Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 16.06.1999, Az.: 6 Sa 623/98
Verpflichtung, dem Kläger die sich aus dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz ergebende Rentenkürzung ab dem 01.12.2001 auszugleichen; Förderung des gleitenden Übergangs in den Ruhestand; Geltung der Betriebsvereinbarung "Altersregelung 1994" als Auflösungsvereinbarung; Vorzunehmende Anpassung der Aufhebungsvereinbarung auf Grund des Wegfalls der Geschäftsgrundlage; Unzumutbarkeit des Festhaltens am Aufhebungsvertrag
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 16.06.1999
- Aktenzeichen
- 6 Sa 623/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 10686
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1999:0616.6SA623.98.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Braunschweig - 18.11.1997 - 1 Ca 788/97
- nachfolgend
- BAG - 20.06.2000 - AZ: 3 AZR 620/99
hat die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 16.06.1999
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht als Vorsitzenden und
den ehrenamtlichen Richter und
die ehrenamtliche Richterin als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 18.11.1997 - 1 Ca 788/97 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger die sich aus dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz ergebende Rentenkürzung ab dem 01.12.2001 auszugleichen.
Der am 12.11.1941 geborene Kläger war im Werk der Beklagten seit 1964 als Werkzeugmacher beschäftigt und war seit 1993 Mitglied des Betriebsrats. Am 14.11.1995 schlössen die Parteien eine Aufhebungsvereinbarung, der zufolge das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des 31.03.1998 endete. Für diese Auflösungsvereinbarung gilt die Betriebsvereinbarung "Altersregelung 1994".
Verhandlungen der Beklagten mit dem Gesamtbetriebsrat führten zu ihrem Schreiben vom 15.11.1995 an den Gesamtbetriebsrat und schließlich zur Regelung vom 26.03.1996 (Anlage 4 zur Versorgungsordnung), worin sich die Beklagte verpflichtete, Nachteile auf Grund des "Gesetzes zur Förderung des gleitenden Übergangs in den Ruhestand" in der gesetzlichen Rentenversicherung auszugleichen. Dieses Gesetz wurde am 15.04.1996 eingebracht, am 23.07.1996 verkündet und ist am 01.08.1996 in Kraft getreten. Daraus ergab sich für Rentner, die ab dem 60. Lebensjahr Rente in Anspruch nehmen, ein lebenslanger Rentenabschlag von 10,8 %.
Unabhängig vom Gesetz, zur Förderung des gleitenden Übergangs in den Ruhestand brachte die Bundesregierung am 10.05.1996 den Entwurf des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes ein, das am 25.09.1996 verabschiedet wurde und für Rentenbezieher des Jahrgangs 1941, die ab dem 60. Lebensjahr Altersrente in Anspruch nehmen wollen, Rentenabschläge von maximal 18 % vorsieht, Mit Schreiben vom 25.09.1996 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie die sich aus dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz ergebenden weiteren Rentenabschläge nicht ausgleichen werde. Der Kläger hat beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab Rentenbeginn ab dem 01.12.2001 nicht nur die auf Grund des Gesetzes zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand, sondern auch die auf Grund des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes erfolgenden Abschläge von der gesetzlichen Rente in vollem Umfang auszugleichen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 18.11.1997 die Klage abgewiesen. Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im l. Rechtszug wird auf den Tatbestand und wegen der Würdigung dieses Vorbringens auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts ergänzend Bezug genommen.
Der Kläger hat gegen dieses ihm am 13.02.1998 zugestellte Urteil am 13.03.1998 Berufung beim Landesarbeitsgericht eingelegt und diese am 14.04.1998, dem Dienstag nach Ostern, begründet.
Der Kläger behauptet, im Rahmen einer Informationsveranstaltung der Beklagten am 09. oder 10.11.1995 habe der Mitarbeiter der Beklagten versichert, Rentenminderungen könnten bei Abschluss der vorgeschlagenen Aufhebungsvereinbarungen nicht eintreten, weil die Beklagte etwa in Zukunft eintretende Rentenminderungen ausgleichen würde. Entsprechend sei der Aufhebungsvertrag vom 14.11.1995 auszulegen. Hilfsweise habe eine Vertragsanpassung nach den Grundsätzen des Wegfalls der Geschäftsgrundlage zu erfolgen. Die Beklagte habe den Kläger. über die Möglichkeiten des Bezuges vorgezogenen Altersruhegeldes aufgeklärt, damit ihre Aufklärungspflichten erfüllt und die hier gegebenen Hinweise und Auskünfte ausdrücklich zum Gegenstand des Aufhebungsvertrags gemacht. Zum Gegenstand des Vertrages sei der Bezug der ungekürzten Altersrente nach dem 60. Lebensjahr geworden in der Höhe, in der dieses zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses möglich war. Dementsprechend habe die Beklagte den Ausgleich der Rentenminderung nach dem Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand zugesagt. Zumindest sei die Möglichkeit des Bezuges von Altersrente in ungekürzter Höhe wesentliche Geschäftsgrundlage des Aufhebungsvertrags geworden. Nach Treu und Glauben sei ihm das Festhalten an dem Aufhebungsvertrag nicht mehr zuzumuten. Der Kläger beziffert seinen Rentenanspruch gegen die LVA auf monatlich DM 2.400,-- und gegen die Beklagte auf DM 800,-- bis DM 900,--.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des am 18.11.1997 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Braunschweig, Az. l Ca 788/97, festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab Rentenbeginn ab dem 01.12.2001 nicht nur die auf Grund des Gesetzes zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand, sondern auch die auf Grund des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes erfolgenden Abschläge von der gesetzlichen Rente in vollem Umfang auszugleichen
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil als der Rechtslage entsprechend.
Sie behauptet, sie habe im November 1995 in Informationsveranstaltungen über das in der Diskussion befindliche Altersteilzeitgesetz unterrichtet und bekannt gegeben, dass sie sich mit dem Gesamtbetriebsrat grundsätzlich geeinigt habe, diese Nachteile auszugleichen. Die erstmals Ende April 1996 bekannt gewordene Absicht der Bundesregierung, durch ein Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz das Rentenalter heraufzusetzen und alle vorzeitigen Altersrenten mit Abschlägen zu belasten, sei nicht Gegenstand ihrer Vereinbarungen mit dem Gesamtbetriebsrat gewesen. Nachteile durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes seien in der Versorgungsordnung nicht geregelt und folglich nicht auszugleichen.
Im Falle des Wegfalls der Geschäftsgrundlage bestehe ein Anspruch auf Anpassung des Vertrages nur dann, wenn für eine der beiden Vertragsparteien das Festhalten an dem Vertrag unzumutbar geworden ist.
Als der Kläger im Dezember 1996 darauf hingewiesen hat, dass die Nichtübernahme des Rentenausgleichs bei ihm zu einer außergewöhnlichen Härte führe und er bei Abschluss des Aufhebungsvertrages davon ausgegangen sei, dass die Beklagte den Ausgleich in voller Höhe übernehme und die Beklagte ihm darauf angeboten hat, bei ihr weiterhin tätig zu sein, habe der Kläger lediglich erklärt, er behalte sich weitere Schritte vor, ohne bis zu seinem Ausscheiden am 31.03.1998 seine Weiterbeschäftigung zu verlangen. Auch eine besondere Härte habe er mit keinem Wort belegt.
Die Beklagte meint schließlich, eine denkbare Unzumutbarkeit der Rentenkürzungen durch das Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz führe aus verfassungsrechtlichen Gründen zur Unwirksamkeit dieser Kürzungsregelungen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die in dieser Instanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG in dieser vermögensrechtlichen Streitigkeit statthafte Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Der Kläger hat sich ausführlich mit den Entscheidungsgründen des Urteils des Arbeitsgerichts auseinander gesetzt und ist ihnen entgegengetreten. Damit ist seine Berufung zulässig.
II.
Die Berufung konnte jedoch keinen Erfolg haben. Denn zutreffend hat das
Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Denn die Klage ist nicht begründet.
1.
Zutreffend hat das Arbeitsgericht das rechtliche Interesse des Klägers an aisbaldiger Feststellung (§ 256 ZPO) für seinen geltenden gemachten Ausgleichsanspruch bejaht.
2.
Die Auflösungsvereinbarung vom 14.11.1995 vermag den geltend gemachten Anspruch nicht zu begründen. Sie enthält keine einzelvertragliche Zusage. Das Merkblatt zur "Altersregelung 1994" und das Merkblatt "Gesetzliche Regelungen zum Bezug von vorgezogener Altersrente und von Arbeitslosengeld" enthalten keine Aussage über eine von der Beklagten auszugleichende Rentenkürzung. Die Beklagte hat in ihren Informationsveranstaltungen auch nicht erkennen lassen, dass sie mögliche Rentenkürzungen auf Grund einzelvertraglicher Vereinbarungen ausgleichen wolle. Die gesamte "Altersregelung 1994" und deren "Anwendung in 1995" ist durch die Gesamtbetriebsvereinbarung vom 24.11.1994 und die Protokollnotizen vom 24.11.1994 und 23.02.1995 geregelt.
3.
Aus der mit Zustimmung des Gesamtbetriebsrats am 30.05.1996 geänderten Versorgungsordnung (Anlage 4 zur Versorgungsordnung) der Beklagten lässt sich der Feststellungsanspruch nicht begründen. Die Ergänzung der Übergangsregelung befasst sich ausdrücklich "ausschließlich" mit dem Ausgleich der durch das Gesetz zur Förderung des gleitenden Übergangs in den Ruhestand eintretenden Rentenkürzungen.
4.
Ohne Erfolg stützt der Kläger seinen Anspruch auf eine vorzunehmende Anpassung der Aufhebungsvereinbarung auf Grund des Wegfalls der Geschäftsgrundlage.
Zur Geschäftsgrundlage gehören die bei Abschluss des Vertrages zu Tage getretenen, dem anderen Teil erkennbar gewordenen und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen einer Partei oder die gemeinsamen Vorstellungen beider Parteien vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt gewisser Umstände, sofern der Geschäftswille hierauf aufbaut (BGH Z 25, 390, BAG AP Nr. 7 zu § 242 BGB Geschäftsgrundlage, AP Nr. 12 und 20 zu § 611 BGB Arzt-Krankenhaus-Vertrag). Anerkannt ist weiter, dass Gesetzesänderungen die Geschäftsgrundlage eines bürgerlich-rechtlichen Vertrags so verändern können, dass Leistung und Gegenleistung nicht mehr in dem zuvor vereinbarten Verhältnis stehen und dass die vertraglichen Abreden dann nach den Regeln über den Wegfall oder die Änderung der Geschäftsgrundlage anzupassen sind. Die Anpassung ist dann geboten, wenn der Vertrag selbst keine Regelung darüber enthält, wie bei einer Änderung der Geschäftsgrundlage zu verfahren ist, und wenn einer Partei das weitere Festhalten am Vertrag nicht zuzumuten ist (BGH NJW 62, 29).
Zutreffend ist, dass durch die vom Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz ausgehende weitere Rentenkürzung im Fall des Klägers von 6, 9 % die Geschäftsgrundlage der Aufhebungsvereinbarung vom 14.11.1995 entfallen ist. Denn die Parteien haben bewusst bei Vertragsabschluss nur die vom Gesetz zur Förderung eines gleitenden Übergangs in den Ruhestand ausgehende Rentenkürzung im Fall des Klägers von 9, 9% berücksichtigen können, zu deren Ausgleich sich die Beklagte durch die Änderung ihrer Versorgungsordnung verpflichtet hat. Die spätere Entwicklung, die zum Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz führte, war nicht absehbar. Ein Anspruch auf Anpassung des Aufhebungsvertrags an die veränderten Verhältnisse setzt aber voraus, dass dem Kläger ein Festhalten an der getroffenen Vereinbarung unzumutbar ist. Dazu wäre der Vertrag insoweit anzupassen, als dem Vertragspartner das Festhalten an der getroffenen Regelung auch unter den geänderten tatsächlichen Umständen noch zumutbar ist.
Für die Unzumutbarkeit des Festhaltens am Aufhebungsvertrag hat der Kläger nichts vorgetragen. Nach seinen Angaben hat er von der Landesversicherungsanstalt ab 01.12.2001 eine Altersrente von DM 2.400,--zu erwarten, zu der eine VW-Rente zwischen DM 800 -- und DM 900,-- monatlich hinzutritt. Seine gesamte Rente wird demnach zwischen DM 3.200,-- und DM 3.300, -- liegen. Ohne die Rentenkürzung von 6, 9 % läge sie um DM 177,87 monatlich höher, läge also zwischen DM 3.377,87 und DM 3.477,87. Die Rentenkürzung führt zu einer Kürzung des gesamten Rentenbezugs des Klägers zwischen 5,1 % und 5,2 %. Bei der Höhe der Rentenansprüche des Klägers führt diese Kürzung noch nicht zu einem unzumutbaren Opfer, das ihm die Bindung an den Aufhebungsvertrag als nicht zumutbar erscheinen lässt. Bei dieser Würdigung ist auch in Betracht gezogen, dass die Beklagte dem Kläger im Dezember 1996 angeboten hat, weiter bei ihr tätig zu sein, der Kläger aber dieses Angebot ohne nähere Begründung ausgeschlagen hat. Dies spricht dafür, dass der Kläger selbst nicht von der Unzumutbarkeit der nicht auszugleichenden Rentenkürzung ausgegangen ist.
III.
Gemäß § 97 ZPO hat der Kläger die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat die Kammer die Revision zugelassen.