Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.12.2010, Az.: 13 Sa 1050/10
Tariflicher Verfall eines Urlaubsabgeltungsanspruchs
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 14.12.2010
- Aktenzeichen
- 13 Sa 1050/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 35084
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2010:1214.13SA1050.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Oldenburg - 05.05.2010 - AZ: 7 Ca 26/10
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 4 BUrlG
- § 20 RTV
Fundstelle
- ZInsO 2011, 792
Amtlicher Leitsatz
Der Urlaubsabgeltungsanspruch wird als Geldanspruch mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig und unterliegt tariflichen Ausschlussfristen.
In dem Rechtsstreit
Kläger und Berufungskläger,
gegen
Beklagte und Berufungsbeklagte,
hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 14. Dezember 2010 durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenkötter,
den ehrenamtlichen Richter Hoheisel,
die ehrenamtliche Richterin Birkholz
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 05.05.2010, 7 Ca 26/10, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 4.121,60 € festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Abgeltung von 35 Urlaubstagen Jahresurlaub 2007 und Urlaub für die Monate Januar und Februar 2008 in Höhe von 4.121,60 € brutto.
Der 1954 geborene Kläger war von 1990 bis zum 28.02.2008 bei der Beklagten als Busfahrer beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Rahmentarifvertrag vom 16.03.2005, abgeschlossen zwischen Kommunalem Arbeitgeberverband B-Stadt und der Gewerkschaft ver.di, Anwendung. Auf den Inhalt des Tarifvertrages, Bl. 31 f. d.A., wird Bezug genommen.
Der Kläger war ab 15.11.2006 bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses und auch darüber hinaus arbeitsunfähig. Er bezieht seit März 2008 Rente wegen Erwerbsminderung.
Mit Schreiben vom 26.04.2009 (Bl. 9 f. d.A.) hat der Kläger erstmals den Urlaubsabgeltungsanspruch für 35 Urlaubstage geltend gemacht und bezieht sich auf die Entscheidung Schultz-Hoff des EuGH vom 20.01.2009.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Urlaubsabgeltungsanspruch sei nicht nach § 20 des Rahmentarifvertrages verfallen, weil die Entscheidung Schultz-Hoff des EuGH erst im Januar 2009 ergangen sei. Im Übrigen sei er auf Grund gesundheitlicher Probleme nicht in der Lage gewesen, den Anspruch früher geltend zu machen. Er sei schwerwiegend an Demenz erkrankt, erhalte inzwischen Pflegestufe I und sei schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.121,60€ brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Mai 2009 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch nach tariflicher Ausschlussfrist verfallen sei, weil erstmalige Geltendmachung im April 2009 erfolgt sei. Die Entscheidung des EuGH stehe dem nicht entgegen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
Mit Berufung trägt der Kläger vor, nach der bisherigen Rechtsprechung des BAG seien tarifliche Ausschlussfristen auf Urlaubsansprüche und Urlaubsabgeltungsansprüche nicht anzuwenden. ImÜbrigen stehe dem Verfall des Anspruchs entgegen, dass er auf den Fortbestand der bisherigen Rechtsprechung des BAG habe vertrauen dürfen. Nach dieser ständigen Rechtsprechung des BAG sei der Urlaubsabgeltungsanspruch wegen fortdauernder Erkrankung mit Ablauf des Übertragungszeitraums verfallen. Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes könne die Ausschlussfrist deshalb erst ab Entscheidung Schultz-Hoff des EuGH ab Januar 2009 laufen. Die Geltendmachung im April 2009 sei deshalb rechtzeitig.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des am 05.05.2010 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Oldenburg, Az. 7 Ca 26/10, zu verurteilen, an den Kläger 4.121,60 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2009 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt nach Maßgabe der Berufungserwiderung das erstinstanzliche Urteil.
Entscheidungsgründe
1. Die Berufung des Klägers ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 64, 66 ArbGG. Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 20 des Rahmentarifvertrages verfallen ist. Die sechsmonatige Ausschlussfrist für die schriftliche Geltendmachung ist nicht eingehalten worden.
2. Das BAG (Urteil vom 24.11.1992, 9 AZR 549/91, AP Nr. 23 zu § 1 BUrlG) hat bisher die Auffassung vertreten, dass Urlaubsabgeltungsansprüche nicht tariflichen Ausschlussfristen unterliegen, sondern dass sie wie Urlaubsansprüche zu behandeln sind und innerhalb des Kalenderjahres beziehungsweise des Übertragungszeitraums geltend zu machen sind. Diese Rechtsprechung beruhte darauf, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Surrogat des Urlaubsanspruchs bewertet wurde und Urlaubsanspruch und Urlaubsabgeltungsanspruch verfielen, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ablauf desÜbertragungszeitraumes arbeitsunfähig war.
Nach der neueren Rechtsprechung des BAG in Folge der Entscheidung Schultz-Hoff des EuGH vom 20.01.2009 ist der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch nicht auf den Übertragungszeitraum befristet, wenn der Arbeitnehmer dauernd arbeitsunfähig ist. Besteht Arbeitsunfähigkeit, bleiben Urlaubsanspruch und Urlaubsabgeltungsanspruch erhalten. Auch der Urlaubsabgeltungsanspruch ist in seinem Bestand nicht davon abhängig, dass der Arbeitnehmer bis zum Ende des Übertragungszeitraums seine Arbeitsfähigkeit wiedererlangt. Konsequent hat das BAG die Surrogatstheorie damit aufgegeben und behandelt den Urlaubsabgeltungsanspruch als Zahlungsanspruch, der mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig wird (BAG vom 24.03.2009, 9 AZR 983/07, AP Nr. 39 zu § 7 BUrlG; BAG vom 04.05.2010, 9 AZR 183/09, NZA 2010, 1011).
3. Konsequenz der Aufgabe der Surrogatstheorie und der Behandlung des Urlaubsabgeltungsanspruchs als Zahlungsanspruch ist dann aber, dass der Anspruch tariflichen Ausschlussfristen unterliegt und wie sonstige Geldansprüche auch innerhalb der Ausschlussfrist geltend zu machen ist (so auch LAG München vom 29.07.2010, 3 Sa 217/10; LAG Hamm vom 24.06.2010, 16 Sa 371/10; LAG Köln vom 20.04.2010, 12 Sa 1448/09). Die Anwendung der Ausschlussfrist widerspricht nicht der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 04.11.2003. Nach dem Urteil des EuGH vom 20.01.2009 - Schultz-Hoff - AP Nr. 1 Richtlinie 2003/88/EG steht die Richtlinie einer nationalen Regelung nicht entgegen, die für die Ausübung des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub Modalitäten vorsieht, die zum Verfall des Urlaubsanspruchs nach Ende eines Bezugszeitraumes oder Übertragungszeitraumes führen. Voraussetzung ist aber, dass die Möglichkeit besteht, dass der Arbeitnehmer den verliehenen Anspruch ausüben und durchsetzen kann. Wenn der Urlaubsabgeltungsanspruch mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses losgelöst von der Durchsetzbarkeit des Urlaubsanspruchs als reiner Zahlungsanspruch fällig wird, kann er vom Arbeitnehmer geltend gemacht und durchgesetzt werden. Die Anwendung der Ausschlussfrist widerspricht damit nicht Gemeinschaftsrecht.
4. Gegenüber der Anwendung der Ausschlussfrist kann sich der Kläger nicht darauf berufen, dass nach langjähriger Rechtsprechung 2008 ein Anspruch auf Urlaubsabgeltung in seinem Fall verneint wurde und Erfolgsaussichten erst bestanden seit der Entscheidung Schultz-Hoff des EuGH und nachfolgender Rechtsprechungsänderung durch das BAG. Das BAG verneint inzwischen Vertrauensschutz mit Wirkung von 1996 (BAG vom 04.05.2010, aaO.). Im Übrigen kann eine Rechtsprechungsänderung nicht zur Folge haben, dass abgeschlossene Sachverhalte aus der Vergangenheit neu zu bewerten und zu entscheiden sind. Dies würde dem Grundsatz der Rechtssicherheit widersprechen. Eine Übertragung geänderter Rechtsprechung auf abgeschlossene Fallgestaltungen kommt deshalb nur in Betracht, wenn eine unzumutbare Härte vorliegt (z.B. BAG vom 18.04.2007, 4 AZR 652/05, AP Nr. 53 zu § 1 TVG Bezugnahme auf Tarifvertrag).
Die Anwendung der Ausschlussfrist führt zum Verlust eines finanziellen Anspruchs, weitergehende Rechtsfolgen bestehen nicht. Eine unbillige Härte kann unter diesen Umständen nicht angenommen werden.
5. Weil die Berufung zurückzuweisen war, trägt der Kläger die Kosten des Rechtsmittels, § 97 ZPO. Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes beruht auf § 63 Abs. 2 GKG in Anwendung des § 3 ZPO.
Die Revisionszulassung erfolgt gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
Hoheisel
Birkholz