Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.01.1999, Az.: 16 Sa 1042/98

Verpflichtung zur Zahlung eines Überbrückungsgeldes aufgrund einer Auflösungsvereinbarung sowie über Schadensersatz; Bemessung einer Überbrückungszahlung; Nichtigkeit von privatrechtliche Vereinbarungen, die zum Nachteil des Sozialleistungsberechtigten von Vorschriften dieses Gesetzbuches abweichen; Rechtsfolgen bei einer Arbeitslosengeldmeldung

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
20.01.1999
Aktenzeichen
16 Sa 1042/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 10687
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LAGNI:1999:0120.16SA1042.98.0A

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hannover - 18.02.1998 - AZ: 9 Ca 330/97

Fundstelle

  • AuA 1999, 525

hat die 16. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen
auf die mündliche Verhandlung vom 20.01.1999
durch
den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Hannes und
die ehrenamtlichen Richter Neve und Plate
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 18.02.1998, az. 9 Ca. 330/97 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

1

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung eines Überbrückungsgeldes aufgrund einer Auflösungsvereinbarung sowie über Schadensersatz.

2

Der am 13.09.1936 geborene Kläger war bei der Beklagten insgesamt mehr als 30 Jahre bis zum 31.12.1993 beschäftigt. Sein Bruttomonatsgehalt betrug zuletzt 12.200,00 DM.

3

Unter dem Datum des 06. 05. /11.05.1993 schlössen die Parteien eine Auflösungsvereinbarung bezüglich des Arbeitsverhältnisses, nach der das Arbeitsverhältnis auf Veranlassung der Beklagten einvernehmlich zum 31.12.1993 aufgelöst wird, dem Kläger für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung in Höhe von 114.830,00 DM zugestanden wird sowie weitere Regelungen zum Gegenstand der Auflösungsvereinbarung gemacht werden. Wegen des Inhalts der Auflösungsvereinbarung wird auf diese (Bl. 4 d. A. ) verwiesen.

4

Insbesondere haben die Parteien ein Merkblatt zum Gegenstand des Auflösungsvertrages gemacht betreffend den gleitenden Ruhestand 1993 ab Alter 55 - 59 mit Datum vom 23.03.1993. Hiernach ist vereinbart, dass u.a. die vom Kläger gewählte Variante des Ausscheidens möglich ist, nach der er aus dem Arbeitsverhältnis bei der Beklagten ausscheidet und damit erhält die Rente monatlich, den Abfindungsbetrag (einmalig), gegebenenfalls einen Zuschuss zur Krankenversicherung maximal bis Alter 63, sowie die Überbrückungszahlung ab Alter 60 - 63. Bezüglich der Überbrückungszahlung ist unter C 2 des Merkblattes vereinbart, dass die Überbrückungszahlung bei Angebotsannahme frühestens ab dem 01. des Folgemonats nach Vollendung des 60. Lebensjahres, längstens jedoch bis zum Ende des Monats der Vollendung des 63. Lebensjahres gezahlt wird, wobei Voraussetzung ist, dass die Beschäftigung mit der beendet wurde. Weiter ist insoweit vereinbart, dass die Überbrückungszahlung so bemessen ist, dass der Mitarbeiter einschließlich der Rente als Gesamtbezüge 64% der Bemessungsgrundlage erhält, wobei die Bemessungsgrundlage beim Kläger 12.209,08 DM betrug. Unter Buchstabe E sind Regelungen vorhanden für den Fall des Bezuges von Arbeitslosenleistungen. Unter E 4 ist folgendes vereinbart:

4.

Ersatzansprüche des Arbeitsamtes an IBM

Sofern das Arbeitsamt von der Ersatzansprüche entsprechend dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) für:

  • Arbeitslosengeld,
  • Arbeitslosenhilfe,
  • Krankenversicherungsbeiträge,
  • Rentenversicherungsbeiträge bzw. Beitragszuschuß zur befreienden Lebensversicherung

fordert, so muß die die geforderten Ersatzansprüche an das Arbeitsamt erstatten. Die (…) wird dann diese Ersatzansprüche vom ehemaligen Mitarbeiter wie folgt zurückfordern:

4.1
Ermittlung der Rückforderung:

Die Summe aller Ersatzansprüche wird durch die Anzahl Monate der Laufzeit der Überbrückungszahlung (maximal 36 Monate) geteilt. Wird während der Laufzeit der Überbrückungszahlung Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bezogen, so wird der Ersatzanspruch durch die Anzahl der Monate vom Ende der Arbeitslosenleistung bis zum Ende der Überbrückungszahlung geteilt. Der so ermittelte Betrag ist die monatliche Rückforderung (nachstehend Rückforderung genannt).

4.2
Kürzung der Überbrückungszahlung:

Die monatliche Überbrückungszahlung (nachstehend Überbrückungszahlung genannt) wird um die Rückforderung gekürzt.

Besteht ein Anspruch auf Rentenzahlung aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder der befreienden Lebensversicherung entsprechend Ziffer C. Punkt 2. 5 und 2. 6, so gilt folgende Regelung:

  • Ist die monatliche Rentenzahlung höher als die Rückforderung, so wird die Überbrückungszahlung um den Betrag der monatlichen Rentenzahlung ggf. auch rückwirkend gekürzt.
  • Ist die Rückforderung höher als die monatliche Rentenzahlung, so wird die Überbrückungszahlung ggf. auch rückwirkend um den Betrag der Rückforderung gekürzt.

4.3
Die erdiente Rente bleibt davon unberührt.

Einige unverbindliche Beispiele finden Sie unter Ziffer H. Punkt 2.

5

Unter Buchstabe H sind sodann weitere Informationen gegeben bezüglich der steuerlichen Situation und insbesondere der Arbeitslosenmeldung und des Bezuges von Arbeitslosengeld. Wegen des Inhalts des Merkblattes im einzelnen wird auf dieses (Bl. 5-46 d. A. ) verwiesen.

6

Der Kläger erhielt ab 26.03.1994 bis 09.09.1996 Arbeitslosengeld. Ab Vollendung des 60. Lebensjahres im September 1996 erhielt der Kläger die Überbrückungszahlung der Beklagten gemäß C 2 des Merkblattes. Aufgrund der Bemessungsgrundlage und unter Berücksichtigung der --Rente in Höhe von 4.666,00 DM erhielt er die Überbrückungszahlung bis April 1997 in Höhe von 3. 148. --DM. Für Mai und Juni 1997 zahlte die Beklagte lediglich eine Überbrückungszahlung in Höhe von 220,05 DM. Ab Juli 1997 betrug die Rente 4.900,00 DM, so dass ab diesem Monat seitens der Beklagten keine Überbrückungszahlung mehr erfolgte.

7

Im Juli 1994 erfolgte durch das Arbeitsamt eine Anhörung der Beklagten wegen eines Erstattungsanspruches bezüglich des Arbeitslosengeldes. Hierüber wurde der Kläger nicht informiert. Mit Bescheid vom 26.08.1994 erfolgte eine Rückforderung über Teile des Arbeitslosengeldes mit der Feststellung, dass es keine Umstände gebe, die Erstattungspflicht gegenüber dem Arbeitsamt auszuschließen. Der Kläger erhielt am 06.12.1996 erstmals telefonisch eine Nachricht der Beklagten, dass die Beklagte die an den Kläger gezahlten Arbeitslosengelder an die Bundesanstalt für Arbeit (BfA) zu erstatten habe und die Erstattungsbeträge mit der Überbrückungszahlung verrechnet würden. Durch Bescheide des Arbeitsamtes Hannover vom 19.12.1996 wurde unter Bezugnahme auf eine Entscheidung über die Erstattungspflicht vom 26.08.1994 gezahltes Arbeitslosengeld, Beiträge zur Krankenversicherung, Beiträge zur Rentenversicherung sowie Beiträge zur sozialen Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 84.910,54 DM als Erstattungsbetrag festgestellt. Diese Beträge hat die Beklagte an das Arbeitsamt Hannover gezahlt, jedoch gegen diese Bescheide Widerspruch eingelegt und letztlich Klage vor dem Sozialgericht Stuttgart erhoben. Ein Urteil des Sozialgerichtes Stuttgart lag im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung insoweit nicht vor.

8

Wegen des Inhalts der Erstattungsbescheide wird auf diese (Bl. 48/49 d. A. ) verwiesen.

9

Mit Schreiben der Beklagten vom 10.01.1997 wurden die Abrechnungsbescheide dem Kläger in Kopie übersandt und dem Kläger zwei Alternativen bezüglich der Rückforderung vorgeschlagen. Mit Schreiben vom 07.04.1997 teilte die Beklagte sodann dem Kläger mit, dass sie ab April 1997 mit der Rückforderung des Arbeitslosengeldes beginnen werde, wodurch sich die Überbrückungszahlung auf 220,05 DM entsprechend den Regelungen des Merkblattes reduziere (Bl. 47/50 d. A. ).

10

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass die Beklagte ihm auch ab Mai 1997 bis Februar 1998 die Überbrückungszahlung schulde. Die Vereinbarung E 4 gemäß der Vorruhestandsregelung sei gemäß § 32 SGB I nichtig. Wenn ein in einem Aufhebungsvertrag erklärter Verzicht auf das Arbeitslosengeld nichtig sei ohne Rücksicht auf den Eintritt eines konkreten Nachteiles, so sei auch eine Regelung nichtig, dass Regressansprüche in beträchtlicher Höher in Aussicht gestellt würden, wenn der Kläger einen Anspruch auf Arbeitslosengeld stelle. Auch insoweit werde das Risiko der Erstattung nach § 128 AFG auf den Arbeitnehmer abgewälzt.

11

Der Kläger habe darauf vertraut, dass er zumindest eine Zahlung in Höhe von 64% der Bemessungsgrundlage unter Einbeziehung der Rente erhalte. Dieses sei nunmehr nicht mehr der Fall. Er erleide insbesondere dadurch einen Schaden, dass er nicht nur das tatsächlich erhaltene Arbeitslosengeld zurückzahlen müsse, sondern auch den vollen Beitrag zur Krankenversicherung, Rentenversicherung und Pflegeversicherung, wobei er auch den Arbeitgeberanteil allein aufbringen müsse. Hierbei handele es sich um einen Verstoß gegen die Regelungen des SGB, dass der Kläger diese Beträge nur zur Hälfte zu zahlen habe.

12

Im übrigen habe die Beklagte stets darauf hingewiesen, dass keine Rückforderung zu erwarten sei. Es sei insoweit eine mündliche Zusage der Beklagten erfolgt, dass mit Rückforderungen nicht zu rechnen sei.

13

Ein Schaden des Klägers ergebe sich insbesondere aber auch daraus, dass die Beklagte den Kläger nicht darüber informiert habe, dass das Arbeitsamt den Rückforderungsanspruch geltend mache, obwohl sie dieses bereits im Sommer 1994 gewusst habe. Bei einer Mitteilung an den Kläger erst im Dezember 1996 habe er den Schaden nicht mehr abwenden können, denn er hätte auf das Arbeitslosengeld verzichtet und hätte dann ein höheres Einkommen gehabt, als er jetzt tatsächlich bekommen habe, da die Beklagte auf der anderen Seite einen Zuschuss zur Krankenversicherung gezahlt hätte. Insoweit sei ein Schaden von ca. 8.500,00 DM beim Kläger entstanden.

14

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 29.167,90 DM nebst 4% Zinsen seit dem 10.02.1998 zu zahlen.

15

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

16

Sie hat die Auffassung vertreten, die Vorruhestandsregelung verstoße nicht gegen § 32 SGB I. Der Kläger habe sich im Auflösungsvertrag nicht verpflichtet, keinen Arbeitslosengeldantrag zu stellen. Die Vereinbarung sei wirksam, weil in der Abfindung und Überbrückungszahlung die Ersatzleistung für das Arbeitslosengeld enthalten sei und der Arbeitgeber nach der dem § 128 AFG zugrunde liegenden Wertentscheidung die finanziellen Lasten aus der Arbeitslosigkeit tragen solle. Demgegenüber entspreche es nicht der gesetzgeberischen Intention, das Einkommen des Arbeitnehmers durch den gleichzeitigen Bezug von Arbeitslosengeld auf ein Niveau zu erhöhen, das oberhalb des letzten Gehaltes des Arbeitnehmers anzusiedeln sei.

17

Tatsächlich habe der Kläger im Rahmen seiner Arbeitslosigkeit tatsächlich Krankenversicherungsschutz und eine Anrechnung für seine Rentenversicherung erhalten.

18

Der Kläger habe auch durch die Verrechnungsregelung keinen wirtschaftlichen Schaden erlitten. Er erhalte dieselben Leistungen, als hätte er keinen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt.

19

Der Kläger sei auch unter den Buchstaben E und H deutlich auf die Folgen des Antrages auf Arbeitslosengeld hingewiesen worden, so dass die Beklagte eine Verpflichtung aus dem ehemals bestehenden Arbeitsverhältnis nicht verletzt habe. Die Beklagte sei insoweit frei, ihre Leistungen gemäß der Vorruhestandsregelung nur unter bestimmten Voraussetzungen anzubieten. Diese Rechte und Pflichten habe der Kläger in vollem Umfange akzeptiert. Dem Kläger sei auch sehr genau bewusst gewesen, dass mit einer etwaigen Rückforderung zu rechnen gewesen sei, da er am 26.11.1993 einen Antrag auf Stundung einer etwaigen Rückforderung nach § 128 AFG gestellt habe.

20

Durch Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 18.02.1998 wurde die Klage abgewiesen, die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt und der Streitwert auf 29.167,90 DM festgesetzt. Wegen des Inhalts des erstinstanzlichen Urteiles wird auf dieses (Bl. 95 - 114 d. A. ) verwiesen. Das erstinstanzliche Urteil wurde dem Kläger am 09.04.1998 zugestellt. Hiergegen legte er am 06.05.1998 Berufung ein und begründete diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 08.07.1998 am 07.07.1998.

21

Zur Begründung der Berufung trägt der Kläger vor, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichtes sei von einer Nichtigkeit der Regelung bezüglich der Erstattung des Arbeitslosengeldes nach § 32 SGB I auszugehen. Die Entscheidung, ob sozialrechtliche Ansprüche in Anspruch genommen werden, werde durch die privatrechtliche Vereinbarung des Auflösungsvertrages beeinflusst. Hiermit werde zu verhindern gesucht, dass der Kläger seine sozialrechtliche Position auch tatsächlich wahrnehme, da entsprechende Konsequenzen bezüglich der Rückzahlung angedroht werden. Sinn der Regelung des § 32 SGB I sei u.a., das wirtschaftliche Risiko beim Arbeitgeber zu belassen. Durch die Regelung werde dieses aber dem Arbeitnehmer auferlegt.

22

Zudem liege ein Verstoß gegen §§ 138, 242 BGB im Rahmen eines widersprüchlichen Verhaltens der Beklagten vor. Die Beklagte habe dem Kläger in vielfältiger Form Hinweise gegeben, dass eine Verrechnungsmöglichkeit nicht gegeben sei. Der Kläger habe sich nicht weiter informieren müssen über die Rechtslage, da zum Zeitpunkt des Abschlusses des Aufhebungsvertrages erhebliche Rechtsunsicherheit bezüglich der Regelung bestanden habe. Die Hinweise im Merkblatt seien nur allgemein gehalten und nicht geeignet, der Verpflichtung der Beklagten zu genügen, den Kläger über die Folgen des Auflösungsvertrages aufzuklären.

23

Insbesondere aber hätte die Beklagte den Kläger über den Eingang des Anhörungsschreibens vom 08.07.1994 informieren müssen. Der Kläger hätte insoweit anders gehandelt, wenn er über die Rückzahlungsverpflichtung informiert worden wäre. Er hätte dann seinen Arbeitslosengeldbezug zum 13.09.1994 beenden können. Auf diese Weise sei ein Schaden in Höhe von 8.388,81 DM entstanden. Insoweit wird auf die Aufstellung des Klägers als Anlage zur Berufungsschrift (Bl. 140 d. A. ) verwiesen. Der Schaden sei insbesondere dadurch entstanden, dass er zu 100% die Beiträge zur Krankenversicherung zu erstatten habe, andererseits aber bei einer freiwilligen Krankenversicherung einen 50%igen Zuschuss der Beklagten erhalten hätte.

24

Im übrigen wird auf die Berufungsschrift des Klägers vom 07.07.1998 (Bl. 136 - 139 d. A. ) verwiesen.

25

Infolge des zwischenzeitlich eingetretenen Zeitablaufes hat der Kläger seinen Anspruch um weitere 5 Monate erhöht für den Zeitraum von März 1998 bis Juli 1998.

26

Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Hannover vom 18.02.1998, AZ. 9 Ca 330/97, zu verurteilen, an den Kläger 43.737,90 DM nebst 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

  2. 2.

    hilfsweise die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Hannover vom 18.02.1998, az. 9 Ca 330/97, zu verurteilen, an den Kläger 8.388,81 DM nebst 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

27

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

28

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 10.08.1998. Hierauf wird verwiesen (Bl. 153 - 163 d. A. ).

Entscheidungsgründe

29

Die Berufung des Klägers ist statthaft. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Der Beschwerdegegenstand übersteigt 800,00 DM. Sie ist damit insgesamt zulässig (§§ 64, 66 ArbGG, 518, 519 ZPO).

30

Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Überbrückungszahlung noch ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Verletzung des Arbeitsvertrages zu. Das Arbeitsgericht Hannover hat den Rechtsstreit mit zutreffender Begründung entschieden. Auf die Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteiles wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 ArbGG verwiesen. Eine Zusage der Beklagten, dass sie eine Überbrückungszahlung vornehmen werde über die Bedingungen der Auflösungsvereinbarung hinaus, liegt nicht vor und hat der Kläger auch nicht behauptet. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte eine eigenständige Zusage gegenüber dem Kläger erteilen wollte, der Kläger werde bezüglich der Erstattung der Arbeitslosengeldbeträge nicht in Anspruch genommen.

31

Die Regelung der Kürzung der Überbrückungszahlung der Auflösungsvereinbarung i.V.m. dem Merkblatt ist nicht gemäß § 32 SGB I nichtig. Nach dieser Vorschrift sind privatrechtliche Vereinbarungen, die zum Nachteil des Sozialleistungsberechtigten von Vorschriften dieses Gesetzbuches abweichen, nichtig. Damit ist eine Vereinbarung nichtig, in der sich der Arbeitnehmer verpflichtet, keinen Antrag auf Arbeitslosengeld zu stellen (vgl. Urteile des BSG vom 24.03.1988 in BB 88, 1964 und des BAG vom 22.06.1989 in EzA § 128 AFG in Nr. 2).

32

Die Regelung des § 32 SGB I verbietet entsprechende Vereinbarungen der Parteien, weil hierdurch in maßgeblicher Weise in die Rechtsposition des leistungsberechtigten Arbeitnehmers eingegriffen wird, da insoweit Ausfallzeiten in der Rentenversicherung und des Krankenversicherungsschutzes bestehen, die die Position des Arbeitnehmers substantiell verschlechtern können. Anders ist hingegen eine Vereinbarung zu bewerten, wonach sich der Arbeitnehmer verpflichtet, dasjenige Arbeitslosengeld, das der Arbeitgeber nach § 128 AFG dem Arbeitsamt zu erstatten hat, seinerseits dem Arbeitgeber zurückzuzahlen. Bei einer derartigen Regelung bleiben dem Arbeitnehmer nämlich sowohl der Krankenversicherungsschutz wie auch eine Anrechnung der Zeit der Arbeitslosigkeit in der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten. Da § 32 SGB I lediglich sozialrechtliche Nachteile und damit öffentlich rechtliche Ansprüche nicht ausschließen will, ist angesichts des Wortlauts dieser gesetzlichen Regelung nur dann von einer Nichtigkeit auszugehen, wenn tatsächlich privatrechtlich auf öffentlich rechtliche Ansprüche verzichtet wird.

33

Der Rechtsgedanke des § 32 SGB I kann nicht auf eine Regelung der Parteien übertragen werden, mit der indirekt Einfluss auf die Entscheidung des Arbeitnehmers genommen wird, ob er Arbeitslosengeld tatsächlich in Anspruch nimmt.

34

Die Regelungen der Auflösungsvereinbarung zwischen den Parteien sehen verschiedene Möglichkeiten der Verfahrensweise bezüglich des Ausscheidens und der entsprechenden Zahlungen vor. Der Abschluss eines solchen privatrechtlichen Vertrages ist Ausfluss des Angebotes der Beklagten und der Annahme durch den Kläger. Die Beklagte bietet vorliegend dem Kläger eine Reihe von freiwilligen Zahlungen an, um das frühzeitige Ausscheiden und damit verbundene Nachteile abzufedern. Die Beklagte ist insoweit frei, die aus betrieblicher Sicht zumutbaren Angebote von Grund und Höhe her zu machen, der Kläger ist frei, ein solches Angebot anzunehmen oder nicht. Wenn die Beklagte für sich entscheidet, dass sie nicht sowohl eine Übergangszahlung vornehme wie auch das an den Kläger gezahlte Arbeitslosengeld übernehmen will, so bestimmt sie den wirtschaftlichen Aufwand, den sie zu tragen bereit ist bei einem entsprechenden Ausscheiden des Klägers. Nimmt der Kläger ein solches Angebot an, so ist er auch nicht indirekt verpflichtet, auf den Bezug von Arbeitslosengeld zu verzichten. Er ist vielmehr vollkommen frei in seiner Entscheidung, ob er Arbeitslosengeld beantragt oder nicht. Letztlich entscheidet hierüber die aus der Sicht des Klägers günstigste Regelung, ohne dass insoweit ein Zwang auf den Kläger ausgeübt wird. Die Vorschrift des § 32 SGB I ist damit nicht einschlägig (vgl. Weber u.a., Handbuch der arbeitsrechtlichen Aufhebungsverträge 1996, Rdnr. 278; Bauer, Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge, 4. Aufl., Rdnr. 1094). Es liegt auch kein Verstoß gegen §§ 138, 242 BGB im Sinne eines widersprüchlichen Verhaltens vor. Wenn auch die Beklagte, wie der Kläger vorgetragen hat, Hinweise gegeben hat, dass ihr nicht bekannt sei, dass eine Verrechnungsmöglichkeit bestehe, so hat sie auf der anderen Seite in dem Merkblatt im einzelnen auf mögliche Rechtsfolgen hingewiesen. Dieses ergibt sich nicht nur aus E 4 des Merkblattes, wo im einzelnen geregelt ist, dass die Beklagte die geforderten Ersatzansprüche an das Arbeitsamt erstatten müsse, sofern der Arbeitgeber entsprechend dem Arbeitsförderungsgesetz Rückzahlungen von Sozialleistungen fordere, sondern es ist unter Buchstabe H 2 im einzelnen darauf hingewiesen worden, welche Rechtsfolgen bei einer Arbeitslosengeldmeldung bestehen. Insbesondere ist darauf hingewiesen worden, dass zum 01.01.1993 eine Änderung des AFG in Kraft getreten sei, wonach die Beklagte das Arbeitslosengeld, Krankenversicherungsbeiträge und Rentenversicherungsbeiträge bzw. den Beitragszuschuss zur befreienden Lebensversicherung dem Arbeitsamt für die Dauer von maximal 24 Monaten erstatten müsse, wenn diese Leistungen nach Vollendung des 58. Lebensjahres gezahlt worden sind. Weiter ist dort aufgeführt, dass im Falle der Erstattungspflicht die Beklagte entsprechend den Regelungen des Merkblattes zu Buchstabe E die Überbrückungszahlung, die ab dem 60. Lebensjahr bis zum 63. Lebensjahr gezahlt werde, um den Erstattungsbetrag kürzen werde. Was den Kläger konkret betrifft, ist unter den Beispielen als zweites Beispiel auch ein Austritt aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Alter des 57. Lebensjahres dargestellt, aus dem sich auch im einzelnen ergibt, welche Rückforderungen an den Mitarbeiter gestellt werden.

35

Wenn auch zum Zeitpunkt des Abschlusses des Auflösungsvertrages eine gewisse Rechtsunsicherheit bezüglich der Neufassung des AFG geherrscht haben möge, so geht das Merkblatt doch im einzelnen auf die Neufassung der Regelung des § 128 AFG ein und weist eindeutig darauf hin, dass die Überbrückungszahlung zu kürzen ist, da Rückforderungen des Arbeitsamtes in Bezug auf das gezahlte Arbeitslosengeld bestehen. Allein das Merkblatt, das Bestandteil des Auflösungsvertrages ist, beinhaltet in sehr ausführlicher Form unter Nennung von Beispielen die Rückzahlungsverpflichtung. Dabei ist auf die Vorschrift des § 128 AFG ausdrücklich verwiesen worden. Der Kläger hatte damit keinen Anspruch auf weitere Informationen, zumal nicht festgestellt werden kann, welche Informationen die Beklagte an den Kläger noch hätte geben können. Der Kläger war vielmehr seinerseits verpflichtet, sich selbst darüber zu informieren, welche Auswirkungen im einzelnen der Bezug von Arbeitslosengeld haben konnte entsprechend den Ausführungen der Beklagten, um sich für die für ihn finanziell günstigste Lösung zu entscheiden. Die Beklagte war insoweit nicht verpflichtet, dem Kläger bezüglich seiner persönlichen Verhältnisse Rechtsrat zu erteilen.

36

Ein Anspruch des Klägers auf Zahlung der Überbrückungszahlung gemäß C 2 ist deshalb nicht gegeben, weil die Beklagte insoweit berechtigt die Überbrückungszahlung gekürzt hat entsprechend E 4 des Merkblattes.

37

Die Kammer hatte das Verfahren auch nicht auszusetzen bis über die Berechtigung der Forderungen des Arbeitsamtes rechtskräftig entschieden ist. Die an die Beklagte erteilten Bescheide waren sofort seitens der Beklagten zu vollziehen. Sie hat diese Beträge an das Arbeitsamt tatsächlich erstattet. Sie ist damit tatsächlich auch im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung zu einer Kürzung der Überbrückungszahlungen berechtigt. Dem Kläger steht auch nicht der hilfsweise geltend gemachte Schadensersatzanspruch zu. Zwar mag es sein, dass der Kläger die in seiner Aufstellung genannten Schäden tatsächlich erlitten hat, da die Rückforderungen des Arbeitsamtes den vollen Kranken-, Sozial- und Pflegeversicherungsbetrag ausmachten, während der Kläger, hätte er sich privat versichert ohne arbeitslos gemeldet zu sein, einen 50%igen Arbeitnehmeranteil gemäß den Vereinbarungen des Auflösungsvertrages erhalten hätte.

38

Ein solcher Schadensersatzanspruch des Klägers kann sich nur aus dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung ergeben, vorliegend also dadurch, dass die Beklagte nicht über die Rückforderungen des Arbeitsamtes zu dem Zeitpunkt unterrichtet hat, zu dem sie von ihrer Verpflichtung zur Erstattung des Arbeitslosengeldes erfahren hat. Die Beklagte hat jedoch eine solche Rechtspflicht nicht schuldhaft verletzt, da eine Verpflichtung nach Abschluss des Auflösungsvertrages insoweit nicht bestanden hat.

39

Wie bereits ausgeführt, war der Kläger im einzelnen über die Folgen bei dem Bezug von Arbeitslosengeld unterrichtet. Er kannte zumindest das Risiko, das bei dem Bezug von Arbeitslosengeld bestand. Wenn er trotz der ausführlichen Hinweise der Beklagten dieses Risiko in Kauf genommen hat, so musste die Beklagte nicht erneut nach Abschluss des Auflösungsvertrages im Rahmen der Fürsorgepflicht den Kläger gesondert darauf hinweisen, dass nunmehr der bereits angekündigte Erstattungsfall eingetreten ist. Die Beklagte hatte für den Kläger aufgrund der bereits erteilten Informationen keine besondere Fürsorgepflicht mehr, die Vermögensinteressen des Klägers zu wahren. Liegt aber bereits eine Vertragspflichtverletzung der Beklagten nicht vor, so kann der Kläger einen Schadensersatzanspruch gegenüber der Beklagten nicht durchsetzen. Weitere Anspruchsgrundlagen für einen Schadensersatzanspruch sind nicht ersichtlich.

40

Nach alledem war die Berufung des Klägers insgesamt zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 ZPO i.V.m. § 64 Abs. 6 ArbGG. Die Zulassung der Berufung folgt aus § 72 Abs. 2 ArbGG.

Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Hannes
ehrenamtlicher Richter Neve
ehrenamtlicher Richter Plate