Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.08.1999, Az.: 13 Sa 2831/98

Arbeitsgerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung; Zuständigkeit eines Gesamtpersonalrats bei außerordentlichen Kündigung; Kündigung wegen häufiger Erkrankungen und schlechter gesundheitlicher Zukunftsprognose

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
24.08.1999
Aktenzeichen
13 Sa 2831/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 28235
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1999:0824.13SA2831.98.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Oldenburg - 05.11.1998 - AZ: 4 Ca 103/95

Fundstellen

  • DB 2000, 524 (amtl. Leitsatz)
  • PflR 2000, 188

In dem Rechtsstreit
hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 24.08.1999
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenkötter und
die ehrenamtlichen Richter Mahlstedt und Salomon
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Oldenburg vom 05.11.1998, 4 Ca 103/95, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 48.154,64 DM festgesetzt.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass die außerordentliche Kündigung vom 03.02.1995 das Arbeitsverhältnis nicht zum 30.09.1995 beendet hat. Die Beklagte stützt die mit Auslauffrist ausgesprochene Kündigung auf häufige Erkrankungen in der Vergangenheit und die Prognose des Betriebsarztes, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass in Zukunft in geringerem Umfang krankheitsbedingte Fehltage anfallen würden. Die Klägerin macht außerdem Annahmeverzugsansprüche (06.11.1995 bis 31.12.1996) geltend und begehrt zweitinstanzlich Weiterbeschäftigung.

2

Die 1942 geborene Klägerin war seit 01.01.1975 als Arzthelferin im Krankenhaus des beklagten Landkreises beschäftigt. Sie war in der Röntgendiagnostik eingesetzt, in den 80-iger Jahren überwiegend in der computertomografischen Abteilung.

3

Am 27.11.1978 hatte die Klägerin einen Wegeunfall. Sie rutschte bei Straßenglätte auf der Autobahn auf den Grünstreifen, ein nachfolgendes Fahrzeug fuhr auf, wodurch sie verletzt wurde (Unfallanzeige, Bl. 195 d. A.).

4

Aufgrund sozialgerichtlichen Vergleichs vom 01.12.1994 ist die Klägerin als Schwerbehinderte anerkannt mit einem Grad der Behinderung von 50. Auf den Ausführungsbescheid des Versorgungsamtes Bremen vom 27.02.1995 (Bl. 66 d. A.) wird Bezug genommen. Gemäß Bescheid des Gemeindeunfallversicherungsverbandes ... vom 24.10.1985 (Bl. 211 ff. d. A.) erhält sie aufgrund des Arbeitsunfalls vom 27.11.1978 seit 16.01.1979 eine Unfallrente.

5

Die Klägerin war nach Ausspruch der Kündigung bis zum 05.11.1995 arbeitsunfähig, seit dem 06.11.1995 erhielt sie Arbeitslosengeld gemäß § 105 a AFG. Am 28.11.1994 stellte die Klägerin Rentenantrag, Antrag und Widerspruch wurden am 06.06.1995 bzw. 26.02.1997 abgewiesen. Das Sozialgericht ... hat durch Urteil vom 04.02.1999 der Klägerin ab 01.01.1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zugesprochen, gegen dieses Urteil hat der Rentenversicherungsträger Berufung eingelegt. Der Beklagte hatte im Kündigungszeitpunkt von der Rentenantragstellung keine Kenntnis.

6

Der Beklagte stützt die Kündigung auf folgende krankheitsbedingte Fehlzeiten:

7

1990 in 9 Fällen an 143 Tagen

01.01.1990 bis 09.02.1990=29Tage
27.02.1990 bis 07.03.1990=7Tage
21.02.1990=1Tag
22.05.1990=1Tag
05.06.1990 bis 13.07.1990=29Tage
03.08.1990 bis 31.08.1990=21Tage
03.09.1990=1Tag
19.09.1990 bis 07.10.1990=13Tage
29.10.1990 bis 31.12.1990=41Tage
8

1991 in 6 Fällen an 173 Tagen

01.01.1991 bis 06.03.1991=46Tage
18.04.1991=1Tag
23.04.1991 bis 20.06.1991=40Tage
30.07.1991 bis 01.10.1991=46Tage
18.10.1991=1Tag
28.10.1991 bis 22.12.1991=39Tage
9

1992 in 5 Fällen an 175 Tagen

16.01.1992 bis 21.02.1992=27Tage
13.04.1992 bis 22.06.1992=46Tage
14.07.1992 bis 07.10.1992=62Tage
23.10.1992=1Tag
03.11.1992 bis 31.12.1992=39Tage
10

1993 in 12 Fällen an 160 Tagen

01.01.1993 bis 10.01.1993=5Tage
13.01.1993 bis 20.01.1993=6Tage
02.02.1993=1Tag
22.02.1993 bis 16.04.1993=38Tage
22.04.1993=1Tag
28.04.1993=1Tag
08.06.1993 bis 18.06.1993=9Tage
02.07.1993 bis 17.08.1993=27Tage
09.09.1993 bis 03.10.1993=17Tage
06.10.1993 bis 11.11.1993=27Tage
18.11.1993=1Tag
23.11.1993 bis 31.12.1993=27Tage
11

1994 in 7 Fällen an 177 Tagen

01.01.1994 bis 07.03.1994=46Tage
15.03.1994 bis 28.03.1994=10Tage
12.04.1994 bis 24.04.1994=9Tage
13.06.1994 bis 23.09.1994=75Tage
28.09.1994=1Tag
14.10.1994 bis 22.11.1994=9Tage
19.12.1994 bis 31.12.1994=9Tage
12

Krankheitsursachen waren zum überwiegenden Teil Lungenembolie und Kreislaufinsuffizienz. Auf die Aufstellung der Diagnosen, Bl. 68 d. A. wird verwiesen.

13

Der Beklagte schaltete den Betriebsarzt ein, der mit Datum vom 16.01.1995 (Bl. 69 d. A.) mitteilte, er habe die Klägerin am 10.01.1995 untersucht, eine Änderung des bisherigen Krankheitsverlaufs sei nicht erkennbar, man müsse davon ausgehen, dass auch in Zukunft ähnlich hohe Ausfallzeiten auftreten würden.

14

Unter dem 18.01.1995 hörte der Beklagte die Schwerbehindertenvertretung, den Gesamtpersonalrat und den Personalrat des Krankenhauses zur beabsichtigten Kündigung an (Bl. 259-262 d. A.). Alle drei Gremien äußerten sich unter dem 19.01.1995 und erhoben keinen Widerspruch (Bl. 263-265 d. A.).

15

Am 19.01.1995 beantragte der Beklagte bei der Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung. Mit Bescheid vom 02.02.1995, dem Beklagten zugegangen am 03.02.1995, erteilte die Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung.

16

Mit Schreiben vom 03.02.1995 beantragte der Beklagte beim Gesamtpersonalrat, beim Personalrat und bei der Schwerbehindertenvertretung erneut die Zustimmung zur Kündigung (Bl. 266-268 d. A.). Alle drei Gremien antworteten mit schriftlichen Stellungnahmen vom 03.02.1995 (Bl. 269-271 d. A.).

17

Das Kündigungsschreiben (Bl. 4 d. A.) wurde der Klägerin am 03.02.1995 gegen 10:00 Uhr per Boten zugestellt.

18

Die Klägerin hat gegen den Bescheid der Hauptfürsorgestelle vom 02.02.1995 erfolglos Widerspruch eingelegt, ihre verwaltungsgerichtliche Klage ist rechtskräftig abgewiesen worden.

19

Die Klägerin hat vorgetragen, eine negative Zukunftsprognose sei nicht begründet. Die Stellungnahme des Betriebsarztes sei fehlerhaft, dieser sei unzutreffend davon ausgegangen, dass sie einen Schonarbeitsplatz inne habe. Im übrigen sei keine ordnungsgemäße Untersuchung erfolgt. Dass für die Zukunft nicht mit weiteren hohen Fehlzeiten zu rechnen gewesen sei, ergebe sich auch daraus, dass sie ab 06.11.1995 wieder arbeitsfähig gewesen sei. Erhebliche betriebliche Auswirkungen durch die Fehlzeiten ergäben sich nicht, sie sei seit Jahren nicht ordnungsgemäß in ihre Arbeit eingewiesen worden, ab 1993 sei ihr praktisch keine Arbeit zugewiesen worden. Der Beklagte habe durch dieses Verhalten Fehlzeiten provoziert. Als wesentliche Krankheitsursache seien Lungenembolien anzusehen, die auf dem Wegeunfall beruhten. Krankheitszeiten aufgrund eines Arbeitsunfalls könnten aber nicht berücksichtigt werden, außerdem sei vorliegend die Kündigung gemäß § 55 Abs. 2 a BAT ausgeschlossen. Aufgrund Annahmeverzuges des Beklagten habe sie Anspruch auf Gehalt und 13. Monatsgehalt für den Zeitraum 06.11. bis 31.12.1995.

20

Die Klägerin hat beantragt,

  1. 1.

    festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 03.02.1995 mit Ablauf des 30.09.1995 nicht beendet worden ist.

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 11.204,25 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

21

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

22

Er hat vorgetragen, aufgrund der hohen Fehlzeiten in der Vergangenheit und der Feststellungen des Betriebsarztes habe eine Weiterbeschäftigung nicht erfolgen können. Wegen der Häufigkeit des Fehlens habe die Klägerin im Dienstplan praktisch nicht mehr berücksichtigt werden können. Auch die Gehaltsfortzahlungskosten, 1990 bis 1994 in Höhe von 213.977,24 DM, seien unvertretbar hoch gewesen.

23

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.

24

Mit Berufung rügt die Klägerin ordnungsgemäße Beteiligung von Personalrat und Schwerbehindertenvertretung. Da die Kündigung am 03.02.1995 gegen 10:00 Uhr zugegangen sei, sei ersichtlich, dass zu diesem Zeitpunkt die am selben Tag eingeleitete Beteiligung von Personalrat und Schwerbehindertenvertretung noch nicht abgeschlossen gewesen sei. Eine negative Krankheitsprognose im Kündigungszeitpunkt sei nicht gerechtfertigt. Ab 06.11.1995 sei die Kläger wieder arbeitsfähig gewesen. Zu berücksichtigen sei außerdem, dass die Krankheiten auf dem Wegeunfall beruhten, dies sei dem Beklagten auch bekannt gewesen. Damit sei die Kündigung nicht gerechtfertigt. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung, den Schriftsatz vom 01.06.1999 und den Schriftsatz vom 09.08.1999.

25

Die Klägerin beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils

  1. 1.

    festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung seitens des Beklagten mit Schreiben vom 03.02.1998 nicht beendet worden ist,

  2. 2.

    den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 11.204,25 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

  3. 3.

    den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin im Kreiskrankenhaus Ammerland, Westerstede bei Vergütung nach Gruppe VI b BAT weiterzubeschäftigen,

  4. 4.

    den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin als Verzugsgehalt für das Jahr 1996 51.784,20 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus den sich ergebenden Nettobetrag zu zahlen, soweit nicht gesetzlicher Forderungsübergang an Sozialleistungsträger eingetreten sind.

26

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

27

Er verteidigt nach Maßgabe der Berufungserwiderung das erstinstanzliche Urteil und vertritt die Auffassung, die Klägerin habe den Wegeunfall grob fahrlässig verursacht. Die Ursächlichkeit des Wegeunfalles für die hier fraglichen Krankheitszeiten sei im übrigen nicht belegt und nicht schlüssig dargelegt. Die Ursächlichkeit werde bestritten

Gründe

28

Die Berufung der Klägerin ist statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 64, 66 ArbGG, 518, 519 ZPO. Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend die außerordentliche Kündigung als wirksam angesehen und die Klage abgewiesen.

29

Die Kündigung ist nicht unwirksam wegen mangelhafter Beteiligung des Personalrates. Nach § 75 Nr. 5 NdsPersVG (Fassung vom 02.03.1994) hat bei außerordentlicher Kündigung die Dienststelle das Benehmen mit dem Personalrat herzustellen, dem Personalrat muss nach § 76 Abs. 1, Abs. 2 NdsPersVG Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden. Stellungnahmefrist 1 Woche. Ob vorliegend Zuständigkeit des Gesamtpersonalrats nach § 80 NdsPersVG gegeben war, dafür spricht, dass die Kündigung vom Oberkreisdirektor und Landrat, nicht von der Krankenhausleitung ausgesprochen wurde, kann offenbleiben. Gesamtpersonalrat und Hauspersonalrat des Krankenhauses sind gleichermaßen ordnungsgemäß beteiligt worden.

30

Die Personalräte sind 2 mal beteiligt worden, und zwar mit Schreiben vom 18.01.1995 und nochmals mit Schreiben vom 03.02.1995. Die Dienststelle kann, sofern die Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zur Kündigung eingeholt werden muss, den zuständigen Personalrat beteiligen vor dem Verwaltungsverfahren oder auch danach. Wird der Personalrat vor dem Verwaltungsverfahren beteiligt, ist eine erneute Beteiligung nach Zustimmungserteilung durch die Hauptfürsorgestelle nur dann erforderlich, wenn sich eine Änderung des Sachverhalts ergibt (BAG EZA § 611 BGB Abmahnung, Nr. 31; KR, 5. Auflage, § 21 Schwerbehindertengesetz Rd.-Nr. 30 e). Vorliegend ist die Personalvertretung am 18.01.1995 vor Antragstellung an die Hauptfürsorgestelle beteiligt worden, diese Beteiligung ist maßgebend. Da sich eine Änderung des Sachverhalts im Laufe des Verwaltungsverfahrens nicht ergeben hat, war eine erneute Beteiligung der Personalvertretung am 03.02.1995 nicht erforderlich. Sie ist lediglich als erneute Unterrichtung der Personalvertretung zu bewerten, Mängel dieses Verfahrens haben auf die Wirksamkeit der Kündigung keinen Einfluss, weil die ordnungsgemäße Beteiligung der Personalvertretung am 18./19.01.1995 erfolgte.

31

Die Anhörung des Personalrates vom 18.01.1995 ist erfolgt durch den Werkleiter ... Ob dieser gemäß § 8 NdsPersVG die Dienststelle personalvertretungsrechtlich vertreten durfte, kann offenbleiben. § 8 NdsPersVG hat allein den Zweck, im Verhältnis zur Personalvertretung die sachgerechte Vertretung der Diensstelle sicher zu stellen, die Personalvertretung kann auf Einhaltung des § 8 NdsPersVG verzichten. Soweit sie nicht rügt, hat deshalb die Nichteinhaltung von § 8 NdsPersVG keine Auswirkung auf die Kündigung (BAG ZTR 1998, Seite 335).

32

Unerheblich ist auch, dass die Stellungnahmen der Personalvertretungen von der Personalratsvorsitzenden bzw. dem Gesamtpersonalratsvorsitzenden unterzeichnet sind. In Gruppenangelegenheiten wird der Personalrat vertreten durch den Vorsitzenden gemeinsam mit einem der Gruppe angehörenden Mitglied, § 28 Abs. 2 NdsPersVG, diese Formvorschrift ist offenbar nicht eingehalten. Dies ist aber unschädlich, weil innerhalb der Wochenfrist des § 76 Abs. 2 NdsPersVG eine anderweitige Stellungnahme des Personalrates nicht eingegangen war, also mit Ablauf der Wochenfrist das Beteiligungsverfahren beendet war.

33

Inhaltlich bestehen gegen die Anhörung keine Bedenken. Den Personalvertretungen sind durch Anlage die Fehlzeiten mitgeteilt worden, ebenso ist die negative Prognose des Betriebsarztes mitgeteilt. Die aus Sicht des Arbeitgebers maßgebenden Kündigungsgründe sind damit der Personalvertretung bekannt gemacht worden, die Anhörung der Personalvertretung ist ordnungsgemäß.

34

Auch die Schwerbehindertenvertretung ist ordnungsgemäß am 18.01.1995 beteiligt worden, sie ist gemäß § 25 Abs. 2 Schwerbehindertengesetz angehört worden. Wie zur Beteiligung der Personalvertretung ausgeführt, ist die Anhörung vor Antragstellung bei der Hauptfürsorgestelle ausreichend und maßgebend, auch inhaltlich ist die Anhörung korrekt. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung der Frage, ob eine mangelhafte Anhörung der Schwerbehindertenvertretung überhaupt Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Kündigung haben könnte.

35

Die Kündigung ist auch erst erklärt worden, nachdem die Hauptfürsorgestelle die Entscheidung über die Zustimmung getroffen hatte, § 21 Abs. 3 Schwerbehindertengesetz. Maßgebend ist, dass die Entscheidung vor Erklärung der Kündigung getroffen ist, nicht entscheidend ist, ob die Entscheidung bei Erklärung der Kündigung bereits zugestellt war (dazu BAG EZA § 21 Schwerbehindertengesetz 1986 Nr. 3).

36

Die außerordentliche Kündigung ist gemäß §§ 626 BGB, 54 BAT wirksam. Gemäß § 53 Abs. 3 BAT ist die Klägerin unkündbar, dass heißt eine ordentliche Kündigung kann nicht ausgesprochen werden, sie kann gemäß § 55 Abs. 1 BAT aus einem in ihrer Person liegenden wichtigen Grund fristlos gekündigt werden. Die Anforderungen an eine außerordentliche krankheitsbedingte, damit personenbedingte Kündigung sind hier erfüllt.

37

Nach der Rechtsprechung des BAG kann bei Ausschluss der ordentlichen Kündigung aufgrund tarifvertraglicher Vorschriften im Ausnahmefall auch eine krankheitsbedingte außerordentliche Kündigung in Betracht kommen. Zwar seien bereits an eine ordentliche Kündigung wegen Erkrankung strenge Anforderungen zu stellen, dies schließe aber nicht aus, dass in engbegrenzten Ausnahmefällen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem kranken Arbeitnehmer für den Arbeitgeber im Sinne de § 626 Abs. 1 BGB unzumutbar sein könne. Eine außerordentliche Kündigung komme z. B. in Betracht, wenn die weitere betriebliche Beeinträchtigung für die Dauer der tatsächlichen künftigen Vertragsbindung für den Arbeitgeber unzumutbar sei. Es müsse entsprechend den Grundsätzen der krankheitsbedingten ordentlichen Kündigung krankheitsbedingt ein wichtiger Kündigungsgrund an sich vorliegen. Hinsichtlich zukünftiger Krankheitszeiten müsse eine negative Prognose vorliegen, betriebliche Interessen müssten erheblich beeinträchtigt sein und schließlich müsse nach dem Maßstab des § 626 BGB eine Interessenabwägung durchgeführt werden. Insbesondere bei dauernder Unfähigkeit, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, liege ein krankheitsbedingter wichtiger Kündigungsgrund vor (BAG EZA § 626 BGB, Nr. 156 und 142).

38

Im Kündigungszeitpunkt war davon auszugehen, dass die Klägerin auch in Zukunft in der Größenordnung von 160 bis 180 Tagen pro Jahr krank sein würde. Eine negative Prognose war begründet. Der Beklagte hat diese Prognose begründet mit der Aufstellung der Krankheitszeiten 1990 bis 1994 und mit einer entsprechenden Einschätzung des Betriebsarztes. Die Darlegungen der Klägerin zu den Unfallfolgen des Arbeitsunfalls aus 1978 und die vorgetragenen Diagnosen stützen diese Einschätzung. Nach dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten des ... vom 21.01.1985 lagen als direkte Unfallfolgen rezidivierende Lungenembolien vor. Übereinstimmend damit hat das Gutachten des Lungenarztes ... erstattet für das Sozialgericht ... im Rentenverfahren Lungenembolien ab 1978 mit belastungsabhängiger Sauerstoffentsättigung im Blut als Folgeerkrankungen des Arbeitsunfalles festgestellt (Schriftsatz der Klägerin vom 01.06.1999, Seite 2). Auch die Bescheinigungen des Krankenhauses ... e vom 16.12.1991 und 22.09.1995, vorgelegt im arbeitsgerichtlichen Verfahren, bestätigen als andauernde Erkrankung nach Wegeunfall Lungenembolien mit beginnender Rechtsherzbelastung. Lungenembolien und Kreislauferkrankungen waren aber zum überwiegenden Teil Ursachen für die Arbeitsunfähigkeitszeiten 1990 bis 1994. Daraus ist zu folgern, dass insoweit ein nicht ausgeheiltes Grundleiden vorliegt, was auch in Zukunft immer wieder zu Arbeitsunfähigkeitszeiten im bisherigen Umfang führen wird. Für die Behauptung der Klägerin, in Zukunft sei nicht mit erheblichen Krankheitszeiten zu rechnen gewesen, gibt es keine Anhaltspunkte. Insbesondere folgt dies nicht aus der Tatsache, dass die Klägerin ab 06.11.1995 Arbeitslosengeld bezogen hat. Auch wenn man entgegen der Entscheidung des BAG vom 29.04.1999, 2 AZR 431/98, diese zukünftige Entwicklung berücksichtigt, und nicht auf den Zeitpunkt der Kündigungserklärung abstellt, ergeben sich aus dem Arbeitslosengeldbezug keine Anhaltspunkte gegen die negative Prognose. Arbeitslosengeld wurde gezahlt nach Beendigung der Krankengeldzahlung, und zwar nach § 105 a AFG. Damit ist gerade aus dem Arbeitslosengeldbezug nicht auf Arbeitsfähigkeit zu schließen. Gerechtfertigt ist damit die Prognose, dass ausgehend vom Zeitpunkt der Kündigungserklärung auch in Zukunft mit jährlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten zwischen 160 und 180 Tagen zu rechnen war, entsprechend der Anzahl der Krankheitstage 1991 bis 1994.

39

Diese Krankheitszeiten haben auch zu einer für den Beklagten unzumutbaren betrieblichen Belastung geführt. Neben den hohen Gehaltsfortzahlungskosten ist insbesondere darauf zu verweisen, dass die Klägerin angesichts der Vielzahl und der Dauer der einzelnen Krankheitszeiten praktisch im Dienstbetrieb des Krankenhauses nicht mehr einplanbar war. Geht man aus von jährlich etwa 220 Arbeitstagen, nach Abzug des Urlaubs, so stand die Klägerin 1991 an 173 Tagen, 1992 an 175 Tagen, 1993 an 160 Tagen und 1994 an 177 Tagen zum Einsatz nicht zur Verfügung. Es handelte sich nicht um geschlossene Krankheitszeiten, was Planbarkeit und Vertretungsregelung erleichtern würde, sondern um Arbeitsunfähigkeitszeiten in einer Vielzahl von Blöcken, unterbrochen durch jeweils wenige Tage der Arbeitsfähigkeit. In den Jahren 1991 bis 1994 stand die Klägerin im Maximum zu einem Viertel im Minimum zu etwa 1/5 der Arbeitstage zur Verfügung. Eine sinnvolle Einplanbarkeit und Einsetzbarkeit im Rahmen der für den Krankenhausbetrieb erforderlichen Dienstpläne bestand damit für den Beklagten nicht. Die Klägerin war aufgrund der Krankheitszeiten de facto nicht einsetzbar und einplanbar als vorhandene Arbeitnehmerin. Aufgrund der negativen Prognose musste die Beklagte damit rechnen, die Klägerin auch für die Zukunft nicht einsetzten und einplanen zu können.

40

Auch die Interessenabwägung geht zu Lasten der Klägerin. Es war dem Beklagten unzumutbar, unter den gegebenen Umständen das Arbeitsverhältnis noch bis zum Rentenbezug also etwa 10 Jahre fortzusetzen. Die Klägerin war im Kündigungszeitpunkt 52 Jahre alt. Für die Klägerin spricht, dass sie bereits seit 1975, also 20 Jahre, beim Beklagten beschäftigt war. Allerdings war das Arbeitsverhältnis in der Vergangenheit durch erhebliche Krankheitszeiten belastet, und zwar auch schon vor 1990, wie die Klägerin selbst in der Klageschrift vorträgt. Aufgrund der Häufigkeit und der Länge der Erkrankungen konnte der Beklagte die Arbeitskraft der Klägerin nicht einplanen, er musste eine Planstelle blockieren, ohne faktisch eine Arbeitsleistung zu erhalten. Aufgrund der besonderen tariflichen Regelung, Anspruch der Klägerin auf 26 Wochen Gehaltsfortzahlung nach BAT, musste der Beklagte zudem mit erheblichen finanziellen Belastungen durch Gehaltsfortzahlung in der Zukunft rechnen. Hinsichtlich Einsetzbarkeit und Einplanbarkeit der Klägerin liegt hier eine Belastung des Arbeitgebers vor, die einer dauernden Dienstunfähigkeit gleich kommt. Weil aufgrund der immer wieder unterbrochenen Arbeitsunfähigkeitszeiten in Zukunft mit erheblichen Gehaltsfortzahlungsansprüchen zu rechnen war, ist die wirtschaftliche Belastung erheblich höher anzusetzen als bei einer lang andauernden Arbeitsunfähigkeit auf nicht absehbare Zeit. Die Anforderungen an eine außerordentliche krankheitsbedingte Kündigung sind damit erfüllt.

41

Die Kündigung ist nicht unwirksam gemäß § 55 Abs. 2 Unterabs. 2 a BAT. Diese Vorschrift sieht vor, dass der Arbeitgeber eine Änderungskündigung aussprechen kann, wenn der Angestellte dauernd außerstande ist, die vertragsgemäße Arbeitsleistung zu erfüllen. Diese Änderungskündigung ist ausgeschlossen, wenn die Leistungsminderung durch einen Arbeitsunfall herbeigeführt wurde. Erfasst ist hier die Fallgestaltung, dass der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung nicht mehr erbringen kann, aber anderweitig trotz Leistungsminderung einsetzbar ist. Für diesen Fall der notwendigen Änderungskündigung soll eine Vergütungseinbuße nicht erfolgen, wenn die Leistungsminderung auf einem Arbeitsunfall beruht. Eine derartige Leistungsminderung liegt bei der Klägerin aber gerade nicht vor. Sie kann grundsätzlich, sofern sie arbeitsfähig ist, Arbeitsleistung als Arzthelferin erbringen. Die Kündigung beruht auf häufigen und langen Krankheitszeiten. Sie fällt damit nicht unter § 55 Abs. 2 Unterabs. 2, sondern ist nach § 55 Abs. 1 BAT gerechtfertigt.

42

Die Kammer hat berücksichtigt, dass die Krankheitszeiten der Klägerin auf dem Wegeunfall beruhen. Dies hat sie durch gutachterliche Stellungnahmen und ärztliche Bescheinigungen ausreichend nachgewiesen. Da die Krankheitszeiten auf einem Arbeitsunfall beruhen, war von dem Beklagten eine erhöhte Fürsorge zu verlangen. Auch diese Anforderungen sind hier aber erfüllt, da in der Vergangenheit über lange Zeiträume erhebliche Krankheitszeiten hingenommen worden sind.

43

Der Berücksichtigung der Krankheitszeiten, die auf dem Wegeunfall im wesentlichen beruhen, steht nicht die Entscheidung des BAG vom 14.01.1993 (EZA § 1 KSchG Krankheit, Nr. 39) entgegen. Das BAG hat dort bei einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen ausgeführt, auf Betriebsunfällen beruhende krankheitsbedingte Fehlzeiten könnten eine negative Zukunftsprognose nicht rechtfertigen. In der Entscheidung ging es darum, ob aus einer Vielzahl von Einzelerkrankungen der Schluss gerechtfertigt ist, dass auch in Zukunft mit ähnlich hohen Krankheitszeiten zu rechnen ist. Diese Prognose kann nicht gestützt werden auf abgeschlossene Krankheitszeiten, die auf Betriebsunfällen beruhen. Gerade darum geht es aber hier nicht, sondern es geht um eine Dauererkrankung basierend auf dem Wegeunfall 1978 und ihre Auswirkungen.

44

Der Kündigung steht auch nicht entgegen, dass die Klägerin am 28.11.1994 Rentenantrag gestellt hat und von dem Beklagten hätte erwartet werden können aufgrund der langjährigen Betriebszugehörigkeit, den Ausgang des Rentenverfahrens abzuwarten. Der Beklagte konnte die Rentenantragstellung in seine Entscheidungsfindung überhaupt nicht einbeziehen, weil er hiervon keine Kenntnis hatte. Die Klägerin hat ihn vor Ausspruch der Kündigung davon nicht unterrichtet. Im übrigen war auch objektiv gesehen nicht damit zu rechnen, dass der Rentenantrag Erfolg haben würde. Der Rentenversicherungsträger hat den Rentenantrag abgelehnt (06.06.1995), der Widerspruch wurde am 26.02.1997 zurückgewiesen. Erst das Sozialgericht hat in einer noch nicht rechtskräftigen Entscheidung Erwerbsunfähigkeitsrente bewilligt, allerdings nicht zeitnah mit dem Kündigungszeitpunkt 1995, sondern erst ab 01.01.1998. Vom Beklagten konnte damit ein Abwarten des Rentenantragsverfahrens nicht verlangt werden, zum einen, weil er hiervon keine Kenntnis hatte, zum anderen, weil eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis 1998 verbunden mit der Unsicherheit der Rentenbewilligung nicht zumutbar war.

45

Weil das Arbeitsverhältnis am 30.09.1995 wirksam beendet wurde, bestand kein Anspruch auf Annahmeverzugsansprüche und kein Anspruch auf Beschäftigung. Die Berufung war insgesamt zurückzuweisen.

46

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes auf §§ 12 Abs. 7 ArbGG, 3 ZPO.

47

Die Revisionszulassung erfolgt gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG