Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.11.2009, Az.: 8 Sa 633/09
Schadenersatzanspruch gegen den Insolvenzverwalter wegen entgangenem Arbeitslosengeld infolge verspäteter Geltendmachung von Masseunzulänglichkeit
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 09.11.2009
- Aktenzeichen
- 8 Sa 633/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 37091
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:2009:1109.8SA633.09.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Lüneburg - 27.02.2009 - AZ: 1 Ca 578/08
Rechtsgrundlagen
- § 249 BGB
- § 60 InsO
- § 61 InsO
- § 143 Abs. 3 SGB III
Amtlicher Leitsatz
Bei der Berechnung eines Schadens nach § 249 BGB ist der weitere Verlauf nach Eintritt des schädigenden Ereignisses unter Kompensationsgesichtspunkten zu berücksichtigen. Gläubiger, die durch das dem Verwalter vorgeworfene Verhalten adäquate Vorteile erlangen, sind nicht geschädigt.
In dem Rechtsstreit
Klägerin und Berufungsklägerin,
gegen
Beklagter und Berufungsbeklagter,
hat die 8. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 9. November 2009 durch
die Vorsitzende Richterin am Landesarbeitsgericht Stöcke-Muhlack,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Sinn,
den ehrenamtlichen Richter Herrn Schamott
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg - 1 Ca 578/08 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt Ersatz entgangenen Arbeitslosengeldes.
Sie war seit dem 1.6.2001 bei der Klinik G. GmbH & Co. KG (im Folgenden: Klinik) mit einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von zuletzt 4.541,48 Euro beschäftigt. Über das Vermögen der Klinik wurde am 1.3.2003 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Er führte den Betrieb vom 1.2.2003 bis zum 24.9.2008 fort und beschäftigte sämtliche Arbeitnehmer, auch die Klägerin, weiter. Bis einschließlich zum 31.8.2008 erhielten sie den arbeitsvertraglich geschuldeten Lohn.
Am 24.9.2008 (14:20 Uhr) zeigte der Beklagte Masseunzulänglichkeit an, nachdem ihm das Amtsgericht Lüneburg für diese Erklärung eine Frist bis zum 24.9.2008 (14:00 Uhr) gesetzt hatte. Durch Beschluss vom 24.9.2008 entließ es den Beklagten aus wichtigem Grund gemäß § 59 InsO aus seinem Amt als Insolvenzverwalter. Seine hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde blieb erfolglos. In seinem Bericht zur Rechnungslegung vom 13.10.2008 bestätigte der Beklagte, dass eine Masseunzulänglichkeit spätestens am 24.9.2008 vorgelegen habe.
Der neue Insolvenzverwalter führte den Betrieb fort, zahlte aber die Bruttolöhne erst ab dem 25.9.2008 weiter. Den Lohn für die Zeit vom 1. bis zum 24.9.2008 kehrte er an die Klägerin nicht aus, weil es sich nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit um Altmasseschulden handelte. Zum 31.01.2009 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis.
Soweit im Berufungsverfahren noch von Belang, begehrt die Klägerin, die für den Zeitraum vom 1. bis zum 24.9.2008 trotz Arbeitsleistung kein Arbeitsentgelt erhalten hat, mit der vorliegenden Klage als Schadensersatz den Betrag, den sie in diesem Zeitraum als Arbeitslosengeld erhalten hätte, mithin 1.364,88 Euro.
Sie hat vorgetragen:
Offensichtlich bereits im Juni 2008 hätten Anhaltspunkte für eine drohende Masseunzulänglichkeit bestanden. Der Sonderinsolvenzverwalter habe unter dem 29.7.2008, 10.9.2008 und 16.9.2008 drei Zwischenberichte vorgelegt. Darin habe er den Vorwurf erhoben, der Beklagte habe die Verkaufsverhandlungen über die Heime nicht erkennbar gefördert. Außerdem fehlten verlässliche undüberprüfbare Angaben zum Liquiditätsstatus für die Monate September und Oktober 2008. Daraufhin habe das Amtsgericht Lüneburg unter dem 15.9.2008 den Beklagten angewiesen, dem Sonderinsolvenzverwalter die erbetenen Informationen "umgehend" auszuhändigen und Veräußerungsverhandlungen "sehr zeitnah zum Abschluss zu bringen". Der Beklagte habe bereits im Juni 2008, spätestens aber am 31.8.2008 erkennen können und müssen, dass die Masse keinesfalls ausreichen würde, um die Lohnschulden für den Monat September 2008 zu begleichen.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 3.732,91 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.10.2008 zu zahlen,
hilfsweise
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 1.364,88 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.10.2008 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, keine insolvenzspezifische Pflichtverletzung begangen zu haben. Es fehle auch an einem Zusammenhang zwischen der behaupteten Pflichtverletzung und einem Schaden. Ihm sei es im Rahmen der Fortführung des Geschäftsbetriebes der Gemeinschuldnerin gelungen, den Geschäftsbetrieb zu stabilisieren, sämtliche Mitarbeiter zu beschäftigen und fristgerecht die Löhne zu zahlen. Ein bereits am 23.4.2007 geschlossener Kaufvertrag sei - wie auch andere Verkaufsbemühungen - an der Zustimmung der Grundpfandgläubiger gescheitert. Diese hätten ihn Anfang 2008 aufgefordert, den Geschäftsbetrieb unentgeltlich herauszugeben. In weiteren Gesprächen sei Einigkeit erzielt worden, den Geschäftsbetrieb bis spätestens zum 30.11.2008 an die Grundpfandgläubiger gegen Zahlung der Fortführungswerte und der vereinbarten Werte für die Betriebsstätten in W. und A. zu übergeben. Durch die Firma I. GmbH sei deren Anlagevermögen mit 449.000,00 Euro festgestellt worden. Diese Werte seien der Masse hinzuzurechnen gewesen. Die entsprechenden Verhandlungen hätten sich aber bis Ende September 2008 hingezogen. Alternativ seien weitere Verkaufsverhandlungen für die Betriebsstätten geführt worden. Abschließende Vertragsverhandlungen seien für Ende September 2008 vorgesehen gewesen. Gleichwohl habe das Amtsgericht Lüneburg ihn nach Gesprächen am 23. und 24.09.2008 aufgefordert, Masseunzulänglichkeit aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit anzuzeigen. Dieser Aufforderung sei er dann nachgekommen. Seines Erachtens habe zu diesem Zeitpunkt aufgrund der kurzfristig bevorstehenden Verwertungsmöglichkeiten gerade keine drohende Zahlungsunfähigkeit bestanden. Er wäre in der Lage gewesen, den Lohn der Klägerin zu zahlen. Aufgrund seiner Abberufung sei er hierzu jedoch nicht mehr berechtigt gewesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten folge weder aus § 61 noch aus § 60 InsO. Abgesehen davon, dass der Anspruch allein auf das negative Interesse gerichtet sei, ergebe sich aus dem Sachvortrag der Klägerin nicht, dass sie durch eine unzulässige Schmälerung der Insolvenzmasse geschädigt worden sei. Nur in diesen Fällen komme aber ein Schadensersatzanspruch nach§ 60 Abs. 1 InsO in Betracht. Auch ein Anspruch auf Zahlung von (nur) 1.364,88 Euro bestehe nicht. Unabhängig von der Frage einer Pflichtverletzung fehle es jedenfalls an einem kausalen Schaden. Die Klägerin beziffere ihre Ansprüche aufgrund eines abstrakten Schadenverlaufes. Bei der Würdigung der Frage, ob die Klägerin durch pflichtwidriges Verhalten des Beklagten einen Schaden erlitten habe, seien auch die späteren Umstände zu berücksichtigen; insbesondere, dass die Klägerin nach dem 25.9.2008 statt Arbeitslosengeld ihre Vergütung in voller Höhe erhalten habe. Hierdurch werde der Schaden vollständig kompensiert.
Gegen dieses ihr am 2.4.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 30.4.2009 Berufung eingelegt, die sie innerhalb der verlängerten Frist am 2.7.2009 begründet hat.
Die Berufung greift insbesondere die Argumentation der Beklagten an, die Masseunzulänglichkeit hätte dadurch beseitigt werden können, dass Gespräche mit Interessenten zu einer Verwertung der Betriebsstätte und des eingerichteten Geschäftsbetriebes geführt hätten. Auch dem nachfolgenden Insolvenzverwalter sei es nicht gelungen, die behauptete abschlussreife Betriebsveräußerung umzusetzen. Die vage Verkaufshoffnung des Beklagten sei nicht bilanzierungsfähig gewesen. Es habe im Zeitpunkt der Anzeige der Masseunzulänglichkeit kein einziger Interessent existiert.
Der Beklagte habe bereits vor dem 1.9.2008 erkennen können, dass die vorhandene Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde. Das ergebe die Bewertung des vorhandenen Vermögens gegenüber der bestehenden Verbindlichkeiten, zu deren Ausführungen Bezug genommen wird auf Bl. 114 bis 120 d. A. (Ausführungen im Schriftsatz vom 2.7.2009 S. 6 bis 12). Der Beklagte habe erkennen können, dass er die Verbindlichkeiten aus einem von ihm aufrecht erhaltenen Arbeitsverhältnis nicht (voll) aus der Masse werde erfüllen können und sei daher verpflichtet gewesen, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Daraus habe sich die Verpflichtung ergeben, die Arbeitsleistung der Klägerin auch nicht mehr in Anspruch zu nehmen, sie also von der Erbringung der Arbeitsleistung freizustellen.
Nicht zu folgen sei der Auffassung des Arbeitsgerichts, dass der weitere Verlauf nach dem Eintritt des schädigenden Ereignisses zu bewerten sei. Die Zahlung der Vergütung ab 25.9.2008 durch den neuen Insolvenzverwalter lasse den bei der Klägerin entstandenen Schaden nicht entfallen, denn er sei lediglich auf den Zeitraum vom 1.9. bis zum 24.9.2008 begrenzt. Hätte der Beklagte die Arbeitsleistung der Klägerin ab dem 1.9.2008 nicht mehr abgerufen, weil für ihn jedenfalls objektiv erkennbar gewesen sein müsse, dass er die Verbindlichkeiten aus der Masse nicht erfüllen könne, und hätte er die Klägerin unwiderruflich von der Arbeitsleistung freigestellt sowie eine Kündigung ausgesprochen, hätte die Klägerin Arbeitslosengeld bezogen.
Zumindest hätte der Beklagte die Klägerin warnen müssen, dass ihr Septembergehalt voraussichtlich nicht gezahlt werden könne. Wäre ihr rechtzeitig, nämlich am 31.8.2008, eine entsprechende Warnung zugegangen, wäre sie in die Lage versetzt worden, bei der zuständigen Agentur für Arbeit unverzüglich einen Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosengeld zu stellen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg - 1 Ca 578/08 - teilweise abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 1.364,88 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunktenüber dem Basiszinssatz seit dem 1.10.2008 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 7.8.2009, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Bl. 166 bis 177 d. A.).
Zu den weiteren Ausführungen der Parteien zur Sach- und Rechtslage wird auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung ist statthaft; auch ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig (§§ 64, 66 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO).
II. Die Berufung ist jedoch unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht einen Schadenersatzanspruch gegen den Beklagten nicht für gegeben erachtet. Dies gilt auch für den von der Klägerin im Berufungsverfahren auf den Ersatz entgangenen Arbeitslosengeldes beschränkten Anspruch.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesarbeitsgerichts ist die Haftung des Insolvenzverwalters sowohl nach § 61 InsO als auch nach § 60 InsO in der Rechtsfolge auf das negative Interesse gerichtet (vgl. etwa BAG vom 19.1.2006 - 6 AZR 600/04 - BAGE 117, 14 = AP Nr. 1 zu § 61 InsO; BGH vom 6.5.2004 - IX ZR 48/03 - BGHZ 159, 104). Während § 60 InsO insolvenzspezifische ebenso wie nicht insolvenzspezifische Pflichtverletzungen gegenüber Massegläubigern erfasst, regelt § 61 InsO den Fall der Nichterfüllung von Masseverbindlichkeiten. Beide Haftungsnormen verlangen eine schuldhafte Pflichtverletzung, die kausal zu einem Schaden geführt hat. Den Umfang des Schadenersatzanspruchs regelt § 249 BGB. Es gilt: Schließt der Insolvenzverwalter einen Vertrag, obwohl er erkennen kann, dass die Insolvenzmasse nicht zur Erfüllung der Verbindlichkeit ausreicht, so kann ihm nur der Vertragsschluss als solcher vorgeworfen werden, nicht aber die Unfähigkeit zur Befriedigung des Vertragspartners. Er muss den Schaden ersetzen, den der Massegläubiger dadurch erleidet, dass er auf die Zulänglichkeit der Masse vertraut hat. Die Schadenersatzpflicht wird für den Fall angeordnet, dass der Insolvenzverwalter in Kenntnis der drohenden Masseunzulänglichkeit weitere Masseverbindlichkeiten begründet und damit pflichtwidrig handelt.
2. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von 1.364,88 Euro als Schadenersatz nach §§ 61, 60 InsO. Es fehlt bereits an einer Pflichtverletzung des Beklagten, die für den Nichterhalt von Arbeitslosengeld im Zeitraum vom 1. bis 24. September 2008 kausal war. Zumindest wird der Anspruch durch sonst nicht erhaltenes Entgelt für den Monat August, jedenfalls aber ab dem 24. September 2008, kompensiert.
a) Der Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 143 Abs. 3 SGB III (Gleichwohlgewährung) hängt weder von dem Ausspruch einer Kündigung noch von einer Freistellung durch den Arbeitgeber ab. Gemäß § 143 Abs. 3 SGB III tritt die Bundesanstalt für den an sich verpflichteten Arbeitgeber in Vorleistung und stellt den Arbeitslosen so, als stünde ihm der an sich gegebene Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht zu (vgl. Eicher/Schlegel/Henke, SGB III, Stand September 2009, § 143 Rn. 100). Zur Gleichwohlgewährung gemäß § 143 Abs. 3 SGB III ist die Arbeitsagentur unter den allgemeinen Voraussetzungen der §§ 117 ff. SGB III verpflichtet, wenn ein ruhensbegründender Sachverhalt vorliegt und der Arbeitnehmer die Leistung tatsächlich nicht erhält (Niesel, SGB III, 3. Aufl. 2005, § 143 Rn. 32; Eicher/Schlegel/Henke, SGB III, aaO.).
Der von der Klägerin begehrte Schadenersatzanspruch wäre damit vorliegend nur dann begründet, wenn die Klägerin sich bei pflichtgemäßem Verhalten des Beklagten am 1. September 2008 arbeitslos gemeldet und Arbeitslosengeld beantragt hätte, oder umgekehrt hiervon durch eine Pflichtverletzung des Beklagten abgehalten worden wäre.
b) Gründe, die diese Annahme rechtfertigen, liegen nicht vor.
aa) Die Klägerin hat vorgetragen, der Beklagte hätte aufgrund der Zahlen erkennen können, dass er das Septembergehalt 2008 nicht werde zahlen können und daher spätestens zum 31. August/1. September 2008 Masseunzulänglichkeit anzeigen müssen.
Auch wenn man unterstellt, diese Behauptung träfe zu, führte dies nicht zu dem begehrten Ersatzanspruch, denn es fehlen Umstände, die darauf schließen lassen, dass die Klägerin sich bei entsprechender Anzeige der Masseunzulänglichkeit genau am 1.9.2008 arbeitslos gemeldet hätte. Einer solchen Annahme steht der Umstand entgegen, dass die Klägerin sich auch später, insbesondere nach dem 24.9.2008 (dem Zeitpunkt der Anzeige bestehender Masseunzulänglichkeit), nicht arbeitslos gemeldet hat.
bb) Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, sie hätte sich arbeitslos gemeldet, wenn der Beklagte ihr am 1.9.2008 gekündigt und sie freigestellt hätte.
(1) Zwar hat das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 19.1.2006 (6 AZR 600/04, aaO.) ausgeführt, die Pflicht des Insolvenzverwalters, der erkennen kann, dass er die Verbindlichkeit aus einem von ihm aufrechterhaltenen Arbeitsverhältnis nicht (voll) aus der Masse wird erfüllen können, gehe dahin, den Arbeitsvertrag zu kündigen, nicht aber dahin, die Erfüllung des Vertrages, d.h. die Zahlung des Arbeitsentgelts persönlich zu garantieren. Der Kläger könne nur verlangen, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn der Beklagte das Arbeitsverhältnis nicht pflichtwidrig fortgeführt hätte.
(2) Aus der Entscheidung lässt sich jedoch nicht ableiten, dass ein Insolvenzverwalter, der sich zur Anzeige der Masseunzulänglichkeit gezwungen sieht, in jedem Fall sofort die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit gleichzeitiger Freistellung aussprechen muss. Vielmehr ist auch hier bei der Wertung auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls abzustellen. Danach ergibt sich vorliegend keine Verpflichtung zur Kündigung am 1.9.2008 mit sofortiger Freistellung. Ihr steht entgegen, dass auch der neu bestellte Insolvenzverwalter das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit weder gekündigt noch sie freigestellt hat. Entsprechendes muss gleichermaßen für den Beklagten gelten.
(3) Soweit die Klägerin meint, ein Unterschied sei darin zu erblicken, dass der neue Insolvenzverwalter die Löhne ab 24.9.2008 vollständig zahlen konnte, hilft das nicht. Der neue Insolvenzverwalter war, worauf die Klägerin selbst hinweist (Schriftsatz vom 2.7.2009 S. 13), hierzu in der Lage, weil durch die Anzeige der Masseunzulänglichkeit die bis zur Anzeige der Masseunzulänglichkeit entstandenen Verbindlichkeiten von den zukünftigen Verbindlichkeiten abgegrenzt und zu Altmasseverbindlichkeiten wurden. Die Klägerin trägt hierzu vor: Die laufenden Forderungen ziehe der Verwalter ein, während die Altmasseverbindlichkeiten nicht mehr bedient werden müssten. Bei Betrachtung des Massekontos und der von dem Beklagten ausgewiesenen noch einzuziehenden Forderungen habe sich allein hieraus nach der Masseunzulänglichkeit für den Fall des Einzuges der Forderungen eine Liquidität in Höhe von 376.466,73 Euro ergeben. Mit diesen Mitteln habe der Insolvenzverwalter nicht die rückständigen Mieten/Nutzungsentschädigungen und auch nicht die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen begleichen dürfen. Der Beklagte hätte von der Anzeige der Masseunzulänglichkeit gleichermaßen profitiert.
(4) Außerdem steht der behaupteten Verpflichtung des Beklagten entgegen, dass es sich bei der Klinik um einen Betrieb der Spezialpflege handelt. Ihr Zweck besteht darin, geistig Behinderte zu pflegen und zu betreuen. Eine kurzfristige Schließung als Folge der von der Klägerin geforderten unwiderruflichen Freistellung aller Beschäftigten ist fernliegend.
cc) Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, der Beklagte hätte sie zumindest warnen müssen. Zwar meint sie, bei rechtzeitiger, spätestens am 31.8.2008 zugegangener Warnung wäre sie in die Lage versetzt worden, unverzüglich einen Antrag auf Bewilligung von Arbeitslosengeld zu stellen. Von diesem Geschehensverlauf kann aufgrund des unstreitigen Sachverhaltes jedoch nicht ausgegangen werden. Nicht einmal die Anzeige der Masseunzulänglichkeit hat die Klägerin zum Anlass genommen, sich unverzüglich vorsorglich arbeitslos zu melden, obwohl sich hieraus die Gefährdung der Gehaltszahlung ebenso deutlich ergibt. Dieses Untätigbleiben hat sie sich entgegenhalten zu lassen. Es steht ihrer Behauptung entgegen, bei einer Warnung hätte sie sich umgehend arbeitslos gemeldet.
3. Letztlich fehlt es an einem entsprechenden Schaden.
a) Bei Zugrundelegung des Vortrags der Klägerin, der Beklagte habe spätestens zum Ende August 2008 Masseunzulänglichkeit anzeigen müssen, hätte die Klägerin das Augustentgelt nicht erhalten. Dies muss unter Kompensationsgesichtspunkten bei der Schadensberechnung mindernd berücksichtigt werden.
Die Klägerin kann nicht einwenden, der Beklagte hätte das Augustgehalt zum 31. auszahlen und danach (genau) am 1. September Masseunzulänglichkeit anzeigen müssen. Dieses Verhalten berücksichtigt nicht ausreichend die Interessen der anderen Massegläubiger. Zu Recht könnten diese dem Beklagten vorhalten, in Kenntnis bevorstehender Masseunzulänglichkeit unzulässig die Masse durch Auszahlung und Bevorzugung anderer Gläubiger geschmälert zu haben und Ersatz aus § 60 oder § 61 InsO fordern.
b) Abgesehen davon, dass die Klägerin sich überwiegend selbst nicht festlegen mag ("Bereits im Juni 2008"; "spätestens aber am 31.8.2008", "schon früher geboten...") war darüber hinaus schadensmindernd auch die spätere Entwicklung zu berücksichtigen. Die Klägerin hätte ausgehend von dem Schadensverlauf, den sie zur Grundlage ihrer Berechnung macht, in den folgenden Monaten lediglich einen Arbeitslosengeldanspruch gehabt. Tatsächlich erhielt sie aber Arbeitsentgelt für die folgenden Monate ab 24.9.2008 in voller Höhe. Dieses ist, worauf das Arbeitsgericht zu Recht hingewiesen hat, ebenfalls unter Kompensationsgesichtspunkten bei der Schadensberechnung mindernd zu berücksichtigen. Außerdem hat der Beklagte nach Insolvenzeröffnung den Betrieb mehr als fünf Jahre lang fortgeführt und die Löhne pünktlich gezahlt. Das ist alsüberwiegender Vorteil zu berücksichtigen. Es gelten die Grundsätze der Vorteilsausgleichung (MünchKommInsO- Brandes§§ 60, 61 Rn. 111). Gläubiger, die durch das dem Verwalter vorgeworfene Verhalten adäquate Vorteile erlangen, sind insoweit nicht geschädigt. Führt der Verwalter einen Betrieb fort, so übernimmt er dadurch ein Risiko im Interesse der Gläubiger. Einen Verlust, den die Gläubiger dadurch erleiden, können sie nicht gegen den Verwalter geltend machen, wenn die Vorteile, die sie aus der Fortführung gezogen haben, überwiegen. Das Schadensersatzverlangen gegen den Verwalter wegen eines relativ geringfügigen Ausfalls verstößt gegen Treu und Glauben (BGH vom 10.4.1979 - VI ZR 77/77 - DB 1979, 2318 = NJW 1980, 55). So liegt der Fall hier.
c) Für die Annahme, "der Beklagte hätte nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit, Kündigung und unwiderruflicher Freistellung problemlos die Kündigung zurücknehmen, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses vereinbaren und die Arbeitsleistung der Klägerin abrufen können" (Seite 14 des Schriftsatzes vom 2.7.2009, Bl. 122 d. A) gibt der Sachverhalt nicht genügend Anhaltspunkte. Der Vortrag der Klägerin beruht auf Spekulationen ("ggf.", "vielleicht sogar"). Er ist ausschließlich darauf ausgerichtet, den begehrten Schadensersatz zu begründen, ohne jedoch die tatsächlichen Geschehensabläufe ausreichend zu berücksichtigen. Ihm steht zudem der Betriebszweck entgegen. Es ist nicht darstellbar, wie ein Betrieb der Sonderpflege mit spezieller Patientenstruktur nach einer Unterbrechungszeit von mehr als drei Wochen hätte "problemlos fortgeführt werden" können.
d) Die Klägerin kann nicht einwenden, auf die ab dem 25.9.2008 bezogenen Vergütungen käme es nicht an, weil die Klägerin diese als Gegenleistung für die ab dem 25.9.2008 erbrachte Arbeitsleistung erhalten habe; genau diese Leistung hätte sie bei einer Freistellung nicht zu erbringen brauchen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 4 ArbGG.
IV. Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung nach§ 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen. Eine grundsätzliche Bedeutung liegt dann vor, wenn eine Rechtsfrage klärungsbedürftig ist und diese Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung für die Rechtsordnung ist oder wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teiles der Allgemeinheit berührt (BAG vom 15.2.2005 - 9 AZN 982/08). Diese Voraussetzungen sind gegeben.
Die Frage, ob bei der Berechnung eines Vermögensschadens auch in der Zukunft liegende Umstände unter Kompensationsgesichtspunkten berücksichtigt werden dürfen, ist ebenso klärungsbedürftig wie die Frage, ob ein Insolvenzverwalter, der Masseunzulänglichkeit anzeigt, grundsätzlich zur Kündigung eines Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitiger Freistellung verpflichtet ist.
Sinn
Schamott