Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 19.08.2010, Az.: 4 Sa 970/09 B

Pfändungsfreigrenze des Arbeitseinkommens bei Gehaltsumwandlung; Gläubigerbenachteiligung durch Entgeltumwandlungsvereinbarung nach Pfändung des Arbeitseinkommens

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
19.08.2010
Aktenzeichen
4 Sa 970/09 B
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 26504
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2010:0819.4SA970.09B.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hildesheim - 2 Ca 144/08 B - 17.6.2009

Amtlicher Leitsatz

Der Pfändungsschutz des § 851 c ZPO führt im Falle der Gehaltsumwandlung nicht zu einer höheren Pfändungsfreigrenze des Arbeitseinkommens des Schuldners.

Eine nach einer Pfändung des Arbeitseinkommens abgeschlossene Entgeltumwandlungsvereinbarung kann wegen Gläubigerbenachteiligung unwirksam sein.

Redaktioneller Leitsatz

1.Der Pfändungsschutz des § 851 c ZPO gilt nicht für laufende Rentenbeiträge, die der Schuldner, wenn er sie leisten will, aus seinem Einkommen zu leisten hat.

2. Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien, dass die Arbeitgeberin für den Arbeitnehmer eine Direktversicherung abschließt und einen Teil der künftigen Entgeltansprüche des Arbeitnehmers durch Entgeltumwandlung für seine betriebliche Altersversorgung verwendet wird (§ 1 a Abs. 1 BetrAVG), liegt insoweit kein pfändbares Arbeitseinkommen mehr vor; bei einer solchen Vereinbarung entstehen in Höhe der Belastungen der Arbeitgeberin, die zur Erfüllung ihres Versorgungsversprechens einen Versicherungsvertrag schließt und als Schuldnerin dieses Vertrags die mit dem Versicherer vereinbarten Prämien zu zahlen hat, keine Ansprüche des Arbeitnehmers gegen die Arbeitgeberin auf Arbeitseinkommen im Sinne des § 850 Abs. 2 ZPO mehr, die abgetreten oder der Pfändung unterliegen können.

3. Die Umwandlungsvereinbarung ist als einheitlicher Schuldänderungsvertrag zu qualifizieren, der das Arbeitsverhältnis umgestaltet; als Schuldänderungsvertrag setzt die Entgeltumwandlung keine Verfügungsbefugnis voraus.

4. Durch die Wahl der Steuerklasse (V) kann der Schuldner die Vermutung nahelegen, dass Einkommensbeträge der Pfändung entzogen und Gläubiger benachteiligt werden sollen; hat er zudem die Erklärung zur Entgeltumwandlung abgegeben, nachdem das Amtsgericht gemäß § 850 a Abs. 4 ZPO bestimmt hat, dass die unterhaltsberechtigte Ehefrau und das unterhaltsberechtigte Kind des Schuldners bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Einkommens unberücksichtigt bleiben und sich damit ein höherer pfändbarer Betrag ergibt, und steht die Höhe der Entgeltumwandlung in einem auffälligen Missverhältnis zur Höhe des Arbeitseinkommens, drängt sich unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 850 h ZPO die Annahme einer Gläubigerbenachteiligung auf.

In dem Rechtsstreit

Kläger, Berufungskläger und Anschlussberufungsbeklagter,

gegen

Beklagte, Berufungsbeklagte und Anschlussberufungsklägerin,

hat die 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 19. August 2010 durch

die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Krönig,

den ehrenamtlichen Richter Herrn Starnitzke,

den ehrenamtlichen Richter Herrn Krawczyk

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 17. Juni 2009 - 2 Ca 144/08 B - teilweise abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 2.068,20€ nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 23. September 2008 zu zahlen.

Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die erstinstanzlichen Kosten trägt der Kläger zu 2/3, die Beklagte zu 1/3.

Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte im Rahmen einer Drittschuldnerklage auf Zahlung von gepfändetem Arbeitslohn des Schuldners in Anspruch.

2

Der am 0.0.1979 geborene Kläger ist der Sohn des Schuldners. Am 29.05.1985 verpflichtete sich der Schuldner in einem gerichtlichen Vergleich (36 F 130/85 - AG C-Stadt), an den Kläger beginnend mit dem 1. Juni 1985 einen monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 238,50 DM zu zahlen. Eine vollstreckbare Ausfertigung des Vergleichs wurde dem Kläger unter dem 19. Juni 1985 erteilt. Wegen rückständiger Unterhaltsansprüche für die Zeit von Juni 1985 bis Februar 1997 ließ der Kläger durch Beschluss des AG A. vom 16.03.1998 die Forderungen des Schuldners auf Zahlung des gesamten gegenwärtigen und künftigen Arbeitseinkommens gegen die Beklagte pfänden und sich zur Einziehung überweisen. Der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss wurde der Beklagten am 17.06.1998 zugestellt.

3

Der am 0.0.1955 geborene Schuldner steht seit dem 02.05.1988 in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten. Aufgrund von Vorpfändungen wurde die Pfändung durch die Beklagte erstmals ab November 2006 bedient. Durch Beschluss des Amtsgerichts A. vom 14.12.2006 wurde bestimmt, dass die unterhaltsberechtigte Ehefrau und das unterhaltsberechtigte Kind des Schuldners bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Schuldnereinkommens unberücksichtigt bleiben.

4

Am 26.06.2007 unterzeichnete der Kläger eine Teilnahmeerklärung zur Brutto-Entgeltumwandlung mit folgendem Wortlaut:

5

Aus meinem Bruttoentgelt möchte ich wie folgt umwandeln:

6

x aus laufendem Bruttoentgelt in gleichen monatlichen Raten 600,-- € pro Monat

7

x aus Sonderzahlungen mit Monat November 1.000,-- € pro Kalenderjahr

8

Mit Schreiben vom 05.07.2007 teilte der B.-Service dem Schuldner mit, dass er seine Teilnahmeerklärung ab dem 1. September 2007 bis auf weiteres umsetzen werde. Die Beklagte erteilte dem Schuldner für die Monate Juli 2007 bis Juni 2008 folgende Lohnabrechnungen und zahlte die sich daraus ermittelten pfändbaren Lohnbestandteile an den Kläger aus.

Monat

Netto-einkommen in Euro

Gehalts-umwandlung in Euro

Rest in Euro

Davon unpfändbar in Euro

Rest

Pfändbar/ gepfändet nach Tabelle in Euro

07-09/07

1.696,44

600,00

1.096,44

13,29 vL

1.083,15

66,40

10/07

2.039,10

600,00

1.439,10

13,29 vL

1.425,81

304,40

11/07

2.584,78

1.600,00

984,78

alles

-

0

12/07

1.572,24

600,00

972,24

alles

-

0

01/08

1.715,97

600,00

1.115,97

13,29 vL

1.102,68

80,40

02-03/08

1.706,59

600,00

1.106,59

13,29 vL

1.093,30

73,40

04/08

1.952,31

600,00

1.352,31

-

255,40

05/08

2.292,86

600,00

1.692,86

Zus. Urlaubsvergütung

-

0

06/08

1.590,48

600,00

990,48

-

3,40

9

Ohne die vorgenommene Gehaltsumwandlung hätte sich das Nettoentgelt des Klägers wie folgt berechnet:

Monat

Brutto-einkommen in Euro

Netto-einkommen in Euro ohne Gehalts-umwandlung (Steuerkl.V)

Unpfändbar in Euro

Rest in Euro

Davon pfändbar nach Tabelle in Euro

Bereits gepfändet

Differenz in Euro

07/07

2.854,70

1.299,24

26,59 vL

1.272,65

199,40

66,40

133,00

08/07

2.854,70

1.299,24

26,59 vL

1.272,65

199,40

66,40

133,00

09/07

2.854,70

1.299,24

26,59 vL

1.272,65

199,40

66,40

133,00

10/07

3.834,91

1.664,04

26,59 vL

1.637,45

451,40

304,40

147,00

11/07

4.410,20

1.696,93 (aus 3.910,20)

26,59 vL 500,00 brutto Weihn.geld

1.670,40

479,40

0

479,40

12/07

2.854,70

1.299,24

26,59 vL

1.272,65

199,40

0

199,40

01/08

2.879,70

1.320,86

26,69 vL

1.294,27

213,40

80,40

133,00

02/08

2.854,70

1.312,09

26,59 vL

1.285,50

206,40

73,40

133,00

03/08

2.854,70

1.312,09

26,59 vL

1.285,50

206,40

73,40

133,00

04/08

3.544,91

1.555,03

-

1.555,03

395,40

255,40

140,00

05/08

4.778,53

1.295,66

1.950,42

1.295,66

213,40

0

213,40

06/08

2.873,74

1.311,69

-

1.311,69

227,40

3,40

224,00

Total

2.201,20

10

In dem Zeitraum vom 01.08.2007 bis zum 31.07.2008 bezog der Kläger Leistungen nach dem SGB II.

11

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Gehaltsumwandlung sei ihm gegenüber unwirksam, da sie nach Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses erfolgt sei. Daher ergebe sich ein pfändbarer Betrag in Höhe von 6.724,40 €.

12

Der Kläger hat beantragt,

13

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.724,40 € nebst 5 Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen.

14

Die Beklagte hat beantragt,

15

die Klage abzuweisen.

16

Die Beklagte hat auf die Bestimmung des § 851 c BGB hingewiesen. Mit dieser Regelung habe der Gesetzgeber dem Schuldner die Möglichkeit eröffnen wollen, bestimmte Beträge zum Aufbau einer angemessenen Alterssicherung unpfändbar anzusammeln.

17

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 17.06.2009 unter Abweisung der Klage im Übrigen die Beklagte verurteilt, an den Kläger 133,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 23.09.2008 zu zahlen. Gegen das ihm am 10. Juli 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.07.2009 Berufung eingelegt und sie begründet.

18

Der Kläger macht geltend, das Arbeitsgericht habe zutreffend angenommen, dass der Entgeltumwandlung § 829 Abs. 1 S. 2 ZPO entgegen stehe. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts stehe die Bestimmung des § 33 SGB II dem Anspruch nicht entgegen.

19

Der Kläger beantragt,

20

1. das Urteil des ArbG Hildesheim vom 17. Juni 2009 - 2 Ca 144/08 B - teilweise abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 2.068,20 € (2.201,20 - 133) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 23. September 2008 zu zahlen,

21

2. die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.

22

Die Beklagte beantragt,

23

1. die Berufung des Klägers zurückzuweisen,

24

2. das Urteil des ArbG Hildesheim vom 17.06.2009 - 2 Ca 144/08 B - insoweit abzuändern, als die Beklagte verurteilt worden ist, an den Kläger 133,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 23.09.2008 zu zahlen und die Klage auch insoweit abzuweisen.

25

Die Beklagte meint, das Arbeitsgericht habe unzutreffend angenommen, dass die Neuregelung des § 851 c ZPO nur auf Gehaltsumwandlungen Anwendung finde, die vor Zustellung eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses vereinbart worden seien.

26

Wegen der weiteren Einzelheiten des beiderseitigen Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

27

I. Die Berufung des Klägers ist zulässig. Der Schriftsatz des Klägers vom 21.07.2009 erfüllt die Anforderungen, die das Gesetz in § 519 ZPO an eine Berufungsschrift stellt. In diesem Fall kommt nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes die Deutung, dass der Schriftsatz nicht als unbedingte Berufung bestimmt war, nur dann in Betracht, wenn sich dies aus den Begleitumständen mit einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Deutlichkeit ergibt (BGH, 2. Oktober 1985 - IV b ZB 62/85 - VersR 1986, 40, 41[BGH 02.10.1985 - IVb ZB 62/85]; 16. Dezember 1987 - IV b ZB 161/87 - NJW 1988, 2046, 2047; 10. Januar 1990 - XII ZB 134/89 - FamRZ 1990, 995; 31. Mai 1995 - VIII ZR 267/94 - NJW 1995, 2563, 2564; 22. Januar 2002 - VI ZB 51/01 - VersR 2002, 1256; 7. November 2006 - VI ZB 70/05 - VersR 2007, 662). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben.

28

Ob eine Berufung eingelegt ist, ist im Wege der Auslegung der Berufungsschrift und der sonst vorliegenden Unterlagen zu entscheiden. Dabei sind - wie auch sonst bei der Auslegung von Prozesserklärungen - alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls zu berücksichtigen. Die Auslegung von Prozesserklärungen hat den Willen des Erklärenden zu beachten, wie er den äußerlich in Erscheinung getretenen Umständenüblicherweise zu entnehmen ist (BGH 15. Dezember 1998 - VI ZR 316/97 - VersR 1999,900, 901[BGH 15.12.1998 - VI ZR 316/97]). Bei Beachtung dieser Grundsätze hat der Kläger wirksam Berufung eingelegt.

29

Der Inhalt des Schriftsatzes vom 21.07.2009 spricht nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit dafür, dass der Kläger zunächst lediglich einen Prozesskostenhilfeantrag stellen und noch keine Berufung einlegen wollte. Für eine unbedingte Berufungseinlegung sprechen hier schon die Verwendung des Begriffs "Berufung" in der Überschrift und die Bezeichnung der Parteien als "Berufungskläger" und "Berufungsbeklagte" im Rubrum.

30

Mit Rücksicht auf die schwerwiegenden Folgen einer bedingten und damit unzulässigen Berufungseinlegung ist für die Annahme einer derartigen Bedingung eine ausdrückliche zweifelsfreie Erklärung erforderlich, die beispielsweise darin gesehen werden kann, dass der Schriftsatz als "Entwurf einer Berufungsschrift" bezeichnet wird, oder von der "beabsichtigten Berufung" die Rede ist oder angekündigt wird, dass nach Gewährung der Prozesskostenhilfe Berufung eingelegt werde (BGH, Urteil vom 31. Mai 1995 - VIII ZR 267/94 - aaO.; Beschluss vom 19. Mai 2004 - XII ZB 25/04 - FamRZ 2004, 1553, 1554). Daran fehlt es hier.

31

II. Die Berufung des Klägers ist begründet. Der Kläger kann von der Beklagten die Zahlung weiterer 2.068,20 € (2.201,20 - 133,00) verlangen.

32

1. Der Kläger ist nach §§ 829, 832, 835, 836 ZPO i. V. m. § 836 ZPO berechtigt, den pfändbaren Teil des Arbeitsentgelts des Schuldners gegen die Beklagte in Höhe von 2.201,20€ einzuziehen. In Höhe dieses Betrages ist das Arbeitseinkommen des Schuldners wirksam gepfändet und dem Kläger zur Einziehungüberwiesen worden. Dies bewirkt, dass die Beklagte in Höhe des gepfändeten Betrages keine Zahlung an den Schuldner leisten darf (§ 829 Abs. 1 ZPO) und der Kläger von der Beklagten anstelle des Schuldners Zahlung verlangen kann (§ 835 Abs. 1 ZPO).

33

a. Gemäß § 850 Abs. 1 ZPO kann Arbeitseinkommen, das in Geld zahlbar ist, nach Maßgabe der §§ 850 a bis 850 i ZPO gepfändet werden. Entgegen der Auffassung der Beklagten führt§ 851 c ZPO nicht zu einer höheren Pfändungsfreigrenze des Arbeitseinkommens des Schuldners. Der Pfändungsschutz des § 851 c ZPO gilt nicht für laufende Rentenbeiträge, die der Schuldner, wenn er sie leisten will, aus seinem Einkommen zu leisten hat (Musielak, 7. Aufl. § 851 c ZPO Rn. 4). Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach der Schuldner "unter Berücksichtigung ... der Höhe der Pfändungsfreigrenze" ansammeln kann, aber auch aus dem gesetzgeberischen Zweck (LG Bonn, 03.04.2009 - 6 T 101/08 - ZVI 2009, 214).

34

Aus der Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucksache 16/886, Seiten 7 - 8) ergibt sich, dass der Gesetzgeber mit der Vorschrift des § 851 c ZPO bezweckte, vor allem Selbstständigen, deren Altervorsorge-Versicherungen bis dahin regelmäßig der Pfändung unterworfen waren, existenzsichernde (Alters-) Einkünfte zu erhalten; ihnen sollte zumindest so viel belassen werden, wie zur Absicherung des Existenzminimums benötigt wird. Damit sollte eine Gleichstellung mit den Empfängern öffentlich-rechtlicher Rentenleistungen, deren Renten wie Arbeitseinkommen schon damals dem Pfändungszugriff entzogen waren, gewährleistet werden. Darüber hinaus sollte die Einführung eines Pfändungsschutzes einen Anreiz für die private Altersvorsorge schaffen, da diese nicht nur für die Alterssicherung von Selbständigen von existenzieller Bedeutung ist, sondern als "dritte Säule" der Altersvorsorge für Bezieher von gesetzlichen Renten zukünftig immer wichtiger wird. Es sollen deshalb nicht nur die im Versicherungsfalle fälligen Renten dem Pfändungsschutz unterliegen, sondern auch das angesparte Vorsorgekapital. Der Schutz des angesammelten Vorsorgekapitals ist progressiv ausgestaltet; je älter der Versicherungsnehmer ist, desto höher sind die Beiträge, die im Rahmen der Altersvorsorge von Pfändung geschützt sind. Hierdurch wird zum einen der steigenden Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Alter Rechnung getragen, zum anderen soll bei wirtschaftlichem Scheitern in jungen Jahren die Möglichkeit gegeben sein, im Alter mit höheren Einmalzahlungen noch eine ausreichende Altersversorgung aufzubauen. Progression und Höchstbetrag von 238.000 Euro sind so bemessen, dass hieraus eine Rente in Höhe der Pfändungsfreigrenze erzielt werden kann.

35

Schließlich spricht auch die rechtssystematische Umsetzung des Pfändungsschutzes der Altersvorsorge für einen lediglich zweifachen Pfändungsschutz. Hätte der Gesetzgeber tatsächlich eine Erweiterung der Pfändungsfreigrenzen angestrebt, wäre rechtstechnisch und gesetzessystematisch eine entsprechende Regelung nicht in § 851 c ZPO selbst zu verankern gewesen, sondern - wie für die gesetzlichen Rentenversicherung geschehen - in der Vorschrift des § 850 e ZPO. Dort wäre dann richtigerweise zu regeln gewesen, dass die Beträge für Vorsorgeversicherungen nicht zum pfändbaren Einkommen zählen. Eine derartige Ergänzung des § 850 e ZPO wurde aber gerade nicht vorgenommen. Somit spricht auch die Gesetzessystematik gegen eine Einbeziehung des Ansparvorgangs in den Pfändungsschutz (Tavakoli, NJW 2008, 3259).

36

b. Ohne Erfolg rügt die Beklagte, das Arbeitsgericht habe nicht erkannt, dass auf Grund der Erklärung des Schuldners zur Bruttoentgeltumwandlung vom 26.06.2007 monatlich 600,00 € sowie die im November fällige Sonderzahlung in Höhe von 1.000,00 € nicht als pfändbares Arbeitseinkommen i. S. v. § 850 Abs. 2 ZPO zu behandeln gewesen seien.

37

a.a. § 850 Abs. 2 ZPO bestimmt, was Arbeitseinkommen im Sinne der Pfändungsschutzvorschriften ist. Dazu gehört insbesondere das laufende Arbeitsentgelt. Vereinbaren die Arbeitsvertragsparteien allerdings, dass der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer eine Direktversicherung abschließt und einen Teil der künftigen Entgeltansprüche des Arbeitnehmers durch Entgeltumwandlung für seine betriebliche Altersversorgung verwendet wird (§ 1 a Abs. 1 BetrAVG), liegt insoweit kein pfändbares Arbeitseinkommen mehr vor (BAG 17. Februar 1998 - 3 AZR 611/97 - AP § 850 ZPO Nr. 14; 30.07.2008 - 10 AZR 459/07 - AP § 287 InsO Nr. 1; FK-InsO/Ahrens 4. Aufl. § 287 Rn. 45, Boewer Handbuch Lohnpfändung Rn. 460; MünchKomm-InsO/Stephan § 287 Rn. 40, Zöller/Stöber ZPO 26. Auflage § 850 Rn. 86; Stöber Forderungspfändugn 14. Auflage Rn. 919). Bei einer solchen Vereinbarung entstehen in Höhe der Belastungen des Arbeitgebers, der zur Erfüllung seines Versorgungsversprechens einen Versicherungsvertrag schließt und als Schuldner dieses Vertrags die mit dem Versicherer vereinbarten Prämien zu zahlen hat, keine Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Arbeitseinkommen i. S. v. § 850 Abs. 2 ZPO mehr, die abgetreten oder der Pfändung unterliegen können (BAG, 17. Februar 1998 - 3 AZR 811/97 - aaO.).

38

b.b. Umstritten ist, ob auch für den Fall, dass die Entgeltumwandlung erst nach der Pfändung der Lohnforderung vereinbart wird, von der reduzierten Höhe des pfändbaren Arbeitseinkommens auszugehen ist. In der Entgeltumwandlungsvereinbarung könnte eine gemäß § 829 Abs. 3 ZPO untersagte Verfügung über das Arbeitseinkommen zu sehen sein. Wäre die Gehaltsumwandlung Verfügung, insbesondere Verzicht, setzte die Entgeltumwandlung die Verfügungsbefugnis des Arbeitnehmers voraus - was die Umwandlung abgetretener, gepfändeter und verpfändeter Entgeltansprüche, aber auch die Umwandlung unterhalb des Pfändungsfreibetrages ausschlösse. Gegen die Annahme, die Umwandlungsabrede vernichte die arbeitsvertraglichen Entgeltforderungen durch Erlassvertrag nach § 397 BGB, spricht, dass ein solcher Parteiwille regelmäßig fehlt. Insbesondere kann die Versorgungszusage nicht als "Gegenleistung" für den Anspruchsverzicht verstanden werden: Denn Entgeltumwandlung ist kein Austausch von "Leistungen". Vielmehr zielt die Vereinbarung auf eine wertgleiche Erfüllung der Leistungspflichten aus dem Arbeitvertrag. An die Stelle der Entgeltverpflichtung tritt eine Verschaffungspflicht des Arbeitgebers auf die Versorgungsleistung (Hanau, Arteaga, Rieble, Veit, Entgeltumwandlung A Rz. 99).

39

Die Umwandlungsvereinbarung ist richtigerweise als einheitlicher Schuldänderungsvertrag zu qualifizieren. Er gestaltet das Arbeitsverhältnis um: Der bisher auf Geld gerichtete Entgeltanspruch des Arbeitnehmers wird (teilweise) durch einen Anspruch auf Versorgungszusage ersetzt - indem die die Entgeltansprüche erzeugende Regelung abgeändert wird (BSG 14.07.2004 - B 12 KR 10/02 - BetrAV 2004, 679). Als Schuldänderungsvertrag setzt die Entgeltumwandlung keine Verfügungsbefugnis voraus. Dass die Entgeltumwandlung keine Verfügung ist, soll nach einer in der Literatur vertretenen Auffassung nicht bedeuten, dass die Umwandlung als solche frei von Schranken sei. Habe der Arbeitnehmer die Entgeltforderung im Voraus abgetreten, habe er sie verpfändet oder wurde sie gepfändet, verliere er die Verwertungszuständigkeitüber die Forderung. Das schließe insbesondere die Entgeltumwandlung aus, weil der Arbeitnehmer so einen ihm gar nicht zustehenden Vermögenswert umwandele (so Hanau, Arteaga, Rieble, Veit Entgeltumwandlung A Rz. 99; a. A. Boewer, Lohnpfändung 460). Nach anderer Auffassung soll bei einer zeitlich nach der Pfändung liegenden Entgeltumwandlung der Prüfung der Sittenwidrigkeit und der Absicht der Gläubigerbenachteiligung eine besondere Bedeutung zukommen (Höfer, BetrAVG Rn. 1001). Ein Sittenverstoß soll nach der Rechtsprechung des 3. Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG 17. Februar 1998 - 3 AZR 611/97 - aaO.) insbesondere dann anzunehmen sein, wenn ein Arbeitnehmer eine Entgeltumwandlungsvereinbarung allein zu dem Zweck abgeschlossen hat, sich seinen familienrechtlichen Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seinen minderjährigen Kindern zu entziehen. Die angezogene Entscheidung des 3. Senats bezieht sich zwar auf eine Prämie zu einer auf Entgeltumwandlung beruhenden Direktversicherung, die nicht in das pfändbare Arbeitseinkommen einzubeziehen sei. Entsprechendes muss aber auch hinsichtlich der Beträge gelten, die im Rahmen einer Entgeltumwandlung bei anderen Durchführungswegen geleitet werden.

40

Im Ansatz zutreffend weist die Beklagte darauf hin, dass der Vollstreckungszugriff eine Änderung des Arbeitsvertrags zur Gestaltung des Rechtsverhältnisses, aus dem sich das gepfändete Arbeitseinkommen bezieht, nicht ausschließt. Grundsätzlich kann in der Zwangsvollstreckung auch nur auf Arbeitseinkommen des Schuldners Zugriff genommen werden, dass dieser tatsächlich bezieht. § 850 h Abs. 1 ZPO ermöglicht davon abweichend unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen auch auf Einkommen Zugriff zu nehmen, das tatsächlich einem Dritten zufließt. Darüber hinaus gilt gemäß Abs. 2 dieser Vorschrift für Leistungen, die der Schuldner tatsächlich unentgeltlich oder gegen eine unverhältnismäßig geringe Vergütung erbringt, im Verhältnis zum Gläubiger eine angemessene Vergütung als geschuldet. § 850 h ZPO dient damit dem Gläubigerschutz; es soll verhindert werden, dass durch unlautere Manipulationen Schuldnereinkommen dem Gläubigerzugriff entzogen wird. Eine solche Manipulation kann nach der Rechtsprechung auch gegeben sein, wenn der Schuldner durch Wahl einer für ihn ungünstigen Steuerklasse ohne sachlichen Grund sein zur Auszahlung kommendes und der Pfändung unterliegendes Nettoarbeitseinkommen verkürzt (BGH 04.10.2005 - VII ZB 26/05 - ZInsO 2005, 1212). In entsprechender Anwendung des § 850 h ZO sei der Schuldner bei der Berechnung des pfändungsfreien Betrags schon im Jahr der Pfändung so zu behandeln, als sei sein Arbeitseinkommen gemäß günstigerer Steuerklasse IV zu versteuern.

41

Der Rechtsgedanke des § 850 h ZPO ist auch vorliegend anzuwenden. Der Gesichtspunkt der Benachteiligung des Gläubigers - des Klägers - drängt sich auf. Der Schuldner hat die Steuerklasse V gewählt. Schon damit liegt die Vermutung nahe, dass Einkommensbeträge der Pfändung entzogen und Gläubiger benachteiligt werden sollten. Die Erklärung zur Entgeltumwandlung hat der Kläger abgegeben, nachdem das Amtsgericht A. durch Beschluss vom 14.12.2006 gemäß § 850 a Abs. 4 ZPO bestimmt hat, dass die unterhaltsberechtigte Ehefrau und das unterhaltsberechtigte Kind des Schuldners bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Einkommens unberücksichtigt bleiben und sich damit ein höherer pfändbarer Betrag ergab. Die Höhe der Entgeltumwandlung stand in einem auffälligen Missverhältnis zur Höhe des Arbeitseinkommens. Sie überstieg deutlich den Betrag in Höhe von 4 % der RV-Beitragsbemessungsgrenze (2007: 2.520,00 €), der steuer- und sozialversicherungsfrei umgewandelt werden konnte. Selbst unter Berücksichtigung der steuerfrei möglichen Umwandlung weiterer 1.800,00 € ergab sich mit 8.200,00 € jährlich ein auffallend hoher Betrag.

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2. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Kläger trotz der von ihm bezogenen Leistungen nach dem SGB II aktiv legitimiert. Der Einwand, der von dem Gläubiger geltend gemachte Anspruch sei auf einen Dritten übergegangen, betrifft den durch den Titel festgestellten Anspruch selbst und kann deshalb von dem Schuldner nur im Wege der Klage beim zuständigen Prozessgericht nach § 767 ZPO geltend gemacht werden.

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III. Die zulässige Anschlussberufung ist nicht begründet. Das ergibt sich aus den obigen Ausführungen.

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IV. Der Zinsanspruch für die der Höhe nach unstreitige Hauptforderung folgt aus § 291 BGB i. V. m. § 288 Abs. 1 BGB. Der Kläger hat Zinsen in Höhe von "5 %" über dem Basiszinssatz geltend gemacht. Der gesetzliche Zinsfuß beträgt demgegenüber "fünf Prozentpunkte" über dem Basiszinssatz. Daraus folgt zwar regelmäßig ein erheblich höherer Betrag. Da aber nicht ersichtlich ist, dass der Kläger Zinsen nach einem anderen als dem gesetzlichen Zinssatz hätte verlangen wollen, ist der Klageantrag dahin zu verstehen, dass dieser Satz begehrt wird (BAG, 18.07.2006 - 1 AZR 578/05 - AP § 850 ZPO Nr. 15).

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Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 1 Nr. 2 ZPO.

Krönig
Starnitzke
Krawczyk