Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 03.12.2009, Az.: 5 Sa 739/09

Außerordentliche Kündigung bei Vergleich einer Arbeitgeberäußerung mit Ansichten aus dem Dritten Reich

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
03.12.2009
Aktenzeichen
5 Sa 739/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2009, 37095
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:2009:1203.5SA739.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hildesheim - 07.05.2009 - AZ: 3 Ca 365/08

Redaktioneller Leitsatz

Der Vergleich einer Aussage des Arbeitgebers ("Wir wollen nur gesunde und voll einsetzbare Mitarbeiter") durch einen schwerbehinderten Arbeitnehmer mit Ansichten und Verfahrensweisen aus dem Drittem Reich stellt eine grobe Beleidigung dar, die grundsätzlich geeignet ist, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.

In dem Rechtsstreit

Kläger und Berufungsbeklagter,

gegen

Beklagte und Berufungsklägerin,

hat die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 3. Dezember 2009 durch

den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Kubicki,

den ehrenamtlichen Richter Herrn Krantz,

den ehrenamtlichen Richter Herrn Breves

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 07.05.2009 - Az.: 3 Ca 365/08 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer gegenüber dem Kläger ausgesprochenen außerordentlichen Kündigung sowie um die Erteilung eines Zwischenzeugnisses.

2

Der am 10.10.1957 geborene Kläger ist verheiratet und für ein Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er ist seit dem 01.10.1979 bei dem Beklagten als Rettungsassistent beschäftigt. Sein monatliches Bruttoeinkommen beläuft sich auf 3.110,66 € .

3

Er weist einen Grad der Behinderung von 70 auf.

4

Aufgrund seiner Schwerbehinderung und der damit einhergehenden längeren Arbeitsunfähigkeit führten der Kläger und der Regionalvorstand des Beklagten beginnend mit September 2006 diverse Gespräche. Seit dem Sommer 2007 trat der Kläger in schriftlichen Kontakt mit dem Dienststellenleiter der Rettungswache H., dem Regionalvorstand sowie der Personalabteilung mit dem Ziel, mögliche Beschäftigungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung seines Gesundheitszustandes in der Einrichtung des Beklagten zu suchen. Dabei führte er unter anderem am 04.01.2008 mit dem Personalleiter des Beklagten ein Gespräch, dessen genauer Wortlaut zwischen den Parteien streitig ist.

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Unter dem 01.10.2008 übersandte er an den Beklagten - zu Händen des Personalleiters Kettner - ein Schreiben in dem es wörtlich unter anderem wie folgt heißt: "Des weiteren möchte ich noch einmal auf unser oben genanntes Personalgespräch eingehen, insbesondere auf die von ihnen getätigte Aussage: "Wir wollen nur gesunde und voll einsetzbare Mitarbeiter". Diese Aussage ist in meinen Augen vergleichbar mit Ansichten und Verfahrensweisen aus dem Dritten Reich und gehört eigentlich auf die Titelseiten der Tageszeitungen sowie in weitere Medien !"

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Wegen des Wortlauts im Übrigen wird auf eben dieses Schreiben vom 01.10.2008, Anlage K 4 zur Klageschrift, Bl. 34 und 35 der Gerichtsakte, verwiesen. Dies nahm der Beklagte zum Anlass, mit Schreiben vom 13.10.2008 gegenüber dem Integrationsamt die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers zu beantragen. Ebenfalls hörte er die Mitarbeitervertretung mit Schreiben vom 01.10.2008 an. Das Integrationsamt erteilte die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers und teilte dies dem Beklagten zum einen mündlich am 28.10.2008 sowie ferner mit Schreiben vom selben Tage mit.

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Mit Schreiben vom 16.10.2008 wandte sich der Kläger an den Beklagten - zu Händen des Personalleiters K. - und entschuldigte sich mit folgendem Wortlaut:

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"Sehr geehrter Herr K., nach nochmaligen, längerenÜberlegungen meinerseits, bezüglich des v. g. Schreibens, stellte ich fest, dass meine Formulierungen doch zu hart waren.

9

Hiermit bitte ich um Entschuldigung.

10

Meine derzeitige physische Verfassung, nach meinen schweren Erkrankungen, welche Ihnen bekannt sind, hat mich hierzu verleitet.

11

Ich bitte um Nachsicht."

12

Mit Schreiben vom 28.10.2008, dem Kläger am 29.10.2008 zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis ihm gegenüber außerordentlich.

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Mit seiner bei Gericht am 14.11.2008 eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung zur Wehr gesetzt und - soweit für das vorliegende Berufungsverfahren von Bedeutung - die Erteilung eines Zwischenzeugnisses begehrt. Er hat die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung sei nicht gegeben. Unabhängig davon sei der Regionalvorstand B., der die Kündigung unterschrieben habe, nicht kündigungsberechtigt gewesen. Deswegen habe sein Prozessbevollmächtigter mit Schreiben vom 04.11.2008 das Kündigungsschreiben wegen fehlender ordnungsgemäßer Vollmacht zurückgewiesen.

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Der Kläger hat beantragt,

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1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 28.10.2008, zugegangen am 29.10.2008, nicht beendet worden ist;

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2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1.) den Beklagten zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Rettungsassistent im Ortsverband H. weiter zu beschäftigen;

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3. den Beklagten zur verurteilen, dem Kläger ein wohlwollendes, dem beruflichen Fortkommen dienliches Zwischenzeugnis zu erteilen, das sich auf Art und Dauer des Arbeitsverhältnisses bezieht und das sich auch auf Leistung und Verhalten in dem Arbeitsverhältnis erstreckt, wobei das Leistungsverhalten wenigstens "sein Verhalten gegenüber Vorgesetzten, Mitarbeitern, Ärzten und Patienten war einwandfrei" zu bewerten sind.

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Der Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er hat die Auffassung vertreten, die von ihm ausgesprochene außerordentliche Kündigung sei rechtmäßig. Sie stelle eine grobe Beleidigung dar. Hierzu behauptet er, die in dem Schreiben des Klägers vom 04.10.2008 behauptete Äußerung des Personalleiters K. sei zu keinem Zeitpunkt gefallen.

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Ergänzend wird zur Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, Bl. 2 - 4 desselben, Bl. 172 - 173 der Akte, Bezug genommen.

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Mit Urteil vom 07.05.2009 hat das Arbeitsgericht der Klage teilweise stattgegeben und auf Rechtsunwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 28.10. sowie auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses erkannt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Wegen der genauen Einzelheiten der Tenorierung wird auf den Tenor des angefochtenen Urteils, Bl. 172 der Gerichtsakte, wegen der genauen Einzelheiten der rechtlichen Würdigung auf die Entscheidungsgründe, Bl. 4 - 9 des Urteils, Bl. 173 - 176 der Gerichtsakte verwiesen.

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Diese Urteil ist dem Beklagten am 25.05.2009 zugestellt worden. Mit einem am 03.06.2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz hat er Berufung eingelegt und diese mit einem am 27.08.2009 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem zuvor das Landesarbeitsgericht mit Beschluss vom 16.06.2009 die Berufungsbegründungsfrist antragsgemäß bis zu diesem Datum verlängert hatte.

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Mit seiner Berufung begehrt der Beklagte das erstinstanzliche Klageziel der vollständigen Klageabweisung weiter. Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen. Er behauptet, die vom Kläger zitierte Äußerung, die der Personalleiter Herr K. am 04.01.2008 getan haben soll, treffe so nicht zu. Herr K. habe lediglich seine Arbeitnehmer darauf hin gewiesen, dass sie wirklich nur dann arbeiten, wenn sie auch arbeitsfähig seien. Im Übrigen sei die Entschuldigung des Klägers vom 16.10.2008 nicht ernst zu nehmen. Er habe sich lediglich formal entschuldigt, unter dem Eindruck der drohenden außerordentlichen Kündigung. Er habe sich nur von seinen Formulierungen nicht aber von deren Inhalt distanziert. Auch zweitinstanzlich werde weiterhin bestritten, dass das zweite Zurückweisungsschreiben vom 04.11.2008 von Herrn Rechtsanwalt M. unterschrieben gewesen sein soll.

25

Er vertritt die Auffassung, die Interessenabwägung müsse zu Lasten des Klägers ausgehen. Es stelle eine mittelbare Altersdiskriminierung zu Lasten jüngerer Arbeitnehmer dar, wenn man zu Gunsten des Klägers sein Lebensalter und seine Dauer der Betriebszugehörigkeit von 29 Jahren berücksichtige. Im Übrigen müsse berücksichtigt werden, dass der Beklagte eine Organisation sei, die selbst unter dem Naziregime gelitten habe.

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Der Beklagte beantragt,

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das Urteil des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 07.05.2009 - 3 Ca 365/08 - abzuändern, soweit es der Klage stattgegeben hat, und die Klage insgesamt abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Er verteidigt das angefochtene Urteil und bestreitet, die Entschuldigung vom 16.10.2008 nicht ernst gemeint zu haben.

31

Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufung wird auf ihre Schriftsätze vom 27.08., 02.10. und 25.11.2009 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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A. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 64, 66 ArbGG und 519, 520 ZPO). Auch soweit der Beklagte mit seiner Berufung sich gegen die vom Arbeitsgericht vorgenommene Verurteilung zur Erteilung eines Zwischenzeugnisses wendet, entspricht die Berufung dem Begründungserfordernis des § 520 Abs. 3 ZPO. Es liegt ein Fall sogenannter Akzessorietät vor. Ist die fristlose Kündigung berechtigt und hat das Arbeitsverhältnis beendet, dann steht dem Kläger kein Zwischen-, sondern ein Endzeugnis zu. Deswegen ist es ausreichend, auch insoweit die Ausführungen auf die Rechtmäßigkeit der fristlosen Kündigung zu beschränken.

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B. Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht hatte das angefochtene Urteil auf Rechtsunwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung erkannt und einen Anspruch auf Erteilung des begehrten Zwischenzeugnisses bejaht.

34

I. Die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 28.10.2008 ist unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet. Es fehlt an einem wichtigen Grund zum Ausspruch dieser außerordentlichen Kündigung gemäß § 626 Abs. I BGB.

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1. Ein wichtiger Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB liegt dann vor, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zugemutet werden kann, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen. Es muss eine Pflichtwidrigkeit vorliegen, die das Vertragsverhältnis so schwer beeinträchtigt, dass dem Kündigenden - auch unter Berücksichtigung der Interessen der Gegenpartei - die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses und dessen Fortsetzung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar ist (BAG, Urteil vom 17.05.1984, Az.: 2 AZR 3/83, AP Nr. 14 zu § 626 BGB, Verdacht strafbarer Handlung; BAG, Urteil vom 07.07.2005, Az.: 2 AZR 581/04, NZA 2006, 98 bis 101).

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Hierbei ist ein zweistufiger Prüfungsaufbau vorzunehmen: Auf der ersten Stufe ist zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles die abstrakte Eignung aufweist, einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund abzugeben (Kündigungsgrund an sich). Auf der zweiten Stufe sind unter Bezugnahme auf die konkrete Kündigung alle Umstände des Einzelfalles zu untersuchen und eine abschließende Interessenabwägung durchzuführen.

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2. Unter Berücksichtigung der vorstehend aufgezeigten Rechtsgrundsätze ist die außerordentliche Kündigung nicht gerechtfertigt. Die in jedem Einzelfall vorzunehmende Interessenabwägung geht zu Gunsten des Klägers aus. Es war dem Beklagten zumutbar, jedenfalls die Frist für eine ordentliche Kündigung einzuhalten.

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a) Das Verhalten des Klägers ist auf der ersten Stufe der vorzunehmenden Prüfung an sich geeignet, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen.

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aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können grobe Beleidigungen des Arbeitgebers und/oder seiner Vertreter oder Repräsentanten, die nach Form- und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den bzw. die Betroffenen bedeuten, einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme darstellen und eine außerordentliche Kündigung an sich rechtfertigen (BAG, Urteil vom 24.11.2005, Az: 2 AZR 584/04 - AP Nr. 198 zu § 626 BGB m.w.N.). Bei einem Vergleich betrieblicher Verhältnisse und Vorgehensweisen mit dem Nationalsozialistischem Terrorsystem handelt es sich um eine grobe Beleidigung (BAG aaO.; LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 29.08.2006, Az.: 6 Sa 72/06 - LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 8 b; Hessisches Landesarbeitsgericht, Beschluss vom 03.09.2008, Az: 8 TABV 10/08 - LAGE § 103 BetrVG 2001 Nr. 7).

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bb) Mit der Vorinstanz wertet das Berufungsgericht die Passagen des Klägers, welche im Tatbestand dieses Urteils zitiert worden sind, als eine schwerwiegende Pflichtverletzung, welche an sich geeignet ist, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Diese Äußerungen des Klägers sind keineswegs durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt und können nicht lediglich als eineüberspitzte oder polemisch formulierte Kritik gewertet werden.

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b) Unter Abwägung der Interessen der beiderseitigen Interessen der Parteien ist eine außerordentliche Kündigung aber nicht gerechtfertigt.

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aa) Auch wenn ein an sich geeigneter Grund zur Rechtfertigung einer Kündigung vorliegt, kann eine hierauf gestützte außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis gleichwohl nur dann beenden, wenn sich bei einer umfassenden Interessenabwägung ergibt, dass das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers im Verhältnis zu dem Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers überwiegt (BAG, Urteil v. 27.04.2006, Az.: 2 AZR 415/05 - AP Nr. 203 zu § 626 BGB). Die bei der Interessenabwägung zu berücksichtigenden Umstände lassen sich nicht abschließend für alle Fälle festlegen. Zunächst kommt der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen beanstandungsfreien Bestands ein besonderes Gewicht zu. Darüber hinaus sind die Unterhaltspflichten und das Lebensalter zu berücksichtigen. Schließlich sind insbesondere das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragsverletzung, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (BAG, Urteil vom 26.03.2009, Az: 2 AZR 953/07 - AP Nr. 220 zu § 626 BGB m.w.N.).

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An diesen Kriterien hält auch das Berufungsgericht fest. Sie entsprechen gesicherter nationaler Rechtstradition und sind dem Wesen eines Arbeitsverhältnisses immanent. Die in der Berufungsbegründung geäußerte Kritik gegenüber der Anwendung dieser Kriterien (Lebensalter und Dauer der Betriebszugehörigkeit) gestützt auf die Begründung, sie seien europarechtswidrig, hält die Kammer für fernliegend und folgt ihr nicht.

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bb) Entscheidend für die Überzeugungsbildung des Gerichtes sind zweierlei Gesichtspunkte:

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aaa) Zum einen handelt es sich bei der Verfehlung des Klägers um eine einmalige Verfehlung dieser Art in einer 29jährigen Dauer der Betriebszugehörigkeit. Dieser Umstand hat generell ein besonderes Gewicht (BAG, Urteil vom 12.03.2009, Az.: 2 AZR 251/07 - AP Nr. 15 zu § 626 BGB Krankheit, RdNr. 33). Auf der anderen Seite steht die Beurteilung der Pflichtwidrigkeit, insbesondere ihr Ausmaß und das Verschulden des Klägers. Wenn auch die Kammer nicht verkennt, dass der Beklagte seinerseits im Dritten Reich verfolgt worden ist und Repressalien erlitten hat, dann berücksichtigt die Kammer bei der Beurteilung der Pflichtwidrigkeit an sich einzelfallbezogen, dass der Kläger nicht generell den Beklagten bzw. dessen Arbeitsmethoden mit dem Regime des Nationalsozialismus gleichgestellt hat, sondern eine einzelneÄußerung eines Repräsentanten für vergleichbar mit Ansichten und Verfahrensweisen aus dem Dritten Reich hielt. Eine Gleichstellung dieser Art bezogen auf eine einzelne Äußerung einer einzelnen Person hat noch nicht den schwerwiegenden Unrechtscharakter, der generellen Gleichsetzung der Verhältnisse der Arbeitgeberin mit dem Unwert des Nationalsozialistischen Regimes oder aber den Zuständen in einem Konzentrationslager. Unter Berücksichtigung einer 29jährigen unbeanstandeten Dauer der Betriebszugehörigkeit wäre es dem Beklagten jedenfalls möglich gewesen, die Frist für eine ordentliche Kündigung einzuhalten. Dies wäre vom Gericht möglicherweise anders beurteilt worden, hätte der Kläger generell und pauschal den Beklagten mit dem Unrechtsregime des Nationalsozialismus gleichgesetzt.

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Im Übrigen lässt sich eine Wiederholungsgefahr nicht feststellen.

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bbb) Zu Gunsten des Klägers waren auch sein Lebensalter, seine Unterhaltspflichten und seine Behinderung zu werten. Auch hat er sich entschuldigt. Es ist dem Kläger nicht zu widerlegen - und diese Widerlegung obliegt dem insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten, dass seine Entschuldigung ernst gemeint war.

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Auf die vorstehend unter bbb) erwähnten Gesichtspunkte kommt es jedoch nicht entscheidend an. Allein die unter aaa) aufgeführten Gesichtspunkte tragen einzelfallbezogen die Interessenabwägung des Berufungsgerichts. Insgesamt überwiegen die Interessen des Klägers jedenfalls an der Einhaltung einer ordentlichen Kündigungsfrist die des Beklagten an dessen sofortiger Beendigung.

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II. Die nach den vorstehenden Ausführungen unwirksame außerordentliche Kündigung kann auch nicht gemäß § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden. Denn der Beklagte hat keine Zustimmung des Integrationsamtes zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung beantragt und erhalten. Eine Umdeutung einer außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung kommt dann nicht in Betracht, wenn die zur Kündigung eines Schwerbehinderten erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes nur zur außerordentlichen Kündigung beantragt und erteilt worden ist (ErfK-Rolfs, 9. Aufl., § 91 SGB IX RdNr. 8; Schaub-Linck, 13. Aufl., § 123 RdNr. 78; BAG, Urteil vom 16.10.1991, Az.: 2 AZR 197/91 - RzK I b, 8 b, Nr. 4). So liegt der Streitfall hier.

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Das Arbeitsverhältnis besteht mithin fort, auf die Problematik der Vollmachtsrüge gemäß § 174 BGB kommt es nicht mehr an.

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III. Mit diesem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses steht auch die Unbegründetheit der Berufung bezüglich des ausgeurteilten Zwischenzeugnisses fest. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung des begehrten Zwischenzeugnisses. Insoweit verweist das Berufungsgericht auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 6 und 7 des Urteils, dort III, Bl. 174 und 175 der Gerichtsakte), macht sie sich zu eigen und stellt dies fest (§ 69 Abs. 2 ArbGG).

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IV. Auch das weitere Vorbringen des Beklagten (beispielsweise die Vorlage von Bildern, auf denen Leichen verbrannt werden - Originalton des Prozessbevollmächtigten: "Damit jedermann hier weiß, wovon er redet"), auf das in diesem Urteil nicht mehr besonders eingegangen wird, weil die Entscheidunggründe gemäß § 313 Abs. 3 ZPO lediglich eine "kurze Zusammenfassung" der tragenden Erwägungen enthalten sollen, führt nicht zu einem abweichenden Ergebnis.

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C. Der Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen. Es ist weder veranlasst, gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG die Revision zum Bundesarbeitsgerichts zuzulassen, noch den Streitfall dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen. Der Beklagte wird auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde hingewiesen.

Kubicki
Krantz
Breves