Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 02.12.2009, Az.: 15 Sa 1358/08 E

Persönlicher Geltungsbereich des TV-Ärzte (Klinische Chemiker ohne Medizinstudium)

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
02.12.2009
Aktenzeichen
15 Sa 1358/08 E
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 37094
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2009:1202.15SA1358.08E.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BAG - 25.01.2012 - AZ: 4 AZR 148/10

Redaktioneller Leitsatz

1. Klinische Chemiker ohne Medizinstudium unterfallen nicht dem persönlichen Geltungsbereich des § 1 Abs. 1 TV-Ärzte und des § 41 Nr. 1 TV-L.

2. Ihre Nichteinbeziehung in den persönlichen Geltungsbereich ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

In dem Rechtsstreit

Kläger und Berufungskläger,

gegen

beklagtes und berufungsbeklagtes Land,

hat die 15. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 2. Dezember 2009 durch

den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Löber,

die ehrenamtliche Richterin Baar,

den ehrenamtlichen Richter Bönig

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts A-Stadt vom 10.07.2008 - 11 Ca 620/07 Ö - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger als Klinischer Chemiker Anspruch auf Entgelt nach den tariflichen Entgeltsgruppen für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken hat.

2

Der am 00.00.1960 geborene Kläger ist Diplom-Chemiker und hat im 15. 10.1998 die Anerkennung als Klinischer Chemiker erlangt. Er ist seit dem 01.07.1991 am Institut für Klinische Chemie der M. (M1) des beklagten Landes beschäftigt, auf Grund des Arbeitsvertrags vom 31.05.1991 (Bl. 22 d.A.) als wissenschaftlicher Mitarbeiter zu den Bedingungen des BAT und den diesen ergänzenden und ändernden Tarifverträgen. Im Jahre 2001 wurde er zum Oberassistenten bestellt und vertritt seit dem neben einem zweiten Oberassistenten den Institutsleiter. Im Jahre 2004 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt. Seit Februar 2006 leitet er darüber hinaus die MTA-Schule an der M1.

3

Das Institut für Klinische Chemie wird von einem Facharzt für Laboratoriumsmedizin geleitet. Der Kläger und der weitere Oberassistent sind Klinische Chemiker mit dem Grundstudium der Chemie. Weiter sind Fachärzte für Laboratoriumsmedizin beziehungsweise Assistenzärzte in der Weiterbildung zum Facharzt für Laboratoriumsmedizin und/oder Klinische Chemiker beziehungsweise angehende Klinische Chemiker beschäftigt.

4

Die Klinische Chemie ist eine medizinisch-wissenschaftliche Disziplin. Sie beinhaltet die Untersuchung von Körperflüssigkeiten, Ausscheidungen und Zellen von gesunden und kranken Menschen sowie die Deutung dieser Ergebnisse hinsichtlich Gesundheit und Krankheit. Sie erforscht pathobiochemische Prozesse und wendet die gewonnenen Erkenntnisse auf die Diagnose, Behandlung und Prävention von Erkrankungen an. Der Klinische Chemiker muss die Befähigung zur Ausführung der klinisch-chemischen Untersuchungen zur Früherkennung, Diagnostik und Therapiekontrolle von Krankheiten besitzen und den Bezug zwischen den Ergebnissen klinisch-chemischer sowie pathobiochemischer Untersuchungen und medizinischen Fragestellungen herstellen können. Er unterliegt in der Ausübung dieser Tätigkeit den Normen der ärztlichen Berufsordnung.

5

Der Zugang zur Weiterbildung zum Klinischen Chemiker erfordert die ärztliche Approbation oder den erfolgreichen Abschluss des Studiums der Chemie (Diplomhauptprüfung), Biochemie (Diplomhauptprüfung) oder Biologie (Diplomhauptprüfung).

6

Die Weiterbildungszeit beträgt fünf Jahre. Davon müssen mindestens vier Jahre in einem der Krankenversorgung dienenden klinisch-chemischen Laboratorium abgeleistet werden, das unter der Leitung eines zur Weiterbildung befugten Klinischen Chemikers steht.

7

(Vergleiche zu den Einzelheiten: Richtlinien zur Anerkennung als Klinischer Chemiker/Klinische Chemikerin, Bl. 166 ff. d.A. und den Gegenstandskatalog zur Abschlussprüfung für die Anerkennung als Klinischer Chemiker/Klinische Chemikerin, Bl. 182 ff. d.A..)

8

Das Gebiet Laboratoriumsmedizin umfasst die Beratung und Unterstützung der in der Vorsorge und Krankenbehandlung Tätigen bei der Vorbeugung, Erkennung und Risikoabschätzung von Krankheiten und ihren Ursachen, bei der Überwachung des Krankheitsverlaufes sowie bei der Prognoseabschätzung und Bewertung therapeutischer Maßnahmen durch die Anwendung morphologischer, chemischer, physikalischer, immunologischer, biochemischer, immunchemischer, molekularbiologischer und mikrobiologischer Untersuchungsverfahren von Körpersäften, ihrer morphologischen Bestandteile sowie Ausscheidungs- und Sekretionsprodukten, einschließlich der dazu erforderlichen Funktionsprüfungen sowie der Erstellung des daraus resultierenden ärztlichen Befundes.

9

Die Weiterbildungszeit beträgt 60 Monate, davon

10

- 12 Monate in der stationären Patientenversorgung in Innere Medizin und Allgemeinmedizin oder Kinder- und Jugendmedizin

11

- 6 Monate in einem mikrobiologischen Labor

12

- 6 Monate in einem infektionsserologischen Labor

13

- 6 Monate in einem immunhämatologischen Labor weitere 30 Monate in Laboratoriumsmedizin, davon

14

- können bis zu 12 Monate in Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie angerechnet werden

15

- können bis zu 6 Monate in Transfusionsmedizin angerechnet werden.

16

(Vergleiche wegen der weiteren Einzelheiten Nr. 15 der Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Niedersachsen, Bl. 412 ff., 436 f. d.A.).

17

Im Institut der Klinischen Chemie der M1 werden die Klinischen Chemiker und die Fachärzte für Laboratoriumsmedizin in gleicher Weise eingesetzt. Zu ihren Aufgaben gehören die Beratung der Auftraggeber, die Analyse der Ergebnisse auf technischer Ebene und die Befundung auf biologischer und nosologischer Ebene.

18

Der Kläger erhielt bis zum 31.10.2006 Vergütung nach Vergütungsgruppe I b BAT und wurde zum 01.11.2006 in die Entgeltsgruppe 14 Entgeltsstufe 5+ TV-L übergeleitet, so dass er bei einer Arbeitszeit von 38,5 Stunden/38,5 Stunden ein Monatsentgelt in Höhe von 4.417,89 € erhielt.

19

Nachdem der Kläger mit Schreiben vom 20.12.2006 (Bl. 122 ff. d.A.) und vom 21.06.2007 (Bl. 126 ff. d.A.) vergeblich das Entgelt nach Entgeltsgruppe Ä3 Stufe 3 geltend gemacht hatte, hat er mit seiner am 30.11.2007 eingereichten Klage sein Begehren weiterverfolgt und die Feststellung begehrt, dass sein Entgeltsanspruch bis zum 31.12.2007 nach der EG Ä3 Stufe 2 monatlich 6.300,00 € und ab dem 01.01.2008 monatlich 6.485,00 € beträgt. Zusätzlich hat er die bis zum Zeitpunkt des erstinstanzlichen Urteils fälligen Entgeltsdifferenzen beziffert eingeklagt, die er folgendermaßen berechnet hat:

20

für November 2006 bis Dezember 2007 die monatliche Differenz zwischen dem Entgelt nach EG Ä3 Stufe 2 in Höhe von 6.300,00 € und dem gezahlten Entgelt in Höhe von 4.417,89 €

14 x 1.882,11 € =

26.349,54 €.

21

für die Monate Januar bis Juni 2008 die Differenz zwischen dem Entgelt nach EG Ä3 Stufe 2 in Höhe von 6.485,00 € und dem gezahlten Entgelt in Höhe von 4.417,89 €

6 x 2.067,11 € =

12.402,66 €

Zusammen:

38.752,20 €

22

Der Kläger, der seit April 2008 Mitglied des Marburger Bundes ist, der tarifschließenden Gewerkschaft des Tarifvertrags für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte), hat - in erster Instanz noch unwidersprochen - vorgetragen, dass er mit 30 Stunden pro Woche in der unmittelbaren Patientenversorgung tätig sei (Tätigkeitsdarstellung, Bl. 110 d.A.), so dass er Anspruch auf Entgelt wie ein Oberarzt habe, analog den tariflichen Entgeltsregelungen im Wege der Lückenausfüllung. Ansonsten verstoße die tarifliche Entgeltsdifferenzierung gegen den Gleichheitssatz, den Grundsatz der Entgeltsgleichheit und den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz, da sich seine Tätigkeit als Klinischer Chemiker nicht von der eines Laboratoriumsmediziners unterscheide.

23

Der Kläger hat beantragt,

24

1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger Vergütung nach dem Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte) vom 30.10.2006 nach der Entgeltsgruppe Ä3, Stufe 2, Entgelttabelle für Ärztinnen und Ärzte, bis zum 31.12.2007 monatlich 6.300,00 € brutto und ab dem 01.01.2008 monatlich 6.485,00 € brutto, zu vergüten,

25

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 38.752,20 € brutto (für den Zeitraum vom November 2006 bis Juli 2008) nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 5.646,33 € seit dem 13.02.2007, auf jeweils weitere 1.882,11 € seit dem 28.02.2007, 30.03.2007, 30.04.2007, 31.05.2007, 29.06.2007, 31.07.2007, 31.08.2007, 28.09.2007, 31.10.2007, 30.11.2007 und 31.12.2007 sowie auf weitere 2.067,11 € seit dem 31.01.2008, 29.02.2008, 31.03.2008, 30.04.2008, 30.05.2008 und 30.06.2008 zu zahlen.

26

Das beklagte Land hat beantragt,

27

die Klage abzuweisen.

28

Nach seiner Ansicht ist der Kläger zutreffend in die Entgeltsgruppe 14 TV-L eingruppiert, da er kein approbierter Arzt sei. Eine analoge Anwendung der tariflichen Entgeltsregelungen für Ärzte scheide aus, da keine Tariflücke gegeben sei. Die ungleiche Entlohnung von Laboratoriumsmedizinern und Klinischen Chemikern sei sachlich gerechtfertigt, da letztere Patienten nicht behandeln dürften. Des weiteren erfülle der Kläger auch nicht die Tätigkeitsmerkmale der Entgeltsgruppe Ä3. Schließlich habe er bei der Berechnung seiner Klageforderungen nicht berücksichtigt, dass Ärzte wöchentlich 42 Stunden, er aber nur 38,5 Stunden zu arbeiten habe.

29

Wegen weiterer Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des Urteils vom 10.07.2008 Bezug genommen, mit dem das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen hat. Es hat zur Begründung ausgeführt, der Kläger erfülle nicht die Tätigkeitsmerkmale der in Anspruch genommenen Entgeltsgruppe, da er kein Arzt sei. Es sei auch von keiner analogiefähigen unbewussten Regelungslücke auszugehen. Ferner gebiete weder der Gleichheitssatz noch der Grundsatz der Entgeltsgleichheit oder der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz die Anwendung der Entgeltsregelungen für Ärzte auf das Arbeitsverhältnis der Parteien. Auch bei unter Umständen gegebener gleichwertiger Arbeit sei ein sachlicher Grund für die unterschiedliche Entlohnung gegeben. Der ergebe sich zum einen bereits aus zwei unterschiedlichen Tarifverträgen, dem TV-Ärzte und dem TV-L. Des weiteren rechtfertige sich die Differenzierung aus der unterschiedlichen Berufsausbildung und der unterschiedlichen Berufsberechtigung, die auch zu einer unterschiedlichen Herangehensweise an die Tätigkeiten führe.

30

Wegen weiterer Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen, das dem Kläger am 30.07.2008 zugestellt worden ist und gegen das er am 28.08.2008 Berufung eingelegt hat, die er am 27.10.2008 begründet hat, nachdem auf seinen Antrag mit Beschluss vom 29.08.2008 die Berufungsbegründungsfrist bis zum 30.10.2008 verlängert worden war.

31

Der Kläger meint, das Urteil ziehe aus der Tatsache, dass er im medizinischen Labor der M1 eine gleiche, zumindest gleichwertige Arbeit wie die Fachärzte für Laboratoriumsmedizin ausübe, die falschen Schlussfolgerungen. Das im jeweiligen Fachstudium erworbene Basiswissen sei für den Klinischen Chemiker und den Facharzt für Laboratoriumsmedizin nicht mehr von ausschlaggebender Bedeutung, weshalb die dem Facharzt erteilte Approbation für die Bewältigung der Arbeit nicht mehr maßgeblich sei. Die Herangehensweise an die gestellten Aufgaben sei für Klinische Chemiker und Laboratoriumsmediziner die gleiche. Die Annahme einer ärztespezifischen Herangehensweise durch das Arbeitsgericht sei rein spekulativ erfolgt. Klinische Chemiker und Laboratoriumsmediziner durchliefen eine identische Fachausbildung und übten die gleiche Tätigkeit aus. Fachärzte für Laboratoriumsmedizin könnten auf Grund ihrer Spezialausbildung und der damit verbundenen Tätigkeit aus fachlichen Gründen nicht mehr im diagnostischen oder therapeutischen Bereich eingestellt werden. Damit verstoße der Ausschluss der Klinischen Chemiker aus dem Geltungsbereich des TV-Ärzte beziehungsweise des § 41 TV-L unter Heranziehung der Grundsätze der Entgeltsgleichheit gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Das beklagte Land verstoße auch gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn es für die nicht tarifgebundenen Laborärzte im Wege der Gleichstellungsabrede ein Vergütungssystem praktiziere, die Klinischen Chemiker aber davon ausschließe.

32

In Korrektur seiner erstinstanzlichen Klageberechnung und unter Berücksichtigung der bis zur Berufungsverhandlung fällig gewordenen Entgeltsdifferenzen berechnet der Kläger seinen bezifferten Leistungsantrag nunmehr folgendermaßen:

für November 2006 bis Dezember 2007 wie bisher

26.349,54 €

33

für Januar bis Dezember 2008 die monatliche Entgeltsdifferenz zwischen dem Entgelt nach EG Ä3 Stufe 2 in Höhe von 6.485,00 € und dem Entgelt nach EG 14 TV-L in Höhe von 4.550,00 €

12 x 1.935,00 € =

23.220,00 €

34

für Januar und Februar 2009 die Entgeltsdifferenz zwischen dem Entgelt nach EG Ä3 Stufe 3 in Höhe von 7.000,00 € und dem Entgelt nach EG 14 TV-L in Höhe von 4.550,00 €

2 x 2.450,00 € =

4.900,00 €

35

für März 2009 bis November 2009 die Entgeltsdifferenz zwischen dem Entgelt nach EG Ä3 Stufe 3 in Höhe von 7.000,00 € und dem nunmehrigen Entgelt nach EG 14 TV-L in Höhe von 4.727,70 €

9 x 2.272,30 € =

20.450,70 €

Zusammen

74.920,24 €

36

Hilfsweise berechnet er die Entgeltsdifferenzen zwischen dem Entgelt nach der Entgeltsgruppe Ä2 und dem gezahlten Entgelt:

37

für November 2006 bis Dezember 2007 die Differenz zwischen dem Entgelt nach EG Ä2 Stufe 2 in Höhe von 5.150,00 € und dem Entgelt nach EG 14 TV-L in Höhe von 4.417,89 €

14 x 732,11 € =

10.249,54 €

38

für Januar bis September 2008 die Entgeltsdifferenz zwischen dem Entgelt nach EG Ä2 Stufe 2 in Höhe von 5.300,00 € und dem Entgelt nach EG 14 TV-L in Höhe von 4.550,00 €

9 x 750,00 € =

6.750,00 €

39

für Oktober 2008 bis Februar 2009 die Differenz zwischen dem Entgelt nach EG Ä2 Stufe 3 in Höhe von 5.660,00 € und dem Entgelt nach EG 14 TV-L in Höhe von 4.550,00 €

5 x 1.110,00 € =

5.500,00 €

40

für März 2009 bis November 2009 die Differenz zwischen dem Entgelt nach EG Ä2 Stufe 3 in Höhe von 5.660,00 € und dem Entgelt nach EG 14 TV-L in Höhe von 4.727,70 €

9 x 932,30 € =

8.390,70 €

Zusammen

30.890,24 €

41

Den Feststellungsantrag, den er nunmehr sowohl auf § 12 TV-Ärzte als auch auf § 41 Nr. 7 TV-L bezieht, stellt er für die Zeit ab dem 01.12.2009.

42

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 27./28.10.2008 sowie auf den Schriftsatz vom 30.11.2009 Bezug genommen.

43

Der Kläger beantragt,

44

in Abänderung des angefochtenen Urteils

45

1. das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger für den Zeitraum vom 01.11.2006 bis 30.11.2009 rückständige Differenzvergütung in Höhe von 74.920,24 € brutto zu bezahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 3.764,22 € seit dem 13.01.2007, auf jeweils weitere 1.882,11 € seit dem 31.01.2007, 28.02.2007, 30.03.2007, 30.04.2007, 31.05.2007, 29.06.2007, 31.07.2007, 31.08.2007, 28.09.2007, 31.10.2007, 30.11.2007 und 31.12.2007, auf jeweils weitere 1.935,00 € seit dem 31.01.2008, 29.02.2008, 31.03.2008, 30.04.2008, 30.05.2008, 30.06.2008, 31.07.2008, 31.08.2008, 30.09.2008, 31.10.2008, 28.11.2008, 31.12.2008, auf jeweils weitere 2.450,00 € seit dem 30.01.2009 und 27.02.2009 sowie auf jeweils weitere 2.272,30 € seit dem 31.03.2009, 30.04.2009, 29.05.2009, 30.06.2009, 31.07.2009, 31.08.2009, 30.09.2009, 30.10.2009 und 30.11.2009,

46

2. festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger auch über den 30.11.2009 hinaus die Vergütung nach dem Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte vom 30.10.2006) beziehungsweise nach § 41 Nr. 7 TV-L entsprechend der Entgeltgruppe Ä3, Stufe 3, Entgelttabelle für Ärztinnen und Ärzte, in Höhe von 7.000,00 € brutto monatlich zu bezahlen, also die Differenz über die vom beklagten Land bezahlte Vergütung in Höhe von 4.727,70€ brutto monatlich hinaus,

47

3. hilfsweise

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a) festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger Vergütung auch über den 30.11.2009 hinaus nach dem Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an Universitätsklinken (TV-Ärzte vom 30.10.2006) beziehungsweise § 41 Nr. 7 TV-L entsprechend der Entgeltgruppe Ä2, Stufe 3, Entgelttabelle für Ärztinnen und Ärzte in Höhe von 5.660,00 € brutto monatlich zu bezahlen, also die Differenz über die vom beklagten Land bezahlte Vergütung in Höhe von 4.727,70 € brutto monatlich hinaus,

49

b) das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger 30.940,24 € brutto (für den Zeitraum November 2006 bis November 2009) nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 1.464,22 € seit dem 13.01.2007, auf jeweils weitere 732,11 € seit dem 31.01.2007, 28.02.2007, 30.03.2007, 30.04.2007, 31.05.2007, 29.06.2007, 31.07.2007, 31.08.2007, 28.09.2007, 31.10.2007, 30.11.2007, und 31.12.2007, auf jeweils weitere 750,00 € seit dem 31.01.2008, 27.02.2008, 31.03.2008, 30.04.2008, 30.05.2008, 30.06.2008, 31.07.2008, 31.08.2008, 30.09.2008, auf jeweils weitere 1.110,00 € seit dem 31.10.2008, 28.11.2008, 31.12.2008, 30.01.2009, 27.02.2009 sowie auf jeweils weitere 932,30 € seit dem 31.03.2009, 30.04.2009, 29.05.2009, 30.06.2009, 31.07.2009, 31.08.2009, 30.09.2009, 30.10.2009 und 30.11.2009 zu bezahlen.

50

Das beklagte Land beantragt,

51

die Berufung zurückzuweisen.

52

Es bestreitet nunmehr, dass der Kläger überwiegend in der Patientenversorgung eingesetzt ist und verteidigt im Übrigen das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 30.01.2009, auf die gleichfalls Bezug genommen wird.

Entscheidungsgründe

53

Die statthafte Berufung (§ 64 Abs. 2 lit. b ArbGG) ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 64 Abs. 6 Satz 1, 66 Abs. 1 Sätze 1, 2 und 5 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 3 ZPO).

54

Die mithin zulässige Berufung ist unbegründet.

55

Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht als unbegründet abgewiesen.

56

I. Der Kläger hat keinen tariflichen Anspruch (§ 4 Abs. 1 Satz 1 TVG) auf das Entgelt aus den Entgeltsgruppen des § 41 Nr. 7 TV-L oder des § 12 TV-Ärzte.

57

1. Der Kläger ist hinsichtlich des am 01.11.2006 in Kraft getretenen Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) nicht tarifgebunden, da er nicht Mitglied einer der beiden tarifschließenden Gewerkschaften ist (§ 3 Abs. 1 TVG).

58

2. Dagegen ist er seit April 2008 Mitglied des Marburger Bundes, der tarifschließenden Gewerkschaft des gleichfalls am 01.11.2006 in Kraft getretenen Tarifvertrags für die Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte). Gleichwohl hat er keinen tariflichen Anspruch auf das Entgelt nach § 12 TV-Ärzte.

59

a) Nach der Satzung des Marburger Bundes - Landesverband Niedersachsen (Bl. 159 ff. d.A.) ist er gemäß § 3 Abs. 3 lit. c lediglich außerordentliches Mitglied ohne aktives und passives Wahlrecht (§ 6 Satz 2 der Satzung). Er hat also keine Möglichkeit am Meinungsbildungsprozess der Tarifvertragspartei teilzunehmen, so dass bereits zweifelhaft ist, ob er gemäß § 3 Abs. 1 TVG tarifgebunden ist.

60

Eine solche unterstellt, hat er gleichwohl keinen tariflichen Anspruch gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG, weil er nicht dem persönlichen Geltungsbereich des TV-Ärzte unterfällt. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 TV-Ärzte gilt der Tarifvertrag ausdrücklich nur für Ärztinnen und Ärzte, die an einer Universitätsklinik überwiegend Aufgaben in der Patientenversorgung wahrnehmen. Er gilt dabei gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 TV-Ärzte auch für Ärztinnen und Ärzte, die in ärztlichen Servicebereichen in der Patientenversorgung eingesetzt sind, wozu gemäß der Protokollnotiz 1 zum Beispiel das Labor gehört.

61

Der Kläger ist als Klinischer Chemiker kein Arzt. Ein Arzt bedarf gemäß den §§ 2, 2a BÄO der Approbation. Der Kläger kann mangels medizinischer Ausbildung nicht als Arzt approbiert werden.

62

Da er kein Arzt ist, kann dahinstehen, ob er überwiegend in der Patientenversorgung eingesetzt ist.

63

b) Der TV-Ärzte enthält hinsichtlich der Nichteinbeziehung der Klinischen Chemiker keine unbewusste Regelungslücke, die die analoge Anwendung des § 12 TV-Ärzte eröffnete. Mit dem Arbeitsgericht ist davon auszugehen, dass der Marburger Bund den TV-Ärzte bewusst nur für Ärzte abgeschlossen hat, weil er sich ausdrücklich nur auf Ärztinnen und Ärzte erstreckt, nicht aber auf Angestellte in arztähnlichen Berufen, zumal solche jedenfalls in Niedersachsen nur außerordentliche Mitglieder ohne aktives und passives Wahlrecht sein können, also ohne Einflussmöglichkeit auf das Tarifgeschehen.

64

II. Der Anspruch des Klägers auf Entgelt nach den Entgeltsgruppen des § 41 Nr. 7 TV-L oder des § 12 TV-Ärzte ergibt sich auch nicht aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.

65

1. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet dem Arbeitgeber eine sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage. Bildet der Arbeitgeber Gruppen von begünstigten Arbeitnehmern und benachteiligten Arbeitnehmern, muss die Gruppenbildung sachlichen Kriterien entsprechen (BAG, Urteil vom 27.05.2004 - 6 AZR 129/03, BAGE 111, 8 - 22, AP Nr. 5 zu § 12 TVG Gleichbehandlung, EzA Art. 3 GG Nr. 101). Dem genügt die Gruppenbildung des beklagten Landes bei der Anwendung der Entgeltsgruppen des § 41 Nr. 7 TV-L und des § 12 TV-Ärzte.

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2. Das beklagte Land wendet seit dem Inkrafttreten des TV-L und des TV-Ärzte die Entgeltsregelungen dieser Tarifverträge gegenüber ihren Arbeitnehmern an, gleich ob sie tarifgebunden sind oder nicht. Die damit verbundene Gruppenbildung in Bezug auf Ärztinnen und Ärzte in Laboren und in Bezug auf Klinische Chemiker und Klinische Chemikerinnen, die überwiegend in der Patientenversorgung eingesetzt sind, genügt dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, weil die Nichteinbeziehung von Klinischen Chemikerinnen und Klinischen Chemikern in den Geltungsbereich des § 41 Nr. 1 TV-L beziehungsweise in den Geltungsbereich des regelungsidentischen § 1 TV-Ärzte mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbart ist. Es kann deshalb auch insoweit dahinstehen, ob der Kläger entsprechend seiner nunmehr bestrittenen Tätigkeitsdarstellung überwiegend in der Patientenversorgung eingesetzt ist.

67

3. Nach zutreffender Ansicht sind die Tarifvertragsparteien zwar nicht unmittelbar an Art. 3 Abs. 1 GG gebunden. Gleichwohl verpflichtet die Schutzpflicht der Grundrechte auch Tarifvertragsparteien mittelbar zur Beachtung des allgemeinen Gleichheitssatzes. Aus der mittelbaren Bindung der Tarifvertragsparteien an Art. 3 Abs. 1 GG folgen allerdings keine anderen Prüfungsmaßstäbe als sie im Falle einer unmittelbaren Bindung an den allgemeinen Gleichheitssatz heranzuziehen wären (BAG, Urteil vom 27.05.2004, aaO.).

68

Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes setzt voraus, dass vergleichbare Sachverhalte, Gruppen oder Personen in wesentlicher Hinsicht ungleich oder wesentlich unterschiedliche Sachverhalte, Gruppen und Personen gleich behandelt werden (ErfK-Schmidt, 9. Auflage, Art. 3 GG, Rdnr. 33). Den Tarifvertragsparteien gebührt als Ausfluss des Art. 9 Abs. 3 GG bei der Gruppenbildung eine Einschätzungsprärogative in Bezug auf die tatsächlichen Gegebenheiten und betroffenen Interessen (BAG, Urteil vom 27.05.2004, aaO.; Schmidt, aaO., Rdnr. 26).

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4. In Anwendung dieser Grundsätze ist die Nichteinbeziehung Klinischer Chemikerinnen und Klinischer Chemiker in den personellen Geltungsbereich des § 41 TV-L und den persönlichen Geltungsbereich des TV-Ärzte jedenfalls insoweit gerechtfertigt, als es sich in ihrem Grundstudium nicht um Mediziner sondern um sonstige Naturwissenschaftler wie Chemiker, Biologen u.s.w. handelt.

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a) Klinische Chemiker üben zwar im Klinischen Labor die gleichen Tätigkeiten aus wie Laboratoriumsmediziner.

71

b) Auch ist ihre Fortbildung zum Klinischen Chemiker und zum Laboratoriumsmediziner ausweislich der Anerkennungsrichtlinien nebst dem Gegenstandskatalog zur Abschlussprüfung zur Anerkennung als Klinischer Chemiker/Klinische Chemikerin und ausweislich der Weiterbildungsordnung für Laboratoriumsmediziner ähnlich. Die Weiterbildungszeit beträgt für beide fünf Jahre. Die Weiterbildungsinhalte entsprechen sich weitgehend. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Laboratoriumsmediziner sich nicht nur im Labor weiterbilden wie das die Klinischen Chemiker tun, sondern dass sie ihre Weiterbildung auch im Klinischen Betrieb zu absolvieren haben, ihre Weiterbildung also an der klinischen Praxis orientiert ist, so dass nicht zu beanstanden ist, wenn das Arbeitsgericht davon ausgegangen ist, dass die Laboratoriumsmediziner weiterbildungsbedingt eine eher an der klinischen Praxis ausgerichtete Herangehensweise an die gestellten Aufgaben haben.

72

c) Die Laboratoriumsmediziner sind jedoch vor allen Dingen weiterhin als Ärzte einsetzbar, die Klinischen Chemiker jedoch nicht. Dieser sachliche Unterschied rechtfertigt es, die Laboratoriumsmediziner in den persönlichen Geltungsbereich des § 41 TV-L und des TV-Ärzte einzubeziehen, die Klinischen Chemiker jedoch nicht.

73

aa) Auch wenn Fachärzte für Laboratoriumsmedizin nicht mehr als Ärzte im Bereich der Diagnostik und Therapie eingestellt werden, sind sie als Fachärzte für Laboratoriumsmedizin weiterhin befugt, ärztlich tätig zu sein. Der Arbeitgeber darf sie bei Bedarf in den klinischen Bereichen einsetzen. Sie sind zum Beispiel befugt, zu untersuchende Körperflüssigkeiten selbst beim Patienten zu entnehmen. Das beklagte Land hat unwidersprochen vorgetragen, dass es erforderlich und sachdienlich sei, wenn im Institut für Klinische Chemie Ärzte vorhanden seien, die im Bedarfsfall selbst Körperflüssigkeiten direkt bei dem Patienten entnehmen können.

74

bb) Auch bei analoger Heranziehung der Rechtsprechungsgrundsätze des EuGH (Urteil vom 11.05.1999 - C 309/97, EAS EG-Vertrag Art. 119 Nr. 49) zum gemeinschaftsrechtlichen Lohngleichheitsgebot (jetzt Art. 157 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ex Art. 141 EGV, ex Art. 119 EGV) ist keine gleiche Arbeit gegeben, die ein gleiches Entgelt erforderte. Selbst wenn die Tätigkeit der Klinischen Chemiker und der Laboratoriumsmediziner die gleiche ist, handelt es sich nicht um eine entgeltsrechtlich gleiche Arbeit.

75

Eine unterschiedliche Berufsausbildung rechtfertigt eine Differenzierung des Entgelts für eine gleiche oder gleichwertige Arbeit. Sie ist jedoch auch ein Kriterium, anhand dessen sich feststellen lässt, ob die Arbeitnehmer die gleiche Tätigkeit verrichten.

76

Laboratoriumsmediziner haben im Unterschied zu nichtärztlichen Klinischen Chemikern eine Ausbildung, die sie dazu befähigt, unmittelbar mit den Patienten zu arbeiten. Auch wenn das in der täglichen Praxis nicht der Fall ist, sind sie anders als die Klinischen Chemiker ohne Medizinstudium und Approbation weiterhin auch unmittelbar ärztlich einsetzbar, so dass keine gleiche Arbeit vorliegt, auch wenn die ausgeübten Tätigkeiten die gleichen sind, die auch die Klinischen Chemiker ausüben.

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III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO.

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Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.

Löber
Baar
Bönig