Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.04.1999, Az.: 7 TaBV 52/98

- siehe dazu Beschluss des BAG vom 05.04.2000 - 7 ABR 20/99

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
13.04.1999
Aktenzeichen
7 TaBV 52/98
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1999, 33139
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1999:0413.7TABV52.98.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hildesheim - 05.05.1998 - AZ: - 2 BV 12/97

Beschäftigte i.S.v. § 19 BSHG sind in reinen Ausbildungsbetrieben Keine wahlberechtigten Arbeitnehmer i.S.v. § 5 Abs. I BetrVG.

Tenor:

  1. Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 05.05.1998, 2 BV 12/97, wird zurückgewiesen.

    Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Tatbestand:

1

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Betriebsratswahl vom 03. Dezember 1997 und dabei insbesondere über die Frage, ob die bei dem Beteiligten zu 1) gemäß § 19 BSHG Beschäftigten wahlberechtigte Arbeitnehmer sind.

2

Der Beteiligte zu 1) ist ein eingetragener Verein, dessen Zweck nach der Satzung vom 17. März 1989 (Bl. 113-123 d.A.) die Durchführung von Bildungsveranstaltungen, die Unterstützung der Volkshochschularbeit und die Unterstützung von Initiativen und Projekten des Landesverbandes der Volkshochschulen ist. Er unterhält in Niedersachsen an verschiedenen Orten jeweils eigenständige Betriebe, darunter die Aus- und Weiterbildungsstätte Holzminden, dessen Betriebsrat der Beteiligte zu 2) ist.

3

In dem Betrieb des Beteiligten zu 1) in Holzminden waren Ende des Jahres 1997 insgesamt 15 Arbeitnehmer als Ausbilder, Lehrer, Hausmeister oder in der Verwaltung sowie eine Reinigungskraft beschäftigt. Desweiteren wurden Auszubildende im Bereich der überbetrieblichen Erstausbildung ausgebildet und Umschüler weiterqualifiziert.

4

Schließlich standen 21 Arbeitnehmer in einem auf ein Jahr befristeten Arbeitsverhältnis gemäß § 19 BSHG. Bei diesem Personenkreis handelt es sich um Beschäftigte, die zum großen Teil bereits einen Ausbildungsberuf haben, aufgrund von Arbeitslosigkeit oder Aussiedlung bzw. Anerkennung als Asylberechtigter keine Arbeit gefunden haben, Sozialhilfe beziehen und wieder durch Arbeit an Arbeit gewöhnt werden sollen. Der Beteiligte zu 1) schließt mit diesen Personen einen Arbeitsvertrag, nach dem sie als Teilnehmer/in der Maßnahme "Integrationsseminar für Sozialhilfeempfänger" nach § 19 BSHG beschäftigt werden. Wegen der weiteren Einzelheiten der vertraglichen Absprachen wird auf das mit Schriftsatz vom 19. März 1998 überreichte Arbeitsvertragsmuster Bezug genommen (Bl. 93 - 96 d.A.).

5

Die Finanzierung der von dem Beteiligten zu 1) durchgeführten Maßnahmen erfolgt durch den Landkreis Holzminden als örtlichen Träger der Sozialhilfe. Auf die Bewilligungsbescheide zur Förderung von Maßnahmen der beruflichen Qualifizierung von langzeitarbeitslosen Sozialhilfeempfänger/ihnen des Europäischen Sozialfonds vom 28.11.1996 und 18.09.1997 wird Bezug genommen (Bl. 44, 45 d.A.).

6

Grundlage für die Zuweisung von Sozialhilfeempfängern durch den Landkreis Holzminden ist ein mit dem Beteiligten zu 1) vereinbarter Rahmenplan, in dem unter anderem ausgeführt ist, im Rahmen von sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen nach § 19 BSHG solle dieser Personengruppe ermöglicht werden, ihre beruflichen und persönlichen Qualifikationen unterstützt durch sozialpädagogische Betreuung zu verbessern.

7

Die im Streit stehenden BSHG-Beschäftigten wurden von dem Beteiligten zu 1) in einen entsprechenden Praktikumsplatz vermittelt. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die mit Schriftsatz vom 19.03.1998 überreichte Tätigkeitsbeschreibung "BSHG 4" (Bl. 97 d.A.). Überwiegend erfolgte der Einsatz in einer von dem Landkreis Holzminden gegründeten Beschäftigungsgesellschaft, die mit Lohnkostenzuschüssen durch das Arbeitsamt finanziert wird. Diese Beschäftigungsgesellschaft hat bestimmte unterschiedliche Arbeitsbereiche, die sich aus der Tätigkeitsbeschreibung ergeben. Die BSHG-Beschäftigten werden bei ihrer Tätigkeit begleitet von einem Meister, der bei dem Beteiligten zu 1) angestellt ist. Die Angestellten des Beteiligten zu 1) sind berechtigt, den sogenannten BSHG-Beschäftigten Arbeitsanweisungen zu erteilen und zu entscheiden, in welchem Betrieb diese eingesetzt werden.

8

Nach Ablauf des regelmäßigen befristeten Arbeitszeitraumes von einem Jahr scheiden die BSHG-Beschäftigten aus dem Arbeitsverhältnis zu dem Beteiligten zu 1) aus.

9

Durch Beendigung des Arbeitsverhältnisses des bislang aus einer Person bestehenden Betriebsrates und Rücktritt des Ersatzmitgliedes wurde Ende 1997 die Neuwahl des Betriebsrates erforderlich. Nach dem Wahlausschreiben vom 15.10.1997 (Bl. 70, 71 d.A.) war ein aus drei Mitgliedern bestehender Betriebsrat zu wählen, wobei der Wahlvorstand die seinerzeit 21 sogenannten BSHG-Beschäftigten als wahlberechtigt ansah.

10

Die Wahl wurde als gemeinsame Wahl der Arbeiter und Angestellten am 03. Dezember 1997 durchgeführt. Nach der Wahlniederschrift vom 03.12.1997 (Bl. 61 d.A.) wurden 29 Wahlumschläge von 14 Angestellten und 15 Arbeitern abgegeben. In den Betriebsrat gewählt wurden 3 bei dem Beteiligten zu 1) beschäftigte Angestellte. Das Wahlergebnis wurde am 10. Dezember 1997 ausgehängt.

11

Mit der am 23. Dezember 1997 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift wurde die Betriebsratswahl von dem Beteiligten zu 1) angefochten mit der Begründung, die BSHG-Beschäftigten seien nicht wahlberechtigt.

12

Das Arbeitsgericht hat durch einen dem Betriebsrat am 13. Mai 1998 zugestellten Beschluß vom 05. Mai 1998, auf dessen Inhalt zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und dessen Würdigung durch das Arbeitsgericht Bezug genommen wird (Bl. 124 - 129 d. A.), festgestellt, daß die Betriebsratswahl vom 03. Dezember 1997 unwirksam ist. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, durch die Zulassung der 21 Beschäftigten nach § 19 BSHG sei gegen die Wahlvorschrift des § 7 BetrVG verstossen worden, was sich bereits deshalb zwangsläufig auf das Wahlergebnis ausgewirkt habe, da bei zutreffender Betrachtung nicht ein aus drei Personen, sondern ein lediglich aus einer Person bestehender Betriebsrat zu wählen gewesen sei. Denn wahlberechtigt seien nur die betriebszugehörigen Arbeitnehmer, die zusammen mit den im Betrieb bereits beschäftigten Arbeitnehmern eine Tätigkeit verrichteten, die ihrer Art nach weisungsgebunden sei und der Verwirklichung des arbeitstechnischen Zwecks des Betriebes dienten. Dies sei bei den Beschäftigten nach § 19 BSHG nicht der Fall, da deren Tätigkeit im Rahmen der durchgeführten Qualifizierungsmaßnahmen nicht der Erfüllung des Betriebszweckes des Beteiligten zu 1) dienten, sondern zur Erfüllung des Zwecks der Praktikumsbetriebe, in denen sie eingesetzt seien.

13

Hiergegen richtet sich die am 11. Juni 1998 eingelegte und am 07. Juli 1998 begründete Beschwerde des Betriebsrates.

14

Er ist der Auffassung, durch die Übernahme der gemäß § 19 BSHG-Beschäftigten sei der Betriebszweck des Beteiligten zu 1) erweitert worden. Die BSHG-Teilnehmer bildeten eine eigene innerbetriebliche Abteilung. Sie würden bei ihrem Einsatz in der Beschäftigungsgesellschaft Holzminden von einem Angestellten des Beteiligten zu 1) betreut, der die Aufgabe habe, die Arbeit zu überwachen, die Baustellen zu organisieren und bei Unstimmigkeiten zu vermitteln in Zusammenarbeit mit einem Pädagogen. Die BSHG-Teilnehmer würden insoweit Arbeitsleistung erbringen. Es handele sich um eins billige. Form von gemeinnütziger Arbeit, die von Beschäftigten des Beteiligten zu 1) organisiert und erbracht werde.

15

Der Betriebsrat beantragt,

  1. unter Abänderung des angefochtenen Beschlusses des Antrag abzuweisen.

16

Der Arbeitgeber beantragt,

  1. die Beschwerde zurückzuweisen.

17

Er verteidigt den angefochtenen Beschluß nach Maßgabe des Schriftsatzes seines Prozeßbevollmächtigten vom 16. Juli 1998 (Bl. 144, 145 d.A.).

Gründe

18

II.

Die Beschwerde des Betriebsrates ist gemäß den §§ 87 Abs. 2, 89, 66 ArbGG zulässig, jedoch nicht begründet.

19

Das Arbeitsgericht hat die streitige Rechtsfrage zutreffend entschieden. Auf die richtigen Ausführungen auf den Seiten 4 - 6 des Beschlusses vom 05. Mai 1998 (Bl. 127 - 129 d. A.) wird zur Vermeidung von Wiederholungen gemäß § 543 ZPO Bezug genommen.

20

Ergänzend und zusammenfassend ist im Hinblick auf die Beschwerdebegründung folgendes auszuführen:

21

Nach der inzwischen gefestigten Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichts, von der abzuweichen kein Anlaß besteht, sind wahlberechtigt nur die betriebszugehörigen Arbeitnehmer im Sinne des § 5 Abs. 1 BetrVG. Betriebszugehörigkeit in diesem Sinne setzt voraus, daß eine tatsächliche Eingliederung der Arbeitnehmer in die jeweilige Betriebsorganisation stattgefunden hat. Hierfür ist maßgebend, daß der Arbeitnehmer zusammen mit den im Betrieb bereits beschäftigten Arbeitnehmern eine Tätigkeit verrichtet, die ihrer Art nach weisungsgebunden ist und der Verwirklichung des arbeitstechnischen Zwecks des Betriebes dient. Fehlt es an einem der beiden Merkmale, ist die Wahlberechtigung insgesamt zu verneinen (BAG vom 20.03.1996, 7 ABR 34/95, AP Nr. 10 zu § 5 Betriebsverfassungsgesetz 1972 Ausbildung).

22

Das Bundesarbeitsgericht unterscheidet bei reinen Ausbildungsbetrieben zwischen Auszubildenden, deren im Rahmen der Ausbildung verrichtete Tätigkeit dem Betriebszweck oder einem abgrenzbaren arbeitstechnischen betrieblichen Hilfszweck dient (vgl. hierzu BAG vom 12.09.1996, 7 ABR 61/95, AP Nr. 11 zu § 5 Betriebsverfassungsgesetz 1972 Ausbildung), und Auszubildenden, deren Ausbildung gerade der betriebliche Zweck des Ausbildungsbetriebes ist. Differenziert wird also nach dem Gesichtspunkt, ob die Tätigkeit der Auszubildenden einem außerhalb der Ausbildung liegenden Betriebszweck dient oder ob gerade die Ausbildung selbst Gegenstand des Betriebszwecks ist. Das Bundesarbeitsgericht hat deshalb weder die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten noch berufliche Rehabilitanten in reinen Ausbildungsbetrieben als wahlberechtigte Arbeitnehmer im Sinne des Betriebsverfassungsgesetz angesehen (BAG vom 20.03.1996, 7 ABR 34/95, a.a.O; BAG vom 12.02.1997, 7 ABR 36/96, n.v.).

23

Diese Grundsätze gelten in gleichem Maße auch für Beschäftigte im Sinne des § 19 BSHG bei dem Beteiligten zu 1). Denn der Beteiligte zu 1) betreibt als Bildungswerk der Niedersächsischen Volkshochschulen einen reinen Ausbildungsbetrieb. Zweck dieses Betriebes ist nach Satzung und tatsächlicher Durchführung die Durchführung von Bildungsmaßnahmen, zu denen auch die berufliche Aus- und Fortbildung sowie die im Streit stehenden Maßnahmen zur Wiedereingliederung von Sozialhilfeempfängern in das Arbeitsleben gehört. Dies wird deutlich durch den Rahmenplan, den der Beteiligte zu 1) mit dem Landkreis Holzminden als örtlichen Träger der Sozialhilfe vereinbart hat. Denn in diesem Rahmenplan ist als Ziel der Beschäftigung von Sozialhilfeempfängern nach § 19 BSHG angegeben, dieser Personengruppe solle ermöglicht werden, ihre beruflichen und persönlichen Qualifikationen unterstützt durch sozialpädagogische Betreuung zu verbessern. Die BSHG-Beschäftigten sind deshalb Gegenstand des Betriebszweckes des Beteiligten zu 1).

24

Entgegen der von dem Betriebsrat vertretenen Auffassung kann nicht davon ausgegangen werden, daß die BSHG-Teilnehmer eine eigene innerbetriebliche Abteilung bilden, die einen eigenständigen Betriebszweck des Beteiligten zu 1) verfolgt. Zu Recht hat das Arbeitsgericht nämlich darauf abgestellt, daß die von den BSHG-Beschäftigten ausgeführten Arbeiten nicht der Erfüllung des Betriebszweckes des Beteiligten zu 1) dienen, sondern zur Erfüllung des Zwecks der Praktikumsbetriebe, in denen sie eingesetzt sind. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, daß Betriebszweck des Beteiligten zu 1) die Überlassung von Arbeitnehmern an andere Betriebe ist. Aus den dargestellten Gründen ist Betriebszweck vielmehr die Qualifizierung von Arbeitnehmern mit außerhalb seines Betriebszwecks liegenden Arbeiten im Rahmen eines Praktikums. Dies rechtfertigt die Übernahme der von dem Bundesarbeitsgericht in den zitierten Entscheidungen aufgestellten Grundsätze auf die BSHG-Beschäftigten im vorliegenden Fall.

25

Die Beschwerde des Betriebsrates war deshalb zurückzuweisen.

26

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf den §§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG. Die Frage, ob Beschäftigte nach dem BSHG wahlberechtigte Arbeitnehmer sind, ist, soweit ersichtlich, von dem Bundesarbeitsgericht bislang nicht entschieden worden. Die 5. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen hat unter Zulassung der Rechtsbeschwerde in dem Beschluß vom 15. März 1999 die gleiche Rechtsauffassung wie die erkennende Kammer vertreten (5 TaBV 104/98). Weitere Beschlußverfahren mit der gleichen Problematik sind anhängig in der 9. Kammer (9 TaBV 8/99), der 10. Kammer (10 TaBV 83/98 und 10 TaBV 105/98) sowie der 12. Kammer (12 TaBV 90, 98) des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen.