Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.05.1999, Az.: 14 Sa 1380/98

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei einer außerordentlichen Kündigung vor dem Hintergrund des neuen Sanktionssystems des Kündigungsschutzrechts; Fehlende Mitwirkung der Mitarbeitervertretung als Hemmnis zur Umdeutung einer außerordentlichen in eine ordentliche Kündigung; Vorherige Abmahnung bei verhltensbedingter Kündigung; Einbeziehung von Beschäftigten anderer Gemeinden desselben Kirchenkreises oder des Kirchenkreises selbst zur Umgehung der Kleinbetriebsklausel; Kirchengemeinde als Arbeitgeber / Anstalt des öffentlichen Rechts

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
06.05.1999
Aktenzeichen
14 Sa 1380/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 17741
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1999:0506.14SA1380.98.0A

Fundstelle

  • ZTR 2000, 43

In dem Rechtsstreit
hat die 14. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 06.05.1999
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht ... und
die ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufungen der Parteien gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 10.03.1998 Az.: 7 Ca 802/97Ö werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Parteien je zur Hälfte.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung vom 29.10.1997 und einer vorsorglichen fristgerechten Kündigung vom 22.12.1997, die seinerzeit von der ... (im Folgenden ...) ausgesprochen worden sind, die sich ihrerseits mit Wirkung ab 01.01.1999 mit der ... in ... zur Beklagten zusammengeschlossen hat.

2

Der am 30.12.1959 geborene Kläger ist hauptberuflich als Dozent an der ... mit einer 2/3 Stelle beschäftigt.

3

Daneben ist er auf der Grundlage eines Dienstvertrages für nebenberufliche Kirchenmusiker seit dem 01.11.1980 bei der Ansgargemeinde mit zuletzt einer wöchentlichen Arbeitszeit von 16,76 Stunden und einer monatlichen Vergütung von 2.082,48 DM brutto überwiegend als Organist und als Chorleiter beschäftigt gewesen.

4

In der Ansgargemeinde sind neben dem Kläger ein Küster mit 10,35 Stunden wöchentlich, eine Pfarramtsekretärin mit 13 Stunden wöchentlich und eine Raum- und Gartenpflegerin mit 7,36 Stunden wöchentlich beschäftigt gewesen.

5

Ende 1996 kam es im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten der ... zu Überlegungen über die künftige Nutzung des der Gemeinde gehörenden Geländes mit der Kirche und dem Gemeindehaus, wobei auch die Möglichkeiten von Verkauf und Vermietung einbezogen wurden. Mit Schreiben vom 08.01.1997, das er auch dem Stadtsuperintendenten und dem Superintendenten zur Kenntnis gab, äußerte der Kläger seine Sorge um den Bestand der von ihm geleiteten Chöre und seines Arbeitsplatzes, wobei er die Überlegungen über eine künftige Nutzung des Geländes als Angriff auf die Grundlage der Chorgruppen sowie als Vorbereitung zur Streichung seines Arbeitsplatzes bezeichnet und eine Information der Öffentlichkeit ankündigt.

6

In einem Schreiben des Superintendenten vom 18.02.1997 und auf einer Sitzung des Kirchenvorstandes vom 10.04.1997 wurde der Kläger aufgefordert, sich an den internen Bemühungen um Lösungen zu beteiligen und von öffentlichen Maßnahmen abzusehen.

7

Am 28.04.1997 unterzeichnete der Kläger eine weitere Stellungnahme von Mitgliedern der Chöre gegenüber dem Kirchenvorstand mit einem Verteiler an den Stadtsuperintendenten, den Superintendenten, den Landessuperintendenten und den Landesbischof.

8

Am 04.09.1997 erschien in der Stadtteilausgabe Nord der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung ein redaktioneller Artikel über die Situation in der ...

9

Dazu sandte der Kläger der Zeitung einen Leserbrief vom 11.09.1997, der seitens der Zeitung nicht veröffentlicht wurde und von dessen Inhalt die ... zunächst keine Kenntnis erhielt.

10

Am 16.10.1997 erschien in derselben Zeitung ein weiterer redaktioneller Artikel, der als Bericht über eine Kritik des Klägers am Verhalten der Pastoren und des Kirchenvorstands abgefasst ist und seiner Darstellung nach den Schluss auf ein entsprechendes Interview mit dem Kläger nahelegt.

11

Auf den Inhalt der genannten Schriftstücke wird jeweils Bezug genommen.

12

Daraufhin kündigte die ... das Arbeitsverhältnis am 29.10.1997 fristlos und am 22.12.1997 vorsorglich fristgemäß mit der Begründung, dass dem Zeitungsartikel vom 16.10.1997 ein Interview des Klägers zugrundeliege, das eine schwere Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten sei, die einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstelle.

13

Der Kläger hat gegen fristlose Kündigung am 19.11.1997 Kündigungsschutzklage erhoben und diese Klage am 12.01.1998 hinsichtlich der Kündigung vom 22.12.1997 erweitert.

14

Der Kläger hat behauptet, dass er der Zeitung kein Interview gegeben hätte; auf seinen Leserbrief hin hätte ihn ein Redakteur angerufen und ihm mitgeteilt, sein Leserbrief werde nicht veröffentlicht, da er zu milde abgefasst sei; er, der Redakteur, wolle daraus eine "Story" machen und der Kläger solle hierzu den Rücktritt der Pastorin und des Kirchenvorstandes fordern, was er abgelehnt hätte.

15

Der Kläger hat geltend gemacht, dass ein wichtiger Grund für die fristlose Kündigung und auch ein Grund zur sozialen Rechtfertigung der vorsorglichen ordentlichen Kündigung nicht vorliege, wobei sich die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes daraus ergebe, dass als Betrieb im Sinne der kündigungschutzrechtlichen Vorschriften nicht die ... sondern der ... anzusehen sei, bei dem regelmäßig mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt seien.

16

Der Kläger hat beantragt,

  1. 1.

    festzustellen, dass die fristlose Kündigung mit Schreiben vom 29.10.1997 unwirksam ist und hierdurch das Arbeitsverhältnis nicht zur Auflösung gelangt,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, den Kläger zu den bisherigen Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen,

  3. 3.

    festzustellen, dass die Kündigung mit Schreiben vom 22.12.1997 unwirksam ist und hierdurch das Arbeitsverhältnis nicht zur Auflösung gelangt.

17

Die Ansgargemeinde hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

18

Sie hat geltend gemacht, dass die vom Kläger in die Öffentlichkeit getragenen Angriffe auf den Kirchenvorstand und auf die Pastorin die fristlose Kündigung rechtfertigen würden und dass die fristgemäße Kündigung bereits deshalb wirksam sei, weil das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar sei.

19

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes, wie er in erster Instanz zur Entscheidung vorgelegen hat, wird auf das arbeitsgerichtliche Urteil Bezug genommen.

20

Das Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung für unberechtigt erachtet, da die Interessenabwägung insoweit trotz der in den Angriffen des Klägers auf den Kirchenvorstand und die Pastorin liegen den schweren Pflichtverletzungen insbesondere aufgrund der langen Beschäftigungszeit eine Zumutbarkeit der weiteren Beschäftigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ergebe. Die Wirksamkeit der fristgemäßen Kündigung hat das Arbeitsgericht damit begründet, dass das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar sei, da als Betrieb bzw. Dienststelle der Bereich der Ansgargemeinde anzusehen sei, außerdem wäre die fristgemäße Kündigung bei insoweit abweichender Beurteilung aus Gründen im Verhalten des Klägers sozial gerechtfertigt.

21

Gegen dieses ihnen am 26.05.1998 zugestellte Urteil richten sich die Berufung des Klägers vom 24.06.1998 und die Anschlussberufung der ... e vom 26.05.1998.

22

Der Kläger macht weiterhin geltend:

23

Auch durch die fristgerechte Kündigung vom 22.12.1997 sei das Arbeitsverhältnis nicht beendet worden. Dies ergebe sich daraus, dass auf das Arbeitsverhältnis die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes anwendbar seien und die Kündigung sozial ungerechtfertigt sei. Für die Beurteilung der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes sei nicht auf den Bereich der ... sondern auf den ... als Verwaltung im Sinne von § 23 I 1 KSchG abzustellen. Dies rechtfertige sich aus der wirtschaftlichen Abhängigkeit der ... der Maßgeblichkeit des vorgegebenen Stellenplans, der Genehmigungsbedürftigkeit von Einstellungen und Entlassungen sowie auch der Bildung der Mitarbeitervertretung nur auf der Ebene des Kirchenkreises. Die Sozialwidrigkeit der Kündigung ergebe sich daraus, dass auch dann, wenn man sein Verhalten als pflichtwidrig insbesondere insoweit ansieht, als er sich an die Öffentlichkeit gewandt hat, aus Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten vor der Kündigung eine Abmahnung erforderlich gewesen wäre.

24

Im Fall einer Unanwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes ergebe sich eine Unwirksamkeit der Kündigung gem. § 242 BGB ebenfalls aus dem Gesichtspunkt des Fehlens einer Abmahnung.

25

Der Kläger beantragt,

  • das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 10.03.1998 teilweise abzuändern
  • festzustellen, dass die Kündigung vom 22.12.1997 unwirksam ist und das Arbeitsverhältnis durch sie nicht aufgelöst worden ist,
  • die Beklagte zu verurteilen, ihn zu den bisherigen Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.

26

Die Beklagte beantragt,

  • die Berufung des Klägers zurückzuweisen,
  • sowie im Wege der Anschlussberufung
  • das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 10.03.1998 teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen,
  • sowie hilfsweise das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung abzulösen.

27

Der Kläger beantragt,

die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.

28

Die Beklagte vertritt zur Begründung ihrer Berufung weiterhin die Auffassung, dass die fristlose Kündigung vom 29.10.1997 berechtigt gewesen ist, da wegen der vom Kläger gegenüber dem Kirchenvorstand und der Pastorin zu Unrecht und außerhalb des Bereichs der Arbeitsvertragsparteien sowie insbesondere in der Öffentlichkeit erhobenen Vorwürfe eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar gewesen sei. Zur Frage der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes meint die Beklagte weiterhin, dass insoweit auf dem Bereich der Ansgargemeinde abzustellen und das Kündigungsschutzgesetz damit unanwendbar sei, ferner sei bei insoweit anderer Beurteilung die fristgerechte Kündigung sozial gerechtfertigt, zumindest sei ihr vorsorglicher hilfsweiser Auflösungsantrag begründet, da aufgrund des Verhaltens des Klägers eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht zu erwarten sei.

29

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Gründe

30

Die Berufungen sind nicht begründet.

31

Dies ergibt sich hinsichtlich des Hauptantrags der Anschlussberufung der Beklagten daraus, dass das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 29.10.1997 nicht beendet worden und die Klage damit insoweit begründet ist, weil für diese Kündigung ein wichtiger Grund nicht vorgelegen hat.

32

Gemäß § 626 I BGB ist eine außerordentliche Kündigung nur aus wichtigem Grund möglich. Ein wichtiger Grund liegt nur dann vor, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder einem anderweitigen Beendigungstermin unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht zumutbar ist. Danach muß eine Vertragsverletzung vorliegen, durch die das Arbeitsverhältnis so schwer gestört ist, daß dem Kündigenden auch unter Berücksichtigung des Interesses der Gegenseite an einer Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses dessen weitere Fortsetzung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zum Eintritt eines sonstigen vor diesem Zeitpunkt liegenden Endtermins nicht zumutbar erscheint (BAG AP Nr. 4 zu § 626 BGB). Bei der hiernach gebotenen Bewertung des Kündigungssachverhaltes ist auf der Grundlage des von der neueren Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelten Sanktionssystems im Kündigungsschutzrecht (BAG AP Nr. 70 zu § 626 BGB, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, AP Nr. 3, 8 zu § 2 KSchG 1969, AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung) zu berücksichtigen, daß eine Kündigung und insbesondere eine außerordentliche Kündigung aus Gesichtspunkten des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erst und nur dann in Betracht kommt, wenn andere nach den jeweiligen Umständen mögliche und angemessene mildere Mittel wie Abmahnung, Versetzung, Änderungskündigung oder im Fall der außerordentlichen Kündigung auch eine ordentliche Kündigung erschöpft bzw. nicht zumutbar sind. Danach ist insbesondere eine außerordentliche Beendigungskündigung nur als unausweislich letzte Maßnahme des Kündigungsberechtigten zulässig.

33

Diese Voraussetzungen liegen auch auf der Grundlage des von der Beklagten behaupteten Sachverhalts nicht vor.

34

Dabei geht das Gericht in Übereinstimmung mit den ausführlichen Erwägungen im arbeitsgerichtlichen Urteil davon aus, dass die vom Kläger in seinem Leserbrief vom 11.09.1997 gegenüber dem Kirchenvorstand und gegenüber der Pastorin erhobenen Vorwürfe zur Rechtfertigung einer fristlosen Kündigung an sich geeignet sind, da sie auch nach dem Vortrag des Klägers nicht begründet sind und es sich selbst bei einer Berechtigung der Vorwürfe an einem rechtfertigenden Grund dafür fehlt, diese Vorwürfe in einer breiteren Öffentlichkeit zu erheben, wie es bei der Darstellung in einem zur Veröffentlichung bestimmten Leserbrief der Fall ist. Dies betrifft die Formulierungen der Frage nach einer bewussten Strategie im Zusammenhang mit den Unzuträglichkeiten, denen Gottesdienstbesucher auf dem Kirchengelände ausgesetzt sind, der Erklärung, Gottesdienstbesucher sollen herausgeekelt werden, die Arbeit der Chorgruppen werde behindert und die Feststellung, Pfarramt und Kirchenvorstand würden sich zu passiven Bütteln des gemeindefernen Landeskirchenamtes machen. Dasselbe gilt auf der Grundlage des von der Beklagten behaupteten Sachverhalts eines vom Kläger gegebenen Interviews für den in dem Artikel vom 16.10.1997 darüber hinaus erhobenen Vorwurf, die Pastorin predige mit einer formalistischen Sprache an der Gemeinde vorbei.

35

Auch eine berechtigte Sorge des Klägers darüber, welche Auswirkungen eventuelle künftige organisatorische Änderungen in der Ansgargemeinde auf seinen Arbeitsplatz und die von ihm geleiteten Chöre haben könnten, vermag es nicht zu rechtfertigen oder auch nur zu entschuldigen, derartige zudem nicht belegte Vorwürfe in einer breiteren Öffentlichkeit zu erheben. Diese Sorge des Klägers um seinen Arbeitsplatz und den Fortbestand der von ihm geleiteten Chöre als Anlass für seine Äußerungen und die Interessenabwägung führen hier jedoch dazu, dass es der Ansgargemeinde zumutbar gewesen ist, das Arbeitsverhältnis jedenfalls bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist am 30.06.1998 fortzusetzen. Dies ergibt sich, wie das Arbeitsgericht im Einzelnen ausgeführt hat, wesentlich aus der langen Beschäftigungszeit des Klägers, seiner sachlich unbeanstandeten Arbeitsleistung und hinsichtlich der vom Kläger öffentlich erhobenen Vorwürfe aus dem Gesichtspunkt, dass er sich mit diesen Äußerungen vorrangig für den Erhalt der Chöre und seiner Arbeit einsetzen und nicht die Pastorin oder Mitglieder des Kirchenvorstandes persönlichen diffamieren wollte, wenn ihm auch die erhebliche Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens insbesondere nach dem Schreiben des Superintendenten vom 18.02.1997 erkennbar sein mußte.

36

Einer Umdeutung der fristlosen Kündigung vom 29.10.1997 in eine ordentliche Kündigung steht bereits die insoweit fehlende Beteiligung der Mitarbeitervertretung entgegen.

37

Die Berufung des Klägers ist ebenfalls nicht begründet, da das Arbeitsverhältnis durch die fristgemäße Kündigung vom 22.12.1997 mit Ablauf des 30.06.1998 beendet worden ist.

38

Die Wirksamkeit dieser Kündigung ergibt sich daraus, dass das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht anwendbar und damit eine Prüfung der Sozialwidrigkeit der fristgemäßen Kündigung nicht möglich ist und dass sonstige Gesichtspunkte für eine Unwirksamkeit der fristgemäßen Kündigung nicht vorliegen.

39

Zwar können nach der Auffassung des Gerichts gegen eine soziale Rechtfertigung der verhaltensbedingten Kündigung gem. § 1 II KSchG insofern erhebliche Bedenken bestehen, als es an einer vorherigen Abmahnung fehlt; dabei werden die Aufforderung in dem Schreiben des Superintendenten vom 18.02.1997 und die Aufforderung des Kirchenvorstands vom 10.04.1997, sich an den internen Bemühungen um Lösungen zu beteiligen und von öffentlichen Maßnahmen abzusehen, nicht als Abmahnung anzusehen seien, da ihnen der die Warnfunktion der Abmachung ausmachende Hinweis auf eine Gefährdung des Bestands des Arbeitsverhältnisses fehlt; eine Abmahnung dürfte auch nicht etwa aus dem Gesichtspunkt einer erwarteten Erfolglosigkeit entbehrlich sein.

40

Einer Beurteilung und Entscheidung dieser Frage steht jedoch entgegen, dass das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis des Klägers gem. § 23 I KSchG nicht anwendbar ist, da insoweit auf die Verhältnisse zum Kündigungszeitpunkt abzustellen ist und als maßgebliche Verwaltung im Sinne von § 23 I KSchG der Bereich der Ansgargemeinde anzusehen ist, in dem regelmäßig nicht mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt gewesen sind. Ausgangspunkt für diese Bewertung ist, dass es sich bei der Ansgargemeinde als Kirchengemeinde der ... gem. § 4 der Kirchengemeindeordnung (KGO) um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts handelt, die ihre Angelegenheiten im Rahmen des geltenden Rechts selbstständig regelt und verwaltet. Dabei ist die Kirchengemeinde gem. § 23 KGO Arbeitgeberin der entgeltlich beschäftigten Arbeitnehmer. Hieran ändern die Regelungen des gemeinsamen Mitarbeitergesetzes (MG) nichts, nach denen Mitarbeiter nur beim Vorhandensein freier Stellen eingestellt werden dürfen (§ 3 MG) und Einstellungen ab einer bestimmten Vergütungsgruppe sowie Entlassungen genehmigungsbedürftig sind (§§ 2, 3 MG AusfVO). Es handelt sich hierbei um kirchenaufsichtliche Genehmigungen, die keinen Einfluss darauf haben, dass es sich bei den genehmigungsbedürftigen Erklärungen um eigene Erklärungen der jeweiligen Kirchengemeinde handelt. Die Kirchengemeinde verwaltet ihr Vermögen gem. § 56 KGO selbst, wobei ihr ein ihrer Größe entsprechender Anteil am Kirchensteueraufkommen der Landeskirche zusteht.

41

Bei einer solchen Gestaltung ist als Verwaltung in Sinne von § 23 I KSchG die Ansgargemeinde als einzelne Kirchengemeinde anzusehen. Die Situation der evangelischen Kirche in Niedersachsen unterscheidet sich insoweit nicht erheblich von derjenigen der evangelischen Kirchengemeinden im Rhein- land, für die das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 12.11.1998 (Az. 2 AZR 459/97 = AP Nr. 20 zu § 23 KSchG 1969) ausführlich begründet hat dass als Verwaltung i. S. v. § 23 I KSchG die einzelne Gemeinde anzusehen ist; dem schließt das Gericht sich an. Eine abweichende Beurteilung etwa im Sinne eines Abstellens auf die Ebene des Kirchenkreises oder des ... ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer gemeinsamen, einheitlichen Verwaltung mehrerer rechtsfähiger Arbeitgeber möglich. Für den Bereich der Privatwirtschaft ist anerkannt, dass mehrere Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb bilden können. Das setzt jedoch eine Leitungsvereinbarung voraus, aufgrund derer der Kern der Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Bereich durch dieselbe institutionelle Leitung ausgeübt wird (vgl. BAG AP Nr. 5, 6, 9 zu § 1 BetrVG 1972, AP Nr. 9 zu § 23 KSchG 1969). Ein derartiger Sachverhalt lässt sich aus den zwischen den einzelnen Gemeinden und dem Kirchenkreis bzw. dem Stadtkirchenverband bestehenden Kontroll- und Aufsichtsregelungen jedoch nicht ableiten. Dass hier die Mitarbeitervertretung nicht auf der Ebene der einzelnen Gemeinde, sondern auf der Ebene des ... gebildet worden ist, beruht auf der Regelung des § 5 Mitarbeitervertretungsgesetz, der eine solche Möglichkeit vorsieht. Ein Indiz für eine entsprechende arbeitgeberseitige Organisation im Sinne einer gemeinsamen Leitung lässt sich daraus nicht ableiten.

42

Eine Einbeziehung von Beschäftigten anderer Gemeinden desselben Kirchenkreises oder des Kirchenkreises selbst ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines sogenannten Berechnungsdurchgriffs möglich. Dazu müsste die äußere Form der jeweils von einer rechtsfähigen Körperschaft (einer Gemeinde oder des Kirchenkreises) getragenen Verwaltung durchbrochen werden, ähnlich wie bei der Rechtsfigur des Haftungsdurchgriffs beim sogenannten qualifizierten faktischen Konzern, was allerdings nur in Mißbrauchsfällen denkbar ist, wofür hier Anhaltspunkte nicht erkennbar sind. Auch insoweit schließt sich das Gericht den Ausführungen der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 12.11.1998 an.

43

Eine Unwirksamkeit der Kündigung läßt sich auch nicht aus § 242 BGB aus dem Gesichtspunkt einer fehlenden Abmahnung begründen.

44

Zwar ist allgemein anerkannt, dass die Rechtswirksamkeit einer arbeitgeberseitigen Kündigung außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes anhand der zivilrechtlichen Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB zu prüfen ist, in deren Rahmen auch der Schutz des Artikel 12 I GG im Verhältnis der Arbeitsvertragsparteien Bedeutung gewinnt (vgl. dazu BVerfG AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969).

45

Dabei ist die Anwendbarkeit von § 242 BGB jedoch insoweit eingeschränkt, als Umstände, die im Rahmen der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung gem. § 1 KSchG zu prüfen sind, dort abschließend geregelt sind und für den Fall, dass das Kündigungsschutzgesetz wegen Eingreifens der Kleinbetriebsklausel oder wegen Nichterfüllung der Wartezeit nun nicht über § 242 BGB gleichwohl zu prüfen sind. Hierdurch würde die gesetzgeberische Entscheidung über die Wartezeit und die Kleinbetriebsklausel unzulässig unterlaufen (BVerfG AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969, BAG AP Nr. 9 zu § 242 BGB Kündigung, AP Nr. 20 zu § 23 KSchG 1969, Preis NZA 97, 1256, 1264 m. w. Nachw.). Zudem würde eine abweichende Beurteilung auch zu einer erheblichen Benachteiligung des Arbeitgebers gegenüber den Fällen einer Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes insoweit führen, als der Arbeitgeber im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes bei einer ausschließlich wegen Fehlens der sozialen Rechtfertigung unwirksamen Kündigung unter den Voraussetzungen des § 9 I 2 KSchG eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses unter Zahlung einer Abfindung verlangen könnte, was ihm bei ein aus sonstigen Gründen unwirksamen Kündigung verwehrt ist.

46

Danach verbleiben als Anwendungsbereich von § 242 BGB als Sachverhalte, die nicht die soziale Rechtfertigung der Kündigung im Sinne von § 1 KSchG betreffen, im Wesentlichen nur die Fälle willkürlicher, widersprüchlicher oder auf sachfremden Motiven beruhen der Kündigungen.

47

Diesem Bereich ist der Gesichtspunkt einer fehlenden Abmahnung nicht zuzuordnen. Die Frage der Erforderlichkeit einer Abmahnung vor dem Ausspruch einer Kündigung betrifft vielmehr den kündigungsschutzrechtlichen Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit, dem nur im Rahmen des Kündigungsschutzes Bedeutung zukommt, wie er sich für die außerordentliche Kündigung aus § 626 BGB und aus § 1 ff. KSchG für fristgerechte Kündigungen ergibt (ebenso Beckerle-Schuster Abmahnung 4. Aufl. 1993 Rd Nr. 68, Falkenberg NZA 88, 489, 491, v. Hoyningen-Huene RDA 90, 193, 202, Ascheid Kündigungsschutzrecht Rd Ziff. 64, Schaub NJW 90, 872, 875, Oetker AuR 97, 41, 52, im Grundsatz auch Preis NZA 97, 1256, 1267, der jedoch ebenso wie Kittner (NZA 98, 731, 733) eine langjährige Beschäftigung besonders berücksichtigen will, a. A. Gerhards BB 96, 794, 796, Kammerer Personalakte und Abmahnung 2. Aufl. 1994 S. 140 f.). Auch in anderen Bereichen des Schuldrechts führt der einer Abmahnung entsprechende Gesichtspunkt einer Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung vor einem Rücktritt vom Vertrag in § 326 BGB nicht dazu, dass außerhalb eines besonders geregelten Kündigungsschutzes fristgemäße Kündigungen von Dauerschuldverhältnissen, die keiner Begründung bedürfen, erst nach einer Abmahnung zulässig sind, wie die Kündigungsregelungen für den Mieter, für sonstige Dienstverhältnisse oder für den Besteller im Werkvertragsrecht zeigen.

48

Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit der Kündigung wegen eines sonstigen Verstoßes gegen § 242 BGB sind nicht ersichtlich, da die Kündigung hier mit erheblichen Pflichtverletzungen des Klägers begründet worden ist und damit ein willkürliches oder auf sachfremden Erwägungen beruhendes Verhalten der Arbeitgeberseite nicht erkennbar ist.

49

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 I ZPO.

50

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 ArbGG.