Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.12.2010, Az.: 5 Sa 930/10
Tariflicher Verfall eines Urlaubsabgeltungsanspruchs
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 09.12.2010
- Aktenzeichen
- 5 Sa 930/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 34806
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2010:1209.5SA930.10.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Göttingen - 20.05.2010 - AZ: 1 Ca 463/09
Rechtsgrundlagen
- § 38 Abs. 1 S. 1 MTV-DP AG
- § 7 Abs. 4 BUrlG
Fundstelle
- EzA-SD 4/2011, 10
Redaktioneller Leitsatz
1. Als (normaler) Geldleistungsanspruch unterfällt der Urlaubsabgeltungsanspruch denklogisch und zwingend den tariflichen Ausschlussfristen.
2. Gemeinschaftsrecht steht dem nicht entgegen; es schützt nur die Arbeitnehmerin, die krankheitsbedingt gehindert ist, ihre Urlaubsansprüche zu realisieren, nicht aber diejenige, die untätig bleibt.
In dem Rechtsstreit
Klägerin und Berufungsklägerin,
gegen
Beklagte und Berufungsbeklagte,
hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 9. Dezember 2010 durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Kubicki,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Knodel,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Elges
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 20.05.2010 - 1 Ca 463/09 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Urlaubsabgeltung, wobei insbesondere die Frage streitig ist, ob dieser Abgeltungsanspruch tarifvertraglichen Ausschlussfristen unterfällt.
Wegen des gesamten erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bl. 2 bis 4 desselben, Bl. 53 bis 54 der Gerichtsakte, verwiesen.
Mit Urteil vom 20.05.2010 hat das Arbeitsgericht Göttingen die Klage abgewiesen. Dieses Urteil ist der Klägerin am 01.06.2010 zugestellt worden. Mit einem am 18.06.2010 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat sie Berufung eingelegt und diese mit einem am 31.08.2010 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor das Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 26.07.2010 diese Begründungsfrist bis zum 02.09.2010 verlängert hatte.
Ursprünglich hat die Klägerin mit ihrer Berufung das erstinstanzliche Klageziel uneingeschränkt weiter verfolgt. Im Kammertermin hat sie die Berufung teilweise zurückgenommen und dadurch den mit der Hauptsache geltend gemachten Urlaubsabgeltungsbetrag auf 2.927,40 € brutto reduziert.
Die Klägerin wiederholt und vertieft ihre erstinstanzliche Rechtsauffassung. Sie vertritt die Auffassung, die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der zufolge tarifliche Ausschlussfristen auf den gesetzlichen Urlaub oder auch den Urlaubsabgeltungsanspruch nicht anwendbar seien, hätten weiterhin Gültigkeit. Dies folge aus dem bekannten Urteil des EuGH vom 20. Januar 2009, welches darauf hingewiesen habe, bei dem Urlaubsanspruch handele sich um einen bedeutsamen Grundsatz des Sozialrechts der Gemeinschaft, jedem Arbeitnehmer müsse unabhängig von seinem Gesundheitszustand dieser Anspruch gewährt werden. Der Zweck dieser Entscheidung würde eingeschränkt werden, fände nunmehr auf den Urlaubsabgeltungsanspruch eine tarifliche Ausschlussfrist Anwendung.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Göttingen vom 20.05.2010, AZ: 1 Ca 463/09, abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.927,40 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Klagzustellung zu zahlen. Im Übrigen nimmt sie die weitergehende Berufung zurück.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufung wird auf ihre Schriftsätze vom 31.08. und 01.10.2010 verwiesen.
Entscheidungsgründe
A. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64, 66 ArbGG und 519, 520 ZPO).
B. Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das angefochtene Urteil den geltend gemachten Anspruch auf Urlaubsabgeltung abgewiesen. Denn dieser Urlaubsabgeltungsanspruch ist wegen Nichteinhaltung der Ausschlussfrist des § 38 Abs. 1 Satz 1 des anwendbaren MTV-DP AG verfallen. Das Berufungsgericht macht sich zunächst einmal die überzeugenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils zu Eigen, verweist auf diese und stellt dies fest (§ 69 Abs. 2 ArbGG).
Das Vorbringen der Klägerin in der Berufung veranlasst folgende weitere Ausführungen:
1. Im Ausgangspunkt zutreffend hat die Berufungsbegründung hervorgehoben, dass nach der bisher geltenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine tarifliche Ausschlussfrist auf den gesetzlichen Urlaub wegen dessen eigenen Zeitregime nicht anzuwenden ist (grundlegend BAG, Urteil vom 24.11.1992, AZ: 9 AZR 549/91 - AP-Nr. 23 zu § 1 BUrlG). Von dieser Entscheidung ist das Bundesarbeitsgericht bislang, jedenfalls soweit es den gesetzlichen Urlaubsanspruch anbelangt, nicht abgerückt. In seinem Urteil vom 24.03.2009 (9 AZR 993/07 - NZA 2009, 538 ff. [BAG 24.03.2009 - 9 AZR 983/07][BAG 24.03.2009 - 9 AZR 983/07]) hat das Bundesarbeitsgericht diese Problematik offen gelassen. In der weiteren Entscheidung vom 04.05.2010 (9 AZR 183/09 - NZA 2010, 1011 bis 1013) hat der 9. Senat lediglich erkannt, einem tariflich angeordneten Verfall desübergesetzlichen Urlaubsanspruches und seiner Abgeltung stehe nach dem klaren Richtlinienrecht und der gesicherten Rechtsprechung des EuGH kein Unionsrecht entgegen. Zur Problematik des gesetzlichen Urlaubsanspruches verhält sich diese Entscheidung wiederum nicht.
2. In der arbeitsrechtlichen Literatur wird überwiegend die Auffassung vertreten, der Urlaubsabgeltungsanspruch unterliege (jedenfalls nunmehr) den tarifvertraglichen Ausschlussfristen. Das erstinstanzliche Urteil hat insoweit den Sachstand zum Meinungsstreit zutreffend wieder gegeben. Hierauf ist bereits Bezug genommen worden.
3. Nach der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte wird - soweit ersichtlich - jedenfalls weit überwiegend die Frage des Verfalls eines Urlaubsabgeltungsanspruches aufgrund Nichteinhaltung tarifvertraglicher Ausschlussfristen bejaht. Denn die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beruhe auf dem Grundgedanken eines eigenständigen - urlaubsrechtlichen - Zeitregime. Dieses Argument können nun nicht mehr durchgreifen, weil wegen des Wegfalls des Surrogationscharakters des Urlaubsabgeltungsanspruchs für diesen zum normalen Zahlungsanspruch gewordenen Anspruch das eigene Zeitregime, dem der Urlaubsanspruch unterfällt, nun nicht mehr gelte. Der Urlaubsabgeltungsanspruch sei nunmehr als normaler Geldleistungsanspruch zu behandeln, der denklogisch und zwingend den tariflichen Ausschlussfristen unterfalle (LAG München, Urteil vom 29.07.2010, AZ: 3 Sa 217/10 - Juris; LAG Hamm, Urteil vom 24.06.2010, AZ: 16 Sa 371/10 - Juris; LAG Köln, Urteil vom 20.04.2010, AZ: 12 Sa 1448/09 - LAGE Nr. 26 zu § 7 BUrlG Abgeltung).
4. Die Berufungskammer hält den unter Ziffer 3 aufgezeigten Begründungsstrang, der auch dem arbeitsgerichtlichen Urteil entspricht, für überzeugend. Der Verfall eines Zahlungsanspruches aufgrund einer tarifvertraglichen Verfallfrist ist bei Nichteinhaltung die Regel. Die vom Bundesarbeitsgericht in seiner Grundsatzentscheidung vom 24.11.1992 hergeleitete Ausnahme beruhte ausschließlich auf den in dieser Entscheidung zur Begründung angeführten Besonderheiten des Urlaubsrechtes, insbesondere den eigenen Regelungen hinsichtlich eines Verfalls des Urlaubsanspruches. Sind nunmehr aufgrund der bekannten Entscheidung des EuGH, der sich das Bundesarbeitsgericht angeschlossen hat, diese Besonderheiten weggefallen, rechtfertigt es sich zwingend und denklogisch zum allgemeinen Grundsatz zurückzukehren. Das Gemeinschaftsrecht steht dem nicht entgegen. Es schützt nur den Arbeitnehmer der krankheitsbedingt gehindert ist, seine Urlaubsansprüche zu realisieren, nicht aber den der untätig bleibt (ErfK-Dörner, 10. Aufl., § 7 BUrlG Randnummer 65; MüArbr/Düwel, 3. Aufl., § 80 Randnummer 68).
C. Die Klägerin hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen. Gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Streitsache die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen.
Knodel
Elges