Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 04.10.2010, Az.: 8 Sa 357/10
Mangels eigenständiger Regelung aus § 26 Abs. 1 TV-L entsteht der Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch; Entstehung des Urlaubsgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 04.10.2010
- Aktenzeichen
- 8 Sa 357/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 36113
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2010:1004.8SA357.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Lüneburg - 11.02.2010 - AZ: 4 Ca 212/09
Rechtsgrundlagen
- § 26 Abs. 1 TV-L
- § 26 Abs. 2 TV-L
- § 7 Abs. 3 BUrlG
- § 7 Abs. 4 BUrlG
Amtlicher Leitsatz
1) § 26 Abs. 1 TV-L enthält keine eigenständige Regelung, so dass der Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch entsteht.
2) Der über den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch hinausgehende tarifliche Mehrurlaubsanspruch nach § 26 Abs. 1 TV-L ist daher trotz fortbestehender Arbeitsunfähigkeit und Übergang in die Altersrente abzugelten.
In dem Rechtsstreit
Beklagte und Berufungsklägerin,
gegen
Klägerin und Berufungsbeklagte,
hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 4. Oktober 2010 durch
die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Stöcke-Muhlack,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Reichelt,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Meyners
für Recht erkannt:
Tenor:
1) Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 11. Februar 2010 - 4 Ca 212/09 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2) Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten noch um die Abgeltung des tarifvertraglichen Mehrurlaubs für das Jahr 2008 bei bestehender Arbeitsunfähigkeit bis zum Eintritt in die Altersrente nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Die am 00.00.1948 geborene Klägerin war bei dem beklagten Land seit dem 4. Mai 1998 als Sachbearbeiterin tätig. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden die Vorschriften des BAT und seit dem 1. November 2006 des TVÜ-Länder sowie des TV-L Anwendung. Für das Kalenderjahr 2008 stand der Klägerin ein tariflicher Anspruch auf Erholungsurlaub nach § 26 Abs. 1 TV-L in Höhe von 30 Arbeitstagen sowie ein Anspruch auf Zusatzurlaub in Höhe von fünf Arbeitstagen nach § 125 Abs. 1 SGB IX zu. Seit dem 30. April 2008 ist die Klägerin durchgehend arbeitsunfähig krank. Seit dem 1. Oktober 2008 erhält sie Altersrente für schwerbehinderte Menschen (Anlage K1, Bl. 4 d. A.). Der Rentenbescheid vom 17. Dezember 2008 ging ihr im Dezember zu. Ihr Arbeitsverhältnis endete gemäß § 33 TV-L zum 31. Dezember 2008.
Bereits mit Schreiben vom 9. Oktober 2008 machte die Klägerin den Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs für das Jahr 2008 vorsorglich geltend. Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 5. November 2008 ab, mit dem sie gleichzeitig den wiederholten Antrag der Klägerin vom 13. Oktober 2009 zurückwies. Mit ihrer am 28. April 2009 beim Arbeitsgericht Lüneburg eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin den Anspruch auf Urlaubsabgeltung für das Jahr 2008.
Durch Teilvergleich in der Güteverhandlung hat das beklagte Land sich verpflichtet, den gesetzlichen Urlaubsanspruch von 25 Tagen abzugelten. Nachdem sich die Klägerin der Berechnungsweise des beklagten Landes zur Höhe des Urlaubsanspruchs angeschlossen und den darüber hinausgehenden Zahlungsanspruch zurückgenommen hat, begehrt sie mit der vorliegenden Klage noch die Abgeltung ihres übergesetzlichen Urlaubs mit 522,70 Euro brutto.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ihr stehe aufgrund der geänderten Urlaubsrechtsprechung trotz Arbeitsunfähigkeit nicht nur der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch zu, sondern Urlaubsabgeltung auch für die tarifvertraglich eingeräumten Urlaubstage.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 522,70 Euro brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Januar 2009 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts zur Urlaubsabgeltung nach Arbeitsunfähigkeit erfassten lediglich den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch von vier Wochen, nicht aber den über den gesetzlichen Urlaubsanspruch hinausgehenden vertraglichen Urlaubsanspruch. Das Bundesarbeitsgericht habe in dem entschiedenen Fall den vertraglichen Urlaubsanspruch als nicht von der Arbeitszeitrichtlinie erfasst und daher als erloschen angesehen. Die Parteien eines Einzelarbeitsvertrages könnten Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den Mindesturlaubsanspruch übersteigen, frei regeln. In dem entschiedenen Fall sei der vertragliche Mehrurlaub und seine Abgeltung aufgrund der eigenständigen Verfallvorschrift vom Gesetzesrecht abgekoppelt worden. Es sei davon auszugehen, dass das Bundesarbeitsgericht den TV-L ebenso auslegen würde, denn auch dieser enthalte eigenständige Regelungen zum Urlaub. Nach § 26 Abs. 2 TV-L gelte das Bundesurlaubsgesetz nur "im Übrigen" und "mit gewissen Maßgaben".
Durch Urteil vom 11. Februar 2010 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Anspruch beruhe auf § 26 TV-L i. V. m. § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG unter Berücksichtigung einer richtlinienkonformen Auslegung dieser Normen. Der Anspruch auf Abgeltung erlösche nicht, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig sei, da die Regelung des § 26 TV-L keine eigenständige Verfallsregel enthalte. Eine Differenzierung zwischen gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaub sei der Regelung nicht zu entnehmen. Vielmehr machten die Tarifvertragsparteien mit § 26 Abs. 2 TV-L deutlich, dass das BUrlG im Übrigen gelten solle. Diesem Verweis sei zu entnehmen, dass dann auch dessen Auslegung zu gelten habe.
Gegen dieses ihm am 8. März 2010 zugestellte Urteil hat das beklagte Land am 16. März 2010 Berufung eingelegt, die es innerhalb der verlängerten Frist am 14. Juni 2010 begründet hat.
Das Land ist weiter der Auffassung, § 26 TV-L enthalte eine eigenständige konstitutive Regelung, die den Tarifurlaub vomBundesurlaubsgesetz abkoppele, weil nach seinem Absatz 2 das Bundesurlaubsgesetz nur "im Übrigen" und mit gewissen "Maßgaben" gelte. Es müsse Berücksichtigung finden, dass die Arbeitsvertrags- und Tarifvertragsparteien vor der Entscheidung des EuGH in der Sache "Schulz-Hoff" davon ausgegangen seien, dass für tarifvertraglich eingeräumten Mehrurlaub die damaligen höchstrichterlichen Grundsätze zum Erlöschen von Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüchen Anwendung finden. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte sei deshalb der (damals) übereinstimmende Parteiwille in Altverträgen dahin gegangen, dass sich übergesetzliche Urlaubsansprüche und ihre Abgeltung nach den bisherigen Grundsätzen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts richteten. Nach dem Urteil des 9. Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 23. März 2010 (9 AZR 128/09) genüge - im Sinne einer gebotenen Differenzierung zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Urlaubs- oder Abgeltungsansprüchen - der Umstand, dass sich die Tarifvertragsparteien vom gesetzlichen Urlaubsregime gelöst und stattdessen eigene Regeln aufgestellt haben. Dass die Tarifvertragsparteien des TV-L ein weitgehend vom Gesetzesrecht gelöstes Urlaubsregime geschaffen haben, könne nicht zweifelhaft sein. Das habe das Bundesarbeitsgericht in der voranstehend zitierten Entscheidung für § 47 MTAng-BfA geprüft und bestätigt. In Bezug auf § 26 TV-L könne insoweit nichts anderes gelten. Das beklagte Land sei weiterhin der Auffassung, dass Vertrauensschutz aufgrund der geänderten Rechtsprechung in Anspruch genommen werden könne. Die anderweitige Rechtsauffassung des Bundesarbeitsgerichts sei nur tragfähig in Bezug auf den gesetzlichen Urlaubsanspruch. Denn nur soweit der grundsätzliche Durchsetzungsanspruch des Unionsrechts in Betracht komme, könne der nationale Vertrauensschutz in Frage stehen.
Das beklagte Land beantragt,
das angefochtene Urteil vom 11. Februar 2010 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 12. Juli 2010, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 89 bis 91 d. A.).
Wegen des Vorbringens der Parteien zur Sach- und Rechtslage wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
I. Die gem. §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 u. 2 ArbGG statthafte Berufung des beklagten Landes ist von ihm frist- und formgerecht eingelegt und begründet worden (§ 66 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1 u. 3 ZPO) und damit insgesamt zulässig.
II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
1. Das Arbeitsgericht hat zu Recht und mit durchweg zutreffender Begründung den über den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch hinausgehenden tarifvertraglichen Mehrurlaubsanspruch für das Jahr 2008 trotz fortbestehender Arbeitsunfähigkeit und Übergang in die Altersrente zugesprochen, weil § 26 Abs. 1 TV-L keine eigenständige Regelung enthält und der Anspruch auf Urlaubsabgeltung mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses nur als reiner Geldanspruch entsteht. Das Berufungsgericht macht sich die Gründe des angefochtenen Urteils zu eigen und schließt sich ihnen nach eigener Prüfung ausdrücklich an (§ 69 Abs. 2 ArbGG).
2. Auch das Berufungsvorbringen ist nicht geeignet, zu einem anderen Ergebnis zu führen.
a. Die Klägerin hat gegen das beklagte Land einen Anspruch auf Abgeltung des übergesetzlichen Tarifurlaubs für das Jahr 2008 in dem Umfang des zuletzt anhängigen Klagverfahrens. Der Anspruch auf Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs ist entstanden und nicht verfallen, auch wenn er bis zum 31. Mai bzw. 30. September 2009 nicht erfüllbar war, sondern besteht fort, weil er mittelbar an der richtlinienkonformen Fortbildung von § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG teilnimmt. Das ergibt die Auslegung von § 26 TV-L. Die Tarifvertragsparteien haben dort kein weitgehend vom Gesetzesrecht gelöstes Urlaubsregime geschaffen. Der TV-L lässt keine deutlichen Anhaltspunkte für eine Trennung zwischen gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaubsanspruch erkennen. Dass die Tarifvertragsparteien an die Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs andere Voraussetzungen knüpfen wollten als an die Abgeltung des gesetzlichen Urlaubs, also den Urlaubsabgeltungsanspruch aufteilen und die Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs von der Voraussetzung eines erfüllbaren Urlaubsanspruchs abhängig machen wollten, ist nicht ersichtlich. Vielmehr machen die Tarifvertragsparteien mit § 26 Abs. 2 TV-L deutlich, dass das Bundesurlaubsgesetz "im Übrigen" gelten soll.
Enthält der Tarifvertrag keine eigenständige Verfallsregelung, differenziert er nicht ausreichend zwischen gesetzlichem und tariflichem Urlaubsanspruch und soll "im Übrigen" das Bundesurlaubsgesetz gelten, ist dem Verweis zu entnehmen, dass dann auch die gesetzliche Auslegung zu gelten hat. Darüber hinaus ist jedenfalls für tarifliche Regelungen im Bereich des öffentlichen Dienstes im Regelfall als mutmaßlicher Wille des Tarifgebers anzunehmen, den Mehrurlaub den anerkannten Grundsätzen des allgemeinen Urlaubsrechts zu unterstellen (BAG vom 3. Februar 1971 - 5 AZR 282/70 - BAGE 23,184 = AP Nr. 9 zu § 7 BUrlG Abgeltung). Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses bestanden damit erfüllbare tarifvertragliche Mehrurlaubsansprüche, die abzugelten sind.
b. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können die Tarifvertragsparteien zwar Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln (vgl. zu vertraglichen und tarifvertraglichen Mehrurlaubsansprüchen BAG vom 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - AP BUrlG § 7 Nr. 39 = EzA BUrlG § 7 Abgeltung Nr. 15; vom 23. März 2010 -9 AZR 128/09, NZA 2010, 810 = SAE 2010, 203; vom 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - DB 2010, 1945 = NZA 2010, 1011; ebenso Bauer/Arnold Anm. AP BUrlG § 7 Nr. 39 zu 3; Krieger/Arnold NZA 2009, 530; Schlachter RdA 2009 Sonderbeilage Heft 5, 31, 35; Subatzus DB 2009, 510). Die Regelungsmacht der Tarifpartner ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche gegenüber öffentlichen Arbeitgebern eintretende unmittelbare Wirkung von Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie oder dem Privatrechtsverkehr erforderliche richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 u. 4 BUrlG beschränkt. Einem tariflich angeordneten Verfall des übergesetzlichen Urlaubsanspruchs und seiner Abgeltung steht nach dem klaren Richtlinienrecht und der gesicherten Rechtsprechung des EuGH kein Unionsrecht entgegen (BAG vom 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - aaO.). Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG ist dahin auszulegen, dass diese Regelung tarifliche Ansprüche auf Abgeltung des Mehrurlaubs offenkundig nicht erfasst. Jedenfalls ist der bestehenden Rechtsprechung des EuGH zu entnehmen, dass das Unionsrecht einem tariflich angeordneten Verfall des Urlaubs- oder Abgeltungsanspruchs, der den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigt, nicht entgegensteht (vgl. BAG vom 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - aaO.).
Das Bundesarbeitsgericht hält auch für tarifliche Ansprüche auf Abgeltung von Mehrurlaub an seinen Auslegungsüberlegungen zum Verfall tariflicher Mehrurlaubsansprüche fest (BAG vom 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - aaO.). Der "Gleichlauf" der Ansprüche ist die Regel, ihr unterschiedliches rechtliches Schicksal die Ausnahme (vgl. BAG vom 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - aaO.). Für einen Regelungswillen, der zwischen Ansprüchen auf Abgeltung von Mindest- und Mehrurlaub unterscheidet, müssen auch bei Tarifverträgen, die vor der Entscheidung des EuGH in der Sache "Schulz-Hoff" (20. Januar 2009 - C-350/06 und C-520/06 - AP Richtlinie 2003/88/EG Nr. 1 = EzA EG Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 1) beschlossen wurden, deutliche Anhaltspunkte bestehen. Diese deutlichen Anhaltspunkte müssen sich aus Tarifwortlaut, -zusammenhang und -zweck sowie ggf. aus der Tarifgeschichte ergeben.
c. § 26 TV-L ist deshalb anhand des innerstaatlichen Rechts auszulegen und zu prüfen, ob nach Tarifwortlaut, -zusammenhang, -zweck und -geschichte die Voraussetzungen einer Abweichung vom Gesetzesrecht zu finden sind.
aa. § 26 TV-L (Erholungsurlaub) lautet:
(1) Beschäftigte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21). Bei Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr
bis zum vollendeten 30. Lebensjahr | 26 Arbeitstage, |
---|---|
bis zum vollendeten 40. Lebensjahr | 29 Arbeitstage und |
nach dem vollendeten 40. Lebensjahr | 30 Arbeitstage. |
Arbeitstage sind alle Kalendertage, an denen die Beschäftigten dienstplanmäßig oder betriebsüblich zu arbeiten haben oder zu arbeiten hätten, mit Ausnahme der auf Arbeitstage fallenden gesetzlichen Feiertage, für die kein Freizeitausgleich gewährt wird. Maßgebend für die Berechnung der Urlaubsdauer ist das Lebensjahr, das im Laufe des Kalenderjahres vollendet wird. Bei einer anderen Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit als auf fünf Tage in der Woche erhöht oder vermindert sich der Urlaubsanspruch entsprechend. Verbleibt bei der Berechnung des Urlaubs ein Bruchteil, der mindestens einen halben Urlaubstag ergibt, wird er auf einen vollen Urlaubstag aufgerundet; Bruchteile von weniger als einem halben Urlaubstag bleiben unberücksichtigt. Der Erholungsurlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt werden; er kann auch in Teilen genommen werden.
Protokollerklärung zu § 26 Absatz 1 Satz 7:
Der Urlaub soll grundsätzlich zusammenhängend gewährt werden; dabei soll ein Urlaubsteil von zwei Wochen Dauer angestrebt werden.
(2) Im Übrigen gilt das Bundesurlaubsgesetz mit folgenden Maßgaben:
a) Im Falle der Übertragung muss der Erholungsurlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres angetreten werden. Kann der Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März angetreten werden, ist er bis zum 31. Mai anzutreten.
b) Beginnt oder endet das Arbeitsverhältnis im Laufe eines Jahres, steht als Erholungsurlaub für jeden vollen Monat des Arbeitsverhältnisses ein Zwölftel des Urlaubsanspruchs nach Absatz 1 zu; § 5 Bundesurlaubsgesetz bleibt unberührt.
c) Ruht das Arbeitsverhältnis, so vermindert sich die Dauer des Erholungsurlaubs einschließlich eines etwaigen tariflichen Zusatzurlaubs für jeden vollen Kalendermonat um ein Zwölftel.
d) Das Entgelt nach Absatz 1 Satz 1 wird zu dem in § 24 genannten Zeitpunkt gezahlt.
bb. Die Auslegung ergibt, dass der Anspruch der Klägerin auf Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs für das Jahr 2008 entstanden und nicht verfallen ist. § 26 TV-L ist kein Regelungswille zu entnehmen, zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen vertraglichen Ansprüchen unterscheiden zu wollen. Deutliche Anhaltspunkte, die dafür sprechen, die Verfallsregelung der tariflichen Urlaubsansprüche und ihre Abgeltung anders zu regeln als die gesetzlichen, fehlen. Es fehlt schon an deutlichen Anhaltspunkten für einen Regelungswillen, der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen vertraglichen Ansprüchen unterscheidet. Fehlt eine solche tarifliche Regelung, ist auch der den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigende Mehrurlaub entsprechend den Regelungen des Bundesurlaubsgesetzes zu behandeln (vgl. BAG vom 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - AP Nr. 39 zu § 7 BUrlG = EzA-SD 2009, 9).
cc. Schon der Wortlaut spricht nicht für eine Unterscheidung zwischen gesetzlichem und tariflichem Urlaubsanspruch. § 26 Abs. 1 TV-L statuiert einen Gesamturlaubsanspruch des Beschäftigten, ohne zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und darüber hinausgehendem tariflichen Urlaub zu differenzieren. Der Tarifvertrag nennt nur jeweils eine Gesamtzahl an Urlaubstagen, gestaffelt nach Alter. Aussagen zu einem Verfall des Urlaubsanspruchs werden nicht getroffen. § 26 TV-L übernimmt vielfach die gesetzliche Regelung des BUrlG mit geringfügigen Änderungen, wie etwa die Berechnung nach Arbeitstagen, die Definition, was als Arbeitstag zu verstehen ist, oder die Bestimmung des Zeitpunkts, der für die Anzahl des jährlichen Urlaubsanspruchs durch Erreichen einer Altersgrenze entscheidend ist. All dies dient der leichteren Errechnung des Gesamturlaubsanspruchs.
dd. Auch § 26 Abs. 2 TV-L trennt nicht zwischen gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaubsanspruch. Im Gegenteil nimmt § 26 Abs. 2 TV-L "im Übrigen" auf das Bundesurlaubsgesetz Bezug und weicht nur in den Unterabsätzen a) - d) mit den dort genannten Maßgaben ab. Die Abweichungen lassen eine Differenzierung zwischen gesetzlichem und übergesetzlichem Urlaub nicht erkennen. Unterabsatz a) regelt die Verlängerung des Übertragungszeitraumes für den gesamten Urlaubsanspruch, Unterabsatz b) den Teilurlaub bei unterjährigem Beschäftigungsbeginn oder -ende, Unterabsatz c) die Rechtsfolgen bei einem Ruhen des Arbeitsverhältnisses und Unterabsatz d) die Fälligkeit des Urlaubsentgeltes. Auch wenn Satz 2 des § 26 Abs. 2 a) TV-L eine ausdrückliche Regelung für den Arbeitnehmer enthält, der seinen Erholungsurlaub wegen Arbeitsunfähigkeit oder aus betrieblichen/dienstlichen Gründen nicht bis zum 31. März antreten kann, ergibt sich hieraus nichts anderes. Sinn und Zweck der Regelung ist lediglich die Verlängerung des Übertragungszeitraums, unabhängig davon, ob es sich um den gesetzlichen oder den tariflichen Urlaub handelt. Zudem wird gleichermaßen der Arbeitnehmer angesprochen, der arbeitsunfähig ist wie derjenige, der sich auf betriebliche Gründe berufen will. Auch hier unterscheidet der Tarifvertrag nicht.
ee. Soweit im Unterabsatz c) von tariflichem "Zusatzurlaub" gesprochen wird, ist hiermit der Zusatzurlaub gem. § 27 TV-L, nicht der über den gesetzlichen Urlaub hinausgehende Erholungsurlaub aus § 26 TV-L gemeint.
ff. Darüber hinaus enthält der TV-L keine eigene Verfallsregelung etwa in der Hinsicht, dass "Urlaub, der nicht innerhalb der genannten Fristen angetreten ist, verfällt, soweit gesetzlich nichts anderes geregelt ist" (vgl. BAG vom 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - aaO.) oder "Urlaub, der nicht innerhalb der genannten Fristen angetreten ist, verfällt" (BAG vom 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - aaO.). Die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts zum Regel-Ausnahme-Verhältnis gilt auch für Tarifverträge (vgl. BAG vom 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - aaO.).
d. Ebenfalls lassen Sinn und Zweck der Norm auf kein anderes Ergebnis schließen. Sinn und Zweck der Norm des § 26 TV-L bestehen in Verbesserungen gegenüber dem gesetzlichen Anspruchs (wie die Erhöhung der Anzahl an Urlaubstagen, die Verlängerung der Übertragungszeiträume) unter Beibehaltung der Regelungen desBundesurlaubsgesetzes im Übrigen. Sinn und Zweck ist, die Berechnung des Urlaubs genauer, einfacher und besser zu gestalten.
e. Zur Tarifgeschichte ist Rechtserhebliches nicht vorgetragen. Aus ihr lässt sich daher kein anderes Ergebnis herleiten. Der Anspruch der Klägerin auf Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs für das Jahr 2008 ist somit entstanden, der Anspruch auf Abgeltung des Tarifmehrurlaubs nicht verfallen (§ 26 Abs. 1, 2 TV-L).
3. Ein Vertrauensschutz aufgrund der geänderten Rechtsprechung kommt nicht in Betracht. Ab dem Zeitpunkt des Bekanntwerdens des Vorabentscheidungsersuchens des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 2. August 2006 in der Sache A. (aaO.) ist ein Vertrauensschutz nicht mehr gerechtfertigt. Die Vorlage an den Europäischen Gerichtshof stellt eine Zäsur in der Rechtsentwicklung dar (vgl. BAG vom 24. März 2009 - aaO.).
4. Die Höhe des verbliebenen übergesetzlichen Urlaubsabgeltungsanspruchs wurde im Laufe des arbeitsgerichtlichen Verfahrens zwischen den Parteien unstreitig gestellt. Sie war auch im Berufungsverfahren nicht mehr streitig.
III. Das beklagte Land hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen (§ 97 ZPO).
IV. Die Revision war zuzulassen, denn es war über eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zu befinden.
Reichelt
Meyners