Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.07.2009, Az.: 4 SaGa 697/09
Darlegungs- und Beweislast im einstweiligen Verfügungsverfahren wegen eines ausgesprochenen Wettbewerbsverbots
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 16.07.2009
- Aktenzeichen
- 4 SaGa 697/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 35520
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2009:0716.4SAGA697.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Verden - 16.04.2009 - AZ: 2 Ga 3/09
Rechtsgrundlagen
- § 110 GewO
- § 74 Abs. 1 HGB
- § 74a Abs. 1 HGB
- § 935 ZPO
- § 940 ZPO
Fundstelle
- NZA-RR 2010, 68-69
Amtlicher Leitsatz
§ 74a HGB enthält eine rechtshindernde Einwendung, für deren Vorliegen der Handlungsgehilfe darlegungs- und beweispflichtig ist.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Verden vom 16.04.2009 - 2 Ga 3/09 - abgeändert:
Dem Beklagten wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes in Höhe von bis zu 250.000,00 € bzw. Zwangshaft für jeden Fall der Zuwiderhandlung untersagt, bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum Ablauf des 28.02.2010, auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland für die Firma H. GmbH & Co. KG, L. Straße 312, M., vertreten durch deren persönlich haftende Gesellschafterin H2 GmbH, diese vertreten durch die Geschäftsführer K., B. und T., tätig zu werden.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Entscheidungsgründe
A. Von der Darstellung der Entscheidungsgründe im Sinne von§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird gem. § 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO, § 72 Abs. 4 ArbGG abgesehen.
B. I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist statthaft, sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
1. Der Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist begründet, denn sie hat durch die eidesstattlichen Versicherungen sowohl einen Verfügungsanspruch als auch einen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht.
a) Der Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Unterlassung einer Tätigkeit für die H. GmbH & Co. KG ergibt sich aus §§ 110 GewO, 74 HGB i. V. m. Ziff. 1 der Wettbewerbsvereinbarung vom 24. September 1997. Für den Inhalt des Wettbewerbsverbotes sind die Vereinbarungen der Parteien maßgebend (ErfK/Schaub § 74 HGB HB Rn. 15). Der Beklagte hat sich in Ziff. 1 der Wettbewerbsvereinbarung verpflichtet, während der Dauer eines Jahres nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht in unselbstständiger Weise für ein Unternehmen tätig zu werden, welches mit der Klägerin in direktem und indirektem Wettbewerb steht oder mit einem Wettbewerbsunternehmen verbunden ist.
In Ziff. 1 Abs. 2 der Vereinbarung haben die Parteien festgelegt, dass als Wettbewerbsunternehmen insbesondere solche Unternehmen gelten, die Artikel vertreiben, die die Klägerin bei Beendigung des Arbeitsvertrages in ihrem Verkaufsprogramm hatte. Unstreitig hat die Firma H. bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Beklagten Artikel im Programm, die auch die Klägerin vertreibt.
b) Das nachvertragliche Wettbewerbsverbot ist weder unwirksam noch unverbindlich, vielmehr genügt es den gesetzlichen Anforderungen.
Das vertragliche Wettbewerbsverbot entspricht den Formerfordernissen der §§ 110 GewO, 74 Abs. 1 HGB.
Das Wettbewerbsverbot zwischen den Parteien ist, bezogen auf die Tätigkeit bei der Firma H., für den vereinbarten Zeitraum von einem Jahr nicht gem. §§ 74 a Abs. 1 HGB, 110 GewO unverbindlich.
Gem. § 74 a Abs. 1 S. 1 HGB ist ein Wettbewerbsverbot insoweit unverbindlich, als es nicht zum Schutz eines berechtigten geschäftlichen Interesses des Prinzipals dient. Es ist ferner unverbindlich, soweit es unter Berücksichtigung der gewährten Entschädigung nach Ort, Zeit oder Gegenstand eine unbillige Erschwerung des Fortkommens des Gehilfen enthält. Dabei ist für die Prüfung der berechtigten geschäftlichen Interessen des Arbeitgebers grundsätzlich auf den Zeitpunkt abzustellen, in welchem sich der Arbeitgeber auf die Wettbewerbsabrede beruft. Da § 74 a HGB rechtshindernde Einwendungen enthält, ist für diese grundsätzlich der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig. Im Eilverfahren gelten für die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast keine Besonderheiten; sie folgt bei Anhörung des Gegners den allgemeinen Regeln (LAG Niedersachsen, Urt. v. 18. November 1994 - 3 Sa 1697/94 - LAG § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 38). Im Rahmen der Erklärungspflicht nach § 138 Abs. 2 ZPO ist der Arbeitgeber zu einem substanziierten Tatsachenvortrag verpflichtet, soweit es um die Gefährdung berechtigter Interessen geht (BAG Urt. v. 1. August 1995 - 9 AZR 884/93 - AP § 74 a HGB Nr. 5).
Der ihr obliegenden sekundären Behauptungslast ist die Klägerin nachgekommen. Sie hat erstinstanzlich dargelegt und durch eidesstattliche Versicherung glaubhaft gemacht, dass sie insbesondere mit Befestigungs- und Montagematerial, Arbeitsschutz, Installationsmaterial, Kabelleitungen, Chemieartikeln, Maschinen und Werkzeugen handelt und in diesem Bereich rund 15 % ihres Umsatzes erzielt. Die Firma H. biete ebenfalls Produkte aus dem vorgenannten Bereich an. Sie - die Klägerin - gehe davon aus, dass sich die Produktportfolien in diesem Bereich um ca. 50 % überschneiden. Sowohl sie - die Klägerin - als auch die Firma H. belieferten Handwerkskunden und die Industrie. Im Berufungsrechtszug hat die Klägerin ihr Vorbringen konkretisiert und ergänzend vorgetragen, wesentlicheÜberschneidungen der Produktportfolien zwischen ihr und der Firma H. ergäben sich insbesondere in den Bereichen Elektroinstallationsmaterial, Arbeitsschutzkleidung und Technischer Arbeitsschutz. In dem Bereich "Haustechnik", in dem die Sparten Elektro und Sanitär zusammengefasst seien, erziele sie einen Umsatz von über 150 Millionen Euro. Allein im Bereich der Niederlassung B. habe der Umsatz des Bereichs Haustechnik im Jahr 2008 mehr als 3 Millionen Euro betragen.
Der Beklagte hat dieses Vorbringen der Klägerin zwar bestritten, jedoch außer Betracht gelassen, dass § 74 a HGB eine rechtshindernde Einwendung enthält, für die grundsätzlich der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig ist. Das zwischen den Parteien vereinbarte Wettbewerbsverbot ist, bezogen auf die Tätigkeit des Beklagten bei der Firma H., nicht wegen der vom Beklagten behaupteten fehlenden Wettbewerbssituation unverbindlich. Der Beklagte hat nicht zur Überzeugung der Kammer den Beweis erbracht, dass es sich bei der Firma H. nicht um ein Unternehmen handelt, dass mit der Klägerin in einem nur unerheblichen Teil der vertriebenen Produkte konkurriert. In der Wettbewerbsvereinbarung selbst haben die Vertragsparteien den Begriff des Wettbewerbsunternehmens dahingehend definiert, dass als Wettbewerbsunternehmen solche Unternehmen gelten, die Artikel vertreiben, die die Klägerin bei Beendigung des Arbeitsvertrages in ihrem Verkaufsprogramm hatte. Diese weitergehende Definition ist allerdings im Rahmen der Prüfung der Verbindlichkeit daraufhin zuüberprüfen, ob die Konkurrenzsituation zumindest in einem nicht ganz unerheblichen Teil besteht. Ein nicht unerheblicher Teil liegt bereits dann vor, wenn ein Produktionsprogramm eines Konkurrenzunternehmens nur zu 10 % mit dem Produktionsprogramm des die Wettbewerbsvereinbarung getroffenen Unternehmens übereinstimmt. Dass die Schnittmenge unter 10% liegt, hat der Beklagte nicht zur Überzeugung der Kammer dargelegt und glaubhaft gemacht.
Die Wettbewerbsvereinbarung dient auch dem Schutz berechtigter und geschäftlicher Interessen der Klägerin, da der Beklagte durch die Schulungen und die Preisinformationen, die er während seiner Tätigkeit bei der Klägerin erhalten hat, die Möglichkeiten der Verkäufer der Klägerin kennt. Auch wenn wegen veränderter Preise die tagesaktuellen Kalkulationen nicht bekannt sind, sind es zumindest die Grundsätze der Kalkulation, die es dem Beklagten ermöglichen, Produkte des Wettbewerbers demselben Kundenkreis unter Verwendung des von der Klägerin eingebrachten Wissens günstiger anzubieten. Dabei geht es nicht darum, ob der Beklagte hinsichtlich der einzelnen Produkte die jeweiligen Preise und geheimhaltungsbedürftige Kalkulationen kennt, sondern vielmehr darum, dass der Beklagte Kenntnis davon hat, mit welchen Artikeln bzw. Artikelgruppen geringe oder hohe Umsätze mit geringen oder hohen Gewinnspannen erzielt werden. Nicht zu beanstanden ist ferner, dass die Klägerin ihr Wettbewerbsverbot bundesweit formuliert hat, wogegen der Beklagte ausschließlich im Gebiet B. tätig ist. Denn das Wettbewerbsverbot dient auch dem Schutz geheimhaltungsbedürftiger Kenntnisse und insoweit kommt es auf den regionalen Wirkungskreis des Beklagten nicht an.
2. Daneben hat die Verfügungsklägerin auch den nach§ 940 ZPO notwendigen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Verfügungsgrund liegt vor, wenn objektiv die Besorgnis besteht, dass die Verwirklichung eines Rechts ohne eine alsbaldige einstweilige Regelung vereitelt oder wesentlich erschwert wird, sog. Eilbedürftigkeit oder Dringlichkeit. Der Verfügungsgrund ergibt sich dabei nicht allein aus einem möglichen Verfügungsanspruch, vielmehr ist er gesondert darzulegen und glaubhaft zu machen. Ein Verfügungsgrund für den Erlass einer Wettbewerbs-Untersagungsverfügung setzt eine Wiederholungs- oder Erstbegehungsgefahr in Bezug auf eine Konkurrenztätigkeit voraus. Da der Verfügungsbeklagte unstreitig bereits bei der Konkurrenz beschäftigt ist, liegen diese Voraussetzungen vor.
Anordnungen im Wege der einstweiligen Verfügung müssen auf einen vorläufigen Rechtsschutz gerichtet sein. Das summarische Erkenntnisverfahren soll grundsätzlich nicht zur Befriedigung des Anspruchs und zur Vorwegnahme der Hauptsache führen. Durch die einstweilige Verfügung soll lediglich ein Anspruch gesichert, nicht aber erfüllt werden. Eine Ausnahme wird bei sog. Leistungsverfügungen gemacht, wenn der Gläubiger auf die sofortige Anspruchserfüllung zur Abwendung wesentlicher Nachteile angewiesen ist. Einstweilige Verfügungen, die für die Vergangenheit einen irreversiblen Zustand schaffen, nehmen insoweit die Hauptsache vorweg. Bei derartigen Verfügungen werden an den Verfügungsgrund besonders strenge Anforderungen gestellt. Angesichts des Ausnahmecharakters einstweiliger Verfügungen müssen schwerwiegende Beeinträchtigungen drohen, deren Hinnahme dem Antragsteller bei Abwägung beiderseitiger Interessen auch nicht für einen vorübergehenden Zeitraum bis zum Abschluss der ersten Instanz zumutbar ist.
Der Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung führt zwar insoweit zur Vorwegnahme der Hauptsache, als der Verfügungsbeklagte dazu verpflichtet wird, seine Tätigkeit bei der neuen Arbeitgeberin einzustellen, um dem Wettbewerbsverbot zu genügen. Sollte in einem Hauptsacheverfahren eine abweichende Entscheidung ergehen, wäre für die Zeit bis zur Hauptsacheentscheidung ein irreparabler Zustand eingetreten. Diese Gefahr ist jedoch im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes hinzunehmen. Nur durch die Untersagung des Wettbewerbs ist es möglich, die geschäftlichen Interessen der Verfügungsklägerin angemessen zu schützen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.
Gegen dieses Urteil ist kein Rechtsmittel gegeben.
Ingelmann
Lindner