Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 10.02.1999, Az.: 6 Sa 1432/97

Leistung des Solidaritätszuschlages als Schadensersatz für die verzögerte Auszahlung einerÜberstundenabgeltung aus Hauptabrede zum Arbeitsvertrag gegenüber einem Chirurgen

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
10.02.1999
Aktenzeichen
6 Sa 1432/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 18968
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1999:0210.6SA1432.97.0A

Fundstellen

  • DB 1999, 1764 (Volltext mit amtl. LS)
  • NWB 1999, 3279
  • NZA-RR 2000, 38-39 (Volltext mit amtl. LS)

Amtlicher Leitsatz

Der durch Schuldnerverzug mit dem Solidaritätszuschlag belastete Gläubiger braucht sich auf seine Schadensersatzforderung nicht die Steuerermäßigung anrechnen zu lassen, die sich gem. § 34 Abs. 3 EStG ergibt, weil diese Steuerermäßigung die Vermeidung von Härten beim Steuerpflichtigen anstrebt, die durch die Zusammenballung der Einkünfte aus mehreren Jahren entsteht, aber nicht dem Schädiger zugute kommen soll.

In dem Rechtsstreit
hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 10.02.1999
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Becker als Vorsitzenden und
den ehrenamtlichen Richter und die ehrenamtliche Richterin
...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 29.05.1997 - 1 Ca 593/93 - wird auf ihre

Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um Ersatz eines Verzugsschadens.

2

Der 1938 geborene Kläger ist seit dem 05.07.1992 als Chirurg in der Chirurgischen Klinik des Städtischen Klinikums und zuletzt als leitender Abteilungsarzt zu einer Vergütung nach der Vergütungsgruppe I a BAT beschäftigt. Auf Grund einer Nebenabrede zum Arbeitsvertrag vom 11.02.1975 erhielt der Kläger rückwirkend ab 01.07.1974 eine pauschalierte Überstundenvergütung für monatlich 70 Stunden. Diese Nebenabrede widerrief die Beklagte am 16.11.92 mit Wirkung zum 31.12.1992. Durch Urteil vom 02.09.1992 - 1 Ca 700/92 - hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass die Kündigung dieser Nebenabrede über die pauschalierte Überstundenvergütung unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis zu den bisherigen Bedingungen über den 31.12.1992 hinaus fortbesteht. Die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil hat das Landesarbeitsgericht durch Urteil vom 27.10.1995 - 9 Sa 2175/94 - zurückgewiesen.

3

Im Dezember 1995 erfolgte die Nachzahlung der Überstundenpauschale für die Zeit vom 01.01.93 bis 31.12.95, und zwar gemäß §§ 34 Abs. 3, 39 b Abs. 3 Satz 3 EStG zu einem ermäßigten Steuersatz. Allerdings musste die Beklagte von der Überstundenpauschale für die Zeit vom 01.01.1993 bis 31.12.1994 Solidaritätszuschlag von 7,5 % des Lohnsteuerbetrags einbehalten in Höhe von DM 2.691,90 und an das Finanzamt abführen. Bei fortlaufender Zahlung der Überstundenpauschale wären für die Zeit vom 01.01.1993 bis 31.12.1995 darauf Lohnsteuern von DM 65.970,00 angefallen. Tatsächlich fielen auf Grund der Nachzahlung nur Lohnsteuern von DM 59.256,00 an.

4

Mit seiner Klage hat der Kläger den angefallenen Solidaritätszuschlag für die Zeit vom 01.01.1993 bis 31.12.1995 von insgesamt DM 4.444,20 nebst 12 % Zinsen gefordert.

5

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger DM 4.444,20 nebst 12,5 % Zinsen seit dem 01.01.1996 zu zahlen.

6

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Sie hat geltend gemacht, dem Kläger sei kein Verspätungsschaden entstanden, weil seine Lohnsteuerentlastung von DM 6.714,00 die Mehrbelastung beim Solidaritätszuschlag von DM 2.691,90 mehr als ausgleiche.

8

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 29.05.1997 die Beklagte verurteilt, an den Kläger DM 2.691,90 nebst 4 % Zinsen seit dem 01.01.1996 zu zahlen und die Klage im übrigen abgewiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien wird auf den Tatbestand und wegen der Würdigung dieses Vorbringens auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts ergänzend Bezug genommen.

9

Die Beklagte hat gegen dieses ihr am 07.07.1997 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts am 31.07.1997 Berufung beim Landesarbeitsgericht erhoben und sie zugleich begründet.

10

Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger könne den auf die Jahre 1993 und 1994 entfallenden Solidaritätszuschlag von DM 2.691,90 nicht als Verzugsschaden beanspruchen, weil er sich die höhere Lohnsteuerersparnis anrechnen lassen müsse. Seiner Mehrbelastung beim Solidaritätszuschlag für 1993 und 1994 von DM 2.691,90 stehe die Lohnsteuerersparnis von insgesamt DM 6.714,00 gegenüber, so dass ihm kein Schaden entstanden sei.

11

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 29.05.1997 - 1 Ca 593/93 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

12

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

13

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil als der Rechtslage entsprechend und meint, die sich aus der Nachzahlung ergebende Steuerentlastung brauche er sich nicht entgegenhalten zu lassen. Wegen der Vorenthaltung der pauschalierten Überstundenvergütung sei ihm erheblicher wirtschaftlicher Schaden entstanden. Bei fortlaufender Zahlung der Überstundenpauschale hätte er Steuervorteile in Anspruch nehmen können, die ihm durch den Verzug der Beklagten verschlossen blieben.

14

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze ergänzend Bezug genommen.

Gründe

15

I.

Die gemäß § 64 Abs. 2. ArbGG in dieser vermögensrechtlichen Streitigkeit statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die Beklagte hat sich ausführlich mit den Entscheidungsgründen des Urteils des Arbeitsgerichts auseinandergesetzt und ist ihnen entgegen getreten. Damit ist ihre Berufung zulässig.

16

II.

Die Berufung konnte jedoch keinen Erfolg haben. Denn soweit das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben hat, ist sie zulässig und begründet.

17

1.

Die Beklagte schuldet dem Kläger den mit der Nachzahlung der pauschalierten Überstundenvergütung für die Zeit vom 01.01.1993 bis 31.12.1994 verbundenen Solidaritätszuschlag von DM 2.691,90 als Verzugsschaden. Denn durch die Nachzahlung der Überstundenpauschale im Dezember 1995 ist sie nur ihrer Hauptpflicht aus der Nebenabrede nachgekommen. Sie befand sich spätestens ab 02.09.1993 mit der Zahlung der pauschalierten Überstundenvergütung an den Kläger in Verzug. Denn ihr war bereits am 19.08.93 die Zahlungsklage für die seit 01.01.93 fällig gewordene Überstundenpauschale zugestellt worden und das Arbeitsgericht hatte den Widerruf der Nebenabrede durch Urteil für unwirksam erklärt. Hätte die Beklagte die Überstundenpauschale vor dem 01.01.1995 an den Kläger gezahlt, wäre der Kläger nicht mit dem darauf entfallenden Solidaritätszuschlag belastet worden. Die Ersatzpflicht der Beklagten folgt aus §§ 284 ff. BGB, wonach der Schuldner durch Mahnung bzw. Klageerhebung in Verzug gerät. Dieser Verzug ist auch nicht gemäß § 285 BGB ausgeschlossen, weil die Leistung infolge eines Umstands unterblieben wäre, den die Beklagte nicht zu vertreten hat. Denn auf Grund des Urteils des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 02.09.1993 konnte die Beklagte erkennen, dass die Wirksamkeit ihres Widerrufs der Nebenabrede zweifelhaft war. Sie hat deswegen gemäß § 286 Abs. 1 BGB dem Kläger den durch den Verzug entstandenen Schaden zu ersetzen.

18

Dem Schuldner ist es grundsätzlich nicht gestattet, das Risiko einer zweifelhaften Rechtslage dem Gläubiger zuzuschieben. Bei nicht eindeutiger Rechtslage handelt der Arbeitgeber solange nicht fahrlässig, als er auf die Wirksamkeit seines Widerrufs vertrauen durfte. Dieses Vertrauen kann im Laufe des Rechtsstreits seine Berechtigung verlieren, zum Beispiel durch ein erstinstanzliches Urteil des Arbeitsgerichts. Hält der Arbeitgeber in einem solchen Fall die Überstundenpauschale zurück, so gerät er in Schuldnerverzug. Die Darlegungs- und Beweislast für Entschuldigungsgründe, die den Eintritt des Verzugs hindern, trägt nach § 295 BGB der Schuldner, mithin die Beklagte, die die Zahlung der Überstundenpauschale eingestellt hat (BAG Urteil vom 14.05.98 - 8 ARZ 633/96 - uv.). Vorliegend hat die Beklagte nichts dafür vorgetragen, weshalb sie den Verzug nicht zu vertreten habe. Ihre Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts vom 02.09.1992 war erfolglos geblieben. Die Beklagte hatte die Möglichkeit, die Überstundenpauschale für 1993 und 1994 bis 31.12.1994 an den Kläger auszuzahlen, ohne dass es zur Erhebung des Solidaritätszuschlags gekommen wäre.

19

2.

Zutreffend ist die Auffassung der Beklagten, der Geschädigte dürfe aus dem Schadensereignis keinen Gewinn erzielen, was zur Anrechnung eines gleichzeitig erzielten Vorteils führen kann (BGHZ 53, 132). Mindert sich aber oder entfällt ein Steueranspruch aus einem anderen Grund, so geht dieser Vorteil zu Lasten des Steuerfiskus. Es erscheint dann angemessen, dem Geschädigten den Gewinn zuzubilligen und nicht dem Schädiger.

20

Der durch die erst im Jahr 1995 erfolgte Nachzahlung der Überstundenpauschale für 1993 und 1994 bedingte Solidaritätszuschlag kann als Verzugsschaden nach § 286 Abs. 1, § 284 Abs. 2 Satz 1, § 285 BGB geltend gemacht werden. Dies ist im Grunde zwischen den Parteien auch nicht streitig.

21

Zur Anrechnung einer Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG gehen Rechtsprechung und Literatur vom Grundsatz der Nichtanrechenbarkeit aus (BGH Urteil vom 08.01.1981 - VI ZR 128/79 - BGHZ 79, 187 und Urteil vom 30.05.89 - VI ZR 193/88 - Versicherungsrecht 89, 855, MünchKomm/Grunsky, 3. Auflage, vor § 249 BGB Rd Ziffer 98 a, Kullmann, Versicherungsrecht 93, 385). Neuerdings vertritt Schiemann (Staudinger 1998, § 249 Rd Ziffer 173) die Auffassung, es gebe im Ertragssteuerrecht keine Steuerermäßigung oder Steuervergünstigung, deren Zweck die Entlastung des Schädigers gebiete. Dies gilt in gleicher Weise für eine Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG(BGH Urteil v. 22.03.1994 - VI ZR 163/93 - LM § 249 (Cb) BGB Nr. 47).

22

Die Kammer schließt sich der BGH-Rechtsprechung an, wonach es unbillig ist, wenn geschuldete Beträge verspätet gezahlt werden und sich eine daraus ergebende Steuervergünstigung dem Schädiger zugute käme. Diese Steuerermäßigung geht den Schädiger nichts an, weil sie die Vermeidung von Härten anstrebt, die in der Regel durch erhöhte Steuerbelastungen infolge einer Zusammenballung der Einkünfte aus mehreren Jahren entstehen (BGH Urteil v. 14.01.1993 - III ZR 33/92 - NJW 93, 1643).

23

Der Beklagten ist diese Steuerermäßigung indirekt bereits dadurch zugute kommen, dass ohne sie sich ein entsprechend höherer Solidaritätszuschlag ergeben hätte, weil dieser 1995 in Höhe von 7,5 % der Lohnsteuerschuld erhoben wurde. Dagegen kann nicht eingewandt werden, die Lohnsteuerermäßigung und der Solidaritätszuschlag seien gleichartige Abgaben. Dies trifft bereits vom Zweck her nicht zu. Schon gar nicht besteht ein Zusammenhang zwischen der Steuerermäßigung gemäß § 34 Abs. 3 EStG und dem ab 1995 erhobenen Solidaritätszuschlag, so dass die Lohnsteuerermäßigung, die die Wirkung der Steuerprogression für den Steuerpflichtigen mildern soll, nicht mit dem Nachteil, der mit der Erhebung des Solidaritätszuschlags verbunden ist, verrechenbar ist.

24

III.

Gemäß § 97 ZPO hat die Beklagte die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

25

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat die Kammer die Revision zugelassen.