Gleichbehandlungsgrundsatzes in § 226 InsO. Weiterhin entfalte der Insolvenzplan gemäß § 254 InsO mit Rechtskraft der Bestätigung des Planes Wirkung in vollem Umfang. Entgegen der Meinung des Gerichts sei es sehr wohl entscheidungsrelevant, wie weit in der betroffenen Regelung eine Ungleichbehandlung der Klägerin zu den anderen Arbeitnehmern liege, die der Arbeitsvertragsänderung zugestimmt hätten. Eine solche Ungleichbehandlung sei gegeben. Es sei hierzu die Zustimmung aller betroffenen Beteiligten, d. h. der schlechter gestellten Insolvenzgläubiger erforderlich. Diese Zustimmung sei seitens der Klägerin nicht erfolgt.

6

Das Arbeitsgericht habe fehlerhaft angenommen, dass die fragliche Gestaltungsregelung insgesamt unwirksam sein könnte. Dies sei aber nicht Streitgegenstand, denn es ginge allein um die Feststellung der Ungleichbehandlung.

7

Der Plan sehe in D 1.1.4 und E 1.4 eine Kompensationszahlung an die Arbeitnehmer für den Monat August 2007 in Höhe eines Nettolohnanspruchs vor, sofern sie einer Änderung des Arbeitsvertrages zustimmen. Da indessen in dieser Regelung eine Ungleichbehandlung der Klägerin zu sehen sei, der Insolvenzplan aber Wirkung entfalte, stehe der Klägerin die Zahlung des Nominalbetrages des Nettolohns auf den Monat August 2007 zu.

8

Die Klägerin beantragt,

9

unter Abänderung des am 12.11.2009 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Oldenburg, 4 Ca 274/09 die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 771,20 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.

10

Der Beklagte beantragt,

11

die Berufung zurückzuweisen.

12

Auch im Rahmen der Berufung verkenne die Klägerin die Wirkungen des rechtskräftig bestätigten Insolvenzplans. Mit der Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans träten die im gestaltenden Teil festgelegten Wirkungen für und gegen alle Beteiligten ein, § 254 Abs. 1 InsO. Dies gelte gerade auch für die Klägerin. Es habe in der Hand der Klägerin gelegen, die Voraussetzungen für die Schaffung eines Zahlungsanspruches in Höhe des vollen Nettolohnanspruches zu schaffen. Hiervon habe die Klägerin nicht Gebrauch gemacht.

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Der Insolvenzplan sei rechtskräftig. Die Klägerin habe die ihr vom Gesetzgeber gegebenen Rechtsbehelfsmöglichkeiten gegen die Rechtskraft des Insolvenzplanes nicht ergriffen.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie Protokollerklärungen der Parteien Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15

Die Berufung ist zulässig gemäß §§ 64, 66 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO. Keine der Parteien hat mitgeteilt, dass in Höhe der errechneten Quote von 7,88 % eine tatsächliche Zahlung erfolgt ist, die auf die Klageforderung anzurechnen wäre.

16

Nach der Aufhebung des Insolvenzverfahrens - bereits mit Beschluss vom 13.08.2009 (Bl.124 d.A.) - ist die Klage dennoch gegen den Insolvenzverwalter weiterzuführen, da die Bezahlung eines insolvenzbefangenen Anspruches geltend gemacht wird.

17

Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

18

Unstreitig erfüllt die Klägerin die wörtlichen Voraussetzungen des Anspruchs auf Auszahlung des Nettolohns für August 2007 nach E.1.4 des Insolvenzplans nicht, denn sie hat sich mit der Änderung ihres Arbeitsvertrages nicht einverstanden erklärt.

19

Die Klage ist nicht schon deshalb unbegründet, weil die Bestandskraft des bestätigten Insolvenzplans einer weitergehenden arbeitsgerichtlichen Prüfung generell entgegen stehen würde. Zwar erwächst der Insolvenzplan nach Annahme durch die Gläubigerversammlung und Bestätigung durch das Insolvenzgericht in Bestandskraft gemäß §§ 253, 254 InsO. Diese Bestandskraftwirkung ist zwingend notwendig, damit die Gestaltungswirkung gegenüber allen betroffenen Gläubigern sinnhaft umgesetzt werden kann. Das Gesetz bezeichnet sie als Rechtskraft. Dennoch ist sie inhaltlich nicht mit der Rechtskraft etwa eines Urteils gleichzusetzen. Denn der Insolvenzplan kommt letztlich durch privatautonome Gestaltung durch Insolvenzverwalter und Gläubigerversammlung zustande. Die Beteiligung des Insolvenzgerichts beschränkt sich auf eine Bestätigung. Nach allem ist die rechtliche Qualifizierung des bestätigten Insolvenzplans nicht eindeutig (etwa MüKo/Edenmüller InsO 2. Aufl. § 217 Rn. 44 ff.). Die Vorprüfung und Prüfung durch das Insolvenzgericht nach §§ 231, 250, 251 InsO zielt primär auf die Einhaltung der insolvenzspezifischen Regelungen über das Verfahren und den Inhalt des Insolvenzplans. Das umfasst etwa die vorliegend streitige Gleichbehandlung in jeder Gruppe nach § 226 InsO (Kübler/Prütting InsO Loseblatt Stand Feb. 2010 § 248 Rn. 8). Insoweit ist davon auszugehen, dass derartige Mängel nur mit der Beschwerde nach § 253 InsO im Planverfahren selbst geltend gemacht werden können (etwa MüKo/Eidenmüller § 217 Rn. 192).

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Das Problem evtl. gesetzwidriger Regelungen im Insolvenzplan ist daher ebenfalls nicht eindeutig zu beantworten (etwa MüKo-/Eidenmüller § 217 Rn. 43). Auch ein von der Gläubigerversammlung mehrheitlich angenommener und vom Insolvenzgericht bestätigter Insolvenzplan kann im Einzelfall keine Wirkung entfalten, soweit zwingende gesetzliche Vorschriften entgegenstehen. Dies zu prüfen fällt bei Streitigkeiten aus einem Arbeitsverhältnis in die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte. Wie die Grenze der Prüfungskompetenzen zwischen Insolvenzgericht und Arbeitsgericht im Detail zu bestimmen sind, kann für den vorliegenden Rechtsstreit aber letztlich dahinstehen.

21

Denn ein Zahlungsanspruch unter dem Gesichtspunkt des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ergibt sich zu Gunsten der Klägerin nicht. In formaler Hinsicht ist zunächst der Klägerin darin zuzustimmen, dass der Insolvenzplan alle Arbeitnehmer in den Filialen, denen noch Vergütung für den Monat August 2007 zustand, gemeinsam in der Gruppe Arbeitnehmerforderungen Sonderrechtsgläubiger I zusammen gefasst hat. Eine Ungleichbehandlung innerhalb dieser Gruppe könnte dann nur mit schriftlicher Zustimmung der Betroffenen wirksam erfolgen; an einer derartigen Zustimmungserklärung fehlt es ebenfalls unstreitig.

22

Es liegt jedoch keine Ungleichbehandlung der Klägerin im Rechtssinne vor. Eine Ungleichbehandlung ist dann gegeben, wenn Personen, die sich in einer gleichen oder vergleichbaren Situation befinden, ungleich behandelt werden. Das ist hier jedenfalls im Ergebnis nicht der Fall. In der Sache räumt die Formulierung des Insolvenzplanes in D. 1.1.4 und E.1.4 den betroffenen Arbeitnehmern ein Wahlrecht ein. Dieses Wahlrecht enthält die beiden Alternativen Beibehaltung des bisherigen Arbeitsvertrages und weitgehender Verlust der Lohnforderung für den Monat August 2009 oder eine Abänderung des Arbeitsvertrages für die Zukunft und zur Kompensation eine volle Auszahlung der August-Vergütung über die zu erwartende Insolvenzquote hinaus. Dieses Wahlrecht stand zunächst allen Arbeitnehmern gleichermaßen uneingeschränkt zu. Aus der Ausübung dieses Wahlrechts ergibt sich in der Folge dann eine tatsächlich ungleiche rechtliche Situation im Kreis aller Arbeitnehmer. Knüpft man für die rechtliche Beurteilung an das Ergebnis der Ausübung des Wahlrechtes an, so haben sich innerhalb der Arbeitnehmer Sonderrechtsgruppe I zwei Untergruppen herausgebildet, nämlich solche, die einen Sanierungsbeitrag für das Unternehmen durch Vertragsänderung geleistet haben und solche, die einen Sanierungsbeitrag nicht geleistet haben. Die Klägerin findet sich infolge ihrer Ausübung des Wahlrechtes nicht mehr in der gleichen Situation, in der sich Arbeitnehmer befinden, die das Wahlrecht anders ausgeübt haben. Damit ist jedenfalls nach der Ausübung des Wahlrechts eine wesentliche Basis für den Gedanken der Gleichbehandlung entfallen. In der Sache zeigt sich auch nämlich auch, dass die Klägerin nicht Gleichbehandlung verlangt, sondern letztlich im Vergleich zu den anderen Arbeitnehmern einen doppelten Vorteil erhalten möchte, nämlich einerseits die Beibehaltung ihres bisherigen Arbeitsvertrages und andererseits die volle Kompensationszahlung.

23

Das von dem Beklagten in dem Insolvenzplan verwendete Instrument einer aufschiebenden Bedingung, die ggf. auch durch eine Vertragspartei selbst ausgelöst werden kann, ist weder nach den allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts noch nach den spezialgesetzlichen Vorschriften derInsolvenzordnung zu beanstanden.

24

Diese Gestaltung des Insolvenzplanes verstößt auch nicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB. Zwar hatte die Klägerin das Recht, eine Änderung ihres Arbeitsvertrages zu verweigern. Die Ausübung dieses Rechts durfte durch den Arbeitgeber auch nicht im Sinne des § 612 a BGB zum Anlass einer sanktionierenden Maßnahme genommen werden. Auch das Vorenthalten einer Begünstigung, auf die kein Rechtsanspruch besteht, kann den Tatbestand der Benachteiligung im Sinne von § 612 a BGB erfüllen (ErfK/Preis 10. Aufl. § 612 a BGB Rn. 8 ff.). Eine Benachteiligung liegt aber dann nicht vor, wenn der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz eine Differenzierung nach einem Sachgrund zulässt (MüKo/Müller-Glöge 4. Aufl. § 612 a BGB Rn. 14). Ein solcher liegt im vorliegenden Fall darin, dass zwischen Arbeitnehmern unterschieden wird, die einen Beitrag zur Sanierung des Unternehmens geleistet haben und solchen, die das nicht getan haben. Diese Art und Höhe der Kompensationsleistung ist auch unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit gegenüber den ausgeschlossenen Arbeitnehmern nicht zu beanstanden.

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

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Die Revision ist gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zugelassen worden.

Dr. Voigt
Bost
Bull