Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.06.2010, Az.: 11 Sa 1324/09
Verhaltensbedingte Kündigung eines Produktionsleiters bei wiederholten Äußerung zur Käuflichkeit des Betriebsratsvorsitzenden; Betriebsratsanhörung bei Mängeln des Anhörungsverfahrens im Zuständigkeitsbereich und Verantwortungsbereich des Betriebsrats
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 23.06.2010
- Aktenzeichen
- 11 Sa 1324/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 33713
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2010:0623.11SA1324.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Oldenburg - 19.08.2009 - AZ: 3 Ca 14/09
Rechtsgrundlagen
- § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 KSchG
- § 626 Abs. 1 BGB
- § 102 Abs. 2 S. 1 BetrVG
Amtlicher Leitsatz
1. Die mehrfache Äußerung eines Arbeitnehmers in der Funktion eines Produktionsleiters, der Betriebsratsvorsitzende erhalte vom Geschäftsführer Geld um Kündigungen zuzustimmen, rechtfertigt jedenfalls eine ordentliche Kündigung. Eine vorherige Abmahnung ist nicht erforderlich. Mangels festzustellender betrieblicher Störungen und langer Beschäftigungszeit liegt kein Grund für eine fristlose Kündigung vor.
2. Auf eine vor Ablauf der Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG abgegebene schriftliche Erklärung des Betriebsrats darf der Arbeitgeber sich verlassen, auch wenn diese nur die Unterschrift von 2 Mitgliedern eines 5-köpfigen Betriebsrats trägt und bereits die Weihnachtspause im Betrieb begonnen hat.
In dem Rechtsstreit
Kläger und Berufungsbeklagter,
gegen
Beklagte und Berufungsklägerin,
hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 23. Juni 2010 durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Voigt,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Kistenbrügger,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Dommel-Rustenbach
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 19.08.2009 teilweise abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen, soweit der Kläger ein Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses über den 31.07.2009 hinaus geltend macht.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien je zur Hälfte.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer vom Arbeitgeber ausgesprochenen außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat nach Beweisaufnahme der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Kündigung sei als fristlose und hilfsweise ordentliche unwirksam, weil die Beklage den Betriebsrat nach § 102 Abs. 1 BetrVG nicht ordnungsgemäß angehört habe. Die Beklagte habe den Betriebsrat über die beabsichtigte Kündigung des Klägers zu einem Zeitpunkt unterrichtet, zu dem der Betriebsrat als Gremium sich mit der Kündigung nicht mehr habe auseinander setzen können. Dies sei der Beklagten bekannt gewesen und liege deshalb in ihrem Verantwortungsbereich. Bei Einleitung des Anhörungsverfahrens am 23.12.2008 sei im Betrieb bereits die "Weihnachtsruhe" eingetreten gewesen. Die Mitarbeiter und damit auch alle Mitglieder des 5-köpfigen Betriebsrats hätten sich in Weihnachtsurlaub befunden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe der Geschäftsführer der Beklagten den Betriebsratsvorsitzenden telefonisch über das beabsichtigte Anhörungsverfahren informiert, so dass letztlich der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende C. und ein weiteres Mitglied des Betriebsrats während ihrer Urlaube zum Betrieb gefahren seien, um das Anhörungsschreiben in Empfang zu nehmen. Beide hätten den Inhalt des Schreibens beraten und es dem Geschäftsführer der Beklagten zurückgegeben mit der darauf befindlichen Stellungnahme des Betriebsrats. Es sei klar gewesen, dass der Betriebsrat bis zum Ablauf der 3-tägigen Frist am 29.12.2008 (§ 188, 193 BGB) nicht mehr als Gremium zusammen treten konnte. Diese verzögerte Anhörung habe die Beklagte auch zu vertreten. Unstreitig seien ihr die Kündigungsgründe am 17.12.2008 bekannt gewesen. Die Beklagte hätte damit alle Informationen gehabt, die sie brauchte um den Betriebsrat ausreichend zu informieren. Warum sie gleichwohl bis zum 23.12.2009 wartete, bleibe unerfindlich. Der Geschäftsführer der Beklagten sei über diese Umstände auch vollumfänglich unterrichtet gewesen. Er habe, wie das als Zeuge gehörte Betriebsratsmitglied C. bestätigt habe, mit beiden Anwesenden gesprochen.
Gegen dieses ihr am 08.09.2009 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 06.10.2009 Berufung eingelegt und diese am 30.10.2009 begründet. Zur Begründung führt die Beklagte aus, bei zutreffender rechtlicher Würdigung des gesamten Sachverhalts sowie des Beweisergebnisses der mündlichen Verhandlung vom 19.08.2009 sei nur die Abweisung der Klage gerechtfertigt. Die Anwendung der vom Arbeitsgericht im Ansatz zutreffend ausgeführten rechtlichen Grundsätze des Verfahrens zur Anhörung des Betriebsrats führten zwingend zu einer anderen Entscheidung. Entgegen dem Dafürhalten des Arbeitsgerichts habe die Beklagte dem Betriebsrat nicht bewusst am 23.12. unterrichtet in der Vorstellung, dass der Betriebsrat wegen der Weihnachtszeit nicht mehr als Gremium würde beraten können. Eine vorherige Betriebsratsanhörung sei vielmehr schlichtweg nicht möglich gewesen. Am Mittwoch den 17.12. habe um 09.00 Uhr im Betrieb eine Unterredung stattgefunden, in deren Rahmen die behaupteten Äußerungen des Klägers bekannt geworden seien. Noch am 17.12.2009 seien die schriftlichen Erklärungen der Herren A. und eingeholt worden. Die Zeugenaussage des Herrn C. habe aufgrund dessen Arbeitszeit erst am Freitag den 19.12. aufgenommen werden können. Am 19.12. habe am Nachmittag ab 14.00 Uhr eine Betriebsversammlung stattgefunden, in der die Lage bezüglich der finanziellen Situation für die Zukunft durch den Geschäftsführer mitgeteilt worden sei. Ab 15.00 Uhr habe eine weitere Besprechung mit dem Betriebsratsvorsitzenden stattgefunden, in deren Verlauf beschlossen worden sei, ab dem 01.01.2009 Kurzarbeit im Betrieb einzuführen. Weiter sei bereits zu diesem Zeitpunkt zwischen dem Geschäftsführer und dem Betriebsratsvorsitzende die Vorbereitung des Anhörungsverfahrens des Betriebsrats angesprochen worden. Am Montag den 22.12. sei die Anhörung des Betriebsrats schriftlich von Frau K. verfasst und zur Prüfung an den Arbeitgeberverband weitergeleitet worden. Herr Syndikus Sch. habe dann am 23.12.2008 die Betriebsratsanhörung umformuliert und diese per Telefax zurückgeleitet. Frau K. habe dann das Schreiben umformuliert und an Herrn S. zur Weiterleitung an den Betriebsrat gegeben.
Von den 5 Betriebsratsmitgliedern habe Herr W. zum 31.12.2008 gekündigt und sich bereits seit dem 05.12.2008 nicht mehr im Haus der Beklagten befunden. Der Nachfolger sei noch nicht in den Betriebsrat aufgenommen worden. Bereits am 22.12.2008 habe der Geschäftsführer Herr S. beim Betriebsratsvorsitzenden M. angerufen, der sich zu dieser Zeit bereits im Urlaub in D.Stadt befunden habe, um die Übergabe des Anhörungsschreibens zu organisieren. Bei Übergabe des Anhörungsschreibens sei kein weiteres Betriebsratsmitglied außer Herrn C. anwesend gewesen. Ferner habe Herr S. das Betriebsratsmitglied Herrn Mi. am Morgen bereits im Betrieb gesehen. Da Herr W. in H.-Stadt und HerrÖ. in D-Stadt wohnten, sei aus Sicht des Herrn S. eine Zusammenkunft des Betriebsrats am 23.12.2008 problemlos möglich gewesen. Beide seien nicht durch eine Urlaubsreise verhindert gewesen. Etwa gegen 14.00 Uhr, also über eine Stunde nach der Übergabe habe Herr C. dann die Stellungnahme des Betriebsrats an Herrn S. übergeben und erklärt, die Betriebsanhörung sei damit abgeschlossen. Zu keiner Zeit habe der Geschäftsführer den Betriebsrat gedrängt, sofort am 23.12.2008 die Anhörung abzuschließen.
Dem Betriebsrat seien neben den Personaldaten des Klägers die beabsichtigte Kündigungsart nebst Kündigungszeitpunkt und -frist, der Kündigungsgrund sowie die Zeugenaussagen mitgeteilt worden. Auch hätte der Betriebsrat jedenfalls die Mitteilungsfrist nach § 102 Abs. 2 BetrVG ohne weiteres voll ausschöpfen können.
Abschließend sei darauf hinzuweisen, dass vor dem 23.12.2008 eine Betriebsratsanhörung aus Sicht des Herrn S. nicht möglich gewesen sei. So habe in der Zeit vom 17. bis 19.12. der Betriebsratsvorsitzende in der Frühschicht, der stellvertretende Vorsitzende in der Nachtschicht gearbeitet.
Die Kündigung sei auch als außerordentliche gemäß § 626 BGB gerechtfertigt. Der Kläger habe mit seiner vor mehreren Mitarbeitern des Betriebs wiederholten Äußerung, wonach der Betriebsratsvorsitzende beabsichtigten Kündigungen nur deshalb zustimme, weil er von dem Geschäftsführer der Beklagten hierfür Geld erhalte, zielgerichtet üble Nachrede gegen seine Arbeitgeberin betrieben. Dass der Kläger die streitgegenständlichenÄußerungen getätigt habe, könne angesichts des Ergebnisses der Beweisaufnahme vom 19.08.2009 als feststehend zugrunde gelegt werden. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei ebenfalls gewahrt worden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgericht Oldenburg vom 19.08.2009 - 3 Ca 14/09 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Berufungsbegründung erwidert er wie folgt: Die Behauptung der Beklagten, ihr sei es nicht möglich gewesen den Betriebsrat vor dem 23.12.2008 anzuhören, entbehre jeder Grundlage. Unstreitig habe spätestens am 19.12.2008 auch die schriftliche Erklärung des Zeugen C. vorgelegen. Letztlich komme es darauf jedoch nicht an, weil es nicht erforderlich sei, eine Zeugenaussage in Schriftform zu dokumentieren, bevor sie zum Gegenstand einer Anhörung gemacht werde. Wäre das Anhörungsverfahren bereits am Mittwoch den 17.12.2008 eingeleitet worden, sei der Betriebsrat in der Lage gewesen noch rechtzeitig vor den Betriebsferien eine ordnungsgemäße Beratung durchzuführen. Das gelte selbst dann, wenn die Anhörung noch am Freitag den 19.12.2008 mündlich eingeleitet worden wäre.
Die Beklagte gebe an, sie habe den Betriebsratsvorsitzenden in einer Besprechung am Nachmittag des 19.12.2008 mitgeteilt, dass sie ein Anhörungsverfahren vorbereite. Genau so gut hätte aber anstelle einer bloßen Ankündigung spätestens zu diesem Zeitpunkt die Anhörung selbst erfolgen können. Die von der Beklagten behauptete "Abstimmung" mit dem Arbeitgeberverband werde vorsorglich mit Nichtwissen bestritten. Wofür eine solche Abstimmung notwendig gewesen sein solle, werde nicht erläutert. Die Beklagte habe also die Anhörung des Betriebsrats ohne triftigen Grund bis zum 23.12.2008 hinausgezögert, obgleich bekannt gewesen sei, dass der Betriebsrat zu diesem Zeitpunkt nicht mehr zu einer Betriebsratssitzung würde zusammen treten können. Die Behauptung, der Geschäftsführer S. sei davon ausgegangen, dass der Betriebsrat am 23.12.2008 in ordnungsgemäßer Besetzung das Anhörungsschreiben beraten habe, sei unwahr. Dies ergebe sich aus den Bekundungen des Zeugen C..
Im Hinblick auf die protokollierten Zeugenaussagen vom 19.08.2009 bekräftigt der Kläger noch einmal, dass er nicht die Behauptung aufgestellt habe, der Betriebsratsvorsitzende habe an der Kündigung von Mitarbeitern mitgewirkt und hierfür von der Geschäftsführung Geld bekomme. Warum diese 3 Zeugen in unterschiedlichen Varianten derartiges angeben, sei für den Kläger nicht nachvollziehbar und verständlich.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Protokollerklärungen der Parteien Bezug genommen.
Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 25.03.2010 durch erneute uneidliche Vernehmung der Zeugen C., B. und A.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 23.06.2010 (Bl. 188 bis 190 d. A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 64, 66 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO zulässig.
Sie ist teilweise begründet. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ist die von der Beklagten mit Schreiben vom 29.12.2008 ausgesprochene Kündigung als ordentliche mit Wirkung zum 31.07.2009 wirksam. Die außerordentliche Kündigung hat das Arbeitsgericht im Ergebnis zutreffend für unwirksam erachtet.
I. Entgegen der Würdigung durch das Arbeitsgericht ist die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung nicht bereits wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats nach
§ 102 BetrVG unwirksam. Bereits das Arbeitsgericht und auch die Berufungsschrift haben sich insoweit maßgeblich mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 16.01.2003 (2 AZR 707/01, AP § 102 BetrVG 1972 Nr. 129) auseinandergesetzt. Danach wirken sich Mängel im Anhörungsverfahren, die in den Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich des Betriebsrats fallen, grundsätzlich selbst dann nicht im Sinne einer Unwirksamkeit der Kündigung aus, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt der Kündigung weiß oder nach den Umständen vermuten kann, dass die Behandlung der Angelegenheit durch den Betriebsrat nicht fehlerfrei erfolgt ist. Etwas anderes kann ausnahmsweise dann gelten, wenn in Wahrheit keine Stellungnahme des Gremiums "Betriebsrat", sondern erkennbar nur eine persönliche Äußerung des Betriebsratsvorsitzenden vorliegt oder der Arbeitgeber den Fehler des Betriebsrats durch unsachgemäßes Verhalten selbst veranlasst hat.
Eine umfassende Würdigung des Sachverhaltes ergibt, dass die Behandlung durch den Betriebsrat zwar nicht ordnungsgemäß erfolgt ist, dieser Fehler im Ergebnis jedoch nicht dem Arbeitgeber zuzurechnen ist.
Die Ausgestaltung des Verfahrens zur Anhörung in § 102 BetrVG erlegt im Grundsatz nur dem Arbeitgeber die Verpflichtung auf, den Betriebsrat über eine beabsichtigte Kündigung eines Arbeitnehmers sowie den zugrunde liegenden Grund der Kündigung zu informieren und in die Möglichkeit einer Äußerung binnen 3 Tagen bzw. einer Woche einzuräumen. Eine Mitwirkungshandlung des Betriebsrates sieht § 102 BetrVG etwa im Gegensatz zu § 99 BetrVG nicht zwingend vor. Dem Betriebsrat ist lediglich das Recht eingeräumt, eine Stellungnahme oder einen förmlichen Widerspruch abzugeben. Eine entsprechende Verpflichtung zur Stellungnahme resultiert daraus jedoch nicht. Dementsprechend ist die Unwirksamkeitsfolge in § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG ausschließlich an die nicht ordnungsgemäße Anhörung durch den Arbeitgeber geknüpft. Es wird insbesondere bei beabsichtigten fristlosen Kündigung im betrieblichen Alltag nicht ganz selten sein, dass etwa im zeitlichen Zusammenhang mit Feiertagen wie Ostern oder Weihnachten, in Betrieben mit Schichtbetrieb und ähnlichem der Betriebsrat aus organisatorischen Gründen nicht in der Lage ist, sich in gesetzlich vorgesehenen Frist im Rahmen einer förmlich ordnungsgemäß anberaumten Sitzung mit einem derartigen Kündigungsantrag des Arbeitgebers zu befassen.
Der Geschäftsführer der Beklagten hat das Anhörungsschreiben gemäß § 26 Abs. 2 Satz 2 BetrVG wirksam den stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden C. ausgehändigt, da sich der Betriebsratsvorsitzende bereits auf Urlaubsreise befand. Die wesentlichen Angaben zur Person und zum Kündigungssachverhalt sind in dem Schreiben (Bl. 26 - 27 d.A.) enthalten. Insbesondere ist hier zu berücksichtigen, dass die maßgeblichen Informationen zum Kündigungsgrund vom Betriebsratsvorsitzenden selbst mitgeteilt worden sind. Hätte die Beklagte die gesetzliche Frist zur Äußerung des Betriebsrates abgewartet und erst dann die Kündigung ausgesprochen, läge ein Verstoß gegen§ 102 Abs. 1 BetrVG zweifellos nicht vor. Da weder der 24. noch der 31.12. gesetzliche Feiertage sind, hätte die Beklagte nach Fristablauf die Kündigung noch wirksam am 31.12. aussprechen können. Tatsächlich hat sie sie jedoch vor Ablauf der Anhörungsfrist bereits am 29.12. um 18.00 Uhr ausgesprochen.
Der Arbeitgeber braucht den Ablauf der Anhörungsfrist dann nicht abzuwarten, wenn eine ärztliche endgültige Stellungnahme des Betriebsrates vorliegt, wonach bereits vor Fristablauf eine endgültige Stellungnahme des Betriebsrats abgegeben wird und mit einer weiteren Äußerung nicht zu rechnen ist. Eine derartige Erklärung ist hier dem Arbeitgeber bereits am 23.12. gegen 14.00 Uhr in Schriftform ausgehändigt worden. Der Arbeitgeber kann sich auf eine ihm vorzeitigübermittelte Stellungnahme des Betriebsrates aber nur verlassen, wenn er keine Anhaltspunkte für eine geschäftsordnungswidrige oder gar unterlassene Beschlussfassung des Betriebsrates hat, erst Recht nicht wenn er den Fehler selbst veranlasst hat (vgl. BAG vom 18.08.1982 AP § 102 BetrVG 1972 Nr. 24; vom 16.01.2003 AP § 102 BetrVG 1972 Nr. 129). Auch die Abgabe einer vorfristigen verfahrensabschließenden Stellungnahme bedarf einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung durch das Betriebsratsgremium insgesamt. Nach dem Sachverhalt, wie er sich jetzt darstellt, hat es eine Beratung und Entscheidung einer beschlussfähigen Mehrheit von mindestens 3 Betriebsratsmitgliedern am 23.12.2009 jedoch nicht gegeben. Auch wenn der so gekennzeichneten "abschließenden Stellungnahme" des Betriebsrates kein ordnungsgemäßer Beschluss zugrunde lag, ist dieser Fehler dem Arbeitgeber aber nicht zuzurechnen.
Nach eigener Erklärung hat der Geschäftsführer am fraglichen Tag im Betrieb lediglich zwei Betriebsratsmitglieder selbst gesehen. Das ihm zurückgegebene Schriftstück trägt die Unterschrift von 2 Betriebsratsmitgliedern. Dies kann einerseits darauf schließen lassen, dass dem Geschäftsführer bekannt war, dass lediglich 2 Betriebsratsmitglieder sich mit dem gestellten Kündigungsantrag befasst hatten. Andererseits bestand aber auch die durchaus realisierbare Möglichkeit, dass zumindest ein weiteres Mitglied trotz Weihnachtsurlaubs kurzzeitig zu der Beratung hinzu kam. Die ehrenamtliche Betriebsratstätigkeit (§ 37 Abs. 1 BetrVG) kann insoweit auch im Urlaub realisiert werden. Dass der Geschäftsführer die Fehlerhaftigkeit der Beratung erkannt hat, ist somit schon nicht eindeutig. Jedenfalls führt dieses Erkennen einer nicht ordnungsgemäßen Besetzung des Betriebsrates auf Grundlage der genannten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht dazu, dass der Arbeitgeber sich auf die mitgeteilte Entscheidung nicht verlassen durfte. Denn sowohl der Betriebsratsvorsitzende A. hat als Zeuge bestätigt, Herr S. habe mit ihm darüber am Urlaubsort telefoniert. Ebenso hat der Zeuge C. erklärt, er habe seinerseits noch einmal telefonisch mit dem Betriebsratsvorsitzenden über die Angelegenheit gesprochen. Insofern ist jedenfalls festzustellen, dass die schriftliche Erklärung vom 23.12.2009 nicht den Extremfall einer eigenmächtigen Erklärung einer einzelnen Person darstellt. Vielmehr hat sich durchaus eine Mehrheit des Gremiums mit der Angelegenheit befasst. In welcher Weise letztlich der Betriebsrat in nicht öffentlicher Sitzung eine Entscheidung herbeigeführt hat, ist nicht bekannt. Da dem Arbeitgeber nicht die Kompetenz zusteht, über die Einhaltung der Verfahrensvorschriften nach demBetrVG durch den Betriebsrat zu wachen, genügt allein die Kenntnis des Arbeitgebers von Umständen, die hier auf eine nicht ordnungsgemäße Beschlussfassung hinweisen, nicht um eine Unwirksamkeit der Kündigung nach § 102 BetrVG anzunehmen.
Ebenso wenig folgt eine Unwirksamkeit daraus, dass der Arbeitgeber evtl. Verfahrensfehler des Betriebsrates durch sein eigenes Verhalten verursacht hat. Aus den genannten Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts lässt sich nicht umgekehrt die Verpflichtung des Arbeitgebers entnehmen, zum frühest möglichen Zeitpunkt unverzüglich die Anhörung des Betriebsrates einzuleiten. Im Fall einer fristlosen Kündigung liegt es vielmehr gerade im Risikobereich des Arbeitgebers, binnen 2 Wochen nach Erlangung der wesentlichen Kenntnisse die Anhörung des Betriebsrats durchgeführt zu haben, um die Erklärungsfrist des § 626 BGB noch einhalten zu können. Es ergibt sich aus der Würdigung des Sachverhaltes auch nicht, dass der Arbeitgeber erkennbar aus "taktischen Gründen" mit der Anhörung des Betriebsrates bis zum Beginn der Weihnachtswoche gewartet hat. Zwar war objektiv absehbar, dass mit Eintritt der Weihnachtspause ein Zusammentreten des Betriebsrates weiter erschwert werden würde. Andererseits kommt insoweit das Prinzip der Ehrenamtlichkeit der Betriebsratsarbeit zum Tragen (§ 37 Abs. 1 BetrVG ; vgl. auch BAG vom 5.5.10 7 AZR 728/08). Im Falle von Urlaubszeiten kann es durchaus geboten sein, Betriebsratsmitglieder auch außerhalb der turnusgemäßen Arbeitszeiten in dem Betrieb zu rufen. Unstreitig waren sowohl die Geschäftsführung als auch die Belegschaft zum Jahresende 2002 mit gravierenden Fragen der finanziellen Zukunftssicherung des Unternehmens und der Einführung von Kurzarbeit befasst. In der Gewichtigkeit hatte dieses Thema klare Priorität vor dem Ausspruch einer einzelnen Kündigungsmaßnahme. Der Betriebsratsvorsitzende hat als Zeuge insoweit die Darstellung des Arbeitgebers bestätigt, wonach im Rahmen einer solchen Besprechung zur wirtschaftlichen Lage erstmalig gegenüber der Geschäftsführung dieÄußerungen des Klägers überhaupt bekannt geworden sind. Gerade weil, wie der Betriebsratsvorsitzende als Zeuge bestätigt hat, die Angelegenheit bereits mündlich vorbesprochen war, durfte der Geschäftsführer der Beklagten berechtigt darauf vertrauen, dass der Betriebsrat auch für eine ordnungsgemäße Behandlung des Vorgangs in der folgenden Woche Sorge tragen würde. In dieser tatsächlichen Situation kann nicht die rechtliche Schlussfolgerung gezogen werden, dass eine fehlerhafte Behandlung des Vorgangs durch den Betriebsrat dem Arbeitgeber zugerechnet werden muss.
II. Die ordentliche Kündigung des Klägers ist durch Gründe im Verhalten des Klägers sozial gerechtfertigt gemäß § 1 Abs. 2 KSchG. Nach der Beweisaufnahme steht fest, dass der Kläger zumindest gegenüber 3 Mitarbeitern Ende November/Anfang Dezember 2008 geäußert hat, der Betriebsratsvorsitzende wirke an Kündigungen von Mitarbeitern mit und erhalte dafür erhebliche Geldbeträge vom Geschäftsführer. Die 3 Zeugen haben ihre Angaben zunächst zeitnah schriftlich bestätigt und zweimal in gerichtlichen Aussagen bekräftigt. Dabei ist nicht zu verkennen, dass an einzelnen Stellen Widersprüchlichkeiten oder Unklarheiten in den Zeugenaussagen aufgetreten sind. So hat erstmalig in der erneuten Aussage vor dem Landesarbeitsgericht der Zeuge C. bestätigt, dass zum fraglichen Zeitpunkt sehr wohl im Betrieb bereits über bevorstehende Kündigungen gesprochen wurde und ihm selbst dieses Thema auch bekannt war. Bei allen 3 Zeugen waren erhebliche Schwächen im sprachlichen Ausdruck festzustellen, die die Verständlichkeit der Aussagen durchaus beeinträchtigten. Ferner ist insoweit in Ansatz zu bringen, dass auch die Verständigung der Mitarbeiter untereinander im Betrieb fehleranfällig sein dürfte. Dennoch haben alle 3 Zeugen im Kern eindeutig bestätigt, dass der Kläger Geldzahlungen des Geschäftsführers an den Betriebsratsvorsitzenden behauptet habe. Da der Kläger auch in der Berufung völlig bestreitet, derartige Äußerungen getan zu haben, stellt sich umso stärker die Frage nach der Glaubwürdigkeit der Zeugen. Es sind insoweit im gesamten Verlauf des Rechtsstreits keine tatsächlichen Anhaltspunkte bekannt geworden, die etwa auf der Ebene der persönlichen Beziehungen einen Grund für eine wissentlich falsche Beschuldigung gegenüber dem Kläger erklären könnten. Der Inhalt der behaupteten Äußerungen lässt sich auch nicht auf bloße sprachliche Missverständnisse o. ä. zurückführen. Vielmehr haben alle 3 Zeugen bekundet, die Schwere des Vorwurfs habe sie zu Nachfragen beim Betriebsratsvorsitzenden veranlasst.
Indem der Kläger sowohl dem Geschäftsführer als auch dem Betriebsratsvorsitzenden in diesen Äußerungen ganz erhebliche Pflichtwidrigkeiten vorgeworfen hat, hat er seinerseits eine schwere Vertragspflichtverletzung begangen. Für eine kündigungsrechtliche Bewertung der vom Kläger getätigten Äußerungen ist deren Inhalt jedoch noch weiter zu präzisieren. Denn aus allen 3 Zeugenaussagen ergibt sich im Kern wiederum übereinstimmend, dass der Kläger letztlich keine konkret nachvollziehbaren Tatsachenbehauptungen aufgestellt hat. Er hat weder einzelne konkrete Kündigungsvorgänge genannt noch sonstige konkrete Umstände, anhand derer er seine Kenntnis erlangt haben wollte. Am anschaulichsten hat dies der Zeuge C. geschildert, er habe diese Äußerung zu Anfang überhaupt nicht ernst genommen. Insofern ist diesen Äußerungen eher der Charakter einer "Stimmungsmache" zuzumessen als der von ernst gemeinten - unrichtigen - Tatsachenbehauptungen. Umgekehrt ist festzustellen, dass offensichtlich auch im Betrieb insgesamt dieÄußerungen des Klägers nicht als ernstlich aufgefasst worden sind. Weder aus dem Sachvortrag der Beklagten noch aus den Aussagen der Zeugen ergeben sich irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass dieÄußerungen des Klägers zu ernstlichen Zerwürfnissen oder persönlichen Auseinandersetzungen im Betrieb geführt haben. Gerade auf der Betriebsversammlung am 19. Dezember, auf der die ungewisse wirtschaftliche Zukunft besprochen wurde, wären entsprechende Wortmeldungen und Vorwürfe zu erwarten gewesen, wenn den Worten des Klägers in der Belegschaft tatsächlich Beachtung geschenkt worden wäre.
Dennoch rechtfertigen die auch nur einmaligen Vorkommnisse eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Die Beklagte war nicht darauf zu verwiesen, lediglich eine Abmahnung auszusprechen. Zwar hat das Arbeitsverhältnis - mit Unterbrechung - schon ca. 20 Jahre bestanden. Es sind auch aus der früheren Zeit keine Beanstandungen im persönlichen Verhalten des Klägers vorgetragen worden. Der Kläger hat jedoch sowohl dem Geschäftsführer als auch den Betriebsratsvorsitzenden ein gleichermaßen rechtlich wie moralisch anstößiges Verhalten nachgesagt. Dabei trägt der Kläger in seiner betrieblichen Funktion als Fertigungsleiter selbst Personalverantwortung. In dieser Funktion, in der er delegierte Aufgaben des Arbeitgebers wahrzunehmen hat, wiegen derartige rechtlich unvertretbare Äußerungen umso schwerer. Irgendein erkennbarer Grund, der den Kläger zu diesem Verhalten motiviert haben könnte oder dieses Verhalten in milderem Licht erscheinen lassen könnte, sind nicht ersichtlich. Zwar bedarf es vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung in aller Regel zuvor einer bereits einmal erfolglos gebliebenen Abmahnung. Eine Abmahnung ist jedoch entbehrlich, wenn es sich um eine schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne Weiteres erkennbar ist und bei der die Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (etwa BAG 23.6.09, 2 AZR 103/08, AP § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 59). Eine solche Ausnahmesituation ist bei dem Fehlverhalten des Klägers gegeben. Der Vorwurf, der Geschäftsführer "kaufe" den Betriebsrat, ist geeignet die Integrität der betroffenen Personen ernstlich zu beschädigen. Dass dies nicht ohne Folgen bleiben konnte, musste dem Kläger klar sein.
Allerdings rechtfertigt der Vorwurf keine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB. Unter Abwägung aller tatsächlichen Umstände und der beiderseitigen Interessen ist der Beklagten ein Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist, auch wenn diese 7 Monate beträgt, zumutbar. Der Kläger und der Geschäftsführer der Beklagten kennen sich seit über zwei Jahrzehnten. Sie haben über diese Zeit intensiv gemeinsam gearbeitet, das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich beendet und wieder neu aufgenommen. Wenn auch offen bleiben muss, wie letztlich die Äußerungen des Klägers motiviert gewesen sind, ist jedoch nicht festzustellen, dass dieser Vorgang das persönliche Verhältnis zwischen den beiden Personen fundamental zerstört hat. Zu einer Störung des Betriebsfriedens ist es ebenfalls nicht gekommen, da die angesprochenen Kollegen offenbar besonnen reagiert haben. Es konnte durchaus erwartet werden, dass die Parteien auf rein fachlicher Ebene angesichts der unstrittigen Qualifikation des Klägers das Arbeitsverhältnis auch noch mehrere Monate über den Verlauf der Kündigungsfrist ordnungsgemäß weiter abwickeln konnten. Angesichts der ungewöhnlichen Besonderheiten des Sachverhaltes war mit einer Wiederholungähnlichen Fehlverhaltens nicht ohne weiteres zu rechnen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Ein Grund die Revision zuzulassen, lag nicht vor.
Kistenbrügger
Dommel-Rustenbach