Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 04.10.2010, Az.: 12 Sa 1544/09

Die Bundesagentur für Arbeit kann von Unternehmern in der Bauindustrie die Erstattung der für die Arbeitnehmer des Nachunternehmers verauslagten Insolvenzgelder verlangen

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
04.10.2010
Aktenzeichen
12 Sa 1544/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 36112
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2010:1004.12SA1544.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hannover - 04.11.2009 - AZ: 8 Ca 48/09

Amtlicher Leitsatz

1. Nach § 1 a AEntG in der bis zum 22.04.2009 geltenden Fassung i.V.m. § 187 SGB III kann die Bundesagentur für Arbeit vom Hauptunternehmer in der Baunindustrie die Erstattung des für die Arbeitnehmer des Nachunternehmers verauslagten Insolvenzgeldes verlangen.

2. Dieses der Gesetzeslage entsprechende Ergebnis bedarf auch mit Blick auf denn allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz keiner Korrektur durch eine teleologische Reduktion. Die damit verbundene wirtschaftliche Belastung der Hauptunternehmer in der Bauindustrie ist von diesen mit Rücksicht auf die vom Gesetzgeber mit § 1 a AEntG verfolgten Gemeinwohlbelange zu tragen.

In dem Rechtsstreit

Klägerin und Berufungsbeklagte,

gegen

1. A.

2. B.

3. C.

Beklagte und Berufungskläger,

hat die 12. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 4. Oktober 2010 durch

den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Walkling,

den ehrenamtlichen Richter Herrn Peters,

den ehrenamtlichen Richter Herrn Macht

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 04.11.2009 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Hannover - 8 Ca 48/09 - wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über eine Bürgenhaftung der Beklagten gemäß § 1 a AEntG in der bis zum 22.04.2009 geltenden Fassung.

2

Die Beklagten zu 2) und 3) schlossen sich in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zur Beklagten zu 1) zusammen, um das Bauvorhaben "L. K." zu erstellen. Mit Zuschlag vom 06.09.2007 beauftragte die Beklagte zu 1) die Firma B. GmbH als sogenannte Nachunternehmerin. Mit Beschluss vom 03.09.2008 eröffnete das Amtsgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der B. GmbH und bestellte Frau Rechtsanwältin K. Sch. zur Insolvenzverwalterin. Diese erstellte noch als vorläufige Insolvenzverwalterin auf Grundlage der Lohnabrechnungen der Schuldnerin Insolvenzgeldbescheinigungen. Auf Grundlage dieser Insolvenzgeldbescheinigungen leistete die Klägerin für insgesamt 42 Arbeitnehmer für einen Zeitraum vom 01.03.2008 bis längstens zum 08.08.2008 einen Betrag von insgesamt 98.440,68 € als Insolvenzgeld. Hinsichtlich der Aufschlüsselung der Beträge auf die einzelnen Arbeitnehmer und die konkreten Insolvenzgeldzeiträume wird auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils (Bl. 124 f. d. A.) verwiesen. Die Klägerin zahlte das Insolvenzgeld für Tätigkeiten der dort genannten Arbeitnehmer, die gemäß Tarifvertrag zur Regelung der Mindestlöhne im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland vom 29. Juli 2005 (TV Mindestlohn 2005) nach den Lohngruppen 1 oder 2 zu vergüten sind.

3

Mit Schreiben vom 01.12.2008 verlangte die Klägerin von der Beklagten zunächst die Erstattung von 98.864,00 € an Insolvenzgeld. Mit ihrer am 29.01.2009 beim Arbeitsgericht Hannover eingegangenen Klage hat die Klägerin diesen Anspruch weiter verfolgt.

4

Zur Begründung der Klage hat sich die Klägerin auf § 1 a AEntG i. V. m. § 187 SGB III berufen.

5

Die Klägerin hat beantragt,

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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin 98.440,68 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2009 zu zahlen.

7

Die Beklagten haben beantragt,

8

die Klage abzuweisen.

9

Die Beklagten haben die Ansicht vertreten, die in § 1 a AEntG in der bis zum 22.04.2009 geltenden Fassung normierte Bürgenhaftung des Hauptunternehmers beziehe sich allein auf die Verwirklichung und Sicherung der Forderung des Arbeitnehmers auf das Mindestentgelt und dessen besondere Situation. Die Finanzierung des Insolvenzgeldes erfolge hingegen über die Insolvenzgeldumlage, welche von den Beklagten bereits gezahlt worden sei. Durch die hiesige Klage würden die Beklagten in verfassungswidriger Weise doppelt für die Insolvenz ihrer Nachunternehmerin haftbar gemacht. Die zusätzliche Inanspruchnahme der Bauhauptunternehmer nach § 1 a AEntG für Insolvenzgeldforderungen stelle eine durch einen sachlichen Grund nicht zu rechtfertigende Sonderbelastung des Hauptunternehmers dar und verstoße damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

10

Mit am 04.11.2009 verkündetem Urteil hat das Arbeitsgericht Hannover der Klage in Höhe des zuletzt gestellten Antrages voll umfänglich stattgegeben.

11

Das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover ist an die Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 06.11.2009 zugestellt worden. Die Berufungsschrift der Beklagten zu 1) und 3) ist am 03.12.2009, diejenige der Beklagten zu 2) am 07.12.2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Die Berufungsbegründung der Beklagten zu 1) und 3) ist am 02.02.2010, diejenige der Beklagten zu 2) am 08.02.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangen. Die verlängerte Berufungsbegründungsfrist endete erst mit dem 08.02.2010.

12

Zur Begründung der Berufung tragen die Beklagten vor, dass § 187 SGB III im vorliegenden Fall einer verfassungskonformen einschränkenden Auslegung bedürfe. Die im vorliegenden Fall zum Tragen kommende zusätzliche Haftung der Beklagten für das Insolvenzgeldrisiko sei vom Gesetzgeber bei Erlass der Regelung des § 1 a AEntG nicht intendiert gewesen. Art. 3 Abs. 1 GG sei verletzt, da Unternehmer anderer Branchen diesem Haftungsrisiko nicht ausgesetzt seien. Zudem komme es aufgrund von zeitlichen Lücken in der Allgemeinverbindlichkeitserklärung zu willkürlichen Ergebnissen. Die Beklagten beziehen sich positiv auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 18.01.2010 (4 Sa 14/09). Ferner machen sie geltend, dass der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 20.03.2007 sich ausdrücklich nicht mit der Haftung des Generalunternehmers im Insolvenzfall des Nachunternehmers befasse. Ergänzend wird auf die Berufungsbegründungen der Beklagten (Bl. 191 ff. sowie Bl. 225 ff. d. A.) sowie auf deren Schriftsatz vom 19.04.2010 (Bl. 290 ff. d. A.) verwiesen.

13

Die Beklagten beantragen,

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das am 04.11.2009 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Hannover - 8 Ca 48/09 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

15

Die Klägerin beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

17

Die Klägerin macht geltend, dass die von den Beklagten gerügte wirtschaftliche Belastung durch die Durchgriffshaftung im Sinne einer ordnenden und erzieherischen Wirkung auf dem Teilarbeitsmarkt des Baugewerbes vom Gesetzgeber gewollt gewesen sei. Im Übrigen verteidigt die Klägerin das erstinstanzliche Urteil und verweist darauf, dass sich das gefundene Ergebnis unmittelbar aus dem Wortlaut von § 1 a AEntG i. V. m. § 187 SGB III ableite. Ergänzend wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 05.03. und 24.09.2010 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die statthafte und form- sowie fristgerecht eingelegte und begründete Berufung ist in der Sache unbegründet.

19

I. Wie das Arbeitsgericht bereits zutreffend erkannt hat, haftet die Beklagte zu 1) nach §§ 187, 185 SGB III i. V. m. § 1 a AEntG in der bis zum 22.04.2009 geltenden Fassung für das von der Schuldnerin geschuldete Mindestnettoentgelt. Die Haftung der Beklagten zu 2) und 3) folgt aus dem Rechtsgedanken des § 128 HGB. Der Höhe nach ist die Klagforderung in zweiter Instanz unstreitig geblieben. Die Voraussetzungen der Bürgenhaftung der Beklagten zu 1) nach § 187 SGB III i. V. m. § 1 a AEntG liegen vor.

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1. Hinsichtlich der von den Beklagten verlangten aber rechtlich nicht gebotenen verfassungskonformen teleologischen Reduktion der Vorschriften ist zur Vermeindung von Wiederholungen vollumfänglich auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts in den Entscheidungsgründen S. 7 bis 15 des Urteils Bezug zu nehmen, die sich das Landesarbeitsgericht ausdrücklich zu eigen macht.

21

2. Soweit die Beklagten in der Berufungsinstanz nicht lediglich ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft haben, ist ergänzend darauf hinzuweisen, dass die von den Beklagten favorisierte Differenzierung danach, ob der Nachunternehmer die vollen Mindestlöhne zwar zahlen könnte aber in tarifwidriger Verweigerung nicht zahlen will von denjenigen Fällen, in denen der Nachunternehmer die Löhne aufgrund eigener Zahlungsschwierigkeiten insgesamt nicht zahlen kann, den vom Gesetzgeber in § 1 a AEntG verfolgten Zweck gefährden würde.

22

§ 1 a AEntG in der bis zum 22.04.2009 geltenden Fassung hat die mit den übrigen Normen des Arbeitnehmerentsendegesetzes beabsichtigte Sicherung der zwingenden Arbeitsbedingungen im Baugewerbe ergänzt sowie der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Erhaltung als wünschenswert angesehene sozialer Standard gedient. Einem Verdrängungswettbewerb über die Lohnkosten, dem kleine und mittlere Betriebe nicht standhalten können, sollte entgegengewirkt werden. Hierbei handelt es sich um legitime Ziele des Gesetzgebers (vgl. Beschluss des BVerfG vom 20.03.2007, 1 BvR 1047/05, NZA 2007, 609 bis 612).

23

Weder die Vorschriften der Insolvenzordnung noch die den Insolvenzgeldanspruch regelnden § 183 f. SGB III differenzieren danach, ob ein Nachunternehmer im Baugewerbe es auf eine Insolvenz hat ankommen lassen, weil er die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlöhne nicht zahlen wollte oder ob er in die Insolvenz geraten ist aufgrund von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, welche er tatsächlich nicht beeinflussen konnte. Durch die von den Beklagten verlangte teleologische Reduktion des § 1 a AEntG i. V. m. § 187 SGB III würde derjenige Hauptunternehmer, dessen Nachunternehmer seine Firma zur Umgehung der Mindestlöhne mutwillig in die Insolvenz laufen lässt, wirtschaftlich bessergestellt als derjenige Hauptunternehmer, dessen Nachunternehmer zumindest die unterhalb des gesetzlichen Mindestlohnes tatsächlich vereinbarten Löhne tatsächlich zahlt. Ein solches tatsächliches Ergebnis verstieße seinerseits gegen den nach Art. 3 Abs. 1 GG zu beachtenden Gleichbehandlungsgrundsatz.

24

3. Vor dem Hintergrund der dem Gesetzgeber zustehenden weiten Einschätzungsprärogative ist es nicht zu beanstanden, dass die hier anzuwendende gesetzliche Regelung dazu führt, dass Insolvenzgeldrisiken von den in dieser Branche tätigen Unternehmern in zweifacher Weise abgefedert werden (grundsätzlich durch Zahlung der Insolvenzgeldumlage sowie im Einzelfall auch im Rahmen der Bürgenhaftung nach § 1 a bzw. jetzt § 14 AEntG). Dem Eintreten des zuletzt genannten Haftungsfalles sind die Hauptunternehmer nicht schutzlos ausgeliefert. Sie können das Risiko des Eintritts einerseits durch eine sorgfältige Auswahl des Nachunternehmers und anderseits durch das Angebot einer auch für den Nachunternehmer auskömmlichen Preisgestaltung minimieren.

25

II. Die Kosten der erfolglos eingelegten Berufung tragen nach § 97 ZPO die Beklagten als Gesamtschuldner.

26

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 72 Abs. 2 Ziff. 1 ArbGG sowie wegen der Abweichung von der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 18.01.2010 (4 Sa 14/09) gemäß § 72 Abs. 2 Ziff. 2 ArbGG zuzulassen.

Walkling
Peters
Macht