Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.11.1994, Az.: 3 Sa 1697/94
Einstweilige Verfügung auf tatsächliche Weiterbeschäftigung
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 18.11.1994
- Aktenzeichen
- 3 Sa 1697/94
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1994, 10752
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1994:1118.3SA1697.94.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hannover - 06.09.1994 - AZ: 3 Ga 8/94
Fundstellen
- AuR 1995, 148 (amtl. Leitsatz)
- NZA 1995, 1176 (amtl. Leitsatz)
Prozessführer
...
Prozessgegner
...
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Für eine einstweilige Verfügung auf tatsächliche Weiterbeschäftigung genügt nach § 940 ZPO, daß die Anordnung der vorläufigen Weiterbeschäftigung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen im Hinblick auf ein strittiges Rechtsverhältnis (Arbeitsverhältnis) nötig erscheint.
- 2.
Im Anschluß an das Reichsgericht (RGZ 27, 429 ff.) ist die Darlegungs- und Beweislast im einstweiligen Verfügungsverfahren ebenso zu verteilen wie im Hauptsacheverfahren. Dies bedeutet, daß nicht der (gekündigte) Arbeitnehmer sein Obsiegen im Kündigungsschutzprozeß, sondern der (kündigende) Arbeitgeber "sein Recht zur Veränderung des bestehenden Zustandes" glaubhaft machen muß.
- 3.
Eine "Neueinstellung" im Sinne des BeschFG 1985 liegt nicht vor, wenn die Arbeitsvertragsparteien erst geraume Zeit nach tatsächlicher Arbeitsaufnahme eine Befristung nach dem BeschFG 1985 vereinbaren.
In dem Rechtsstreit
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 18. November 1994
durch
ihre Mitglieder ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 6. Sept. 1994 - 3 Ga 8/94 - abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Rettungssanitäter auf der Rettungswache in tatsächlich zu beschäftigen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand:
Die Parteien streiten über die tatsächliche Weiterbeschäftigung des Klägers, nachdem diesem seitens der Beklagten mit Schreiben vom 21. Juni 1994 mitgeteilt worden war, daß das Arbeitsverhältnis aufgrund vereinbarter Befristung mit dem 31. Juli 1994 ablaufe. Hiergegen wendet sich der Kläger im übrigen mit der beim Arbeitsgericht Hannover anhängigen Befristungsschutzklage zum Aktenzeichen 3 Ca 457/94.
Durch Urteil vom 06. September 1994 ist der Antrag des Klägers, der Beklagten im Wege der einstweiligen Verfügung seine tatsächliche Weiterbeschäftigung auf seinem Arbeitsplatz als Rettungssanitäter auf der Rettungswache in ... aufzugeben, abgewiesen worden. Das Arbeitsgericht hat weiter dem Kläger die Kosten des Verfahrens bei einem Gegenstandswert von 1.500,00 DM auferlegt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe wiederum verwiesen.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Weiterbeschäftigungsbegehren nach näherer Maßgabe seiner Berufungsbegründung vom 28. September 1994 weiter.
Der Kläger beantragt nunmehr,
unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung nach den erstinstanzlichen Anträgen zu erkennen, im übrigen hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten, ihm jederzeit Zutritt zu den Rettungswachen der Beklagten zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 27. Oktober 1994.
Im übrigen wird auf die ebenfalls zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten 3 Ca 457/94 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist begründet.
Der Kläger kann von der Beklagten seine tatsächliche Weiterbeschäftigung (bis zum rechtskräftigen Abschluß des Befristungsschutzrechtsstreits der Parteien 3 Ca 457/94) zu den bis zum 31.07.1994 geltenden Arbeitsbedingungen als Rettungssanitäter auf der Rettungswache in ... verlangen.
Nach der ständigen Rechtsprechung der Kammer (Urteil vom 07. Februar 1986 LAGE § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 14; Urteil vom 06. August 1987 LAGE § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 22) kann nach geltendem Recht legitimen Beschäftigungsinteressen gekündigter Arbeitnehmer für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses im Wege einer Regelungsverfügung gemäß § 940 ZPO, die keinen materiellrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch voraussetzt, sachgerecht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und ohne daß es zu einer zeitweiligen Ausgliederung aus dem Betrieb kommt, Rechnung getragen werden. Dabei erfordert der Erlaß einer solchen auf eine vorläufige Weiterbeschäftigung für die Dauer eines Kündigungsrechtsstreits gerichteten einstweiligen Verfügung gemäß § 940 ZPO nicht, daß die Kündigung offensichtlich unwirksam ist, oder daß ein Obsiegen des Arbeitnehmers im Kündigungsrechtsstreit in hohem Maße wahrscheinlich ist (Urteil vom 22. Mai 1987 LAGE § 611 BGB Beschäftigungspflicht Nr. 21). Nach der gesetzlichen Regelung der §§ 940, 938 Abs. 1 ZPO genügt vielmehr, daß die Anordnung der vorläufigen Weiterbeschäftigung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen im Hinblick auf ein strittiges Rechtsverhältnis nötig erscheint. An dieser Rechtsprechung hält die Kammer weiterhin fest. Sie ist zudem, insoweit in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 13. Juni 1985 Der Betrieb 1986 Seite 1827 = NZA 1986 Seite 562), auf den Fall zu übertragen, der hier vorliegt, daß nämlich über die Wirksamkeit einer Befristung des Arbeitsverhältnisses gestritten wird (vgl. allgemein: Wolf-Dietrich Walker, Der einstweilige Rechtsschutz im Zivilprozeß und im arbeitsrechtlichen Verfahren, Tübingen 1993, Seite 440 ff., Rz. 675 ff., Nachweise zur Rechtsprechung: Fußnote 65 Seite 440; insgesamt zu eng: MünchKomm. ZPO - Heinze § 935 RdNr. 51 ff.).
Diese Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Verfügung auf tatsächliche Beschäftigung zur Sicherung des Rechtsfriedens im Sinne von § 940 ZPO. verstanden als Mittel zur Sicherung eines in seinem Bestand bedrohten Dauerschuldverhältnisses, nämlich des Arbeitsverhältnisses der Parteien, sind hier gegeben. Die Befristung des Arbeitsverhältnisses der Parteien durch Vertrag vom 17. Februar 1993 zum 31. Juli 1994 erscheint nach dem hier zugrunde zu legenden unstreitigen Sachverhalt, der damit auch keiner Glaubhaftmachung bedarf, unwirksam.
Ein sachlich die Befristung rechtfertigender Grund im Sinne der Spruchpraxis des Bundesarbeitsgerichts (vgl. hierzu ausführlich: Frohner/Pieper, Befristete Arbeitsverhältnisse, Arbeit und Recht 1992 Seite 97 ff.) ist nicht vorgetragen worden. Dies wäre aber nach den schon vom Reichsgericht entwickelten Grundsätzen (Reichsgericht Beschluß vom 08. Juni 1891 RGZ 27, 429 ff.) über die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast auch in einstweiligen Verfügungsverfahren Sache der Beklagten gewesen. Die Darlegungs- und Beweislast im Eilverfahren ist nämlich die gleiche wie im Hauptsacheverfahren (vgl. Walker a.a.O. Seite 207 Rz. 307, Seite 410 ff. Rz. 630 ff.), jedenfalls dann, wenn dem Antragsgegner rechtliches Gehör gewährt worden ist (vgl. die Nachweise Walker a.a.O. Seite 411 Rz. 633).
Auf die erleichterte Zulassung befristeter Arbeitsverträge nach § 1 Abs. 1 BeschFG 1985, dessen ursprünglich begrenzte Dauer zwischenzeitlich mehrfach verlängert worden ist, kann sich die Beklagte nicht berufen, weil im vorliegenden Fall der Tatbestand einer Einstellung i. S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 aus BeschFG 1985 vom 01. Februar 1993 nicht gegeben ist. Eine Neueinstellung wird nämlich durch eine Befristung im Anschluß an ein Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber ausgeschlossen. Ist ein unbefristeter Vertrag vor weniger als 4 Monaten beendet worden, darf ohne sachliche Begründung ein befristeter Vertrag nicht folgen, weil in diesem Fall das BeschFG einen sachlichen Zusammenhang der beiden Arbeitsverhältnisse fingiert und damit eine Neueinstellung im Sinne des Gesetzes ausschließt. Es kommt dann auch nicht darauf an, warum das frühere Arbeitsverhältnis beendet worden ist. Da der Kläger bereits Anfang Januar 1993, nicht erst mit dem 01. Februar 1993, seine Tätigkeit in der Rettungswache Großburgwedel der Beklagten aufgenommen hat, ist zwischen den Parteien zumindest durch konkludentes Handeln ein Arbeitsvertrag als Grundlage eines Arbeitsverhältnisses zustande gekommen. Auch bei dieser im Januar zustande gekommenen "Arbeitsbeziehung" der Parteien handelt es sich um ein Arbeitsverhältnis. Der Tatbestand abhängiger, fremdbestimmter Arbeit lag bereits im Januar 1993 vor. Der Kläger war bereits in diesem Monat in gleicher Weise wie ab dem 01. Februar 1993 weisungsgebunden in dem Betrieb der Beklagten eingegliedert. Diese Arbeitsbeziehung hatte somit keine andere Rechtsqualität als die Weiterbeschäftigung ab 01. Februar 1993, wie sie nachträglich, aus Beweissicherungsgründen und nicht konstitutiv, zum Inhalt des Anstellungsvertrages vom 17. Februar 1993 gemacht worden ist.
Die Beschäftigung des Klägers im Januar 1993 stellt sich damit nicht als ein "anderes Rechtsverhältnis" bei demselben Arbeitgeber dar. Im Gegenteil: zwischen den Parteien besteht bereits seit Anfang Januar 1993 eine einheitliche und ununterbrochen fortbestehende Rechtsbeziehung (vgl. BAGE 47, 268 ff.), ein einheitliches Arbeitsverhältnis. Dem läßt sich entgegen der Auffassung der Beklagten nicht mit der Rechtsfigur eines sogenannten "faktischen Arbeitsverhältnisses" entgegentreten. Bei einem angeblich "faktischen Arbeitsverhältnis" handelt es sich für die Vergangenheit gerade um ein rechtswirksames Arbeitsverhältnis, das entsteht, wenn aufgrund eines nichtigen und angefochtenen Arbeitsvertrages tatsächlich Arbeit geleistet worden ist bzw. geleistet wird. Für die Zeit, in der Arbeit geleistet wurde, ist ein Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten entstanden. Die Bezeichnung als "faktisches Arbeitsverhältnis" ist rechtsdogmatisch unpräzise, weil es gerade darum geht, der faktischen Arbeit rechtliche Wirkungen beizulegen.
Eine Beschäftigung von Anfang Januar 1993 bis zum 31.07.1994 übersteigt nun offensichtlich die Dauer von 18 Monaten, die nach dem BeschFG 1985 als Höchstmaß einer Befristungsabrede vereinbart werden darf, d.h., am 17. Februar 1993 konnten die Parteien nicht mehr unter Bezugnahme auf das BeschFG 1985 eine Befristung zum 31.07.1994 vereinbaren.
Nach alledem ist die in Ziffer 1 Abs. 2 des Anstellungsvertrages der Parteien enthaltene Befristungsvereinbarung unwirksam, mit der Folge, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien auf unbestimmte Dauer über den 31.07.1994 hinaus weiterhin fortbesteht. Damit braucht übrigens nicht entschieden zu werden, ob die Parteien überhaupt noch am 17. Februar 1993 unter Bezugnahme auf das BeschFG 1985 eine Befristung vereinbaren konnten, selbst für den Fall, dies mag einmal unterstellt werden, daß ihr Arbeitsverhältnis erst mit dem 01. Februar 1993 begonnen haben sollte. Dann läge ja auch zunächst einmal ein Arbeitsverhältnis auf unbestimmte Dauer vor, das mit der Befristungsabrede nachträglich zeitlich begrenzt werden soll.
Besteht nun das Arbeitsverhältnis der Parteien weiterhin fort, so erscheint dem Berufungsgericht die Anordnung der tatsächlichen Weiterbeschäftigung zur Abwendung wesentlicher Nachteile als notwendig. Dies ergibt sich zum einen daraus, daß die Zeiten einer Nichtbeschäftigung für den Kläger im Falle eines Obsiegens im Hauptsacheverfahren nicht nachholbar sind. Eine solche Zeit der Weiterbeschäftigung ist zudem für den Kläger, wie offenkundig ist und daher keiner weiteren Glaubhaftmachung bedarf, mit erheblichen wirtschaftlichen Einbußen verbunden. Sie ist zudem hinderlich für die Ausübung seines Betriebsratsmandats. Auch ist eine Beschäftigungsmöglichkeit nicht tatsächlich entfallen. Vielmehr ist von weiterhin bestehenden, betriebswirtschaftlich sinnvollen Einsatzmöglichkeiten des Klägers auszugehen.
Soweit die Kammer die Weiterbeschäftigung des Klägers als Rettungssanitäter auf der Rettungswache in ... ausgeurteilt hat, ist damit keine Änderung der individualrechtlichen Versetzungsbefugnis aus Ziffer 2 des Anstellungsvertrages der Parteien verbunden. Nur liegt bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht eine solche Versetzungsmaßnahme der Beklagten, die sich im übrigen auch betriebsverfassungsrechtlich an §§ 99, 95 Abs. 3 BetrVG 1972 messen lassen müßte, nicht vor. Eine arbeitsvertraglich erweiterte Direktionsbefugnis ändert, worauf die Beklagte vorsorglich hingewiesen sei, nichts an betriebsverfassungsrechtlichen Mitbestimmungstatbeständen und der Notwendigkeit ihrer Einhaltung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.