Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.07.2010, Az.: 3 Ta 284/10

Eine Klage auf Weiterbeschäftigung bei bloßem Abfindungsinteresse und einer Beschäftigungszeit von unter einem Jahr ist mutwillig im Hinblick auf die Beantragung von Prozesskostenhilfe

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
06.07.2010
Aktenzeichen
3 Ta 284/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 36109
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2010:0706.3TA284.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hannover - 11.05.2010 - AZ: 10 Ca 194/10

Fundstelle

  • EzA-SD 19/2010, 15

Redaktioneller Leitsatz

1. Prozesskostenhilfe kann gemäß § 114 Satz 1 ZPO nur dann bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint; eine Rechtsverfolgung ist mutwillig, wenn eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde oder wenn die Partei den von ihr verfolgten Zweck auf einem kostengünstigeren als auf dem von ihr eingeschlagenen Weg erreichen könnte.

2. Geht es dem Arbeitnehmer mit seinen Anträgen zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses und zur Weiterbeschäftigung erklärtermaßen nicht um eine Weiterbeschäftigung sondern darum, eine Abfindungszahlung zu erlangen, würde eine verständige Partei diesen Prozess nicht führen, wenn in Anbetracht der kurzen Beschäftigungsdauer von knapp acht Monaten und des relativ geringen Entgelts eine (bei Vergleichsverhandlungen) typischerweise zu erwartende Abfindung aller Voraussicht nach weniger als 600 Euro betragen würde und die Kosten des Rechtsstreits selbst bei einer Abfindung in Höhe eines vollen Monatsentgelts in Höhe von 1300 EUR (und damit mehr als dem Doppelten der "Regelabfindung") immer noch höher wären als die erzielte Abfindung; soweit nämlich aufgrund der Feststellungs- und Weiterbeschäftigungsanträgen eine Abfindungszahlung nur im Rahmen von Vergleichsverhandlungen erzielt werden kann, fallen zusätzliche Anwaltsgebühren an.

Tenor:

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Hannover vom 11.05.2010 - 10 Ca 194/10 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Gebühr: 40,00 Euro.

Gründe

1

I. Mit der sofortigen Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Zurückweisung seines Prozesskostenhilfeantrages.

2

Der Kläger war seit dem 10.08.2009 im Betrieb der Beklagten als Spüler gegen ein Bruttomonatsentgelt in Höhe von 1.300,00 Euro beschäftigt. Mit Schreiben vom 31.03.2010 erklärte die Beklagte die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.04.2010. Hiergegen richtet sich die vom Kläger am 09.04.2010 erhobene Kündigungsschutzklage mit folgenden Anträgen:

3

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 31.03.2010 zum 30.04.2010 aufgelöst worden ist,

4

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht,

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3. im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. und 2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Spüler weiter zu beschäftigen.

6

Nach Zustellung der Klage am 21.04.2010 und Überreichung der Prozesskostenhilfebelege nach § 117 Abs. 2 ZPO am 23.4.2010 erklärte der Kläger am 26.04.2010 die Rücknahme der Klage und begründete dies wie folgt:

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"Die Beklagte hat angekündigt, die Kündigung zurückzunehmen, eine Abfindungszahlung war die Beklagte nicht bereit zu leisten. Der Kläger ist aber nicht mehr bereit, bei der Beklagten zu arbeiten."

8

Mit Beschluss vom 11.05.2010 hat das Arbeitsgericht den Prozesskostenhilfeantrag des Klägers zurückgewiesen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung sei mutwillig, weil es dem Kläger nicht um den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, sondern um eine Abfindung gegangen sei. Eine zu erwartende Abfindung sei jedoch in Anbetracht der kurzen Dauer des Arbeitsverhältnisses deutlich geringer als die mit dem Verfahren verbundenen Anwaltskosten. In diesem Fall hätte eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei keine Kündigungsschutzklage erhoben.

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Diesen am 15.05.2010 zugestellten Beschluss greift der Kläger mit seiner am 17.05.2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Beschwerde an. Der Kläger ist der Ansicht, allein das Klageziel einer Abfindung mache die Rechtsverfolgung nicht mutwillig. Auch eine nicht hilfsbedürftige Partei müsse Kündigungsschutzklage erheben, um insbesondere sozialversicherungsrechtliche Nachteile zu vermeiden. Im Übrigen sei darauf hinzuweisen, dass das Arbeitsverhältnis bis zum 30.09.2010 befristet gewesen sei. Bei Unwirksamkeit der Kündigung hätten also weitere fünf Gehälter gezahlt werden müssen. An diesem Betrag von 6.500,00 Euro hätte sich eine eventuelle Abfindung orientieren müssen.

10

II. Die zulässige sofortig Beschwerde des Klägers ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat den Prozesskostenhilfeantrag zu Recht zurückgewiesen.

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Eine Prozesskostenhilfebewilligung kann gemäß § 114 Satz 1 ZPO nur dann erfolgen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Eine Rechtsverfolgung ist dann mutwillig, wenn eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei ihre Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde oder wenn die Partei den von ihr verfolgten Zweck auf einem kostengünstigeren als auf dem von ihr eingeschlagenen Weg erreichen könnte (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.05.2003 - 2 WF 29/03 - FamRZ 2004, 550; Zöller, Philippi, § 114 ZPO Rn. 30 jew. m. w. N.) Ein arglistiges oder böswilliges Verhalten wird nicht vorausgesetzt (Bork in Stein/Jonas § 114 ZPO Rn. 27). Diese Anforderungen sind verfassungsgemäß. Denn die hilfsbedürftige Partei muss gem. Art. 3 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgrundsatz (Art. 20 Abs. 3 GG) nur einer solchen bemittelten Partei gleichgestellt werden, die ihre Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt (BVerfG, Beschl. v. 13.3.1990 - 2 BvR 94//88 - BVerfGE 81, 357 = NJW 91, 413; Beschluss v. 4.2.2004 - 1 BvR 596/03 - NJW 2004, 1789). Daher erfasst der Begriff der Mutwilligkeit auch die Fälle, in denen die Rechtsverfolgung erkennbar unwirtschaftlich ist.

12

Im vorliegenden Verfahren hat das Arbeitsgericht zu Recht festgestellt, dass eine nicht hilfsbedürftige Partei die vorliegende Klage nicht, jedenfalls nicht mit den hier gestellten Anträgen erhoben hätte. Dem Kläger ging es erklärtermaßen nicht um eine Weiterbeschäftigung, sondern darum, eine Abfindungszahlung zu erlangen. Einen solchen Versuch hätte eine verständige Partei, die die Verfahrenkosten von vornherein selbst hätte tragen müssen, nicht unternommen. Dies wäre nämlich erkennbar unwirtschaftlich gewesen. Zutreffend führt das Arbeitsgericht aus, dass im Falle eines Vergleichsabschlusses bei einem Gegenstandswert von 5.200,00 Euro Anwaltskosten in Höhe von mehr als 1.400,00 Euro zu erwarten gewesen wären. In Anbetracht der kurzen Beschäftigungsdauer von knapp acht Monaten und des relativ geringen Entgelts hätte (bei Vergleichsverhandlungen) eine typischerweise zu erwartende Abfindung aller Voraussicht nach weniger als 600,00 Euro betragen. Selbst bei einer Abfindung in Höhe eines vollen Monatsentgelts, also mehr als dem Doppelten der so genannten "Regelabfindung" wären die Kosten immer noch höher gewesen als die erzielte Abfindung. Einen derartigen Prozess mit einem solchen Kostensrisiko hätte eine verständige Partei von vornherein nicht geführt. Bei den vorliegenden Anträgen hätte nämlich eine Abfindungszahlung nur im Rahmen von Vergleichsverhandlungen erzielt werden können. Hierfür wären jedoch zusätzliche Anwaltsgebühren angefallen.

13

Der Kläger kann in diesem Zusammenhang auch nicht etwa mit Erfolg geltend machen, auf Grund der Befristung des Arbeitsverhältnisses sei es wirtschaftlich um weitere fünf Gehälter, nämlich für die Zeit bis zum Ablauf des Befristungszeitraumes am 30.9.2010, gegangen. Bei dieser Argumentation lässt der Kläger außer Betracht, dass der vorliegende schriftliche befristete Arbeitsvertrag in Übereinstimmung mit § 15 Abs. 3 TzBfG ausdrücklich die Möglichkeit einer Kündigung während des Befristungszeitraumes vorsieht. Der Kläger hätte also im Falle der streitigen Durchführung des Verfahrens nicht ohne weiteres davon ausgehen können, bis zum Ablauf der Befristung fortbeschäftigt und vergütet zu werden, erst recht nicht im Falle eines Vergleichsabschlusses. Die Befristungsvereinbarung hätte sich auf das Prozessrisiko der Beklagten nicht ausgewirkt und daher auf etwaige Verhandlungen über eine Abfindungszahlung und deren Höhe keinen Einfluss gehabt.

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Darüber hinaus korrespondieren die vom Kläger gestellten Anträge teilweise nicht mit dem eigentlichen Verfahrensziel. Der gestellte Weiterbeschäftigungsantrag entspricht ganz offensichtlich nicht dem, was der Kläger mit vorliegenden Verfahren bezweckt. Denn der Kläger erklärt selbst, er sei nicht mehr bereit, bei der Beklagten zu arbeiten. Zweckdienlich wäre im vorliegenden Fall allenfalls ein Auflösungsantrag gewesen, der dem Kläger möglicherweise zu seinem prozessualen Ziel, nämlich der Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung einer Abfindung hätte verhelfen können. Allerdings hätte es hierfür wohl an der erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussicht gefehlt, weil der Kläger keine Auflösungsgründe im Sinne von § 9 KSchG angeführt hat.

15

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

16

Gründe, gemäß § 78 ArbGG die Rechtsbeschwerde zuzulassen, liegen nicht vor. Gegen diesen Beschluss ist daher ein Rechtsmittel nicht gegeben.

Vogelsang