Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 09.02.1999, Az.: 13 Sa 825/98
Anrechnung der anlässlich einer Rehabilitationskur erfolgten Dienstfreistellung auf den Urlaubsanspruch gem. § 10 des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG)
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 09.02.1999
- Aktenzeichen
- 13 Sa 825/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 18692
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1999:0209.13SA825.98.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Emden - 16.02.1998 - AZ: 1 Ca 329/97
Rechtsgrundlagen
- § 10 BUrlG
- § 37 BAT
- § 71 BAT
Amtlicher Leitsatz
§ 71 Abs. 1 BAT enthält für Rehabilitationsmaßnahmen eine eigenständige tarifliche Regelung, die eine Anrechnung von Urlaubstagen nach § 10 BUrlG ausschließt.
In dem Rechtsstreitverfahren
hat die 13. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 09.02.99
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Rosenkötter und
die ehrenamtlichen Richter Sinn und
Voigt
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Emden vom 16.02.1998, 1 Ca 329/97, wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte.
Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 1.804,93 DM festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Gewährung von 8 Urlaubstagen aus 1997 und macht geltend, dieser Urlaubsanspruch bestehe noch, weil der Beklagte zu Unrecht für eine 4-wöchige Rehabilitationsmaßnahme 8 Tage auf den Urlaub angerechnet habe gemäß § 10 BUrlG.
Der Kläger ist seit 1978 als Verwaltungsangestellter beim beklagten Landkreis beschäftigt, auf das Arbeitsverhältnis findet der Bundesangestellten-Tarifvertrag Anwendung. Vom 17.10.1996 bis zum 14.11.1996 nahm der Kläger an einer Rehabilitationsmaßnahme teil, Arbeitsunfähigkeit bestand während dieses Zeitraumes nicht.
Mit Schreiben vom 27.03.1997 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er wegen der Rehabilitationsmaßnahme den Urlaubsanspruch um 8 Tage kürze. Der Kläger gab das Original der Kurzmitteilung zurück mit folgendem Vermerk:
"Seinerzeit wurde mir mitgeteilt, dass für meine durchgeführte Kur kein Erholungsurlaub in Anspruch zu nehmen ist. Ich bitte um wohlwollende Prüfung."
Der Beklagte nahm mit April-Abrechnung (Bl. 13 d.A.) die Urlaubsanrechnung vor.
Der Kläger hatte aus 1996 noch 7 Tage Resturlaub, er hatte am 2. und 03.01.1997 und vom 1.4. bis 11.04.1997 insgesamt 11 Tage Erholungsurlaub.
Mit Klage aus Juni 1997 hat sich der Kläger gegen die Anrechnung auf den Erholungsurlaub gewandt, er hat geltend gemacht, nach § 37 BAT bestehe eine abweichende tarifvertragliche Regelung, die die Anrechnung auf den Urlaubsanspruch gemäß § 10 BUrlG nicht zulasse.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, ihm für das Jahr 1997 über die in der Lohnabrechnung von April 1997 anerkannten 18 Urlaubstagen weitere 8 Urlaubstage zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat die Auffassung vertreten, die Anrechnung gemäß § 10 BUrlG sei nicht durch den BAT ausgeschlossen.
Das Arbeitsgericht hat nach Klageantrag erkannt. Auf Tenor und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen.
Mit Berufung trägt der Beklagte vor, nachdem im März 1997 die Anrechnung auf den Urlaubsanspruch erklärt worden sei, habe der Kläger den Resturlaub aus 1996 nicht vor dem 30.04.1997 geltend gemacht. Der Resturlaub aus 1996 sei damit erloschen. Im übrigen wiederholt er seine Rechtsauffassung, dass die Anrechnungsmöglichkeit des § 10 BUrlG nach Tarifvertrag nicht ausgeschlossen sei. Ergänzend wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Emden vom 16.02.1998 - 1 Ca 329/97 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt nach Maßgabe der Berufungserwiderung das erstinstanzliche Urteil.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Beklagten ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 64, 66 ArbGG, 518, 519 ZPO. Die Berufung ist nicht begründet. Das Urteil des Arbeitsgerichts war zu bestätigen.
Der geltend gemachte Urlaubsanspruch ist nicht deshalb ganz oder teilweise unbegründet, weil Resturlaubsansprüche des Klägers aus 1996 mit Ablauf des Übertragungszeitraums 30.04.1997 (§ 47 Abs. 7 BAT) erloschen wären. Der Resturlaubsanspruch aus 1996 betrug 7 Tage, der Kläger hat für die Monate Januar bis April 1997 11 Tage Urlaub beantragt und erhalten. Resturlaubsansprüche aus 1996 können deshalb nicht mit Ablauf des Übertragungszeitraums erloschen sein, unabhängig von der Frage, ob eine Anrechnung gemäß § 10 BUrlG erfolgen durfte. Im übrigen hat der Beklagte erst mit Schreiben vom 27.03.1997 Anrechnung auf den Erholungsurlaub erklärt, der Kläger hat sich dagegen gewandt und um wohlwollende Prüfung gebeten, d. h. aber, er hat der Anrechnung im Ergebnis widersprochen und den Antrag auf Erteilung der 8 Tage Resturlaub geltend gemacht. Da zudem mit Klage aus Juni 1997 die Ausschlussfrist des § 70 BAT gewahrt ist, ist der hier geltend gemachte Urlaubsanspruch weder ganz noch teilweise zum 30.04.1997 erloschen oder nach § 70 BAT verfallen.
Die Frage, ob tarifvertragliche Regelungen der Anrechnung nach § 10 BUrlG entgegenstehen, ist Gegenstand zahlreicher zweitinstanzlicher Entscheidungen (z. B. LAG Brandenburg, ZTR 1998, S. 463; LAG Köln, LAGE § 10 BUrlG, Nr. 2 = ZTR 1998, S. 519; LAG Düsseldorf, LAGE § 10 BUrlG, Nr. 1; LAG Niedersachsen, Urteil vom 08.07.1998, 6 Sa 94/98). Beim 9. Senat des BAG sind zur Problematik - nach diesseitigem Kenntnisstand - bereits 8 Revisionsverfahren anhängig. Da auch vorliegend die Revision zuzulassen war, wird von einer umfassenden Darstellung des Streitstandes abgesehen. Für die Entscheidung der Kammer war Folgendes maßgebend.
Nach § 13 BUrlG kann von der Regelung des § 10 BUrlG durch Tarifvertrag abgewichen werden. Im übrigen stellt das Bundesurlaubs-Gesetz nur zwingende Mindestbedingungen auf, für den Arbeitnehmer günstigere Bedingungen durch Tarifvertrag sind in jedem Fall wirksam. Nach BAT sind Rehabilitationsmaßnahmen durch eigenständige tarifliche Regelung erfasst, die einer Anwendung des § 10 BUrlG entgegenstehen.
Da der Kläger bereits seit 1978 bei dem Beklagten beschäftigt ist, ist hier nicht maßgeblich abzustellen auf § 37 BAT, sondern auf die Übergangsregelung für die Zahlung von Krankenbezügen nach § 71 BAT, § 71 Abs. 1, Abs. 2 BAT gewährt gestaffelt nach Dienstzeit Krankenbezüge für die Dauer bis zu 26 Wochen. Die Regelung enthält abweichend von § 4 Entgeltfortzahlungs-Gesetz eine eigenständige tarifliche Entgeltregelung über 100 % Entgeltfortzahlung. In diese eigenständige Regelung über die Krankenbezüge ist auch über § 71 Abs. 1 Unterabsatz 2 die Rehabilitationsmaßnahme einbezogen. Die Gleichstellung von Arbeitsunfähigkeit und Rehabilitationsmaßnahme bewirkt nicht nur, dass die Entgeltkürzung nach § 4 Entgeltfortzahlungs-Gesetz nicht anwendbar war. Sie bewirkt vielmehr auch, dass Krankenbezüge bei Rehabilitationsmaßnahmen ebenso zu zahlen sind wie bei unverschuldeter Arbeitsunfähigkeit, also auch ohne Anrechnung auf Erholungsurlaub.
Für diese Auslegung spricht auch § 71 Abs. 2 Unterabsatz 3, wonach auf die Bezugsdauer für Krankenbezüge bis maximal 26 Wochen Rehabilitationsmaßnahmen bis zu höchstens 2 Wochen nicht angerechnet werden (ebenso für den Krankengeldzuschuss § 37 Abs. 4 Unterabsatz 3). Dass der BAT eine eigenständige und abschließende Regelung der Rehabilitationsmaßnahmen enthält, ist auch aus § 71 Abs. 3 Unterabsatz 2 zu entnehmen. Danach besteht, soweit der 6-Wochen-Zeitraum nach § 71 Abs. 2 Unterabsatz 1 ausgeschöpft ist, bei Rehabilitationsmaßnahmen nur Anspruch auf Krankengeldzuschuss. Insgesamt besteht damit eine umfangreiche tarifliche Regelung der Entgeltfortzahlung bei Rehabilitationsmaßnahmen mit der Zielsetzung der Gleichstellung mit Arbeitsunfähigkeit und Einbindung in das System der Ansprüche auf Krankenbezug. Diese für den Angestellten günstigere Regelung schließt die Anwendung des § 10 BUrlG aus.
Da die Berufung zurückzuweisen war, trägt der Beklagte die Kosten des Rechtsmittels (§ 97 ZPO). Die Revisionszulassung erfolgt gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG i. V. mit § 72 a Abs. 1 Nr. 2 ArbGG.
Streitwertbeschluss:
Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 1.804,93 DM festgesetzt.
Die Entscheidung über den Wert des Streitgegenstandes beruht auf § 3 ZPO.