Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 08.06.1999, Az.: 7 Sa 1419/98
Möglichkeit der Anfechtung eines Teils eines Prozeßvergleichs
Bibliographie
- Gericht
- LAG Niedersachsen
- Datum
- 08.06.1999
- Aktenzeichen
- 7 Sa 1419/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 17742
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LAGNI:1999:0608.7SA1419.98.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hameln - 05.05.1998 - AZ: 1 Ca 82/98
Fundstelle
- NZA-RR 2000, 63-65 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Ein Prozeßvergleich, in dem einerseits die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung und andererseits ein Schadenersatzanspruch des Arbeitgebers wegen einer Pflichtverletzung des Klägers geregelt wird, kann teilweise hinsichtlich der bezüglich des Schadensersatzanspruches getroffenen Regelung angefochten werden, wenn nach dem hypothetischen Parteiwillen davon ausgegangen werden kann, daß der nicht angefochtene Teil des Vergleichs auch ohne die angefochtene: Regelung vorgenommen sein würde.
In dem Rechtsstreit
hat die 7. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 08.06.1999
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht I und
die ehrenamtlichen Richter
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hameln vom 05.05.1998, 1 Ca 82/98. wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger berechtigt war, einen Prozeßvergleich teilweise wegen arglistiger Täuschung anzufechten, soweit die Beklagte nach dem Inhalt dieses Vergleichs wegen eines Schadenersatzanspruches für den Verlust einer Rüttelplatte 1.500,00 DM von dem Lohn des Klägers einbehalten durfte.
Der am 08. März 1945 geborene Kläger war seit dem 01. Mai 1996 bei der Firma Hüper-Bau GmbH, über deren Vermögen ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse zurückgewiesen worden war, und danach bei der Beklagten als Schachtmeister mit einem monatlichen Bruttoentgelt von 5.785,00 DM beschäftige.
Die Beklagte erwarb am 17. März 1997 eine gebrauchte Rüttelplatte Bomag, deren Wert sie mit 6.000,00 DM angibt. Diese Rüttelplatte wurde auf einer Baustelle der Beklagten eingesetzt, auf der der Kläger sowie die weiteren Mitarbeiter der Beklagten Andreas Büte, Ryszard Musial und Sascha Hüper eingesetzt waren.
Bei der Beklagten bestand eine Anweisung, nach der die auf einer Baustelle befindlichen Geräte über Nacht im Baucontainer oder im Kolonnenbulli zu verwahren sind. Die Firma Hüper Bau GmbH hatte durch Rundschreiben vom Dezember 1996 mitgeteilt, daß in Zukunft Schäden und Verluste, die durch eine Vernachlässigung bei der Verwahrung über Nacht entstehen, den verantwortlichen Kolonnen in voller Höhe berechnet werden.
Die im Streit stehende Rüttelplatte wurde am Abend des 19. März 1997 nicht in einem abgeschlossenen Raum verwahrt. Nach der Darstellung des Klägers war eine besondere Sicherung im Firmenbulli der Beklagten nicht möglich, da dieser bereits vollbeladen war, andere Sicherungsmöglichkeiten standen ebenfalls nicht zur Verfügung. Die Rüttelplatte wurde deshalb neben einem Baggerfahrzeug abgestellt. Am nächsten Morgen war die Rüttelplatte verschwunden.
Die Rüttelplatte war in der Nacht vom 19. auf den 20. März 1997 von der Firma Heitkamp & Hacker aus Minden zur Sicherung ihrer Forderungen gegen die sich im Konkurs befindliche Firma Hüpers-Bau GmbH in Besitz genommen worden. Die Beklagte wurde hierüber mit Schreiben vom 20. März 1997 informiert.
Mit Schreiben vom 14.04.1997 (Bl. 4 d.A.), das mit "Diebstahl Rüttelplatte Bomag BPR 50/55 D Fabr.-Nr. 101 690 003 154, Gerät Nr. 1712 in der Nacht vom 19.-20.03.1997" überschrieben ist, machte die Beklagte gegenüber dem Kläger die anteiligen Kosten in Höhe von 1.500,00 DM pro Mitarbeiter geltend. Ein Einbehalt in Höhe von 500,00 DM erfolgte dann jeweils am 15. April und 15. Mai 1997 für die Monate März und April 1997. Gegen diesen Einbehalt wandte sich der Kläger mit seiner am 27. Mai 1997 bei dem Arbeitsgericht eingegangenen Klage.
Mit Schreiben vom 30. Juni 1997 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 14. Juli 1997. Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage am 03. Juli 1997 vor dem Arbeitsgericht Hameln, 1 Ca 392/97.
In dem Zahlungsverfahren schlossen die Parteien dann am 18. September 1997 folgenden Vergleich:
"Die Parteien sind sich darüber einig, daß ihr Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 30.06.97 fristgemäß am 14.07.97 beendet worden ist.
Die Beklagte zahlt an den Kläger eine Abfindung im Sinne der §§ 9, 10 KSchG in Höhe von 3.000,00 DM.
Die Lohnzahlung erfolgt für die Zeit bis zum 14.07.97. Die Beklagte darf wegen ihres angegebenen Schadenersatzanspruchs höchstens 1.500,00 DM vom Lohn einbehalten; die bereits einbehaltenen Beträge sind hierin enthalten.
Mit dieser Regelung wird zugleich der Rechtsstreit mit dem Aktenzeichen 1 Ca 392/97 abgeschlossen.
Die Beklagte übersendet dem Kläger dessen Lohnsteuerkarte 1997, dessen Lohnnachweiskarte für das Baugewerbe und dessen Sozialversicherungsnachweisheft."
Mit Schriftsatz vom 26. Januar 1998 (Bl. 26-29 d.A.) erklärte der Kläger die teilweise Anfechtung des abgeschlossenen Vergleichs wegen arglistiger Täuschung, nachdem er Kenntnis davon erlangt hatte, daß die Beklagte bei der Geltendmachung des Schadensersatzanspruches am 14. April 1997 bereits Kenntnis davon gehabt hatte, wer die Rüttelplatte weggenommen hatte.
Das Arbeitsgericht hat durch ein den Parteien am 26. Mai 1998 zugestelltes Urteil vom 05. Mai 1998, auf dessen Inhalt zur näheren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes und dessen Würdigung durch das Arbeitsgericht Bezug genommen wird (Bl. 47-52 d.A.), festgestellt, daß der Rechtsstreit durch den Vergleich vom 18.09.1997 nicht beendet ist, und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.500,00 DM netto nebst Zinsen zu zahlen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei zur Anfechtung berechtigt gewesen. Die Beklagte habe ihn dadurch, daß sie ihn über das Abhandenkommen der Rüttelplatte nicht vollständig unterrichtet habe, arglistig getäuscht. Die Beklagte sei nämlich nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verpflichtet gewesen, dem Kläger nicht nur den Diebstahl der Rüttelplatte mitzuteilen, sondern auch die weitere Tatsache, daß sie die Nachricht erhalten habe, daß die Firma Heitkamp & Hacker die Rüttelplatte zur Sicherung einer Forderung entwendet habe. Ohne diese zusätzliche Erklärung sei der Eindruck erweckt worden, die Rüttelplatte sei infolge eines Diebstahls verschwunden und die Beklagte habe den endgültigen Verlust des Gerätes als Schaden erlitten. Die Täuschung durch das Verschweigen dieses wichtigen Teils des Sachverhaltes sei arglistig. Der Kläger könne mithin den einbehaltenen Lohn in Höhe von insgesamt 1.500,00 DM beanspruchen. Eine Schadensersatzforderung, mit der die Beklagte aufrechnen könne, sei nicht gegeben, da die Beklagte nicht dargelegt habe, welche Vertragspflicht der Kläger verletzt habe und welcher Schaden ihr dadurch entstanden sei.
Hiergegen richtet sich die am 26. Juni 1998 eingelegte und am Montag, dem 27. Juli 1998 begründete Berufung der Beklagten, die sich zwischenzeitlich in Liquidation befindet, nachdem ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens mangels Masse zurückgewiesen worden ist.
Die Beklagte ist der Auffassung, sie habe den Kläger nicht arglistig getäuscht. Der Kläger habe gegen seine Verpflichtung verstossen, die im Streit stehende Rüttelplatte nach Arbeitsschluß sicher zu verwahren. Wenn eine Sicherungsmöglichkeit auf der Baustelle tatsächlich nicht vorhanden gewesen sei, hätte der Kläger sich gegebenenfalls telefonisch mit der Geschäfts- bzw. Bauleitung der Beklagten in Verbindung setzen müssen, um sich über anderweitige Sicherungsmöglichkeiten abzustimmen. Keinesfalls habe er die Rüttelplatte einfach unbeaufsichtigt und unverschlossen auf der Baustelle zurücklassen dürfen.
Durch das Fehlverhalten des Klägers sei ihr ein Schaden in Höhe von 6.000,00 DM entstanden. Der Firma Heitkamp & Hacker habe kein zu sichernder Anspruch gegen die Beklagte zugestanden. Die Rüttelplatte habe sie bislang nicht zurückerhalten. Da sie dringend auf das Gerät im täglichen Einsatz angewiesen sei, habe sie zwischenzeitlich eine Ersatz-Rüttelplatte zum Preis von 19.000,00 DM angeschafft. Im übrigen würden der Nutzungsausfall und die Rechtsverfolgungskosten für die Wiedererlangung der Rüttelplatte weit mehr als den Zeitwert der Rüttelplatte ausmachen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Hameln vom 05. Mai 1998, 1 Ca 82/98, abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe des Schriftsatzes seiner Prozeßbevollmächtigten vom 15. Oktober 1998 (Bl. 74-78 d.A.).
Gründe
Die Berufung der Beklagten ist statthaft, sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und damit insgesamt zulässig, §§ 518, 519 ZPO, 64, 66 ArbGG.
Sie ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht nämlich die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.500,00 DM netto nebst Zinsen zu zahlen.
Dieser Zahlungsverpflichtung steht der von den Parteien am 18. September 1997 abgeschlossene Prozeßvergleich nicht entgegen. Dieser ist nämlich, soweit er eine Regelung über den im Streit stehenden Schadensersatzanspruch der Beklagten enthält, wirksam von dem Kläger angefochten worden.
Mit Schriftsatz vom 26. Januar 1998 hat der Kläger nicht den gesamten Prozeßvergleich vom 18. September 1997 angefochten, sondern ausdrücklich lediglich die Regelung, nach der die Beklagte wegen eines angegebenen Schadensersatzanspruches höchstens 1.500,00 DM von dem Gehaltsanspruch des Klägers einbehalten darf. Diese Teilanfechtung war vorliegend zulässig und führte zur Unwirksamkeit der im Streit stehenden Regelung.
In Rechtsprechung und Literatur ist anerkannt, daß ein einheitliches Rechtsgeschäft auch lediglich teilweise angefochten werden kann, wenn dieses teilbar ist. Erforderlich ist mithin, daß der nach Wegfall des angefochtenen Teils verbleibende Rest bei objektiver, vom Willen der Beteiligten absehender Betrachtung als selbständiges, unabhängig von den anderen Teilen bestehendes Rechtsgeschäft denkbar ist (BGH vom 05.04.1973 II ZR 45/71, LM HGB § 119 Nr. 10). Ist dies der Fall, ist entsprechend den in § 139 BGB festgelegten Grundsätzen zu prüfen, ob sich aus dem hypothetischen Parteiwillen ergibt, daß die übrigen rechtsgeschäftlichen Regelungen aufrechterhalten werden sollen (BGH LM § 139 Nr. 43; RGZ 70, 391, 395; MK-Meyer-Maly, § 143 BGB, Rdz. 11; Palandt-Heinrichs, 57. Aufl., § 142 Rdz. 1).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Der von den Parteien am 18. September 1997 abgeschlossene Prozeßvergleich regelt zwei verschiedene Streitgegenstände, die objektiv unabhängig voneinander sind. Zum einen wurde eine Einigung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung erzielt. Zum anderen wurde die Berechtigung der Beklagten geregelt, von dem Lohnanspruch des Klägers wegen der angegebenen Schadensersatzansprüche 1.500,00 DM einzubehalten. Durch den in dem Zahlungsprozeß geschlossenen Vergleich wurde gleichzeitig das ebenfalls anhängige Kündigungsschutzverfahren miterledigt, ohne daß hierfür eine zwingende Notwendigkeit bestanden hat.
Entscheidend für die Möglichkeit der Teilanfechtung ist deshalb die Frage, ob die Parteien den Vergleich auch ohne den angefochtenen Teil abgeschlossen hätten. Es kommt also auf den hypothetischen Parteiwillen an, bei dessen Bestimmung zu berücksichtigen ist, welche Regelung die Parteien bei vernünftiger Abwägung der in Betracht kommenden Verhältnisse und Interessen getroffen hätten.
Der Inhalt des von den Parteien abgeschlossenen Vergleichs läßt bereits den Schluß zu, daß die Parteien die Frage der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unabhängig von dem Streit über die Berechtigung des von der Beklagten geltend gemachten Schadenersatzanspruches regeln wollten. Die Parteien hatten nämlich zunächst einen Widerrufsvergleich abgeschlossen, der eine Abfindungszahlung in Höhe von 1.750,00 DM vorsah. Dieser Vergleich war von dem Kläger widerrufen worden mit der Begründung, die Beklagte habe für die Position des Klägers in der Zwischenzeit eine Ersatzeinstellung vorgenommen. Ohne daß weiterer gerichtlicher Schriftwechsel in der Folgezeit erfolgte, kam es dann in der Kammerverhandlung zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer erhöhten Abfindung von 3.000,00 DM. Angesichts einer Betriebszugehörigkeit des Klägers von etwas mehr als einem Jahr hält sich diese Abfindungsregelung im Rahmen dessen, was als sogenannte Regelabfindung vor den Arbeitsgerichten in der Regel Ausgangspunkt der Vergleichs Verhandlungen ist.
Den vorliegend im Streit stehenden Schadenersatzanspruch haben die Parteien nicht im Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung geregelt, sondern im Rahmen der Regelung über die Lohnzahlung bis zum 14. Juli 1997. Die Beklagte war hiernach berechtigt, von dem Lohn des Klägers einen Betrag von höchstens 1.500,00 DM einzubehalten. Diese Trennung spricht dafür, daß die Parteien die Vereinbarung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch unabhängig von der Regelung über den Schadenersatzanspruch getroffen hätten.
Für die Richtigkeit dieser Annahme spricht auch das tatsächliche Verhalten der Parteien in der Folgezeit. Der Kläger hat mit dem Schriftsatz seiner Prozeßbevollmächtigten vom 26. Januar 1998 ausdrücklich ausgeführt, daß die Regelung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung von 3.000,00 DM nicht beanstandet werden sollte. Hiergegen hat sich die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit zu keinem Zeitpunkt gewandt.
Auch eine objektive Bewertung unter Abwägung der in Betracht kommenden Verhältnisse und Interessen führt zu keinem abweichenden Ergebnis. Es lag im objektiven Interesse beider Parteien, im Hinblick auf den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses eine rasche Regelung zu treffen. Für die Beklagte war dies von Bedeutung, da sie sonst befürchten mußte, im Falle des Unterliegens Annahmeverzugsansprüche des Klägers erfüllen zu müssen. Auch der Kläger hatte ein berechtigtes Interesse daran, möglichst bald zu erfahren, ob eine Weiterbeschäftigung bei der Beklagten möglich war oder er sich einen anderweitigen Arbeitsplatz suchen mußte. Es ist deshalb sachgerecht, die Frage der Beendigung des Arbeitsverhältnisses unabhängig davon zu sehen, ob die gleichzeitig getroffene Regelung über den Schadensersatzanspruch Bestand hat.
Es liegen objektiv auch keine Anhaltspunkte dafür vor, daß die Parteien die getroffene Abfindungsvereinbarung nicht ohne die Regelung über den Schadensersatz getroffen hätte. Vielmehr hätte die Beklagte sich redlicherweise nicht auf den geltend gemachten Schadensersatzanspruch beziehen können, wenn sie den wahren Sachverhalt, der zu dem Abhandenkommen der Rüttelplatte geführt hat, dem Kläger offengelegt hätte. Dann wäre nämlich für den Kläger erkennbar gewesen, daß sein Verschulden an dem eingetretenen Schaden letztendlich nur sehr gering ist, wie später noch auszuführen sein wird, so daß die Beklagte nicht den gesamten Schaden hätte geltend machen dürfen. Die Beklagte durfte deshalb unter Berücksichtigung von Treu und Glauben nicht Schadensersatz in voller Höhe von ihren Mitarbeitern verlangen. Sie hätte deshalb auch nicht darauf bestehen dürfen, daß der Kläger sich in dem Vergleich mit dem Einbehalt von insgesamt 1.500,00 DM einverstanden erklärt. Denn was Treu und Glauben fordern, ist auch als hypothetischer Parteiwille anzusehen.
Zu Recht ist das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangt, daß die erfolgte Anfechtung des Klägers nach den §§ 123, 143 BGB zu einer teilweisen Unwirksamkeit des Prozeßvergleichs geführt hat. Die Beklagte hat nämlich in der Tat den Kläger dadurch arglistig getäuscht, daß sie ihm den vollständigen Sachverhalt, der zu dem Abhandenkommen der Rüttelplatte geführt hat, nicht offengelegt hat.
Durch das Schreiben vom 14. April 1997 (Bl. 4 d.A.) hat die Beklagte objektiv den Eindruck erweckt, die im Streit stehende Rüttelplatte sei in der Nacht vom 19. auf den 20. März 1997 gestohlen worden. Anders kann die Überschrift dieses Schreibens nicht aufgefaßt werden. Es wurde dadurch der Eindruck erweckt, die Rüttelplatte sei verschwunden und die Beklagte wisse auch nicht, wo sie sich befindet. Dies war objektiv falsch. Tatsächlich hat die Beklagte bereits mit Schreiben vom 20. März 1997 Kenntnis davon erhalten, daß die Firma Heitkamp & Hacker aus Minden die Rüttelplatte an sich genommen hatte. Die Beklagte wußte also, wo sich die Rüttelplatte befand, sie hatte damit auch objektiv die Möglichkeit, ihre Besitzansprüche an dieser Rüttelplatte notfalls unter Zuhilfenahme der Gerichte durchzusetzen. Dies hätte sie dem Kläger nach den Grundsätzen von Treu und Glauben offenbaren müssen. Dies ergibt sich bereits aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber seinen Arbeitnehmern. Denn nur bei vollständiger Kenntnis des wahren Sachverhaltes kann der Arbeitnehmer erkennen, ob überhaupt und gegebenenfalls in welchem Umfange, er für den durch das Abhandenkommen der Rüttelplatte entstandenen Schaden in Anspruch genommen werden kann.
Soweit die Beklagte erstmalig in der mündlichen Verhandlung vom 08. Juni 1999 eingewandt hat, sie habe im Zeitpunkt der Abfassung des Schreibens vom 14. April 1997 tatsächlich nicht gewußt, wo sich die Rüttelplatte befand, war dieser Vortrag als verspätet zurückzuweisen. Nach dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils, der gemäß § 314 ZPO Beweis für das mündliche Parteivorbringen liefert, hat die Beklagte bereits mit Schreiben vom 20. März 1997 Kenntnis davon erhalten, daß die Firma Heitkamp & Hacker die Rüttelplatte an sich genommen hatte. Abweichender Sachvortrag erfolgte durch die Beklagte auch nicht im Rahmen der Berufungsbegründung, wie dies § 67 Abs. 2 ArbGG verlangt. Eine Zulassung des neuen Parteivorbringens hätte dazu geführt, daß sich die Erledigung des Rechtsstreits verzögert hätte. Es wäre nämlich ein weiterer Termin zur Aufklärung dieses Sachverhaltes erforderlich geworden. Anhaltspunkte dafür, daß der verspätete Vortrag der Beklagten unverschuldet war, liegen nicht vor.
Der Kläger hat gegen die Beklagte für die Monate März, April und Mai 1997 noch einen Zahlungsanspruch in Höhe von insgesamt 1.500,00 DM netto gemäß § 611 BGB. Der Beklagten steht nämlich kein aufrechenbarer Schadensersatzanspruch gegen den Kläger in dieser Höhe zu.
Der Kläger hat grundsätzlich gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten dadurch verstoßen, daß er die im Streit stehende Rüttelplatte am Abend des 19. März 1997 auf der Baustelle gelassen hat, ohne für eine sichere Verwahrung zu sorgen. Nur dadurch war es Dritten möglich, die Rüttelplatte an sich zu nehmen. Der Kläger ist deshalb nach den Grundsätzen der positiven Forderungsverletzung (pFV) dazu verpflichtet, den durch diese Pflichtverletzung entstandenen Schaden zu ersetzen.
Die Beklagte hat jedoch im vorliegenden Verfahren nicht hinreichend konkret dargelegt, daß ihr tatsächlich durch das Verhalten des Klägers ein Schaden in Höhe von 6.000,00 DM entstanden ist. Sie hat nämlich im vorliegenden Rechtsstreit als Schaden den Betrag geltend gemacht, zu dem sie die Rüttelplatte erworben hatte. Das Arbeitsgericht hat allerdings bereits zu Recht darauf hingewiesen, daß angesichts des Umstandes, daß die Beklagte wußte, wo sich die Rüttelplatte befand, sich der Schaden nicht nach dem objektiven Wert der Rüttelplatte im Zeitpunkt des Verlustes bemißt. Maßgeblich ist vielmehr der zeitweilige Nutzungsausfall. Die Beklagte hätte deshalb, wenn ihr bereits mit Schreiben vom 20. März 1997 der Verbleib der Rüttelplatte mitgeteilt worden ist, im einzelnen darlegen müssen, aus welchen Gründen es ihr nicht möglich war, den Besitz der Rüttelplatte unmittelbar wieder von der Firma Heitkamp & Hacker zurückzuerlangen. Zudem fehlen Ausführungen dazu, welcher konkreter Nutzungsausfallschaden bei der Beklagten entstanden ist. Unter diesen Umständen kann nicht festgestellt werden, daß das Fehlverhalten des Klägers allein kausal für den bei der Beklagten entstandenen Schaden geworden ist.
Hinzu kommt, daß nach der Entscheidung des Großen Senats des BAG vom 27.09.1994 (AP Nr. 103 zu § 611 BGB Haftung des Arbeitnehmers) die Grundsätze über die Beschränkung der Arbeitnehmerhaftung auf alle Arbeiten Anwendung finden, die durch den Betrieb veranlaßt sind und aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden. Dies beinhaltet, daß bei grober Fahrlässigkeit der Arbeitnehmer in aller Regel den gesamten Schaden zu tragen hat, bei leichtester Fahrlässigkeit haftet er dagegen nicht, während bei normaler Fahrlässigkeit der Schaden in aller Regel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer quotal zu verteilen ist. Ob und ggf. in welchem Umfang der Arbeitnehmer an den Schadens folgen zu beteiligen ist, richtet sich im Rahmen einer Abwägung der Gesamtumstände, insbesondere von Schadensanlaß und Schadens folgen nach Billigkeits- und Zumutbarkeitsgesichtspunkten.
Eine derartige Abwägung der Gesamtumstände führt vorliegend zu dem Ergebnis, daß eine Haftung des Klägers nicht gegeben ist. Die Besonderheit des vorliegenden Falles liegt nämlich darin, daß die Beklagte bereits unmittelbar nach Feststellung des Abhandenkommens der Rüttelplatte wußte, wo sich diese befindet. Bevor sie sich wegen des durch die widerrechtliche Wegnahme entstandenen Schadens an ihren Arbeitnehmern schadlos hält, ist sie deshalb grundsätzlich gehalten, alle zumutbaren Anstrengungen zu unternehmen, um wieder in den Besitz der Rüttelplatte zu kommen. Wenn die Firma Heitkamp & Hacker tatsächlich, wie die Beklagte vorträgt, nicht berechtigt war, die Rüttelplatte an sich zu nehmen, steht der Beklagten gegen diese Firma ein entsprechender Schadensersatzanspruch zu. Daß dieser nicht realisierbar ist, ist von der Beklagten nicht dargelegt worden. Unter diesen Umständen tritt das Verschulden des Klägers an dem eingetretenen tatsächlichen Schaden so weit zurück, daß seine Haftung insgesamt entfällt.
Die Berufung der Beklagten war deshalb mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen.
Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Gegen dieses Urteil ist deshalb ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird hingewiesen.