Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.01.1999, Az.: 10 Sa 1817/97
Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 14.01.1999
- Aktenzeichen
- 10 Sa 1817/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 18970
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1999:0114.10SA1817.97.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hannover - 16.07.1997 - AZ: 2 Ca 213/97
In dem Rechtsstreit
hat die 10. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 14.01.99
durch
den Vizepräsidenten des Landesarbeitsgerichts Dudzus und
die ehrenamtlichen Richter Kröckel und Lindner
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 16. Juli 1997 - 2 Ca 213/97 - wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Frage, ob der Klägerin für eine Krankheitszeit im Monat Januar 1997 eine Entgeltfortzahlung von 100 % oder nur von 80 % zugestanden hat.
Die Klägerin trat per 01. Februar 1996 als Auszubildende für den Beruf der Hotelkauffrau in die Dienste der Beklagten. Außerdem vereinbarten die sonst schon kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit tarifgebundenen Parteien die Geltung des eigentlich nur für ältere Beschäftigungsverhältnisse noch kraft Nachwirkung anwendbaren Manteltarifvertrag für das Hotel- und Gaststättengewerbe in Niedersachsen - ohne Ostfriesische Inseln und Oldenburg - vom 28. August 1991 (Anlage 1, Hülle Blatt 135 - künftig MTV 1991 -). In diesem MTV 1991 ist u. a. folgendes geregelt:
§ 8 Grundsätze der Entgeltzahlung
1.
Die Entgeltzahlung an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erfolgt monatlich aufgrund des jeweils geltenden Entgelttarifvertrages, für Auszubildende aufgrund der Vereinbarung über Ausbildungsvergütungen...2.
FestentgeltDie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten ein monatliches Festentgelt.
8.
Auszahlung des EntgeltesDie Monatsentgelte werden am Schluß des Monats ausgezahlt...
10.
Erreichen Umsatzbeteiligte das ihnen zustehende monatliche tarifliche Mindestentgelt nicht, so hat der Arbeitgeber die Differenz aus betriebseigenen Mitteln zu zahlen.§ 9 Zahlung an gesetzlichen Feiertagen
...
5.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die an diesen Tagen nicht arbeiten müssen, unterliegen den gesetzlichen Bestimmungen (Gesetz über Lohnzahlung an Feiertagen vom 02. August 1951).§ 16 Fälle entschädigungspflichtiger Arbeitsverhinderung
Ergänzend zu den Bestimmungen des § 616 BGB vereinbaren die Parteien:
1.
Alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten unter Fortzahlung ihrer Bezüge Freizeit:a)
...b)
...c)
...2.
Das in diesem Fall weierzuzahlende Entgelt ist in Höhe des Urlaubsentgeltes zu gewähren.§ 17 Entgeltzahlung in Krankheitsfällen
...
2.
Bei ärztlich nachgewiesener Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmerin bzw. des Arbeitnehmers infolge Krankheit (einschließlich Berufskrankheit und Arbeitsunfall) ist das Entgelt für die Dauer der Arbeitsunterbrechung bis zur Dauer von 6 Wochen weiterzuzahlen.Der MTV 1979 (Anlage 4, Hülle Blatt 135) enthält noch im entsprechenden § 14 folgende Regelung:
...
2.
Bei ärztlich nachgewiesener Arbeitsunfähigkeit erhält der Arbeitnehmer bis zu 6 Wochen seiner Krankheit Lohn. Der Lohn beträgt pro lohnzahlungspflichtigem Krankheitstag den Satz des Urlaubsentgelts gemäß § 12 Ziffer 3 dieses Vertrages.3.
Kaufmännische und technische Angestellte haben nach den gesetzlichen Bestimmungen bei Erkrankung innerhalb eines Beschäftigungsjahres Anspruch auf Fortzahlung des Gehalts bis zu 6 Wochen. Bei erneuter Erkrankung tritt diese Zahlungsverpflichtung nur ein, wenn es sich um eine andere Krankheit handelt.
Der ablösende MTV 1984 (Anlage 3, Hülle Bl. 135) enthielt im entsprechenden § 16 Nr. 2 folgende Regelung:
Bei ärztlich nachgewiesener Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers infolge Krankheit (einschließlich Berufskrankheit und Arbeitsunfall) ist der Lohn bzw. das Gehalt für die Dauer der Arbeitsunterbrechung bis zur Dauer von 6 Wochen weiterzuzahlen.
Der diesen ablösenden MTV 1989 (Anlage 2, Hülle Bl. 135) lautete im entsprechenden § 17 Nr. 2:
Bei ärztlich nachgewiesener Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers infolge Krankheit (einschließlich Berufskrankheit und Arbeitsunfall) ist der Lohn bzw. das Gehalt für die Dauer der Arbeitsunterbrechung bis zur Dauer von 6 Wochen weiterzuzahlen.
Die Beklagte kürzte die Ausbildungsvergütung für den Monat Januar 1997 hinsichtlich der krankheitsbedingten Fehltage um 20 %. Den seiner rechnerischen Höhe nach unstreitigen Betrag der Klagforderung machte die Klägerin mit Schreiben vom 04. Februar 1997 erfolglos geltend und verfolgte ihren vermeintlichen Anspruch mit der am 08. April 1997 erhobenen Klage weiter.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und seiner Wertung durch das Arbeitsgericht Hannover wird auf das bei einem Streitwert von DM 34,55 unter Zulassung der Berufung ergangene und die Klage abweisende Urteil vom 16. Juli 1997 Bezug genommen (Blatt 61 bis 70 d. A.).
Gegen dieses ihr am 22. August 1997 zugestellte Urteil legte die Klägerin am 22. September 1997 Berufung ein und begründete diese Berufung nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 28. November 1997 am 28. November 1997.
Die Klägerin bekämpft das angefochtene Urteil nach Maßgabe der Rechtsausführungen in der Berufungsbegründungsschrift vom 28. November 1997 (Blatt 91 bis 97 d. A. nebst anliegendem Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig - 5 Ca 391/97 - vom 21. Oktober 1997 - Blatt 98 bis 102 d. A. -).
Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Hannover vom 16.07.1997 - 2 Ca 213/97 - die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin DM 34,55 brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit Klagezustellung zu zahlen.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe der Rechtsausführungen in der Berufungserwiderungsschrift vom 30. Dezember 1997 (Blatt 105 bis 113 d. A.) nebst dem anliegenden Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 11. September 1997 - (11 Ca 102/97 - Blatt 114 bis 124 d. A.).
Gründe
Die Berufung ist nicht begründet.
Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung dahin erkannt, dass der Klägerin gemäß § 4 Abs. 1 S. 1 EFZG nur eine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall von 80 % zugestanden hat, weil der kraft Einzelarbeitsvertrag noch anwendbare § 17 Nr. 2 MTV 1991 keine eigenständige Regelung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall enthält.
Gemäß § 543 ZPO macht sich das Berufungsgericht die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts zu eigen, um Wiederholungen zu vermeiden.
Die Berufungsbegründung gibt Anlaß zu folgenden Ergänzungen:
Das Berufungsgericht teilt die Ansicht der 5. Kammer des Arbeitsgerichts Braunschweig in dem von der Klägerin vorgelegten Urteil im Ergebnis nicht.
Richtig ist allerdings, dass die Fragen, ob tarifliche Vorschriften gegenüber gesetzlichen Bestimmungen nur deklaratorisch oder konstitutive Regelungen enthalten, für das Gebiet der Kündigungsfristen von Arbeitsverhältnissen einerseits und dem Bereich einer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu 100 % oder 80 % andererseits, auf grundsätzlich anderen rechtlichen Grundlagen zu entscheiden sind.
Im Bereich der Kündigungsfristen von Arbeitsverhältnissen ist in den früher gesetzlich und fast ausnahmslos auch tariflich unterschiedlichen Regelungen für Arbeiter und Angestellte bereits spätestens seit dem Jahre 1969 mit der Übernahme der Kündigungsfristen für Arbeiter in das BGB unter Schaffung verlängerter Kündigungsfristen auch für Arbeiter ein Jahrzehnte währender Streit über die Rechtswirksamkeit dieser unterschiedlichen Regelungen entbrannt (vgl. Hillebrecht-Spilger, KR, KO, 4. Auflage, § 622 BGB Rdn. 1 und speziell Rdn. 10 ff.). Diese Auseinandersetzungen waren den Tarifvertragsparteien bei der Schaffung der einschlägigen Tarifverträge bekannt.
Im Bereich der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gab es keinen Streit über die Frage, ob 100 % oder weniger zu zahlen seien. Seit der Einbindung der gewerblichen Arbeitnehmerschaft in die volle vom Arbeitgeber zu zahlende Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall im Jahre 1969 galten für alle Arbeitnehmer unangefochten Entgeltfortzahlungsansprüche zu 100 %. Tariflich konnte nur die Berechnung dieser 100 % geregelt werden. Die Tarifvertragsparteien hatten weder Anlaß, noch die Möglichkeit, hier vom Gesetz abweichende Regelungen zu schaffen. Die Möglichkeit, in gewissen Bereichen bei alleiniger Anwendung des § 616 Abs. 2 BGB a. F. die Bezugsdauer auch kürzer als 6 Wochen festzusetzen, ist für die vorliegende Frage ohne Bedeutung. Die per 01. Oktober 1996 durch den Gesetzgeber durch Änderung des § 4 EFZG geänderte Rechtslage mit der Kürzung des Entgeltfortzahlungsanspruches auf 80 % konnte von den Tarifvertragsparteien nicht vorhergesehen werden.
Aus diesen Gründen müssen die vom 2. und 7. Senat des BAG aufgestellten Regelungen zur Beurteilung der Frage, ob im Bereich der Kündigungsfristen für Arbeitsverhältnisse Tarifverträge eigenständige Regelungen enthalten (vgl. die Zusammenstellung im Urteil des BAG vom 16. Juni 1998 - 5 AZR 67/97 sub B III 2 a auf den Seiten 12 und 13 - insoweit wohl unveröffentlicht, sonst DB 98, 2021 bis 2022), hier in ihrer Bedeutung zurücktreten.
Den Ausführungen auf Seite 5 unten im letzten Absatz des o. g. Urteils der 5. Kammer des Arbeitsgerichts Braunschweig (Blatt 101 d. A.) ist daher zu folgen. Die auf Seite 6 (Blatt 102 d. A.) dann gefundene Begründung für die Verurteilung zu 100 % überzeugt dagegen nicht. Ihr wäre auch im Falle der Klage einer gewerblichen Arbeitnehmerin nicht zu folgen. Wenn das nur für Arbeiter gültig gewesene Lohnfortzahlungsgesetz auch seinem Wortlaut nach den Anspruch des Arbeiters nicht begründete, sondern nur nicht ausgeschlossen hat, so ergab sich der Anspruch dann aus allgemeinen Vorschriften (§ 616 BGB) i. V. mit dem Lohnfortzahlungsgesetz der Anspruch auch des gewerblichen Arbeitnehmers.
Die Vorschrift des § 17 Nr. 2 MTV enthält lediglich einen deklaratorischen Hinweis auf die jeweilige Gesetzeslage. Dies ergibt sich hier aus dem Zusammenhang des gesamten MTV 1991 und wird zusätzlich durch die Tarifgeschichte insbesondere gegenüber dem MTV 1979 bestätigt.
Nach den bisher ergangenen zahlreichen Urteilen des 5. Senates des BAG (vgl. u. a. die Pressemitteilungen des Gerichtes Nr. 34 vom 17.06.1998, Nr. 39 vom 01. Juli 1998, Nr. 45 vom 26. August 1998 und zuletzt Nr. 49 vom 21. Oktober 1998) enthält eine bloße Bezugnahme auf das Gesetz ohne weitergehende Regelung für diese 6 Wochen nur eine deklaratorische Bestimmung. Kommt allerdings eine Regelung der Berechnung der Höhe des Entgeltes, beispielsweise in Höhe des Urlaubsentgeltes hinzu, so handelt es sich um eine konstitutive Bestimmung (z. B. 5 AZR 728/97 vom 16. Juni 1998, MTV Hotel- und Gaststätten in Baden-Württemberg; 5 AZR 769/97 vom 26. August 1998 zum MTV Holz- und Kunststoff Saar).
Dagegen liegt bisher - soweit ersichtlich - noch keine höchstrichterliche Entscheidung für den Fall vor, dass der TV ohne Bezugnahme auf ein Gesetz den Inhalt der gesetzlichen Regelung wiedergibt, wie es vorliegend der Fall ist.
Der 5. Senat hat hierfür lediglich angedeutet, dass in derartigen Fällen "weniger strenge Anforderungen" an den Ausdruck des Regelungswillens zu stellen sind, weil der Wortlaut nicht gegen einen Regelungswillen spricht (BAG vom 16. Juni 1998 - 5 AZR 67/97 - sub B III 6 auf Seite 16 = DB 98, 2021).
Dem folgt das Berufungsgericht nicht nur im Interesse der Rechtseinheit, sondern insbesondere aus den oben erörterten unterschiedlichen Ausgangslagen bei den Kündigungsfristen einerseits und den Entgeltfortzahlungsansprüchen im Krankheitsfall andererseits.
Der MTV 1991 enthält keinen Hinweis auf einen Regelungswillen. Die Erörterung der Klägerin zu § 8 MTV 1991 sind teilweise schon sachlich unrichtig.
Der § 8 Nr. 1 MTV 1991 enthält nicht den Begriff der "Entgeltfortzahlung" (Berufungsbegründung Seite 3 = Blatt 93 d. A.), sondern lediglich das Wort "Entgeltzahlung".
Im übrigen haben die Regelungen im § 8 MTV 1991 mit den Begriffen "Festentgelt" in Nr. 2, "Monatsentgelt" in Nr. 8 und "tarifliches Mindestentgelt" in Nr. 10 keinen Bezug zu dem im § 17 Nr. 2 allein und neutral genannten "Entgelt".
Auch aus der Bestimmung des § 9 Nr. 5 MTV 1991 ergibt sich kein Regelungswille für § 17 Nr. 2 MTV 1991. Nach § 9 Nr. 5 MTV 1991 richtet sich die Vergütung für die wegen eines Feiertages ausgefallene Arbeit nach den Vorschriften des dort ausdrücklich in Bezug genommenen Gesetzes, ohne dieses inhaltlich wiederzugeben. Die hier getroffene Regelung bezieht sich auf eine andere Materie und ist daher nicht über ihren Bereich hinaus aussagekräftig.
Die Vorschrift des § 16 Nr. 2 MTV 1991 schreibt vor, dass sich in den in der Nr. 1 aufgeführten Fällen des § 616 BGB die vom Arbeitgeber zu entrichtende Vergütung der Höhe nach nach dem Urlaubsentgelt richtet. Hier haben die Tarifvertragsparteien einem konstitutiven Regelungswillen Ausdruck gegeben.
Von besonderer Wichtigkeit erachtet das Gericht den Umstand, dass die im MTV 1979 in dessen § 14 Nr. 2 Satz 2 geregelte Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall mit der Bezugnahme auf das Urlaubsentgelt seit dem MTV 1984 weggefallen ist, wie schon das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat.
Durch den ersatzlosen Wegfall dieser Regelung haben die Tarifvertragsparteien dokumentiert, dass von da an allein das inhaltlich wiedergegebene Gesetz gelten sollte. Gerade die unterschiedliche Behandlung von Verhinderungsfällen anderer Art gegenüber den Verhinderungsfällen wegen Krankheit beweist den hier weggefallenen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, weil ihr Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist.
Die in Übereinstimmung mit den Anregungen beider Parteien zugelassene Revision beruht auf der Vorschrift des § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
Kröckel
Lindner