Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.11.1999, Az.: 13 Sa 301/99
Berücksichtigung der Freistellung bei Anspruch des Arbeitnehmers aus Annahmeverzug
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 09.11.1999
- Aktenzeichen
- 13 Sa 301/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 18693
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1999:1109.13SA301.99.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hildesheim - 12.01.1999 - AZ: 2 Ca 170/98
Amtlicher Leitsatz
Wird die Arbeitnehmerin mit Ausspruch einer ordentlichen Kündigung wirksam von der Arbeitsleistung freigestellt zum Ausgleich von Überstunden und spricht der Arbeitgeber nachfolgend eine unwirksame außerordentliche Kündigung aus, dann ist der Annahmeverzugsanspruch unter Berücksichtigung der Freistellung zu berechnen. Zum Anspruch auf Vergütung nach § 615 BGB besteht nicht zusätzlich ein Anspruch auf Abgeltung der Überstunden.
In dem Rechtsstreitverfahren
hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 09.11.1999
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
den ehrenamtlichen Richter...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 12.01.1999, 2 Ca 170/98, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 923,33 DM brutto zuzüglich 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag seit dem 01.03.1998 zu zahlen.
Im Übrigen werden die Klage und die Widerklage abgewiesen.
Die Kosten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
Der Wert des erstinstanzlichen Verfahrens wird auf 4 502/52,00 DM, der Wert des Berufungsverfahrens auf 2.339,05 DM festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist ein Anspruch der Klägerin auf Gehaltszahlung aus Annahmeverzug für die Zeit vom 22.1. bis 28.02.1998 in Höhe von 2.183,05 DM brutto. Der Anspruch ist der Höhe nach unstreitig. Wegen eines weiteren Anspruchs auf Zahlung von 156,00 DM vermögenswirksamer Leistungen haben die Parteien im Termin vom 09.11.1999 Erledigung der Hauptsache erklärt.
Die Klägerin war bei der Beklagten als Arzthelferin beschäftigt mit einer Arbeitszeit von 25 Stunden pro Woche und einem Gehalt von 1.650,00 DM brutto. Grundlage des Arbeitsverhältnisses war zuletzt der Änderungsvertrag vom 14.11.1997, Bl. 34 bis 40 d.A.
Die Klägerin arbeitete bis zum 16.01.1998, auf die Zeit vom 1.1. bis 16.01.1998 entfielen 3 Krankheitstage mit 80 % Entgeltfortzahlungsanspruch.
Unter dem 16.01.1998 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 28.02.1998. Im Kündigungsschreiben, Bl. 19 d.A., heißt es u. a.:
Bis zum Ablauf der Kündigungsfrist stehen Ihnen für die Urlaubsjahre 1997 und 1998 noch 10 Urlaubstage zu. Diesen Urlaub erteile ich Ihnen in der Kündigungsfrist. Die Überstunden sind auch in der Kündigungsfrist abzufeiern. Den Rest der Überstunden wird Ihnen mit dem Februargehalt ausgezahlt.
Unstreitig hatte die Klägerin 203,25 Überstunden geleistet.
Die Klägerin griff die ordentliche Kündigung nicht an und widersprach nicht der Freistellung.
Mit Kündigungsschreiben vom 20.1., zugegangen am 21.01.1998, sprach die Beklagte eine außerordentliche Kündigung aus, die Klägerin erhob hiergegen und gegen eine weitere spätere außerordentliche Kündigung Klage im Verfahren Arbeitsgericht Hildesheim 2 Ca 26/98. Im Termin vom 23.06.1998 im Verfahren 2 Ca 26/98 erklärte die Beklagte, dass sie aus den außerordentlichen Kündigungen keine Rechte mehr herleite und im Falle der Klagerücknahme die Gerichtskosten übernehme. Die Klägerin nahm daraufhin ihre Kündigungsschutzklage zurück.
Im Februar 1998 hatte die Beklagte auf Ansprüche der Klägerin 3.803,08 DM gezahlt. Insoweit wird Bezug genommen auf das Fax, Anlage zum Klägerschriftsatz vom 20.08.1998, Bl. 17 d.A.
Die Klägerin hat geltend gemacht Gehaltszahlung für Januar und Februar 1998, Abgeltung von 7 Urlaubstagen, Abgeltung von 203,25 Überstunden, Urlaubsgeld, Fahrgeld für Dezember und vermögenswirksame Leistungen für Januar und Februar 1998 abzüglich der geleisteten Februar-Zahlung.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 3.259,82 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 01.03.1998 zu zahlen,
die Beklagte zu verurteilen, auf das Anlagekonto der Klägerin 156,00 DM netto als vermögenswirksame Leistungen zu überweisen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen,
Im Wege der Widerklage hat die Beklagte beantragt,
die Klägerin widerklagend zur Zahlung von 1.086,70 DM nebst 4 % Zinsen seit 03.11.1998 aus 747,48 DM und aus 338,72 DM seit 04.01.1999 zu verurteilen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, da die Klägerin unter Anrechnung auf Überstunden und Urlaub von der Arbeit freigestellt gewesen sei, bestehe daneben kein Anspruch aus Annahmeverzug auf Gehaltszahlung. Außerdem hat sie zur Widerklage vorgetragen.
Ergänzend wird Bezug genommen auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, 156,00 DM vermögenswirksame Leistungen auf das Anlagekonto der Klägerin zu überweisen. Außerdem hat es die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 3.106,38 DM brutto zu zahlen, nämlich: 1.604,31 DM Januar-Gehalt, 1.650,00 DM Februar-Gehalt, 533.05,00 DM Urlaubsabgeltung für 7 Tage, 3.095,50 DM Abgeltung von 203,25 Überstunden und Fahrtkosten in Höhe von 26,60 DM. Im Übrigen hat es die Klage und die Widerklage abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, mit Zugang der außerordentlichen Kündigung am 21.01.1998 sei die Freistellung der Klägerin unter Anrechnung auf Urlaubs- und Überstundenansprüche beendet gewesen, die Beklagte habe sich in Annahmeverzug befunden.
Mit Berufung trägt die Beklagte vor, nachdem die außerordentliche Kündigung durch Parteivereinbarung gegenstandslos geworden sei, sei das Arbeitsverhältnis entsprechend der ursprünglich getroffenen Freistellungsvereinbarung abzurechnen. Die Klägerin sei wirksam unter Anrechnung auf Urlaubs- und Überstundenansprüche freigestellt gewesen und könne daneben nicht Ansprüche aus Annahmeverzug geltend machen. Wegen des 923,33 DM brutto übersteigenden Betrages sei deshalb die Klage unbegründet. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung vom 15.04.1999. Mit Schriftsatz vom 08.06.1999 hat die Beklagte die Berufung erweitert und geltend gemacht, 156,00 DM vermögenswirksame Leistungen seien überwiesen worden, was inzwischen unstreitig geworden ist.
Die Beklagte beantragt,
das am 12.1.99 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Hildesheim (AZ: 2 Ca 170/98) aufzuheben, soweit die Beklagte zu einer Zahlung von mehr als 923,33 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag seit 01.03.1999 an die Klägerin verurteilt wurde und insoweit hinsichtlich des Restbetrages die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt nach Maßgabe der Berufungserwiderung das erstinstanzliche Urteil.
Gründe
Wegen des Betrages von 2.183,05 DM brutto (Gehaltsansprüche für die Zeit vom 22.1. bis 28.02.1998) ist die Berufung statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit zulässig, §§ 64, 66 ArbGG, 518, 519 ZPO.
Wegen der Ansprüche auf vermögenswirksame Leistungen liegt eine unzulässige Berufung vor. Die fristgerecht eingereichte Berufungsbegründung enthält keine Ausführungen zu diesem Anspruch, die Berufungserweiterung mit Schriftsatz vom 08.06.1999 ist nicht zulässig, weil eine Berufungserweiterung nur in Betracht kommt im Rahmen der fristgerecht vorgetragenen Berufungsbegründung. Im Rahmen einer unzulässigen Berufung kann an sich wirksam Erledigung der Hauptsache nicht erklärt werden. Da die Parteien aber wegen des Anspruchs auf vermögenswirksame Leistungen die Klage übereinstimmend für erledigt erklärt haben und sich auch mit einer entsprechenden Anpassung des erstinstanzlichen Urteils einverstanden erklärt haben, war die Erledigungserklärung zuzulassen und das erstinstanzliche Urteil entsprechend § 269 Abs. 3 ZPO abzuändern. Einer weitergehenden Vertiefung dieses Problems bedurfte es nicht, der Streitgegenstand, Anspruch auf vermögenswirksame Leistungen in Höhe von 156,00 DM, hat keine besonderen Kosten ausgelöst und konnte deshalb im Rahmen der Kostenentscheidung gemäß 92 Abs. 2 ZPO unberücksichtigt bleiben.
Mit der mit Berufung nicht angegriffenen Verurteilung zur Zahlung von 923,33 DM brutto und mit der im Februar 1998 erfolgten Zahlung über 3.803,08 DM brutto sind erledigt die Ansprüche der Klägerin auf Gehaltszahlung bzw. Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 1. bis 16.01.1998, der Anspruch auf Urlaubsentgelt für 3 Tage, 19. bis 21.01.1998, der Anspruch auf Überstundenvergütung für 203,25 Stunden, der Anspruch auf Urlaub für 7 Tage und der Fahrtkostenanspruch in Höhe von 26,60 DM. Der weitergehende Anspruch in Höhe von 2.183,05 DM ist als Gehaltsanspruch aus Annahmeverzug, § 615 BGB, nur dann begründet, wenn die Zeit vom 22.1. bis 28.02.1998 nicht als Freistellung unter Anrechnung auf Überstundenansprüche und Urlaubsansprüche bewertet werden kann. Nach Auffassung der Kammer war aber die Freistellung weiterhin wirksam, das Arbeitsverhältnis war so abzurechnen wie es ohne Ausspruch der Kündigung abgewickelt worden wäre. Der weitergehende Anspruch in Höhe von 2.183,05 DM besteht nicht.
Annahmeverzugszeiten können nicht nachträglich, wenn die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt ist, auf Urlaubsansprüche (dazu Leinemann/Link, Urlaubsrecht, § 1 RdNr. 64) oder Freizeitansprüche für Überstunden angerechnet werden. Allein die Tatsache, dass die Beklagte nachträglich auf die Rechte aus den außerordentlichen Kündigungen verzichtet hat und die Klägerin durch Klagerücknahme Einverständnis erklärt hat, also die außerordentlichen Kündigungen gegenstandslos geworden sind, führt deshalb nicht zur Verneinung der Annahmeverzugsansprüche. Entscheidend ist die Rechtslage im Zeitpunkt der außerordentlichen Kündigung und damit die Frage, ob durch die außerordentliche Kündigung die Freistellung beendet war und Annahmeverzug eingetreten ist.
Grundsätzlich gerät der Arbeitgeber mit Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung in Annahmeverzug, weil ihm gemäß § 296 BGB als Mitwirkungshandlung die Zurverfügungstellung eines Arbeitsplatzes obliegt. Es bedarf keines Angebots der Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer (z. B. BAG EzA § 615 BGB, Mr. 93). Ein Anspruch aus Annahmeverzug besteht aber nur und insoweit, wie Dienste zu leisten waren und der Arbeitnehmer durch das Verhalten des Arbeitgebers an der Arbeitsleistung gehindert war. Der Verzug des Arbeitgebers muss ursächlich gewesen sein für die Nichtleistung der Arbeit (BAG EzA § 87 BetrVG Kurzarbeit Nr. 1). Entsprechend hat das LAG Köln (Urteil vom 22.08.1996, 6 Sa 355/96) ausgeführt, wenn der Urlaub in die Kündigungsfrist gelegt worden sei, sei daran regelmäßig auch bei einer überholenden unwirksamen fristlosen Kündigung festzuhalten. Soweit der Urlaubsanspruch erfüllt werde, gerate der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug.
Die Kammer folgt dieser Rechtsprechung. Ob und in welchem Umfang Annahmeverzug besteht, ist festzustellen auf Grund der im Zeitpunkt der (unwirksamen) Kündigung bestehenden Vertragspflichten. Eine Obliegenheit des Arbeitgebers zum Angebot eines Arbeitsplatzes besteht nur, wenn und soweit der Arbeitnehmer nach Vertrag Arbeitsleistung schuldete. War z. B. unbezahlter Urlaub vereinbart, kann auch durch Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung die Vereinbarung des unbezahlten Urlaubs nicht gegenstandslos werden. Der Arbeitnehmer hat für den entsprechenden Zeitraum keine Annahmeverzugsansprüche, die unwirksame außerordentliche Kündigung des Arbeitgebers war insoweit nicht ursächlich für die Nichtleistung der Arbeit. Den Arbeitgeber traf gerade keine Obliegenheit, einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen.
In der Literatur wird kontrovers die Frage diskutiert, ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist während des Kündigungsschutzprozesses vorsorglich für den Fall der Unwirksamkeit der Kündigung Urlaub erteilen kann (dazu mit weiteren Nachweisen Leinemann/Link, Urlaubsrecht, § 1 BUrlG, RdNr. 68). Diese Problematik bedarf hier keiner Entscheidung. Die Freistellung erfolgte vor Ausspruch der Kündigung, eine Arbeitsverpflichtung der Klägerin, die Annahmeverzugsansprüche auslösen konnte, bestand im Zeitpunkt des Ausspruchs der außerordentlichen Kündigung gerade nicht.
Die Beklagte hat während der Dauer der Kündigungsfrist gemäß § 7 Abs. 4 des Arbeitsvertrages wirksam Freizeit zum Ausgleich der Überstunden gewährt, auch die Festlegung des Urlaubs in die Kündigungsfrist ist nicht zu beanstanden, so dass ein Anspruch aus Annahmeverzug, der über die Vergütung der Urlaubstage und die Vergütung der Überstunden hinausgeht, nicht besteht.
Die Kostenentscheidung für das erstinstanzliche Verfahren beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren auf § 92 Abs. 2 ZPO.
Revisionszulassung erfolgt gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des erstinstanzlichen Verfahrens wird auf 4 502/52,00 DM, der Wert des Berufungsverfahrens auf 2.339,05 DM festgesetzt.
Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes folgt aus § 3 ZPO.