Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.01.1999, Az.: 3 Sa 1536/98
Anrechnung des Zeitraum der Freistellung auf den Urlaubsanspruch bei zurückgenommener Kündigung durch den Arbeitgeber
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 28.01.1999
- Aktenzeichen
- 3 Sa 1536/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 18708
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1999:0128.3SA1536.98.0A
Rechtsgrundlage
- § 7 BUrlG
In dem Rechtsstreit
hat die 3. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 1998
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ...
die ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Stade vom 11.01.1995 - 2 Ca 337/94 - abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für das Kalenderjahr 1994 noch 15 Urlaubstage in Natura zu gewähren.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt im vorliegenden Verfahren nunmehr noch die Gewährung von 15 Urlaubstagen für das Kalenderjahr 1994.
Der Kläger ist seit dem 01.11.1992 bei der Beklagten als Vorrichter beschäftigt. Sein kalenderjährlicher Urlaubsanspruch beträgt 30 Tage.
Mit Schreiben vom 19.04.1994 erklärte die Beklagte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Parteien mit folgendem Wortlaut:
"...
hiermit kündige ich das Arbeitsverhältnis unter Anrechnung der Ihnen zustehenden Urlaubstage fristgerecht zum
16.05.1994.
Ihr undiszipliniertes Verhalten in Gegenwart anderer Mitarbeiter
mir gegenüber beeinträchtigt unsere Zusammenarbeit derart negativ, daß eine Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar ist."
Am 20.04.1994 wurde der Kläger zum Mitglied des Wahlvorstandes im Betrieb der Beklagten bestellt. Am 27.04.1994 fragte der Geschäftsführer der Beklagten den Kläger, ob er Lust habe, zu arbeiten. Der Kläger antwortete, er werde lediglich weiter arbeiten, wenn die fristlose Kündigung zurückgenommen werde. Mit Schreiben seiner Prozeßbevollmächtigten vom 27.04.1994 bot der Kläger sodann schriftlich seine Arbeitskraft an. Mit Schreiben vom 27.05.1994 nahm die Beklagte die gegenüber dem Kläger ausgesprochene Kündigung mit dessen Einverständnis zurück.
In der Folgezeit rechnete die Beklagte den Zeitraum der Freistellung des Klägers vom 25.04. bis 16.05.1994 (15 Arbeitstage) auf dessen Jahresurlaub an.
Der Kläger hat behauptet, er habe beginnend mit dem 20.04.1994 bis zur Betriebsratswahl am 02.06.1994 jeden Tag die ihm durch das Betriebsverfassungsgesetz auferlegten Pflichten als Mitglied des Wahl vor Standes erfüllt. Aus dem Jahre 1993 stünden ihm noch restliche 14 Urlaubstage zu. Man habe ihm versprochen, daß er diesen Urlaub noch im Laufe des Kalenderjahres 1994 erhalte. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, es ergebe sich somit insgesamt ein Urlaubsanspruch von 43,5 Tagen, auf den 26 gewährte Urlaubstage im Jahr 1994 anzurechnen seien, so daß noch 17,5 restliche Urlaubstage verblieben.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm für das Kalenderjahr 1994 17,5 Urlaubstage zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat behauptet, eine betriebliche Übung, den Urlaub aus dem Kalenderjahr 1993 auch noch im Jahr 1994 zu gewähren, habe nicht bestanden.
Durch Urteil vom 11.01.1995 hat das Arbeitsgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger für das Kalenderjahr 1994 2,5 Urlaubstage zu gewähren. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger zu 86 % und der Beklagten zu 14 % auferlegt. Den Streitwert hat das Arbeitsgericht auf 3.503,98 DM festgesetzt. Ferner hat es die Berufung zugelassen.
Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Klage sei zulässig. Insbesondere fehle es für den Antrag nicht an der gemäß § 253 Abs. 2 Ziffer 2 ZPO geforderten Bestimmtheit. Die Klage sei jedoch nur teilweise begründet. Dem Kläger stünden für das Kalenderjahr 1994 noch 2,5 restliche Urlaubstage zu. Mit dem Kündigungsschreiben habe die Beklagte dem Kläger für den Zeitraum vom 25.04. bis 13.05.1994 wirksam 15 Tage Erholungsurlaub gewährt. Denn auch ohne einen arbeitnehmerseitigen Urlaubsantrag sei der Arbeitgeber berechtigt, den noch zu gewährenden Urlaub in die Kündigungsfrist zu legen. Unerheblich sei die spätere Rücknahme der Kündigung. Für die Frage der Verbindlichkeit der Urlaubsabgeltung sei auf den Zeitpunkt der Urlaubsbewilligung abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt habe aber nicht festgestanden, daß de Kündigung der Beklagten unwirksam gewesen sei. Der restliche Urlaubsanspruch aus dem Jahre 1993 sei nicht verfallen. Die Beklagte habe vielmehr durch ihre eigene Abrechnung noch im Jahre 1994 das Bestehen restlicher Urlaubsansprüche anerkannt. Ausweislich der eigenen Abrechnung der Beklagten für den Monat Oktober habe der Resturlaubsanspruch im Jahre 1994 unter Berücksichtigung der Ansprüche aus dem Vorjahr noch 2,5 Urlaubstage betragen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe, des arbeitsgerichtlichen Urteils (Bl. 62 bis 65 d.A.) Bezug genommen.
Das Urteil ist dem Kläger am 16.01.1995 zugestellt worden. Er hat hiergegen am 15.02.1995 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 15.04.1995 am 18.04.1995 (Dienstag nach Ostern) begründet.
Der Kläger behauptet, am 19.04.1994, dem Tag des Zuganges der Kündigung, sei er Wahlbewerber für das Amt des Wahl Vorstandes gewesen. Dies sei auch der Beklagten bekannt gewesen, die die Kündigung nur deshalb ausgesprochen habe, um ihn (den Kläger) durch einseitige Urlaubsgewährung aus dem Betrieb zu verbannen mit dem Ziel, die Bildung eines Betriebsrates zu verhindern. Der Kläger ist der Ansicht, allein aus diesem Grunde sei die Kündigung vom 19.04. unwirksam. Darüber hinaus habe die Beklagte mit der Kündigungsrücknahme auch die Rücknahme der auf Urlaubsgewährung gerichteten Willenserklärung zurückgenommen.
Der Kläger beantragt nunmehr noch,
in Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Stade vom 11.01.1995 - 2 Ca. 337/94 - den Beklagten zu verurteilen, ihm für das Kalenderjahr 1994 noch 15 Urlaubstage in Natura zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, die Rücknahme der Kündigung ändere nichts an der einmal erfolgten Urlaubserteilung. Die Beklagte behauptet, die Kündigung sei damals aus verhaltensbedingten Gründen ausgesprochen worden. Im Rahmen mehrerer Besprechungen habe der Kläger den Geschäftsführer der Beklagten angeschrien und ihm in Gegenwart von Mitarbeitern beispielsweise Ahnungslosigkeit unterstellt. Nachdem der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben habe, habe man die Kündigung zurückgenommen, weil der Kläger wegen derartiger Verhaltensweisen nicht abgemahnt worden sei. Zudem habe man auf das verwandtschaftliche Verhältnis zum Kläger Rücksicht nehmen wollen.
Durch Urteil vom 02.08.1996 hat das Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stade vom 11.01.1995 auf seine Kosten zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Auf die Revision des Klägers hat das Bundesarbeitsgericht das Urteil des Landesarbeitsgerichts durch Urteil vom 24.03.1998 aufgehoben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Gründe
Die Berufung des Klägers ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§64, 66 ArbGG, 518, 519 ZPO.
Die Berufung ist nach Maßgabe des zuletzt gestellten Antrages des Klägers auch begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger als Schadensersatz aufgrund einer Verletzung arbeitsvertraglicher Verpflichtungen dem Kläger noch 15 Tage Erholungsurlaub aus dem Kalenderjahr 1994 zu gewähren.
Allerdings erfüllt der Arbeitgeber grundsätzlich den gesetzlichen Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers, wenn er während der Kündigungsfrist Urlaub gewährt und der Arbeitnehmer keine anderweitigen Urlaubswünsche äußert (BAG, Urteil vom 22.09.1992 - 9 AZR 483/91 - AP 13 zu § 7 BUrlG; Leinemann, Linck, § 7 BUrlG, Rn. 43-45; Dersch, Neumann, § 7 BUrlG, Rn. 45 ff.; Stahlhacke, Bachmann, Bleistein, Behrscheid, § 7 BUrlG Rn. 26). Anderweitige Urlaubswünsche des Klägers liegen nicht vor. Der Kläger hat allerdings möglicherweise durch sein Schreiben vom 27.04.1994 der Urlaubsgewährung widersprochen. In einem solchen Widerspruch liegt jedoch für sich genommen noch keine Äußerung eines Urlaubswunsches im Sinne des § 7 Abs. 1 BUrlG (vgl. BAG, Urteil vom 22.09.1992 - 9 AZR 433/91 - a.a.O.).
Durch die Urlaubsgewährung in dem Zeitraum der Kündigungfrist hat die Beklagte jedoch gegen ihre arbeitsvertraglichen Verpflichtungen verstoßen. Aufgrund dieses Vertragsverstoßes muß sie den Kläger im Wege der Naturalrestitution so stellen, als sei die Urlaubsgewährung nicht erfolgt. Bei der Urlaubsgewährung hat der Arbeitgeber gemäß § 7 Abs. 1 BUrlG die Urlaubswünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Eine Festlegung des Urlaubs anders als vom Arbeitnehmer gewünscht, kann nur dann erfolgen, wenn der Berücksichtigung der Urlaubswünsche dringende betriebliche Belange oder Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer, die unter sozialen Gesichtspunkten den Vorrang genießen, entgegenstehen. Der Kläger hatte kein Interesse an einer Urlaubsgewährung gerade in dem Zeitraum der Kündigungsfrist, einen entsprechenden Urlaubswunsch hatte er nicht geäußert. Vielmehr erfolgte die Urlaubsfestlegung ausschließlich aufgrund des Ausspruches der Kündigung vom 19.04.1994. Kündigung und Urlaubsgewährung waren im vorliegenden Fall jedoch vertragswidrig, und zwar auch dann, wenn man im Hinblick auf die Gründe für die Kündigung das tatsächliche Vorbringen der Beklagten zugrunde legt. Die Beklagte macht nämlich geltend, sie habe die Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen ausgesprochen und deshalb zurückgenommen, weil der Kläger vorher nicht aufgrund verhaltensbedingter Gründe abgemahnt worden sei. Dabei räumt die Beklagte selbst ein, daß die ausgesprochene Kündigung letztlich rechtsunwirksam sein mußte und daß ihr die Umstände, die zu dieser Wertung führten, bekannt waren. Die Beklagte mußte also aufgrund der ihr bekannten Umstände von einem Fortbestehen des Arbeitsverhältnisses ausgehen. Wenn sie gleichwohl die Kündigung aussprach und gleichzeitig eine Urlaubsfestlegung vornahm, handelte sie zumindest fahrlässig. Dem Arbeitgeber muß klar sein, daß eine einmalige verbale Auseinandersetzung ohne vorherige Abmahnung grundsätzlich nicht geeignet ist, eine ordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Etwas anderes kann möglicherweise dann gelten, wenn es zu groben Beleidigungen des Arbeitgebers kommt. Dies trägt jedoch auch die Beklagte nicht vor. Daher kann dahingestellt bleiben, ob der Vortrag des Klägers zutrifft, die Kündigung sei deshalb erfolgt, weil die Beklagte eine Betriebsratswahl habe verhindern wollen. In diesem Fall - insbesondere im Falle der Kenntnis der Beklagten von der Eigenschaft des Klägers als Bewerber für das Amt des Wahl Vorstandes - hätte die Beklagte erst recht erkennen müssen, daß ihre Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht rechtswirksam würde beenden können.
Damit hat die Beklagte zumindest fahrlässig gegen ihre Verpflichtungen gemäß § 7 Abs. 1 BUrlG verstoßen. Aufgrund dieser Vertragspflichtverletzung muß sie den Kläger im Wege der Naturalrestitution gemäß § 249 Satz 1 BGB so stellen, als habe sie in dem Zeitraum der Kündigungsfrist keinen Erholungsurlaub gewährt.
Damit kommt es nach Auffassung der Kammer nicht mehr auf die Frage an, ob die Beklagte möglicherweise die Urlaubserteilung gleichzeitig mit Rücknahme der Kündigung ebenfalls rückgängig gemacht hat und ob eine derartige nachträgliche, einvernehmliche Aufhebung auch der Urlaubsgewährung rechtlich möglich ist.
Die rechnerische Höhe des restlichen Urlaubsanspruchs für das Kalenderjahr 1994 ist zwischen den Parteien nunmehr auch nicht mehr streitig. Die Beklagte hat die Feststellung des Arbeitsgerichts, wonach der Urlaub aus dem Jahre 1993 auf das Kalenderjahr 1994 übertragen worden ist, nicht angegriffen. Den vom Arbeitsgericht zuerkannten restlichen Urlaubsanspruch von 2,5 Tagen hat die Beklagte im übrigen auch zwischenzeitlich durch tatsächliche Urlaubsgewährung (in der Zeit vom 13.02. bis 15.02.1995) erfüllt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ArbGG zuzulassen.