Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.11.2010, Az.: 8 Sa 869/10
Berechnung tariflicher Besitzstandszulage für Fleischbeschauer
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 01.11.2010
- Aktenzeichen
- 8 Sa 869/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 35663
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2010:1101.8SA869.10.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BAG - 28.06.2012 - AZ: 6 AZR 745/10
Rechtsgrundlagen
- § 25 TV Fleischuntersuchung
- § 12 Abs. 3 TV Ang aöS
Amtlicher Leitsatz
Die Auslegung von § 25 TV-Fleischuntersuchung ergibt nicht, dass gezahlte Zuschläge für besondere Fleischuntersuchungen im Sinne von § 12 Abs. 3 TV Ang aöS in die Berechnung einer Besitzstandszulage einzubeziehen sind. Auch die Protokollerklärung zu § 24 Abs. 4 TV-Fleischuntersuchung lässt diesen Schluss nicht zu.
In dem Rechtsstreit
Kläger und Berufungskläger,
gegen
Beklagter und Berufungsbeklagter,
hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 1. November 2010 durch
die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Stöcke-Muhlack,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Schwarz,
die ehrenamtliche Richterin Frau Pufal
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 27. April 2010 - 2 Ca 198/09 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Berücksichtigung von Zulagen für Zusatzuntersuchungen bei der Berechnung einer tariflichen Besitzstandszulage, die dem Kläger nach tariflicher Umstellung der Bezahlung nach Stückzahlen auf Stundenlohn gewährt wird.
Der Kläger ist Veterinärmediziner. Er ist bei dem Beklagten seit dem 1. Dezember 1982 als Tierarzt beschäftigt. Gemäß § 3 des Arbeitsvertrages vom 30. März 2001, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 11 bis 13 d. A.), finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien die tariflichen Bestimmungen über die Regelungen der Rechtsverhältnisse der amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure außerhalb öffentlicher Schlachthöfe (im Folgenden: TV Ang aöS) und die diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der jeweils geltenden Fassung Anwendung.
Gemäß §§ 2 und 5 seines Arbeitsvertrages vom 30. März 2001 wird der Kläger zur Untersuchung von Schlachttieren und Fleisch im neu gebildeten Schlachttier- und Fleischuntersuchungsbezirk A-Stadt und für Trichinenuntersuchungen im Beschauamt B-Stadt (Versandschlachterei C.) eingesetzt. Darüber hinaus vertritt er den Leiter des Beschauamtes und nimmt als sein Vertreter zusätzlich Rückstandsuntersuchungen, bakteriologische Fleischuntersuchungen und sonstige, weitergehende Untersuchungen vor. Hierbei handelt es sich um die sogenannte Ergänzungsbeschau gemäß § 12 Absatz 3 in Verbindung mit § 24 TV Ang aöS. Sämtliche Gehaltsbestandteile des Arbeitsentgeltes errechneten sich auf der Basis der tatsächlich untersuchten Schlachttiere. Des Weiteren ist der Kläger mit der Vertretung im Schlachttier- und Fleischuntersuchungsbezirk D-Stadt und E-Stadt betraut. Es erfolgte eine sogenannte Stückvergütung. Rückwirkend zum 15. September 2008 trat der Tarifvertrag zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Beschäftigten in der Fleischuntersuchung (im Folgenden: TV-Fleischuntersuchung) in Kraft. Er sieht eine Umstellung von Stück- auf Stundenvergütungen in Großbetrieben mit einer Schlachtzahl von über 20 Großvieheinheiten vor. Der neue Tarifvertrag verändert maßgeblich die Entlohnung des Personals in Großbetrieben. Während die bisherige Entlohnung zwischen Stückvergütung für bestimmte Arbeitsleistungen und Stundenvergütung für andere Leistungen differenzierte, erfolgt nach dem neuen Tarifrecht die Bezahlung auf Stundenlohnbasis. Die Umstellung auf Stundenvergütung ist mit Einkommenseinbußen verbunden, die nach den Berechnungen des Klägers für ihn monatlich 1800 Euro ausmachen. § 5 TV-Fleischuntersuchung sieht eine Besitzstandszulage vor, die bei zukünftigen Tariferhöhungen und abhängig von der Beschäftigungszeit in einem Zeitraum von vier bis acht Jahren abgeschmolzen wird. Da § 25 Absatz 2 TV-Fleischuntersuchung lediglich auf die gezahlte Summe der Stückvergütung nach § 12 Absatz 1 Unterabsatz 3 TV Ang aöS, § 12 Absatz 1 Unterabsatz 3 TV Ang aöS und 50 v. H. der Zuschläge nach § 2 TV Ang aöS, § 12 TV Ang-O aöS verweist, fließen die nach § 12 Absatz 3 TV Ang aöS in der Vergangenheit gezahlten Zuschläge für Rückstandsuntersuchungen, weitergehenden Untersuchungen und bakteriologischen Fleischuntersuchungen nicht in die von der Beklagten geleistete Besitzstandszulage ein.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, auch die in § 12 Absatz 3 TV Ang aöS geregelten Untersuchungen seien entgegen dem Wortlaut des Tarifvertrages zur Ermittlung der Besitzstandswahrung einzubeziehen. Er beruft sich auf die Protokollerklärung nach § 25 TV-Fleischuntersuchungen zu Satz 3, die lautet:
"Waren im Referenzzeitraum von der Anlage 2 des TV aöS, TV Ang-O aöS aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung abweichende Stückvergütungen vereinbart, sind diese maßgebend."
Dieser Protokollerklärung sei der Wille der Tarifvertragsparteien zu entnehmen, dass abweichende arbeitsvertragliche Regelungen im Hinblick auf die Berechnung der Besitzstandszulage wertend einbezogen werden müssten und es keine Schlechterstellung von Angestellten geben dürfe, wenn vom Tarifrecht abweichend individualvertragliche Vereinbarungen im Arbeitsverhältnis gelebt worden seien. Daraus folge, dass die individuellen Verhältnisse bei der Entlohnung des Klägers für die Berechnung der Besitzstandszulage heranzuziehen seien. Die Überleitungsvorschrift des § 25 TV-Fleischuntersuchung enthalte eine Regelungslücke, die darauf beruhe, dass regelmäßig der Leiter des Fleischhygieneamtes die Zusatzuntersuchungen ausführe. Dieser werde jedoch nach BAT entlohnt. Bei ihm stelle sich die Überleitungsproblematik von Stück- auf Stundenvergütung daher nicht. Wende man die vom Beklagten vertretene Rechtsauffassung an, führe dies zu dem Ergebnis, dass der Kläger in Zukunft allein deshalb schlechter gestellt werde, weil er in einem großen Umfang höherwertige Vertretungstätigkeiten übernommen habe, die an und für sich von ihm arbeitsvertraglich so nicht geschuldet worden seien.
Der Kläger hat beantragt,
es wird festgestellt, dass für die Berechnung der Besitzstandszulage (§ 25 TV-Fleischuntersuchung-Überleitung von Beschäftigten außerhalb öffentlicher Schlachthöfe aus der Stückvergütung in das Stundenentgelt) die dem Kläger im Jahre 2007 gezahlte Stückvergütung für Rückstandsuntersuchung, weitergehende Untersuchungen und bakteriologische Fleischuntersuchungen i. S. d. § 12 Absatz 3 TV Ang aöS mit einzubeziehen sind.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, die Tarifvertragsparteien hätten sehr genau festgelegt, wie die Überleitung der erworbenen Besitzstände zu erfolgen habe. Die genannten Arbeiten seien in den Überleitungskriterien des § 25 TV-Fleischuntersuchung nicht aufgenommen worden. Die Protokollerklärung greife nicht, denn der Kläger sei nicht abweichend vom Tarifrecht bezahlt worden. Eine individualvertragliche Vereinbarung habe nicht stattgefunden. Auf das Arbeitsverhältnis sei das geltende Tarifrecht angewandt worden.
Durch Urteil vom 27. April 2010 hat das Arbeitsgericht Lüneburg die Klage abgewiesen und seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass Stückvergütungen nach § 12 Absatz 3 TV Ang aöS bei der Berechnung der Besitzstandszulage nicht einzubeziehen seien. § 25 Absatz 2 Satz 1 TV-Fleischuntersuchung enthalte eine eindeutige, abschließende Regelung. Er nenne die Absätze 1 und 2 des § 12 TV Ang aöS ausdrücklich und schließe damit eindeutig die Berücksichtigung von Stückvergütungen nach seinem Absatz 3 aus. Daher könne auch nicht von einer Regelungslücke ausgegangen werden. Auch wenn man eine unbewusste Tariflücke unterstellte, könnte diese nicht von den Gerichten für Arbeitssachen geschlossen werden. Fehlten sichere Anhaltspunkte, kämen insbesondere mehrere Möglichkeiten zur Lückenschließung in Betracht, könne ein mutmaßlicher Wille der Tarifvertragsparteien nicht festgestellt werden. Eine Lückenschließung durch den Rechtsanwender sei in diesem Fall unzulässig. Auf die Protokollerklärung zu Satz 3, § 25 TV-Fleischuntersuchung könne der Kläger sich nicht berufen, denn es sei nicht ersichtlich, aus welchem Grund sich die Protokollerklärung auf § 25 Absatz 2 Satz 1 beziehen solle. Darüber hinaus hätten die Parteien keine abweichenden Stückvergütungen vereinbart, sondern nach Tarif gezahlt.
Gegen dieses ihm am 8. Mai 2010 zugestellte Urteil hat der Kläger am 8. Juni 2010 Berufung eingelegt, die er am 8. Juli 2010 begründet hat.
Er verbleibt bei seiner bereits in erster Instanz vorgetragenen Auffassung nach Maßgabe seiner Berufungsbegründung vom 8. Juli 2010, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird (Bl. 118 bis 122 d. A.).
Der Protokollerklärung zu § 25 Absatz 4 TV-Fleischuntersuchung sei der generelle Wille der Tarifvertragsparteien zu entnehmen, individuellen Parteivereinbarungen und Besonderheiten des individuellen Vertragsverhältnisses Vorrang zu gewähren. Intention sei gewesen, Härtefälle sowie Schlechterstellungen einzelner Arbeitnehmer bei der Umstellung von der Stückvergütung in das Stundenentgelt auszuschließen. Vorliegend seien mit den weitergehenden Untersuchungen Tätigkeiten ausgeübt worden, die dem nach BAT beschäftigten Leiter des Schlachthofes oblägen. Es handele sich mithin um Tätigkeiten, für die eine Überleitung in das Stundenentgelt nicht erforderlich sei, weil weder der neue noch der alte Tarifvertrag in diesem Zusammenhang gelten würde. Der Tarifvertrag enthalte auch keine planwidrige Regelungslücke. In § 25 Absatz 1 TV-Fleischuntersuchung sei festgelegt, dass die Besitzstandszulage für alle unter Geltung des TV aöS geleisteten Dienste gezahlt werde, die mittels Stückvergütung entlohnt worden seien. § 25 Absatz 1 Satz 3 TV-Fleischuntersuchung sehe ausdrücklich vor, dass eine Besitzstandszulage für bislang mit der Stundenvergütung abgegoltene Tätigkeit nicht gewährt werde. Berücksichtige man bei der Berechnung der Besitzstandszulage nicht sämtliche, nach Stückvergütung entlohnten Tätigkeiten, führe das zu einer Schlechterstellung des Klägers gegenüber anderen Mitarbeitern. Dies könne von den Tarifvertragsparteien nicht gewollt sein. Darüber hinaus müsse der Verweis in § 25 Absatz 2 TV-Fleischuntersuchung auf § 12 Absatz 1, Absatz 2 TV aöS gleichzeitig auch zur Berücksichtigung der nach § 12 Absatz 3 TV aöS gezahlten Zuschläge führen. § 12 Absatz 3 enthalte nämlich keine separate Vergütungsform, mithin keine gesonderte Stückvergütungsart. Vielmehr handele es sich um einen Zuschlag für die nach § 12 Absatz 1, Absatz 2 TV-Fleischuntersuchung zu zahlende Stückvergütung. Dies ergebe sich aus einem Umkehrschuss der Regelung des § 12 Absatz 4 TV-Fleischuntersuchung. Für die dort vorgesehenen Kürzungsmechanismen würde gleichbedeutend auf Stückvergütungen nach § 12 Absätze 1, 2a und 3 TV-Fleischuntersuchungen zurückgegriffen. Zudem verweise auch § 12 Absatz 2 TV aöS auf Absatz 3 der Norm. § 12 Absatz 3 TV aöS regele mithin nur, in welchen Fällen sich die gemäß § 12 Absätze 1 und Absatz 3 geschuldete Stückvergütung bei der Untersuchung einzelner Tiere erhöhe. Hätten die Tarifvertragsparteien eine abweichende Regelung treffen wollen, hätte es einer ausdrücklichen Regelung dergestalt bedurft, dass die Stückvergütungen gemäß § 12 Absatz 1, Absatz 2 TV aöS ohne jegliche Zuschläge und Erhöhungstatbestände in die Berechnung einfließen müssten.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Arbeitsgerichts Lüneburg vom 27. April 2010 - 2 Ca 198/09 - wird festgestellt, dass für die Berechnung der Besitzstandszulage (§ 25 TV-Fleischuntersuchung - Überleitung von Beschäftigten außerhalb öffentlicher Schlachthöfe aus der Stückvergütung in das Stundenentgelt) die dem Kläger im Jahr 2007 gezahlte Zuschlag für Rückstandsuntersuchungen, weitergehende Untersuchungen und bakteriologische Fleischuntersuchungen i. S. d. § 12 Absatz 3 Absatz 3 TV Ang aöS mit einzubeziehen sind.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 29. Juli 2010, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 125 bis 128 d. A.).
Zu den Ausführungen der Parteien zur Sach- und Rechtslage wird auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§§ 8 Absatz 2, 64 Absätze 1 und 2 ArbGG, §§ 519, 520 Absätze 1 und 3 ZPO in Verbindung mit § 66 Absätze 1 und 2 ArbGG).
II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Feststellung, dass für die Berechnung der Besitzstandszulage die dem Kläger im Jahre 2007 gezahlten Zuschläge für Rückstandsuntersuchungen, weitergehende Untersuchungen und bakteriologische Fleischuntersuchungen im Sinne des § 12 Absatz 3 TV Ang aöS einzubeziehen sind.
1. Die Feststellungsklage ist zulässig, denn es handelt sich um eine im öffentlichen Dienst übliche Feststellungsklage, gegen deren Zulässigkeit nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keine Bedenken bestehen (vgl. etwa BAG vom 24. Januar 2007 - 4 AZR 28/06 - n. v.; vom 17. Dezember 2009 - 6 AZR 665/08 - n. v. ZTR 2010, 190 = BB 2010, 51 [BAG 17.12.2009 - 6 AZR 665/08]). Darüber hinaus hat der Beklagte erklärt, sich auch einem Feststellungsurteil beugen zu wollen.
Es besteht auch ein besonderes Feststellungsinteresse. Das angestrebte Feststellungsurteil ist geeignet, den Konflikt der Parteien endgültig beizulegen und weitere Prozesse zwischen ihnen zu vermeiden. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann von dem Beklagten als öffentlichem Arbeitgeber erwartet werden, dass er einem gegen ihn ergehenden Feststellungsurteil nachkommen wird (vgl. für viele auch BAG vom 13. August 2000 - 6 AZR 330/08 - ZTR 2010, 87 bis 91 = AP Nr. 4 zu § 241 BGB).
2. Die Klage ist unbegründet. Die dem Kläger im Jahre 2007 gezahlten Zuschläge für besondere Fleischuntersuchungen sind bei der Berechnung der Besitzstandszulage nicht zu berücksichtigen. Das ergibt die Auslegung des Tarifvertrages TV-Fleischuntersuchung zu § 25. Etwas anderes folgt nicht aus der Protokollerklärung zu § 24 Absatz 4 TV-Fleischuntersuchung. Die Annahme einer Tariflücke steht dem Ergebnis nicht entgegen.
a) § 25 TV-Fleischuntersuchung kann nicht dahingehend ausgelegt werden, bei der Berechnung der Besitzstandszulage die dem Kläger im Jahre 2007 gezahlten Zuschläge zur Stückvergütung für Rückstandsuntersuchungen, weitergehende Untersuchungen und bakteriologische Fleischuntersuchungen nach § 12 Absatz 3 des TV Ang aöS mit einzubeziehen.
aa) Tarifverträge und Gesetze sind objektiv auszulegen. Auszugehen ist zunächst vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Darüber hinaus kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Der Zweck der Tarifvertragsnorm ist aus Wortlaut und Gesamtzusammenhang der Regelung zu erschließen und bestimmt sich nicht nach den subjektiven Vorstellungen einer Tarifpartei. Der tatsächliche Wille der Tarifparteien ist nur zu berücksichtigen, soweit er in der Vereinbarung seinen Niederschlag gefunden hat (vgl. für viele BAG vom 20. April 2010 - 1 AZR 988/08; vom 26. Mai 2009 - 1 AZR 198/08 - AP BetrVG 1972 § 112 Nr. 200 = EzA BetrVG 2001 § 112 Nr. 31).
bb) Die Auslegung nach diesen Grundsätzen ergibt, dass dem Kläger der geltend gemachte Anspruch nicht zusteht.
(1) Schon der Wortlaut des § 25 TV-Fleischuntersuchung steht dem vom Kläger gewünschten Ergebnis entgegen. § 25 TV-Fleischuntersuchung vom 15. September 2008 lautet, soweit vorliegend von Belang:
§ 25
Überleitung von Beschäftigten außerhalb öffentlicher Schlachthöfe aus der Stückvergütung in das Stundenentgelt
(1) 1Beschäftigte in Großbetrieben und Wildbearbeitungsbetrieben, die bis zum Inkrafttreten dieses Tarifvertrages eine Stückvergütung nach § 12 des Tarifvertrages über die Regelung der Rechtsverhältnisse der amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure außerhalb öffentlicher Schlachthöfe (TV Ang aöS) oder nach § 12 des Tarifvertrages über die Regelung der Rechtsverhältnisse der amtlichen Tierärzte und Fleischkontrolleure außerhalb öffentlicher Schlachthöfe (TV Ang-O aöS) bezogen haben, erhalten neben dem Entgelt nach § 7 Abs. 2 für ihre Tätigkeit je Stunde eine individuelle, nicht dynamisierte Besitzstandszulage, die ohne Unterscheidung der Tierart gezahlt wird. 2Die Besitzstandszulage ergibt sich aus der Differenz des nach den Absätzen 2 bis 4 ermittelten individuellen Stundenentgelts je Schlachtbetrieb und dem Entgelt nach § 7 Abs. 2. 3Eine Besitzstandszulage für bislang mit der Stundenvergütung abgegoltene Tätigkeit wird nicht gewährt.
(2) 1Die im Jahr 2007 (Referenzzeitraum) gezahlte Summe der Stückvergütungen nach § 12 Abs.1 Unterabs. 3 TV Ang aöS, § 12 Abs. 1 Unterabs. 3 TV Ang-O aöS und 50 v. H. der Zuschläge nach § 12 Abs. 2 TV Ang aöS, § 12 Abs. 2 TV Ang-O aöS wird durch die von der/dem Beschäftigten für die Erzielung der Stückvergütungen aufgewendete Arbeitszeit dividiert. 2Dieser Entgeltbetrag pro Stunde bildet 21 das individuelle Stundenentgelt. 3Die Arbeitszeit darf dabei nicht geringer sein als das Produkt aus den Stückzahlen und den Mindestuntersuchungszeiten je Tierart nach § 9 des 4. Abschnitts der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Durchführung der amtlichen Überwachung der Einhaltung von Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs und zum Verfahren zur Prüfung von Leitlinien für eine gute Verfahrenspraxis (AVV Lebensmittelhygiene - AVV LmH) vom 12. September 2007. 4Ist die/der Beschäftigte im Referenzzeitraum in mehreren Schlachtbetrieben eingesetzt gewesen, ist das individuelle Stundenentgelt für jeden Schlachtbetrieb gesondert zu ermitteln. 5Werden in einem Betrieb verschiedene Tierarten geschlachtet, so sind in die Berechnung alle Tierarten mit einzubeziehen.
(3) 1Ist die im Referenzzeitraum aufgewendete Arbeitszeit der/des Beschäftigten nicht erfasst, wird die vom Schlachtbetrieb zu übermittelnde Tagesschlachtzahl durch die tägliche Schlachtdauer, ggf. abzüglich havariebedingter Bandstillstandzeiten dividiert. 2Die so ermittelte Schlachtzahl pro Stunde ist durch die Anzahl der eingesetzten, mindestens durch die Anzahl der nach dem Dienstplan einzusetzenden Beschäftigten zu dividieren. 3Absatz 2 Satz 2 bis 5 gilt entsprechend.
(4) 1Sofern die nach Absatz 3 notwendigen Angaben nicht verfügbar sind, wird die Mindestuntersuchungszeit nach § 9 des 4. Abschnitts der AVV LmH zuzüglich 40 v. H. als Arbeitszeit pro Stück zugrunde gelegt. 2Die so ermittelten Zeiten gelten als geleistete Arbeitsstunden. 3Die Summe der Stückvergütungen für das Jahr 2007 (Referenzzeitraum) ist unter Anwendung der Anlage 2 des TV Ang aöS, TV Ang-O aöS in der im Referenzzeitraum anzuwendenden Fassung zu ermitteln und durch die Summe der Untersuchungszeit nach Satz 1 zu dividieren. 3Absatz 2 Satz 2 bis 5 gilt entsprechend.
§ 25 Absatz 1 legt fest, dass Beschäftigten in Großbetrieben und Wildbearbeitungsanlagen, die in der Vergangenheit eine Stückvergütung nach § 12 des Tarifvertrages Ang aöS erhalten haben, neben ihrem Entgelt eine individuelle, nicht dynamisierte Besitzstandszulage zu gewähren ist. Um die Besitzstandszulage zu ermitteln, wird in einem abgestuften System ein fiktives Stundenentgelt gebildet, je nach dem, welche Datengrundlage dem Arbeitgeber zur Verfügung steht. Hierbei ist die Regelung des § 25 Absatz 2 vorrangig. Liegen die in diesem Absatz vorausgesetzten Daten nicht vor, wird das Stundenentgelt nach § 25 Absatz 3 oder, wenn auch hierfür die erforderlichen Daten nicht vorliegen, nach § 25 Absatz 4 ermittelt.
Grundlage der Berechnung nach Absatz 2 sind die für den jeweiligen Beschäftigten festgehaltenen Arbeitsstunden im Referenzzeitraum (Kalenderjahr 2007). § 25 Absatz 2 TV-Fleischuntersuchung legt genau fest, welche im Referenzzeitraum gezahlten Beträge in die Besitzstandszulage einfließen sollen. Es sind die Stückvergütungen nach § 12 Absatz 1 Unterabsatz 3 TV Ang aöS und darüber hinaus 50 v. H. der Zuschläge nach § 12 Absatz 2 TV Ang aöS. Die Zuschläge nach Absatz 3 werden nicht genannt. Alle anderen Entgeltbestandteile, die den Arbeitnehmern nach dem TV Ang aöS zugestanden haben, sollen somit nach dem Wortlaut außer Betracht bleiben. Zweifel hieran ergeben sich aus dem Wortlaut nicht.
Das sieht der Kläger auch so, denn er schreibt in der Klagschrift (Seite 4 Mitte) selbst: "Dies bedeutet, dass die vom Kläger im Sinne des § 12 Absatz 3 TV Ang aöS durchgeführten und vom Arbeitgeber als Stückvergütung entlohnten Rückstandsuntersuchungen, weitergehenden Untersuchungen und bakteriologischen Fleischuntersuchungen nicht in die Berechnung der Besitzstandszulage einfließen, da § 25 Absatz 2 TV-Fleischuntersuchung lediglich auf die gezahlte Summe der Stückvergütung nach § 12 Absatz 1 Unterabsatz 3 TV Ang aöS und 50 v. H. der Zuschläge nach § 12 Absatz 2 TV Ang aöS verweist."
(2) Für die Annahme, die Tarifvertragsparteien hätten etwas anderes regeln wollen, enthält der Tarifvertrag keine Anhaltspunkte. Die Systematik des Tarifvertrages bestätigt vielmehr das nach dem Wortlaut gefundene Ergebnis. Ob eine Besitzstandszulage dem Arbeitnehmer zusteht, regelt Absatz 1. Da § 12 Absatz 5 TV Ang aöS auch die Stundenentgelte regelt, stellt § 25 Absatz 1 Satz 3 TV-Fleischuntersuchung klar, dass für eine bislang mit Stundenvergütung abgegoltene Tätigkeit keine Besitzstandszulage gewährt wird.
Wie die Höhe der Besitzstandszulage zu ermitteln ist, ergibt sich im Folgenden. § 25 Absatz 2 TV-Fleischuntersuchung legt fest, welche im Referenzzeitraum gezahlten Beträge in die Besitzstandszulage einfließen sollen. Ausdrücklich werden die Zahlungen genannt, die Berücksichtigung finden sollen einschließlich der Absätze, in denen sie geregelt sind. Die Zuschläge nach § 12 Absatz 3 TV Ang aöS sind nicht aufgeführt. Sie fehlen an dieser Stelle, obwohl sie systematisch hier genannt werden müssten, sollten sie in die Berechnung einfließen.
(3) Das sich aus Wortlaut und Systematik ergebende Normverständnis wird durch den objektiven Sinn und Zweck der Tarifvertragsnorm bestätigt. Zielsetzung der Neuregelung ist unter anderem die bisher außerhalb öffentlicher Schlachthöfe gezahlte Stückvergütung durch eine Stundenvergütung zu ersetzen. Die mit der Stückvergütung erzielten Einkünfte sind angesichts der zunehmenden Geschwindigkeit bei der Bandschlachtung auf Grund fortschreitender Automatisierung einer Veränderung unterworfen. Ungleichgewichte in der Bezahlung sollen ausgeglichen werden. Die Norm soll den Arbeitnehmern, die sich auf die Höhe ihrer Einkommen eingestellt haben, Bestandsschutz gewähren.
b) Die Protokollerklärung zu § 24 Absatz 4 TV-Fleischuntersuchung ergibt nichts anderes.
Der TV-Fleischuntersuchung ersetzt die Tarifverträge für die Angestellten in der Fleischuntersuchung innerhalb und außerhalb öffentlicher Schlachthöfe. Die Protokollerklärung bezieht sich nach ihrem Wortlaut auf vom Tarifvertrag abweichende individualvertragliche Vereinbarungen. Die Norm ist auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht anwendbar, denn der Beklagte hat den Kläger ausschließlich auf der Grundlage des bestehenden Tarifvertrages entlohnt. Vom Tarifvertrag abweichende individualvertragliche Vereinbarungen sind nicht erkennbar, werden auch nicht vorgetragen. Die Protokollerklärung ist daher nicht einschlägig. Sie lässt auch keine andere Auslegung zu.
c) Der Kläger kann sich nicht auf eine Regelungslücke berufen. Unterstellt, die Tarifvertragsnorm enthielte tatsächlich eine Lücke, wäre es dem Gericht nicht gestattet, diese auszufüllen und die Berücksichtigung von Zuschlägen entgegen dem Tarifwortlaut anzuordnen.
(1) Im Falle einer bewussten Auslassung sind die Gerichte nicht befugt, gegen den Willen der Tarifvertragsparteien ergänzende tarifliche Regelungen zu schaffen oder eine schlechte Verhandlungsführung einer Tarifvertragspartei dadurch zu prämieren, dass ihr Vertragshilfe geleistet wird (BAG vom 24. September 2008 - 4 AZR 642/07 - AP TVG § 1 Nr. 57 = EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 46; Wiedemann/Wank, TVG, 7. Aufl., § 1 Rn. 1038; LAG Niedersachen vom 17. Juli 2009 - 10 Sa 1578/08 - n. v.; vom 23. Juli 2010 - 8 Sa 863/09 E - n. v.).
(2) Aber auch die richterliche Ausfüllung einer unbewussten Tariflücke scheidet aus, weil bereits nicht ersichtlich ist, in welcher Weise die Tarifvertragsparteien die Lücke gefüllt hätten. Nicht jede unbewusste Tariflücke darf durch die Gerichte für Arbeitssachen geschlossen werden. Dies stellte einen unzulässigen Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützte Tarifautonomie dar (BAG vom 24. September 2008 - 4 AZR 642/07 - aaO.; vom 26. August 1987 - 4 AZR 146/87 - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 138 = ZTR 1988, 95). Erforderlich ist, dass sich aus dem Tarifvertrag selbst sichere Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Tarifvertragsparteien beabsichtigt hatten, eine vollständige Regelung für alle Vergütungsbestandteile im Geltungsbereich des Tarifvertrages zu schaffen. Des Weiteren müssen sichere Anhaltspunkte im Tarifvertrag zu finden sein, welche Regelungen die Tarifvertragsparteien vorgenommen hätten, um die tarifliche Regelungslücke zu schließen. Entsprechende Anhaltspunkte fehlen, werden auch nicht vorgetragen. Insbesondere lässt der Tarifvertrag nicht erkennen, ob die in der Vergangenheit gezahlten Zuschläge mit 100 v. H. - wie vom Kläger begehrt - mit 50 v. H., einem noch geringeren Anteil oder einem noch anderen Anteil hätten Berücksichtigung finden sollen.
III. Die Klage war daher insgesamt zurückzuweisen.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Absatz 1 ZPO.
V. Die Revision war gemäß § 72 Absatz 2 Ziffer 1 ArbGG zuzulassen. Die Entscheidung beruht auf einer Rechtsfrage, die grundsätzliche Bedeutung hat.
Schwarz
Pufal