Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 03.11.2009, Az.: 3 TaBV 4/09

Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Änderung der betrieblichen Vergütungsordnung im Nachwirkungszeitraum eines Tarifvertrags

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
03.11.2009
Aktenzeichen
3 TaBV 4/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 37090
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2009:1103.3TABV4.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Oldenburg - 07.08.2008 - AZ: 5 BV 4/08

Redaktioneller Leitsatz

1. Die ursprünglich im Betrieb geltenden Grundsätze der tariflichen Vergütungsordnung bleiben auch nach dem Wegfall des Tarifvertrages das für den Betrieb maßgebliche Vergütungsschema, ohne dass es einer Transformation durch die Betriebsparteien oder die Arbeitsvertragsparteien bedarf.

2. Entscheidet sich der Arbeitgeber dafür, im Nachwirkungszeitraum des Tarifvertrages mit allen neu einzustellenden Arbeitnehmern frei verhandelte Vergütungsvereinbarungen abzuschließen und den Tarifvertrag nicht mehr anzuwenden, handelt es sich um eine kollektive Maßnahme und eine Änderung der betrieblichen Vergütungsordnung, die der Beteiligung des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bedarf.

Tenor:

Der Beschluss des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 07.08.2008 - 5 BV 4/08 - wird abgeändert:

Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, die Mitarbeiterin Liane M. einzugruppieren nach den Eingruppierungsmerkmalen und Vergütungs- und Lohntabellen zum BMT-AW II und die Zustimmung des Antragstellers zur Eingruppierung einzuholen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten im Beschwerdeverfahren noch über die Eingruppierung einer von der Beteiligten zu 2) eingestellten Arbeitnehmerin.

2

Die Beteiligte zu 2) betreibt zahlreiche gemeinnützige Einrichtungen. Die Zuständigkeit der Betriebsräte für die Einrichtungen ist durch einen Tarifvertrag nach § 3 BetrVG festgeschrieben. Der Antragsteller ist danach für drei Einrichtungen im Bereich Weser-Ems zuständig.

3

Bei der Beteiligten zu 2) galten ursprünglich die Bestimmungen des BMT-AW II, dessen Eingruppierungstabellen im Wesentlichen dem Tarifwerk des BAT entsprachen. Die Tarifvertragsparteien vereinbarten einen neuen Manteltarifvertrag, der zum 01.07.2006 in Kraft trat. Dieser Tarifvertrag enthält in Abschnitt 3 Regelungen über Eingruppierung und Entgelt. Die insoweit maßgeblichen §§ 12 und 13 über Eingruppierung und Eingruppierung in besonderen Fällen sind bisher nicht belegt. Im Hinblick auf die Entgeltberechnung verweist § 15 des Manteltarifvertrages auf die Vereinbarungen nach § 34. Diese Bestimmung hat folgenden Inhalt:

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Vorrangig zu den Regelungen dieses Tarifvertrages gelten folgende Regelungen:

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(1) Das vorliegende Tarifvertragswerk (einschließlich der in ihm in Bezug genommenen Regelungen) stellt eine abschließende Regelung der Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer und der sonstigen Beschäftigten im Sinne von § 1 dar und ersetzt ab dem 01.07.2006 ausnahmslos und abschließend alle bis dahin in der A. Gruppe geltenden oder angewandten tariflichen Regelungen, es sei denn, dieser Tarifvertrag verweist ausdrücklich auf den BMT-AW II. Soweit Dienst- oder Betriebsvereinbarungen über in diesem Tarifvertrag geregelte Fragen abgeschlossen sind, werden diese durch diesen Tarifvertrag ersetzt. Gleiches gilt - soweit dies gesetzlich zulässig ist - für diesem Tarifvertragswerk widersprechende betriebliche Übungen.

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Die Regelungen des

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- Restrukturierungstarifvertrages A. Bezirksverband Weser-Ems

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- Überleitungstarifvertrag A. Bezirksverband Weser-Ems und

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- Tarifvertrag betriebsratsfähige Einheiten A. Bezirksverband Weser-Ems

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bleiben unberührt.

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(2) Vergütungszahlungen:

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(a) Für den Zeitraum 01.07.2006 bis 31.12.2006 werden auf der Basis der Regelungen der Eingruppierungen und der Vergütungs- und Lohntabellen des BMT-AW II die Gehalts- und Lohnzahlungen ausgeführt. Im Rahmen dieser Regelung wird der Arbeitnehmer auf der Basis der für ihn am 01.07.2006 geltenden Tarifbestimmungen der jeweils einschlägigen Eingruppierungs- und Vergütungstarifverträge für Angestellte und Arbeiter des BMT-AW II vergütet.

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(b) Bis zum 31.12.2006 werden die Regelungen der Eingruppierungen und der Vergütungs- und Lohntabellen des BMT-AW II auf der Basis der für den Arbeitnehmer am 30.06.2006 geltenden Tarifbestimmungen unbeschadet der zum 01.07.2006 in Kraft tretenden Tarifverträge der Gesellschaften in analoger Weise angewendet.

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(c) Sofern zu einem früheren Zeitpunkt als der 31.12.2006 die Vereinbarung zur Regelung der Eingruppierungen verabschiedet wird, erfolgt zum nächsten 1. des Folgemonats die Anwendung der neuen Tariftabellen. Die Anwendung des BMT-AW II entfällt ab diesem Zeitpunkt.

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...

16

In der Folgezeit gelang es den Tarifvertragsparteien nicht, entsprechende Entgeltregelungen tariflich zu vereinbaren. Die Beteiligte zu 2) wandte übergangsweise bis zum 30.06. 2007 weiter die Entgeltregelungen nach dem alten TV-Entgelt zum BMT-AW II an. Danach verwies sie im Hinblick auf die Eingruppierung neu einzustellender Mitarbeiter jeweils auf "freie Vereinbarungen". Mit Mitteilung vom 03.04.2008 (Eingang bei dem Antragsteller am 25.04.2008) beantragte die Beteiligte zu 2) die Zustimmung zur Neueinstellung der Reinigungskraft M. unter Hinweis auf eine freie Entgeltvereinbarung. Der Antragsteller stimmte der Einstellung mit Schreiben vom 28.04.2008 zu und verweigerte die Zustimmung zur Eingruppierung.

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Für Einstellungen nach dem 31.07.2008 akzeptiert der Antragsteller aufgrund einer Regelungsabrede nunmehr Eingruppierungen nach dem Entgeltsystem TVöD. Die von der Beteiligten zu 2) mit Rücksicht hierauf erneut beantragte Zustimmung zur Eingruppierung der Mitarbeiterin M. verweigerte der Antragsteller.

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Der Antragsteller hat die Ansicht vertreten, die Beteiligte zu 2) sei gemäß §§ 101, 99 BetrVG verpflichtet, die Mitarbeiter nach dem nach wie vor geltenden kollektiven Entgeltschema des BMT-AW II einzugruppieren. Das einseitige Abgehen der Beteiligten zu 2) von der insoweit bestehenden Vergütungsordnung verstoße gegen § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG.

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Der Antragsteller hat beantragt,

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1. der Antragsgegnerin aufzugeben, die Mitarbeiterinnen E. E. und L. M. und den Mitarbeiter H. H. nach dem TV-Entgelt zum BMT-AW II einzugruppieren, die Zustimmung des Antragstellers einzuholen und im Verweigerungsfall durch das Arbeitsgericht ersetzen zu lassen,

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2. der Antragsgegnerin aufzugeben, neu einzustellende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach dem TV-Entgelt zum BMT-AW II einzugruppieren, solange nicht die Zustimmung des Betriebsrats zu einer anderen diese personellen Maßnahmen erfassenden Vergütungsordnung erteilt und ersetzt worden ist, soweit es sich nicht um außertarifliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter handelt.

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Die Beteiligte zu 2) hat beantragt,

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die Anträge abzuweisen.

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Sie hat die Ansicht vertreten, nach Ablauf der Gültigkeit des BMT-AW II habe es keine abstrakten Vergütungskriterien mehr gegeben, die eine Verpflichtung zur Vornahme von Eingruppierungen hätten begründen können. Darüber hinaus bestehe für den Betriebsrat kein zwingendes Mitbestimmungsrecht. Diesem stehe vielmehr die Vorbehaltsregelung des § 77 Abs. 3 BetrVG entgegen. Der Gesetzgeber habe den Betriebsparteien gerade nicht die Möglichkeit eröffnet, "Ersatztarifverträge" auf betrieblicher Ebene abzuschließen.

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Durch Beschluss vom 07.08.2008 hat das Arbeitsgericht den Antrag des Antragstellers zurückgewiesen. Wegen der Begründung wird auf die Ausführungen unter II. der angefochtenen Entscheidung (Bl. 90 bis 92 d. A.) verwiesen. Der Beschluss ist dem Antragsteller am 09.12.2008 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 08.01.2009 Beschwerde eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 05.03.2009 am 04.03.2009 begründet.

26

Der Antragsteller ist der Ansicht, eine Änderung der bis zum 31.12.2006 bestehenden Entlohnungsgrundsätze unterfalle als kollektive Maßnahme dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates. Die entsprechenden Eingruppierungsregelungen des BMT-AW II seien auch nach Wegfall der Tarifgeltung die im Betrieb der Beteiligten zu 2) maßgebende Vergütungsordnung gewesen.

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Der Antragsteller beantragt,

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den Beschluss des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 07.08.2008 (5 BV 4/08) abzuändern und der Beteiligten zu 2) aufzugeben, die Mitarbeiterin L. M. einzugruppieren nach den Eingruppierungsmerkmalen und Vergütungs- und Lohntabellen zum BMT-AW II und die Zustimmung des Beteiligten zu 1) zur Eingruppierung einzuholen.

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Die Beteiligte zu 2) beantragt,

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die Beschwerde zurückzuweisen.

31

Sie ist der Ansicht, ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates gemäß § 87 Abs. 1 BetrVG bestehe nicht, weil dem tarifliche Bestimmungen entgegenstünden. Der neue Tarifvertrag enthalte eine grundlegende Neuregelung bezüglich der Eingruppierung und des Entgelts. Damit hätten sich die Tarifvertragsparteien dahingehend geeinigt, dass der BMT-AW II und dessen Vergütungsstruktur - jedenfalls nach dem Übergangszeitraum bis zum 31.12.2006 - keine Anwendung mehr finden könnten. Damit sei ein Zustand geschaffen, der es den Betriebsparteien nicht mehr gestatte, an der bisherigen im Betrieb geltenden tariflichen Ordnung festzuhalten.

32

II. 1. Die Beschwerde des Antragstellers ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 87, 89, 76 ArbGG) und damit insgesamt zulässig.

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2. Die Beschwerde ist auch begründet, weil dem Antrag im Hinblick auf die Eingruppierung der Mitarbeiterin M. stattzugeben war.

34

a) Der hierauf gerichtete Antrag des Antragstellers ist zulässig. Insbesondere ist er hinreichend bestimmt gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Antrag bezeichnet sowohl die betroffene Arbeitnehmerin als auch die für sie nach Ansicht des Antragstellers maßgebliche Vergütungsordnung.

35

b) Der Antrag ist auch begründet.

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Die Beteiligte zu 2) ist gemäß §§ 99 Abs. 1 Satz 1, 101 BetrVG verpflichtet, die Mitarbeiterin M. in das Vergütungssystem zum BMT-AW II in Verbindung mit den entsprechenden Vergütungs- und Lohntabellen einzugruppieren und die Zustimmung des Antragstellers hierzu einzuholen. Bei dem Vergütungssystem des BMT-AW II handelt es sich nämlich um das zum Zeitpunkt der Einstellung der Mitarbeiterin M. bei der Beteiligten zu 2) geltende Vergütungssystem. Das in § 99 BetrVG vorgeschriebene Beteiligungsverfahren ist erst dann abgeschlossen, wenn es zu einer Eingruppierung geführt hat, für die entweder eine vom Betriebsrat nach § 99 Abs. 1 BetrVG erteilte oder eine vom Gericht nach § 99 Abs. 4 BetrVG ersetzte Zustimmung vorliegt (vgl. BAG, Beschluss vom 03.05.1994 - 1 ABR 58/93 - AP 2 zu § 99 BetrVG 1972 Eingruppierung = NZA 95, 484).

37

Die Eingruppierungsmerkmale sowie Vergütungs- und Lohntabellen zum BMT-AW II stellen kollektive Entlohnungsgrundsätze dar, die eine Eingruppierung durch die Beteiligte zu 2) notwendig gemacht haben. Dieses Eingruppierungssystem wandte die Beteiligte zu 2) unstreitig über den 31.12.2006 bis zum 30.06.2007 weiter in ihrem Betrieb für alle Beschäftigten an. In der Folgezeit wurde dieses Eingruppierungssystem möglicherweise durch eine von dem Antragsteller im Rahmen einer Regelungsabrede akzeptierte Eingruppierung nach dem "TVöD-A." ersetzt. Dies betrifft jedoch nicht die im vorliegenden Verfahren streitige personelle Maßnahme, nämlich die Einstellung und Eingruppierung der Mitarbeiterin M. Diese wurde zum 01.06.2008 eingestellt und eingruppiert, also in dem Zeitraum, als die Beteiligte zu 2) das bisherige Entlohnungssystem nicht mehr und das Entlohnungssystem nach dem TVöD noch nicht anwandte. Gleichwohl galten zu diesem Zeitpunkt noch die Entlohnungsgrundsätze nach dem BMT-AW II. Diese sind nicht durch die unternehmerische Entscheidung der Beteiligten zu 2) weggefallen, ab dem 01.07.2007 eingestellte Mitarbeiter nunmehr nach Maßgabe einer individuell vereinbarten Vergütungshöhe einzustellen. Hierdurch ist nämlich die bisherige Vergütungsordnung nicht weggefallen. Denn die Beteiligte zu 2) hat insoweit das nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bestehende Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nicht beachtet.

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Hierzu hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen in seiner Entscheidung vom 05.12.2008 - 6 TaBV 97/08 - Folgendes ausgeführt:

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aa) Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen, bei Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Änderung und Anwendung neuer Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung. Zweck des Mitbestimmungsrechtes ist die angemessene und durchsichtige Gestaltung des Lohngefüges und die Wahrung der Lohn- und Vergütungsgerechtigkeit innerhalb des Betriebes. Gegenstand sind die Strukturformen des Entgeltes einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen, das heißt die abstrakt generellen Grundsätze der Entgeltfindung (BAG, 15.04.2008 - 1 AZR 65/07 - siehe Juris). Mitbestimmungspflichtig ist auch die Änderung bestehender Grundsätze durch den Arbeitgeber.

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bb) Die Beteiligte zu 2) hat in ihrem Betrieb geltende Entlohnungsgrundsätze weder durch die Aufstellung eines eigenen Vergütungssystems Mitte 2007 noch durch die Entscheidung, mit ab September 2007 eingestellten Arbeitnehmern freie Vergütungsvereinbarungen zu treffen, wirksam geändert. Bis zum 31.12.2006 und einige Monate darüber hinaus hat die Beteiligte zu 2) für alle Arbeitnehmer ihres Betriebes unabhängig von der Gewerkschaftszugehörigkeit die Eingruppierungsvorschriften und die Vergütungssystematik des BMT-AW II angewandt. Diese sind charakterisiert durch die monatliche Zahlung einer bestimmten, nach Gruppen differenzierten regelmäßigen Vergütung einschließlich Zuschlägen.

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cc) Diese Vergütungsgrundsätze hat die Beteiligte zu 2) geändert, indem sie seit September 2007 mit allen neu eingestellten Mitarbeitern auf der Basis freier Verhandlung feste Monatsgehälter vereinbart. Auch das kollektive ersatzlose Aufheben einer bestimmten Vergütungsordnung ist eine Veränderung des bisherigen Systems, sogar mit weitergehenden Konsequenzen als bei einer bloßen Modifikation des bestehenden Systems. In beiden Fällen sind die Durchsichtigkeit und die Gewährleistung des innerbetrieblichen Lohngefüges gefährdet und deshalb ist nach dem Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts gemäß § 87 Abs. 2 Nr. 10 BetrVG der Betriebsrat zu beteiligen. Es handelt sich dabei auch offensichtlich nicht um eine mitbestimmungsfreie Änderung der absoluten Höhe der Vergütung für die ab September 2007 neu eingestellten Mitarbeiter unter Beibehaltung des bisherigen Vergütungsschemas. Da die Beteiligte zu 2) sich zudem nicht entschlossen hat, lediglich in Einzelfällen, sondern grundsätzlich für alle neu eingestellten Arbeitnehmer die Vergütung im Rahmen von freien Verhandlungen zu bestimmen und nicht auf die tariflichen Bestimmungen zurückzugreifen, ist der erforderliche kollektive Bezug gegeben.

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dd) Diese Änderung der bis dahin bestehenden Entlohnungsgrundsätze unterfiel als kollektive Maßnahme dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates. Dem steht der Tarifvorrang gemäß § 87 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ebenso wenig entgegen wie derjenige aus § 77 Abs. 3 BetrVG. Zwar hatte der Betriebsrat während der Geltungsdauer des einschlägigen Tarifvertrages bis zum 31.12.2006 nicht über die Vergütungsgrundsätze mitzubestimmen. Seit dem 01.01.2007 bestehen jedoch keine das Mitbestimmungsrecht ausschließenden zwingenden tariflichen Regelungen mehr. Zwar sind die Regelung von Eingruppierungsgrundsätzen und die absolute Höhe der Vergütung ohne Frage "üblicherweise" Gegenstand von tariflichen Regelungen, woraufhin bloße zeitliche Geltungslücken zwischen einem ablaufenden und einem zu erwartenden Tarifvertrag die Sperrwirkung nicht hindern können (vgl. BAG, 22.03.2005 - 1 ABR 64/03 - AP Nr. 26 zu § 4 TVG Geltungsbereich). Die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG tritt aber nur insoweit ein, wie der betreffende Regelungsgegenstand nicht der zwingenden Mitbestimmung des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 BetrVG unterliegt. Der zwingenden Mitbestimmung zuzuordnen ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG jedoch gerade die Aufstellung abstrakter Entlohnungsgrundsätze. Dazu gehören die Grundstrukturen einer Vergütungsordnung einschließlich ihrer Anwendung als solcher.

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ee) Die zunächst bis zum 31.12.2006 kraft Tarifbindung anzuwendenden Eingruppierungsregelungen des BMT-AW II stellten auch nach dem Wegfall der Tarifbindung die im Betrieb der Beteiligten zu 2) maßgebliche Vergütungsordnung dar. Nach der überzeugenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, von der abzuweichen kein Anlass besteht, bleiben die ursprünglich kraft Tarifbindung des Arbeitgebers im Betrieb geltenden Grundsätze der tariflichen Vergütungsordnung auch nach dem Wegfall der Bindung das für den Betrieb maßgebliche Vergütungsschema. Dazu ist es nicht erforderlich, dass sie zuvor kollektivrechtlich durch eine Betriebsvereinbarung oder individualrechtlich auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt worden sind. Sie bleiben ohne Transformation weiter als solche gültig. Der Wegfall der Tarifbindung hat lediglich zur Folge, dass dieses Schema und die darin zum Ausdruck kommenden Vergütungsgrundsätze nicht mehr zwingend gelten. Das ändert aber nichts daran, dass diese Grundsätze im Betrieb angewendet wurden, deshalb die dort geltenden Entgeltgrundsätze und betriebsverfassungsrechtlich nach wie vor verbindlich sind (BAG, 15.04.2008 - 1 AZR 65/07 - aaO.). Der von der Beteiligten zu 2) nach ihrer eigenen Behauptung in die Praxis umgesetzte Entschluss, diese bisherigen Grundsätze für neu eingestellte Arbeitnehmer ab September 2007 nicht mehr anzuwenden, ist als eine Änderung im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu qualifizieren. Anderenfalls wäre das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates bei dem Wegfall der Bindung an eine tarifliche Vergütungsordnung geringer als bei der Änderung eines vom Arbeitgeber einseitig praktizierten Entgeltsystems (vgl. BAG, 15.04.2008 - 1 AZR 65/07 - aaO.). Die Beteiligte zu 2) hat jedoch weder den Beteiligten zu 1) noch den Gesamtbetriebsrat insoweit beteiligt, woraufhin weiterhin die Eingruppierungsmerkmale einschließlich Vergütungs- und Lohntabellen zum BMT-AW II die für den Betrieb der Beteiligten zu 2) maßgebliche Vergütungsordnung sind. Diese bildet die Grundlage für die Eingruppierungsverpflichtung der Beteiligten zu 2) im Hinblick auf die Mitarbeiter M. Fr., N. Sch. und H. K. sowie das diesbezügliche Zustimmungserfordernis vonseiten des Beteiligten zu 1). Daraus folgt keineswegs zwingend, dass die Beteiligte zu 2) bei Neueinstellungen trotz des Wegfalls der Tarifbindung die Höhe der tariflichen Vergütung beibehalten musste, solange nicht der Betriebsrat einer Änderung der Entlohnungsgrundsätze zugestimmt hatte. Sowohl betriebsverfassungsrechtlich als auch individualrechtlich wäre es für die Beteiligte zu 2) möglich gewesen, das Gehaltsniveau unter Beibehaltung der bisherigen Eingruppierungssystematik auch ohne Zustimmung des Betriebsrates um bestimmte Prozentsätze insgesamt abzusenken. Darauf hat sich die Beteiligte zu 2) jedoch nicht beschränkt, sondern das Vergütungssystem überhaupt nicht mehr angewandt.

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Diesen Ausführungen schließt sich die erkennende Kammer ausdrücklich an. Ergänzend ist im Hinblick auf die Argumentation der Beteiligten zu 2) mit der Beschwerdeerwiderung auf Folgendes hinzuweisen:

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Die Beteiligte zu 2) macht geltend, die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts sowie dem folgend der 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen, wonach der Wegfall der Tarifbindung nicht dazu führe, dass mit ihr zugleich die tarifliche Vergütungsordnung als das im Betrieb geltende kollektive, abstrakte Vergütungsschema ersatzlos entfiele, treffe nur dann zu, wenn dem keine tariflichen Bestimmungen entgegenstünden. Solche entgegenstehenden tariflichen Bestimmungen gibt es im vorliegenden Fall jedoch gerade nicht. Zu dem Zeitpunkt der Einstellung der Mitarbeiterin M. war der Tarifvertrag nicht mehr in Kraft. Die Mitbestimmung des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 BetrVG wird durch den Tarifvorrang des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG nur dann ausgeschlossen, wenn eine inhaltliche und abschließende tarifliche Regelung über den Mitbestimmungsgegenstand besteht. Dagegen entfaltet eine tarifliche Regelung, die nur im Sinne von § 77 Abs. 3 BetrVG üblich ist und für den Betrieb keine Bindungen erzeugt, gerade nicht den Schutz, der erforderlich wäre, um das Bedürfnis für einen Mitbestimmungsgegenstand gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG entfallen zu lassen (vgl. BAG, Beschluss vom 03.12. 1991 - GS 2/90 - AP 51 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung = NZA 92, 749).

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Die Beteiligte zu 2) kann ferner nicht mit Erfolg einwenden, die Tarifvertragsparteien hätten sich festgelegt und Vereinbarungen dahingehend getroffen, dass der BMT-AW II und dessen Vergütungsstruktur keine Anwendung mehr finden könnten. Hierin liegt nämlich keine tarifliche Regelung der im vorliegenden Fall einschlägigen Materie. Diese Materie haben die Tarifvertragsparteien gerade durch das Nichtbelegen der §§ 12 und 13 des Tarifvertrages ungeregelt gelassen, dies allerdings in der Erwartung, dass es bis zum 31.12.2006 zu einer entsprechenden tariflichen Einigung kommen würde. Die Tarifpartner waren sich daher einig, dass der BMT-AW II und dessen Vergütungsstruktur keine Anwendung mehr finden sollte, sie haben es aber bisher nicht vermocht, diese aufgehobene Vergütungsstruktur durch eine neue zu ersetzen. Insoweit bestand also bei Einstellung der Mitarbeiterin M. keine tarifliche Regelung und besteht sie auch heute noch nicht.

47

3. Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 92 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zuzulassen.

Vogelsang
von Heimburg
Beese