Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 12.05.2010, Az.: 15 Sa 1285/09

Geltendmachung der Besitzstandszulage Kind

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
12.05.2010
Aktenzeichen
15 Sa 1285/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 28861
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2010:0512.15SA1285.09.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BAG - 08.12.2011 - AZ: 6 AZR 397/10

Redaktioneller Leitsatz

Die Besitzstandszulage Kind des § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-L erfordert einen Anspruch auf den kinderbezogenen Ortszuschlag des§ 29 Abschnitt B Abs. 3 BAT für den Monat Oktober 2006, der innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist des § 37 Abs. 1 TV-L geltend gemacht werden muss.

In dem Rechtsstreit

Kläger und Berufungskläger,

gegen

beklagtes und berufungsbeklagtes Land,

hat die 15. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 12. Mai 2010 durch

den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Löber,

den ehrenamtlichen Richter Reiser,

den ehrenamtlichen Richter Severin

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 13.08.2009 - 5 Ca 163/09 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Zahlung des erhöhten kinderbezogenen Ortszuschlags gemäß § 29 Abschnitt B Abs. 3 BAT und der dementsprechenden Besitzstandszulage nach § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-L.

2

Der Kläger steht seit dem 01.04.1994 zu tariflichen Bedingungen als Justizvollzugsangestellter der JVA W. in den Diensten des beklagten Landes.

3

Am 16.06.2006 heiratete der Kläger. Seine Ehefrau brachte ihr am 31.05.1998 geborenes leibliches Kind mit in die Ehe, das seitdem im gemeinsamen Haushalt der Eheleute lebt. Die Ehefrau bezog und bezieht für das Kind Kindergeld. Sie stand bei der Eheschließung in einem Arbeitsverhältnis außerhalb des öffentlichen Dienstes, in das sie im April 2010 wieder zurückkehrte, nachdem sie zwischenzeitlich von August 2008 bis März 2010 bei einem kommunalen Arbeitgeber beschäftigt war.

4

Mit Veränderungsanzeige vom 26.06.2006 (Bl. 19 d.A.) setzte der Kläger das beklagte Land über seine Eheschließung in Kenntnis und teilte dabei mit, dass seine Ehefrau außerhalb desöffentlichen Dienstes beschäftigt sei, unterließ jedoch die formularmäßig vorgesehene Anzeige der Aufnahme des Kindes in seinen Haushalt. Das beklagte Land zahlte daraufhin ab Juni 2006 den eheschließungsbedingten höheren Ortszuschlag gemäß § 29 Abschnitt B Abs. 2 BAT, nicht jedoch den noch höheren kinderbezogenen Ortszuschlag nach § 29 Abschnitt B Abs. 3 BAT und nach Überleitung des Arbeitsverhältnisses in den TV-L ab November 2006 auch nicht die Besitzstandszulage nach § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-L, wogegen sich der Kläger erstmals mit Schreiben vom 03.11.2008 an das Niedersächsische Landesamt für Bezüge und Versorgung wandte.

5

Nachdem das beklagte Land die rückwirkende und zukünftige Zahlung des kinderbezogenen Entgeltsanteils unter Berufung auf die Versäumung der tariflichen Ausschlussfrist abgelehnt hatte, hat der Kläger mit seiner Klage geltend gemacht, dass die Berufung auf die Ausschlussfrist treuwidrig sei, die er zudem für die Zeit ab Mai 2008 gewahrt habe. Er hat dazu behauptet, er habe sich vor der Ausfüllung der Veränderungsanzeige vom 26.06.2006 bei der Personalsachbearbeiterin V. der JVA erkundigt, wie hinsichtlich des in seinen Haushalt aufgenommenen Kindes zu verfahren sei, weil in dem Formular nur eine Rubrik für eigene, leibliche Kinder vorgesehen gewesen sei. Die Sachbearbeiterin habe erklärt, dass das Land bei der Ermittlung des Ortszuschlags nicht zu berücksichtigen sei, da es weder sein leibliches Kind sei noch er das Kind adoptiert habe. Er habe daraufhin davon abgesehen, das Kind in die Veränderungsanzeige einzutragen.

6

Der Kläger hat beantragt,

7

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab Juni 2006 einen kinderbezogenen Ortszuschlag zu zahlen.

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Das beklagte Land hat beantragt,

9

die Klage abzuweisen.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des Urteils vom 13.08.2009 Bezug genommen, mit dem das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hat. Es hat ausgeführt, dass die Berufung auf die Versäumung der tariflichen Ausschlussfrist nicht treuwidrig sei. Infolge der Versäumung der Ausschlussfrist habe der Kläger keinen Anspruch auf den kinderbezogenen Ortszuschlag, auch nicht für den Monat Oktober 2006, was jedoch Voraussetzung für die Besitzstandszulage sei.

11

Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen, das dem Kläger am 26.08.2009 zugestellt worden ist und gegen das er am 25.09.2009 Berufung eingelegt hat, die er am 26.11.2009 begründet hat, nachdem auf seinen am 26.10.2009 angebrachten Antrag die Berufungsbegründungsfrist bis zu diesem Tag verlängert worden war.

12

Der Kläger greift das Urteil aus den in seiner Berufungsbegründungsschrift wiedergegebenen Gründen an. Auf die Berufungsbegründungsschrift vom 26.11.2009 wird Bezug genommen.

13

Der Kläger beantragt,

14

in Abänderung des angefochtenen Urteils festzustellen, dass das beklagte Land dem Kläger für die Zeit von Juni bis Oktober 2006 den kinderbezogenen Ortszuschlag nach § 29 B Abs. 3 BAT und ab November 2006 die Besitzstandzulage Kind gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-L schuldet.

15

Das beklagte Land beantragt,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Auf seine Berufungserwiderung vom 25.01.2010 wird gleichfalls Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die gemäß § 64 Abs. 2 lit. a und b ArbGG statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6 Satz 1, 66 Abs. 1 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO).

19

Die mithin zulässige Berufung ist jedoch unbegründet.

20

Die Klage ist unbegründet.

21

I. Der Kläger hat für die Monate Juni bis Oktober 2006 keinen Anspruch gemäß § 29 Abschnitt B Abs. 3 BAT auf den kinderbezogenen erhöhten Ortszuschlag.

22

1. Auf Grund einzelvertraglicher Inbezugnahme finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die Bestimmungen des BAT und seit dem 01.11.2006 die Bestimmungen des TV-L und des TVÜ-L Anwendung. Infolge dessen hatte der Kläger für die Monate Juni bis Oktober 2006 gemäß § 29 Abschnitt B Abs. 3 BAT Anspruch auf den kinderbezogenen erhöhten Ortszuschlag, da er nach der Eheschließung das Kind seiner Ehefrau in den gemeinsamen Haushalt aufgenommen und nur deshalb für dieses Kind keinen Anspruch auf Kindergeld gemäß §§ 62 Abs. 1 Nr. 1, 63 Abs. 2 Nr. 2 EStG hatte, weil seine gleichfalls kindergeldberechtigte Ehefrau weiterhin zur Kindergeldberechtigten bestimmt blieb (§ 64 Abs. 2 Satz 2 EStG).

23

2. Die Ansprüche sind gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 TV-L verfallen, weil sie nicht innerhalb der tariflichen Ausschlussfrist von sechs Monaten nach jeweiliger Fälligkeit schriftlich geltend gemacht worden sind, sondern erstmals mit Schreiben vom 03.11.2008.

24

Soweit der Kläger in der Berufung darauf verweist, dass er für das Jahr 2007 seine Lohnsteuerkarte mit der Eintragung eines Kinderfreibetrags in Höhe von 0,5 eingereicht habe, folgt daraus nichts anderes. Die Eintragung in der Lohnsteuerkarte stellt keine Geltendmachung des erhöhten Ortszuschlags dar, weil die Lohnsteuerkarte weder dazu bestimmt noch dafür geeignet ist, die Erfüllung von Ansprüchen zu fordern. Soweit die Lohnsteuerkarte Eintragungen über die Zahl der Kinder enthält, dient das ausschließlich dem Zweck der richtigen Berechnung der Lohn- und Kirchensteuer (BAG, Urteil vom 21.01.1993 - 6 AZR 174/92, ZTR 1993, 446 f.).

25

3. Der Berufung des beklagten Landes auf die Versäumung der tariflichen Ausschlussfrist steht nicht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen (§ 242 BGB), wie das Arbeitsgericht zu Recht erkannt hat. Auf seine zutreffende Begründung unter I. der Entscheidungsgründe seines Urteils wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG Bezug genommen.

26

Soweit der Kläger in der Berufung darauf verweist, dass der Personalsachbearbeiterin alle Tatsachen bekannt gewesen seien und er sich in Anbetracht der unübersichtlichen Rechtslage auf ihre Auskunft habe verlassen dürfen, führt das zu keinem anderen Ergebnis. Es muss berücksichtigt werden, dass die Personalabteilung der JVA nach der bekannten Organisation des beklagten Landes nicht die zuständige Stelle für die Feststellung, Berechnung und Anweisung der Bezüge und des Kindergeldes ist, sondern das Niedersächsische Landesamt für Bezüge und Versorgung. Bezeichnenderweise hat sich der Kläger mit seiner schriftlichen Geltendmachung vom 03.11.2008 auch dorthin gewandt. Auch die Veränderungsanzeige vom 26.06.2006 war an diese zuständige Stelle zu richten. Bei der bekannten Organisation des beklagten Landes durfte sich der Kläger nicht auf die Auskunft der nicht zuständigen Sachbearbeiterin der Beschäftigungsdienststelle verlassen. Um sicherzugehen, hätte er sich an seine zuständige Sachbearbeiterin beim Landesamt für Bezüge und Versorgung wenden müssen, die ihm aus den Gehaltsmitteilungen (Bl. 100 f. d.A.) bekannt gewesen ist.

27

II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Besitzstandszulage des § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-L, auch nicht für den durch die Geltendmachung vom 03.11.2008 erfassten Zeitraum ab Mai 2008.

28

1. Der Kläger erfüllt nicht die Anspruchsvoraussetzungen des § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-L.

29

Gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-L werden für im Oktober 2006 zu berücksichtigende Kinder die kinderbezogenen Entgeltsbestandteile des BAT in der für Oktober 2006 zustehenden Höhe als Besitzstandszulage fortgezahlt, so lange für diese Kinder Kindergeld nach dem Einkommenssteuergesetz (EStG) oder dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG) gezahlt wird oder ohne Berücksichtigung des § 64 oder § 65 EStG oder des § 3 oder § 4 BKGG gezahlt würde. Dem Kläger steht für den Monat Oktober 2006 jedoch kein kinderbezogener Entgeltsanteil zu, weil dieser Anspruch verfallen ist.

30

Soweit der Kläger darauf abstellt, dass ihm für Oktober 2006 zunächst der kinderbezogene Entgeltsbestandteil des § 29Abschnitt B Abs. 3 BAT zugestanden habe, so dass er für die Folgemonate jeweils einen Anspruch auf die Besitzstandszulage des § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-L erworben habe, diese Ansprüche bis einschließlich April 2008 lediglich später erloschen seien, vermag ihm das Berufungsgericht nicht zu folgen.

31

Voraussetzung des § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-L ist, dass dem Arbeitnehmer für Oktober 2006 der Anspruch auf den kinderbezogenen Entgeltsanteil zusteht (vgl. zum § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-VKA: BAG, Urteil vom 18.12.2008 - 6 AZR 287/07, AP Nr. 2 zu § 11 TVÜ). Das ist jedoch infolge der Versäumung der tariflichen Ausschlussfrist nicht der Fall (ebenso: Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, TVL-Kommentar, Rdnr. 327 zu TVÜ-Länder; Roß in Bepler u.a., § 11 TVÜ-L, Rdnr. 4). Im Gegensatz zu einer Verjährungsfrist, die den Anspruch bestehen lässt und ihm lediglich die Einredemöglichkeit entgegenstellt, führt der Ablauf der Ausschlussfrist zum Erlöschen des Anspruchs mit der Folge, dass der Anspruch rückwirkend untergeht. Wegen des rückwirkenden Unterganges schied zum Beispiel die analoge Anwendung des früheren § 390 Satz 2 BGB aus (BAG, Urteil vom 30.03.1973 - 4 AZR 259/72, AP Nr. 4 zu § 390 BGB). Tarifliche Ausschlussfristen sind nach ihrem Sinn und Zweck dazu bestimmt, alsbald Klarheit zu schaffen, welche Forderungen noch gestellt werden. Nach ihrem Ablauf ist folglich die Feststellung der Forderung ausgeschlossen. Ihr Bestand soll nach Fristablauf dem Streit der Parteien entzogen sein. Dem widerspräche es aber, diesen Streit mittelbar gleichwohl zu führen, wenn ein Anspruch aus unverfallener Zeit, wie vorliegend, vom Bestand des verfallenen Anspruchs abhängt.

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2. Besteht folglich auch für die Zeit ab Mai 2008 gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 TVÜ-L kein Anspruch auf die Besitzstandszulage, kann dahinstehen, ob ein etwaiger Anspruch gemäß § 11 Abs. 1 Satz 2 TVÜ-L ab August 2008 entfallen wäre, weil die Ehefrau des Klägers in den öffentlichen Dienst eingetreten war und weiterhin Kindergeld für ihr Kind bezogen hat oder ob § 11 Abs. 1 Satz 2 TVÜ-L einschränkend auszulegen ist (vgl. dazu Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, aaO., TVÜ-Länder, Rdnr. 343).

33

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO.

34

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Löber
Reiser
Severin